Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskraft im Beschlußverfahren
Leitsatz (amtlich)
Steht aufgrund einer im Beschlußverfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangenen Entscheidung rechtskräftig fest, daß zwei Unternehmen keinen gemeinsamen Betrieb bilden, dann wirkt diese Entscheidung auch im Verhältnis zwischen den Unternehmen und ihren Arbeitnehmern.
Der in einem dieser Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmer kann nicht mehr geltend machen, beide Unternehmen bildeten doch einen gemeinsamen Betrieb und die Unternehmen hätten daher vor der Stillegung des Betriebes mit dem anfechtbar gewählten gemeinsamen Betriebsrat einen Interessenausgleich versuchen müssen, wenn jedes Unternehmen weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigte.
Normenkette
ArbGG § 84; BetrVG § 18 Abs. 2, §§ 19, 111, 113 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 19.02.1990; Aktenzeichen 20 (10) Sa 1439/89) |
ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 26.07.1989; Aktenzeichen 3 Ca 712/87) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. Februar 1990 – 20 (10) Sa 1439/89 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision trägt der Kläger.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit Oktober 1966 bei der Beklagten als Arbeiter zu einem Monatslohn von zuletzt 2.760,– DM brutto beschäftigt. Die Beklagte betrieb in S., Hombergstraße 33, unter der Firma „Apparatebau F. GmbH & Co. KG” (im folgenden nur Apparatebau KG) einen Betrieb zur Herstellung von Apparaten, Behältern und Rohrleitungen. Auf dem gleichen Grundstück unterhielt die Firma „Montagegesellschaft F. GmbH” (im folgenden nur Montage GmbH) einen Betrieb zur Erledigung von Montagearbeiten und Lohnaufträgen. Der Geschäftsführer beider Firmen war dieselbe Person.
In der Vergangenheit haben die Arbeitnehmer der Apparatebau KG und der Montage GmbH über rd. 20 Jahre hinweg gemeinsam einen Betriebsrat gewählt. 1984 haben jedoch die beiden Firmen ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren eingeleitet mit dem Antrag auf Feststellung, daß die Betriebe beider Firmen selbständige Betriebe seien. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluß vom 20. September 1984 – 2 BV 15/84 – diesem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Beschluß auf die Beschwerde des Betriebsrats mit Beschluß vom 5. Juni 1985 – 3 TaBV 113/84 – abgeändert und den Antrag zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde beider Firmen hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 7. August 1986 – 6 ABR 57/85 – die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (BAGE 52, 325 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972). Das Landesarbeitsgericht hat am 6. Mai 1987 die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen (– 3 TaBV 122/86 –). Diese Entscheidung ist den Beteiligten am 5. bzw. 10. Juni 1987 zugestellt und damit am 5. bzw. 10. Juli 1987 rechtskräftig geworden.
Noch vor der letztgenannten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 6. Mai 1987, nämlich am 30. März 1987, haben die Arbeitnehmer der Apparatebau KG und der Montage GmbH erneut gemeinsam einen Betriebsrat gewählt. Zu dieser Zeit beschäftigte die Apparatebau KG etwa sieben Arbeitnehmer und fünf Aufzubildende, die Montage GmbH nach Darstellung des Klägers 18 Arbeitnehmer. Die Betriebsratswahl ist von den beiden Firmen angefochten worden. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluß vom 10. September 1987 – 2 BV 3/87 – die Wahl für unwirksam erklärt. Die Beschwerde des Betriebsrats ist durch Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 3. Februar 1988 – 3 TaBV 116/87 – zurückgewiesen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Betriebsrats ist mit Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Juni 1988 – 7 ABN 11/88 – als unzulässig verworfen worden. Nach der genannten Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 10. September 1987, nämlich am 21. Oktober 1987, unterrichtete die Apparatebau KG den (gemeinsamen) Betriebsrat davon, daß sie dem Kläger – und allen übrigen Arbeitnehmern – fristgemäß kündigen wolle, da sie den Betrieb stillege. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung am 27. Oktober 1987. Die Apparatebau KG kündigte dem Kläger gleichwohl am 11. November 1987 zum 31. Dezember 1987. Auch den anderen Arbeitnehmern der Apparatebau KG wurde gekündigt. Der Betrieb wurde zum 31. Januar 1988 stillgelegt. Auch die Montage GmbH kündigte ihren Arbeitnehmern fristgemäß und legte ihren Betrieb zum 31. Dezember 1987 still.
Im vorliegenden Verfahren, das am 19. November 1987 anhängig geworden ist, macht der Kläger einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend. Hilfsweise begehrt er die Feststellung, daß sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Apparatebau KG vom 11. November 1987 nicht aufgelöst worden ist.
Der Kläger ist der Ansicht, die Apparatebau KG sei zur Zahlung einer Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG verpflichtet, da sie aus Anlaß der Betriebsstillegung keine Verhandlungen mit dem Betriebsrat geführt und keinen Interessenausgleich versucht habe. Die Apparatebau KG und die Montage GmbH hätten nach wie vor einen einheitlichen Betrieb gebildet, in dem zusammen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien. Zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung habe ein gemeinsam gewählter Betriebsrat bestanden, dem jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Wahlanfechtungsverfahren die Rechte nach den §§ 111 ff. BetrVG zugestanden hätten.
Der Kläger hat beantragt,
Die Apparatebau KG hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie verweist darauf, daß ihr Betrieb und der Betrieb der Montage GmbH selbständige Betriebe gewesen seien. In ihrem Betrieb seien weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen, so daß sie anläßlich der Stillegung des Betriebes zu einem Interessenausgleich mit dem Betriebsrat nicht verpflichtet gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Apparatebau KG zur Zahlung der begehrten Abfindung verurteilt. Auf die Berufung der Apparatebau KG hat das Landesarbeitsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers festgestellt, daß sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung erst zum 31. Januar 1988 aufgelöst worden sei. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter, während die Apparatebau KG um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
I. Der Senat hat in der Revisionsinstanz nur noch über den Antrag des Klägers auf Zahlung einer Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu entscheiden. Soweit der Kläger auch gegen die Abweisung seines Hilfsantrages Revision eingelegt hat, ist die Revision unzulässig.
Hinsichtlich der Abweisung der Kündigungsschutzklage enthält die Revisionsbegründung keinerlei Ausführungen darüber, aus welchen Gründen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts angefochten wird. Nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ist in der Revisionsbegründung der Revisionsgrund anzugeben. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt insoweit eine sorgfältige, über ihren Umfang und Zweck keinen Zweifel lassende Begründung, die sich mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt und im einzelnen darlegt, warum diese unrichtig sind (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 74 Rz 33, mit weiteren Nachweisen). Hat das Berufungsgericht über mehrere selbständige Streitgegenstände entschieden, so muß die Revision für jeden Streitgegenstand begründet werden, anderenfalls sie hinsichtlich des nicht begründeten Streitgegenstandes unzulässig ist (BAG Urteil vom 24. März 1977 – 3 AZR 232/76 – AP Nr. 12 zu § 630 BGB; BGH Urteil vom 17. Dezember 1956, BGHZ 22, 375). Das ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängig ist, so daß mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen Streitgegenstand unrichtig sein soll. In einer solchen Abhängigkeit voneinander stehen die beiden Klageanträge nicht. Sie schließen sich vielmehr gegenseitig aus. Die Revision über den Hilfsantrag ist daher als unzulässig zu verwerfen.
Damit bedarf es keines Eingehens auf die vom Landesarbeitsgericht bejahte Frage, ob ein Arbeitnehmer in erster Linie die Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG verlangen und nur hilfsweise die Feststellung beantragen kann, daß sein Arbeitsverhältnis durch eine ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
II. Dem Kläger steht ein Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG nicht zu. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Apparatebau KG anläßlich der Stillegung ihres Betriebes zum 31. Januar 1988 nicht verpflichtet war, zuvor einen Interessenausgleich mit dem (gemeinsamen) Betriebsrat zu versuchen.
1. Nach § 113 Abs. 3 BetrVG kann der Arbeitnehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn er infolge einer Betriebsänderung entlassen worden ist und der Unternehmer vor Durchführung der Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat nicht versucht hat. Das setzt voraus, daß der Unternehmer zur Durchführung eines Interessenausgleichs verpflichtet war, was wiederum zur Voraussetzung hat, daß er eine nach § 111 BetrVG beteiligungspflichtige Betriebsänderung durchgeführt hat.
Im vorliegenden Falle hat die Apparatebau KG ihren Betrieb stillgelegt. Die Stillegung eines Betriebes ist eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 2 BetrVG. An einer solchen Betriebsänderung ist der Betriebsrat jedoch nur zu beteiligen, wenn in dem Betrieb in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Im Betrieb der Apparatebau KG waren 1987 auch unter Einrechnung der Auszubildenden allenfalls zwölf wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt. Beteiligungsrechte des Betriebsrats anläßlich der Stillegung des Betriebes kamen daher nur dann in Betracht, wenn die Apparatebau KG und die Montage GmbH einen gemeinsamen Betrieb unterhielten und in diesem gemeinsamen Betrieb in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren. Da die Apparatebau KG und die Montage GmbH zusammen mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigten, hängt der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Abfindung allein davon ab, ob die Apparatebau KG und die Montage GmbH zur Zeit der Entlassung ihrer Arbeitnehmer einen gemeinsamen Betrieb unterhielten und diesen stillgelegt haben. Das ist nicht der Fall.
2. Zum Zeitpunkt der Kündigung der Arbeitnehmer stand seit dem 5. bzw. 10. Juli 1987 jedenfalls im Verhältnis der Apparatebau KG und der Montage GmbH zu dem gemeinsamen Betriebsrat rechtskräftig fest, daß die beiden Firmen keinen gemeinsamen Betrieb unterhalten, daß vielmehr ihre Betriebe jeweils selbständige Betriebe waren. Unter den Parteien ist daher im Streit, ob diese rechtskräftige Feststellung auch für das Verhältnis der Arbeitnehmer der Apparatebau KG und damit des Klägers zu dieser Firma Rechtskraftwirkung entfaltet und damit die Gerichte hindert, diese Frage erneut zu prüfen und gegebenenfalls anders zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat eine solche Erstreckung der Rechtskraft einer nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangenen Entscheidung auf das Verhältnis der Arbeitnehmer der Betriebe zu ihrem Arbeitgeber bejaht. Dem ist im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zu folgen.
a) Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 10. November 1987 (BAGE 56, 304 = AP Nr. 15 zu § 113 BetrVG 1972) eine Erstreckung der Rechtskraft für den Fall bejaht, daß in einem Beschlußverfahren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat rechtskräftig festgestellt worden ist, daß eine vom Arbeitgeber geplante Maßnahme keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats in bezug auf einen Interessenausgleich und einen Sozialplan auslöse. An diese Entscheidung seien die Gerichte in einem späteren Verfahren eines Arbeitnehmers auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG gebunden. Der Senat hat eine „präjudizielle Bindungswirkung” der im voraufgegangenen Beschlußverfahren ergangenen Entscheidung angenommen. Diese Bindungswirkung folge aus dem besonderen Charakter der Ansprüche der Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG und aus dem Grundsatz, daß die Verfahrensordnung möglichst widersprechende Entscheidungen vermeiden müsse.
b) Diese Entscheidung ist im Schrifttum zwar als „praktikabel” und „vernünftig” bezeichnet, gleichwohl aber mit der Begründung kritisiert worden, sie stehe im Widerspruch zum geltenden Verfahrensrecht, das eine Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf nicht am Verfahren beteiligte Personen grundsätzlich nicht kenne (vgl. ausführlich Jox, Probleme der Bindung an Gerichtsentscheidungen im Rahmen von §§ 111, 113 BetrVG, NZA 1990, 424; Zeiss, SAE 1988, 230; Grunsky, EWiR 1988, 329, 330). Nur Leipold (Anm. zu AP Nr. 15 zu § 113 BetrVG 1972) hält die Entscheidung auch im Ergebnis für zutreffend, allerdings auf der Grundlage der Annahme einer kollektivrechtlichen Repräsentation der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat in Verbindung mit einer analogen Anwendung von § 9 TVG.
c) Der Senat braucht im vorliegenden Verfahren auf diese Kritik nicht im einzelnen einzugehen. Es läßt sich nicht für alle Entscheidungen zwischen den Betriebspartnern, die im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren ergehen, einheitlich die Frage beantworten, ob und inwieweit diese Entscheidungen eine Bindung auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Arbeitnehmern des Betriebes und dem Arbeitgeber entfalten. Jedenfalls für Entscheidungen nach § 18 Abs. 2 BetrVG ist von einer solchen Bindungswirkung auszugehen.
Nach dieser Vorschrift können der Arbeitgeber, beteiligte Betriebsräte oder Wahlvorstände und im Betrieb vertretene Gewerkschaften auch vor der Wahl eines Betriebsrats eine Entscheidung des Arbeitsgerichts beantragen, wenn zweifelhaft ist, ob ein Nebenbetrieb oder ein Betriebsteil selbständig oder dem Hauptbetrieb zuzuordnen ist. Die Vorschrift gilt in gleicher Weise für die Frage, ob zwei selbständige Betriebe zweier verschiedener Arbeitgeber vorliegen oder ob mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb unterhalten (ständige Rechtsprechung BAGE 14, 82 = AP Nr. 5 zu § 3 BetrVG; 30, 12 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972; 52, 325 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972).
Mit dem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG soll unabhängig von einer konkreten Betriebsratswahl eine verbindliche Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob Nebenbetriebe oder Betriebsteile selbständig sind oder dem Hauptbetrieb zugeordnet werden müssen oder ob ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vorliegt. Gegenstand und Ziel dieses Verfahrens soll es nicht nur sein, die Voraussetzungen für eine (künftige) ordnungsgemäße Wahl von Betriebsräten zu schaffen, sondern auch Streitigkeiten über die Zuständigkeit eines gewählten oder noch zu wählenden Betriebsrats oder Meinungsverschiedenheiten über den Umfang von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats zu entscheiden (BAG Beschluß vom 25. November 1980 – 6 ABR 62/79 – AP Nr. 3 zu § 18 BetrVG 1972; Beschluß vom 29. Januar 1987 – 6 ABR 23/85 – AP Nr. 6 zu § 1 BetrVG 1972; so auch das Schrifttum: Dietz/Richardi, BetrVG. 6. Aufl., § 18 Rz 25; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 18 Rz 60; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 18 Rz 28; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 18 Rz 18; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 18 Rz 11).
Das Betriebsverfassungsgesetz knüpft sowohl hinsichtlich der Organisation der Betriebsverfassung als auch hinsichtlich der Beteiligungsrechte des Betriebsrats an den Betrieb an. Beteiligungsrechte des Betriebsrats sind zum Teil von der Größe des Betriebes, d. h. der Zahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abhängig. Gleiches gilt für die Größe des zu wählenden Betriebsrats und hinsichtlich der Reichweite seiner Beteiligungsrechte. Die Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG klärt damit eine für die gesamte Betriebsverfassung grundsätzliche und wesentliche Vorfrage, indem sie bei einem Streit darüber verbindlich festlegt, was als „der Betrieb” anzusehen ist, in dem ein Betriebsrat gewählt wird und in dem er seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann.
Trotz dieser Bedeutung der im Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergehenden Entscheidung herrscht im Schrifttum über die Bindungswirkung dieser Entscheidung Streit. Sofern die Rechtskraftwirkung dieser Entscheidung überhaupt erörtert wird, wird lediglich darauf abgestellt, daß diese Entscheidung für alle „Beteiligten” – auch für deren Rechtsnachfolger – verbindlich sei (so Kreutz, aaO, § 18 Rz 61; Dietz/Richardi, aaO, § 18 Rz 25). Soweit Rechtspositionen der Arbeitnehmer von der Größe des Betriebes abhängen und „nicht als Folgewirkung der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung eingeräumt sind”, entfalte eine nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangene Entscheidung keine präjudizielle Wirkung beispielsweise für die Frage, ob der Betrieb nach § 23 KSchG wegen seiner Größe nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fällt.
Nur Dütz (Kollektivrechtliche Fragestellungen im Arbeitsgerichtsverfahren, Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 20, S. 33, 51) mißt diesen Entscheidungen auch Bindungswirkung für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu. Dem folgt der Senat.
Der durch das Betriebsverfassungsgesetz erfaßte Betrieb kann für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht anders bestimmt werden als für das Verhältnis der Betriebspartner zueinander, jedenfalls nicht insoweit, als dieses Verhältnis durch betriebsverfassungsrechtliche Normen bestimmt wird. Steht zwischen den Betriebspartnern rechtskräftig fest, daß ein Betriebsteil selbständig ist, wird aber für diesen Betriebsteil kein Betriebsrat gewählt, so kann ein in diesem Betriebsteil gekündigter Arbeitnehmer nicht geltend machen, seine Kündigung sei mangels Anhörung des Betriebsrats des Hauptbetriebes unwirksam, weil der Betriebsteil kein selbständiger Betrieb sei und daher der im Hauptbetrieb gewählte Betriebsrat hätte angehört werden müssen. Die durch § 18 Abs. 2 BetrVG bezweckte verbindliche Klärung der Frage nach dem „Betrieb” im Sinne der einzelnen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes könnte nicht erreicht werden, wenn im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese Frage jeweils wieder erneut zur Entscheidung gestellt und anders entschieden werden könnte. Von daher folgt aus dem materiellen Betriebsverfassungsrecht, daß eine im Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangene Entscheidung darüber, was „Betrieb” im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist, auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Bindungswirkung entfaltet.
Rechte der Arbeitnehmer werden durch eine solche Bindungswirkung nicht verletzt. Ihre durch das Betriebsverfassungsrecht geprägte Rechtsstellung ist abhängig von ihrer Beschäftigung im jeweiligen Betrieb und dessen Organisation ist grundsätzlich Sache des Arbeitgebers. An diese vorgegebene Organisation des Betriebes knüpft das Betriebsverfassungsgesetz an. Die Entscheidung nach § 18 Abs. 2 BetrVG ist daher im Grunde auch keine Entscheidung über Rechte und Pflichten – auch solche der Arbeitnehmer –, sondern nur die Feststellung eines tatsächlichen Zustandes. Nur im Hinblick auf die Bedeutung dieses Zustandes für die gesamte Betriebsverfassung ist es erklärlich, daß § 18 Abs. 2 BetrVG ein Verfahren zur Feststellung nicht eines Rechtsverhältnisses, sondern einer Tatsache zur Verfügung stellt.
Damit steht aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 6. Mai 1987 auch im Verhältnis des Klägers zur Apparatebau KG fest, daß die Betriebe der Apparatebau KG und der Montage GmbH selbständige Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind. Zur Zeit der Stillegung des Betriebes der Apparatebau KG und lange Zeit davor waren in diesem Betrieb weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Apparatebau KG war daher nach § 111 Satz 1 BetrVG nicht verpflichtet, vor der Stillegung ihres Betriebes einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu versuchen.
3. Dem steht nicht entgegen, daß zur Zeit der Betriebsstillegung der am 30. März 1987 in anfechtbarer Weise gewählte gemeinsame Betriebsrat noch im Amt war, da das Wahlanfechtungsverfahren erst am 6. Juni 1988 rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Zutreffend geht die Revision davon aus, daß die Wahl eines Betriebsrats in Verkennung des Betriebsbegriffes nicht nichtig, sondern nur anfechtbar ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 15, 235 = AP Nr. 6 zu § 3 BetrVG; 30, 12 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972; 46, 363 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrVG 1972). Ein nur anfechtbar gewählter Betriebsrat bleibt bis zum rechtskräftigen Abschluß des Wahlanfechtungsverfahrens im Amt und hat alle dem Betriebsrat jeweils zustehenden Beteiligungsrechte wahrzunehmen (ständige Rechtsprechung seit BAGE 4, 268 = AP Nr. 2 zu § 81 ArbGG 1953). Entgegen der Ansicht der Revision stehen dem anfechtbar gewählten Betriebsrat jedoch nicht mehr Beteiligungsrechte zu, als dem wirksam gewählten Betriebsrat.
Ist wie bei § 111 BetrVG das Beteiligungsrecht des Betriebsrats davon abhängig, daß im Betrieb eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt wird, so kommt es für die Wahrnehmung dieses Beteiligungsrechtes allein darauf an, ob im maßgebenden Zeitpunkt diese Zahl von Arbeitnehmern erreicht wird. Darauf, von welcher Arbeitnehmerzahl bei der Wahl des Betriebsrats ausgegangen wird, kommt es nicht an.
Gerade für die Beteiligungsrechte nach § 99 und § 111 BetrVG ist anerkannt, daß nicht die Größe des Betriebsrats, sondern die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer dafür entscheidend ist, ob diese Beteiligungsrechte gegeben sind oder nicht. So können diese Beteiligungsrechte auch einem entsprechend der Arbeitnehmerzahl zur Zeit der Betriebsratswahl gewählten Betriebsobmann zustehen, wenn die Zahl der Arbeitnehmer im Betrieb zwischenzeitlich gewachsen ist. Ebenso können die Beteiligungsrechte eines dreiköpfigen Betriebsrats entfallen, wenn die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer seit der Betriebsratswahl unter 21 gesunken ist (Kraft, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 99 Rz 5 und 7; Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 111 Rz 50; Dietz/Richardi, aaO, § 99 Rz 11, § 111 Rz 9; Galperin/Löwisch, aaO, § 99 Rz 3; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 99 Rz 3; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 99 Rz 4, § 111 Rz 4). Gilt dies schon für einen nach der damaligen Arbeitnehmerzahl zutreffend gewählten Betriebsrat, so kann nichts anderes gelten, wenn anläßlich der Betriebsratswahl unzutreffend von einer zu großen oder zu kleinen Arbeitnehmerzahl ausgegangen worden ist. Dabei kann es auch nicht darauf ankommen, aus welchem Grunde anläßlich der Betriebsratswahl von einer zu großen Arbeitnehmerzahl ausgegangen wurde. Von daher ist es auch unerheblich, daß anläßlich der Betriebsratswahl von einem gemeinsamen Betrieb der Apparatebau KG und der Montage GmbH ausgegangen worden ist. Die Tatsache, daß der aufgrund dieser Annahme anfechtbar gewählte Betriebsrat bis zum rechtskräftigen Abschluß des Wahlanfechtungsverfahrens im Amt bleibt, führt nicht dazu, daß für diese Zeit auch diese Annahme als zutreffend der Beantwortung der Frage zugrunde zu legen ist, welche Beteiligungsrechte dem anfechtbar gewählten Betriebsrat zustehen.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Rösch, Schneider
Fundstellen
Haufe-Index 662631 |
BAGE, 1 |
BB 1991, 2087 |
RdA 1991, 319 |