Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.01.1989; Aktenzeichen 13 Sa 32/88) |
ArbG Mannheim (Teilurteil vom 19.01.1988; Aktenzeichen 1 Ca 496/87) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. Januar 1989 – 13 Sa 32/88 – aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 23. September 1987 zum 31. März 1988.
Die 1935 geborene, ledige Klägerin war seit dem 1. Mai 1965 bei der Beklagten, einem Großbetrieb der metallverarbeitenden Industrie, als Sachbearbeiterin im Rechnungswesen gegen ein Gehalt von zuletzt 3.275,– DM beschäftigt.
Die Beklagte ließ durch den Abteilungsleiter und direkten Vorgesetzten der Klägerin, Herrn B., am 18. September 1986, 27. Mai 1987 und 9. September 1987 Leistungsbeurteilungen erstellen. In den sich anschließenden Gesprächen wurde die Klägerin von diesem Vorgesetzten darüber informiert, ihre Leistungen seien aus der Sicht der Beklagten nicht zufriedenstellend. Der weitere Inhalt und Ablauf der Gespräche ist zwischen den Parteien streitig.
Im März 1987 bestellte die Klägerin bei der Schreibwarenfabrik H. unter Verwendung des Firmenstempels der Beklagten verschiedene Waren, die von ihr auch bezahlt wurden. Mit den angefallenen Frachtkosten in Höhe von DM 52,60 wurde zunächst die Beklagte belastet, später zahlte die Klägerin diese Kosten.
Mit Schreiben vom 23. September 1987, der Klägerin am 25. September 1987 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristgerecht zum 31. März 1988 und berief sich auf folgende Gründe:
Im Rahmen eines am 1. November 1986 geführten Personalgespräches habe die Klägerin erklärt, die Verhältnisse in ihrer Abteilung seien mit den Zuständen unter Hitler zu vergleichen, denn jeder Widerspruch würde unterdrückt, sie würde überwacht und bespitzelt werden. Der Leiter der Gesamtbuchhaltung Br. habe sich für das Unternehmen solche Äußerungen verbeten und der Klägerin für den Wiederholungsfall Konsequenzen für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses angedroht.
Herr Br. habe dann im Juli 1987 erfahren, die Klägerin habe in größeren Kreis in der Abteilung geäußert, sie werde sowohl im Betrieb wie auch im Privatleben überwacht und bespitzelt und solle gegen Erhalt einer Abfindung aus dem Betrieb ausscheiden, um einen Arbeitsplatz für die Tochter von Herrn Br. frei zu machen. Daraufhin habe Herr Br. die Klägerin in einem Gespräch am 10. Juli 1987 aufgefordert, diese unwahren Behauptungen zu unterlassen und kündigungsrechtliche Konsequenzen für den Wiederholungsfall angedroht.
Die Klägerin habe in einem mit den Personalleitern H. und He. sowie dem Betriebsrat Hei. geführten Gespräch am 28. Juli 1987 wiederum die Betriebsatmosphäre mit den Zuständen während der NS-Zeit verglichen. Selbst nach den Vorhalt seitens Herrn H., Hitler habe bekanntermaßen eines der grausamsten Regime der Weltgeschichte verkörpert, habe die Klägerin den Vergleich wiederholt. Daraufhin habe Herr H. erwidert, mit solchen Äußerungen zerstöre die Klägerin das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien und darüber hinaus den Ausspruch einer Kündigung angedroht. Im weiteren Verlauf dieses Gespräches habe die Klägerin Herrn H. für ihre Durchblutungsstörungen verantwortlich gemacht, welche durch den dauernden psychischen Druck des Personalleiters H. entstanden sein sollen, und behauptet, sie solle entlassen werden, um Platz in Betrieb für die Töchter Herrn H. zu schaffen.
Die Klägerin habe für die private Warenbestellung im März 1987 unbefugt den Firmenstempel und den damit verbundenen Firmennamen verwandt. Die Klägerin habe erst nach Aufforderung die Frachtkosten beglichen. Eine Belastung des Firmenkontos sei erst nach längerer Zeit festgestellt worden. Da die Klägerin für die Überprüfung der Frachtrechnung auf ihre sachliche und rechnerische Richtigkeit zuständig sei, belaste dieses Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis um so mehr.
Die Leistungen der Klägerin ließen nach. Nach einer Leistungsbeurteilung an 27. Mai 1987 habe noch am selben Tag ein Gespräch des Abteilungsleiters Br. mit der Klägerin stattgefunden, in welchem die Klägerin zu besserer Leistung ermahnt worden sei und arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Fall in Aussicht gestellt worden seien, wenn die Leistungen der Klägerin nicht den durchschnittlichen Standard erreichen würden. Die Klägerin habe sich jedoch uneinsichtig gezeigt. Eine Besserung der Leistungen sei, wie sich aus einer am 9. September 1987 durchgeführten Leistungsbeurteilung ergebe, nicht eingetreten.
Der Betriebsrat hat der Kündigung widersprochen.
Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat geltend gemacht, die Kündigung rechtfertigende Gründe in ihrer Person oder in ihrem Verhalten lägen nicht vor. Während der Personalgespräche sei sie sehr stark erregt gewesen, sie habe die Beklagte nicht diffamieren wollen. Einen Vergleich der Betriebsatmosphäre mit den Zuständen während der MS-Zeit habe sie nie aufgestellt.
Zu den privaten Bestellungen hat sie sich auf eine angeblich gängige Praxis bei der Beklagten berufen. Über die besagte Bestellung sei die Beklagte durch ihren Einkäufer R. informiert gewesen, den sie selbst hiervon unterrichtet habe. Die Frachtkosten habe sie erst später gezahlt, da sie davon ausgegangen sei, die Lieferung erfolge frei Haus.
Zu der Leistungsminderung hat sie vorgetragen, sie habe 20 Jahre beanstandungsfrei ihre Arbeit erbracht. Auch wenn die Leistungskurve während der Wechseljahre abfallen könne, so habe ihre Leistung jedoch nicht unter der vergleichbarer Arbeitnehmerinnen gelegen. Die Beklagte habe zudem keine konkreten Beanstandungen vorgetragen. Die Beklagte habe bei ihr wesentlich häufiger Leistungsbeurteilungen erhoben als bei anderen Arbeitnehmern. Darin sehe sie eine Ungleichbehandlung. Auch sei ihr für die häufigen Leistungsbeurteilungen von der Beklagten kein Grund genannt worden. Sie habe in dem Gespräch am 28. August 1987 die Leistungsbeurteilung als Schikane empfunden. Dies habe zu einem Zustand starker Erregung geführt, in welchem sie sich zu unbedachten Äußerungen habe hinreißen lassen.
Die Klägerin hat – soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung – beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten von 23. September 1987, zugestellt am 25. September 1987, nicht aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die beleidigenden und ehrverletzenden Äußerungen der Klägerin könnten nicht mehr als Kritik verstanden werden. Sie hätte den Betriebsfrieden in der Abteilung Rechnungswesen nachhaltig gestört und das Verhältnis zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern stark belastet.
Die Leistungsbeurteilungen seien nicht grundlos, sondern im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungszulagen erfolgt. Auf der Grundlage der Anlage 2 zum Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 24. April 1967 (im folgenden: Anlage 2 MTV) werde die Leistungszulage festgesetzt und mindestens einmal im Jahr überprüft. Sei nach dem Ergebnis der Überprüfung nunmehr eine geringere Leistungszulage zu gewähren, so könne diese erst nach einer Karenzzeit von drei Monaten und einer erneuten Überprüfung mit negativem Ergebnis gemindert werden. Aufgrund einer für die Klägerin negativ verlaufenen Leistungsbeurteilung vom 18. September 1986 seien nach der tariflichen Regelung weitere Beurteilungen für die Änderung der Leistungszulage erforderlich gewesen und daher auch am 27. Mai 1987 und 9. September 1987 erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweiserhebung die Klage durch Teilurteil abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. In der Berufungsverhandlung hat die Beklagte den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt und diesen mit den im Kündigungsschutzverfahren vorgetragenen ehrverletzenden Äußerungen der Klägerin gegenüber ihren Vorgesetzten begründet. Die Klägerin hat Zurückweisung des Auflösungsantrages beantragt. Das Berufungsgericht hat das Teilurteil des Arbeitsgerichtes abgeändert und der Klage stattgegeben sowie den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei weder durch in der Person noch im Verhalten der Klägerin liegende Gründe gerechtfertigt. Es stehe fest, daß die Klägerin im Verlaufe des Gespräches am 28. August 1987 die Betriebsatmosphäre mit den Zuständen während der NS-Zeit verglichen habe. Ebenso könne davon ausgegangen werden, daß ähnliche Äußerungen in einem Personalgespräch am 1. November 1986 gefallen seien. Nicht erwiesen seien entsprechende Äußerungen, die die Klägerin nach der Darstellung der Beklagten im Juli 1987 in einem größeren Kreis in der Abteilung abgegeben haben soll. Die festgestellten Äußerungen könnten möglicherweise als Vertragsverletzungen zu beurteilen sein. Die Klägerin habe indessen nicht gegenüber Dritten diffamierende Kritik an der Beklagten, sondern nur gegenüber Vorgesetzten in Personalgesprächen geäußert. Es sei nicht Aufgabe des Arbeitgebers, die Ehre der Vorgesetzten gegenüber sich kritisch äußernden Arbeitnehmern zu verteidigen, sofern nicht schützenswerte Belange des Arbeitgebers selbst berührt seien. Das sei zu verneinen. Sprachliche Überschreitungen würden der plastischen Darstellung dienen. Auch sei wesentlich, ob der verwendete Vergleich in tatsächlicher Hinsicht gänzlich verfehlt sei oder einen realen Kern habe. Selbst wenn die Klägerin Gebote des Umgangs verletzt hätte, so hätten diese Vertragsverletzungen nicht die Kündigung bedingt.
Die Interessenabwägung falle zugunsten der Klägerin aus. Unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen besagte Äußerungen gefallen seien, habe das Auflösungsinteresse der Beklagten kein besonderes Gewicht. Die Äußerungen seien als Reaktion auf Vorhaltungen und Kritik der Beklagten an den Leistungen der Klägerin erfolgt. Die Klägerin habe sich bei dem Gespräch am 10. Juli 1987 in einem Zustand sehr hoher emotionaler Erregung befunden. Es sei verständlich, daß sie unter dem Eindruck des drohenden Arbeitsplatzverlustes im Gespräch mehr und mehr die Beherrschung verloren habe. Unter diesen Umständen hätte das Auflösungsinteresse der Beklagten allenfalls dann überwiegen können, wenn die Klägerin trotz Abmahnung in dem Wissen, den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu gefährden, die Äußerung wiederholt hätte. Eine Abmahnung sei jedoch nicht erfolgt. Diese könne nur von der für personelle Angelegenheiten zuständigen betrieblichen Stelle ausgesprochen werden. Dies seien bei der Beklagten nicht die Abteilungsleiter, sondern die Personalleitung. Die Ankündigung von Maßnahmen für den Wiederholungsfall durch den Abteilungsleiter Br. seien nicht als Abmahnung zu werten. Sie habe nur den Charakter eines Hinweises.
Der auf die Äußerungen der Klägerin, sie solle einen Arbeitsplatz für die Töchter der Herren H. und Br. frei machen, gestützte Vorwurf trage die Kündigung nicht. Zum einen sei der Vortrag nicht hinreichend substantiiert. Zum anderen überwiege das Erhaltungsinteresse der Klägerin.
Ebenso habe die Beklagte hinsichtlich des Vorwurfs der unbefugten Warenbestellung und des Betrugsversuches nicht hinreichend vorgetragen. Ein versuchter Betrug wäre allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn die Klägerin vom Entstehen von Frachtkosten gewußt hätte. Die Behauptung der Klägerin, sie sei von der Lieferung frei Haus ausgegangen, hätte die Beklagte widerlegen müssen.
Auch die Gesamtwürdigung rechtfertige die Kündigung nicht. Die der Klägerin vorgeworfenen Äußerungen in den einzelnen Gesprächen seien inhaltlich ähnlich und auch unter vergleichbaren äußeren Umständen gefallen.
Auch zum Auflösungsantrag fehle hinreichender Vortrag der Beklagten zur zukünftigen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses. Die festgestellten Äußerungen der Klägerin seien quantitativ und qualitativ zu dürftig, den notwendigen Schluß auf eine künftige Entwicklung des Vertragsverhältnisses zu gestatten. Die Äußerungen der Klägerin im November 1986 und Juli 1987 seien in einer Situation starker emotionaler Erregung der Klägerin gefallen. Die Beklagte habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine ähnliche Reaktionsweise der Klägerin auch in streß- und belastungsfreien Situationen ergebe.
II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichtes kann weder im Ergebnis noch in der Begründung gefolgt werden. Sie berücksichtigen weder ausreichend den Sach- und Streitstand noch die Rechtslage.
1. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhaltes unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: vgl. BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; BAGE 45, 146, 151 = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I der Gründe).
2. Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist die ordentliche Kündigung u.a. nur sozial gerechtfertigt und damit rechtswirksam, wenn sie durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muß also durch objektive Umstände, die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit, im Vertrauensbereich der Vertragsparteien oder im Unternehmensbereich beeinträchtigt sein (Urteil des BAG vom 20. September 1984 – 2 AZR 233/83 – AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 1 der Gründe; vgl. Herschel, Festschrift für Schnorr von Carolsfeld, 1972, S. 170 f.; ders. Anm. zu AP Nr. 2 und 3 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 89; Weller, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, 1982, Bd. 20, S. 77, 80, 81).
Zutreffend hat das Berufungsgericht geprüft, ob jeder einzelne der von der Beklagten vorgetragenen Kündigungsgründe für sich betrachtet zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung geeignet ist.
Bei einer Kündigung, die auf mehrere gleichartige Gründe gestützt wird, ist zunächst zu prüfen, ob jeder Sachverhalt für sich allein geeignet ist, die Kündigung zu begründen (BAG Urteile vom 4. August 1955 – 2 AZR 88/54 – AP Nr. 3 zu § 626 BGB; vom 22. Juli 1982 – 2 AZR 30/81 – AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 3 der Gründe; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 179 f.). Erst wenn die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung führt, ist im Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit Umstände darstellen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (BAG, a.a.O.; KR-Becker, a.a.O.; a.A. Meisel, Anm. zu BAG AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Abschn. 9; Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31 ff. für den vorliegend nicht einschlägigen Fall der Addition mehrerer selbständiger Kündigungsgründe – z.B. Verhaltens- und betriebsbedingte Gründe).
a) Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, der Kündigungsvorwurf der Beklagten, der von der Klägerin angestellte Vergleich der Betriebsatmosphäre mit der NS-Zeit stelle eine Ehrverletzung dar, sei der Gruppe der verhaltensbedingten Kündigungsgründe zuzuordnen.
Ehrverletzende Äußerungen stellen regelmäßig einen im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Grund im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar. In der früheren arbeitsrechtlichen Gesetzgebung (vgl. §§ 123 Abs. 1 Nr. 5 und 133 c Abs. 1 Nr. 5 GewO; § 72 Abs. 1 Nr. 4 HGB) gaben grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder dessen Vertreters dem Arbeitgeber ein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Da es sich bei den gesetzlich erwähnten Tatbeständen nur um besondere Erscheinungsformen des wichtigen Grundes handelt, hat sich an dieser Rechtslage durch das Inkrafttreten des ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes vom 14. August 1969 (BGRl I, S. 1106) nichts geändert. Eine grobe Beleidigung des Arbeitgebers oder dessen Vertreter, die nach Form oder Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeutet, stellt grundsätzlich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar (vgl. BAGE 29, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG Urteil vom 23. Mai 1985 – 2 AZR 290/84 – n.v.; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 62). In minderschweren Fällen kann dagegen eine ordentliche Kündigung in Betracht kommen. Dabei ist nicht entscheiden auf die strafrechtliche Wertung, sondern darauf abzustellen, wie stark das Arbeitsverhältnis durch die verletzenden Äußerungen belastet ist (KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 265). Mit gegen den Arbeitgeber oder Vorgesetzten gerichteten ehrverletzenden Äußerungen verletzt der Arbeitnehmer zudem arbeitsvertragliche Nebenpflichten, die das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, die Klägerin habe am 28. August 1987 in dem mit den Personalleitern H. und He. sowie dem Betriebsrat Hei. geführten Gespräch und am 5. November 1986 gegenüber Abteilungsleitern geäußert, die Betriebsatmosphäre bei der Beklagten sei vergleichbar mit Zuständen während des Hitler-Regimes, man werde dort bespitzelt und unterdrückt. Soweit es den Vortrag der Beklagten für unerheblich erachtet hat, die Klägerin habe entsprechende Äußerungen im größeren Kollegenkreis in ihrer Abteilung im Juli 1987 abgegeben, da dieser Vortrag hinsichtlich Ort, Zeit, genauem Inhalt und näheren Umständen nicht hinreichend substantiiert sei, hat es den Inhalt der Verhandlungen nicht vollständig berücksichtigt und zudem unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung gegen § 278 Abs. 3 ZPO verstoßen.
Die Beklagte hatte im Schriftsatz vom 27. November 1987 vorgetragen, im Juli 1987 habe der Abteilungsleiter Br. erfahren, die Klägerin habe in dem größeren Kreis der Abteilung wiederum geäußert, sie werde in der Firma und auch in ihrer privaten Sphäre überwacht und bespitzelt. Herr Br. habe die Klägerin am 10. Juli 1987 aufgefordert, diese beleidigenden und unwahren Tatsachenbehauptungen zu unterlassen und habe ihr kündigungsrechtliche Konsequenzen angedroht. Die Klägerin hatte hierauf weder im Schriftsatz vom 18. Dezember 1987 noch später erwidert. Der als Zeuge vernommene Angestellte Br. hatte in seiner Gesamtaussage dazu bekundet, ihm sei zugetragen worden, daß die Klägerin in der Abteilung geäußert haben solle, sie werde in der Firma und auch in ihrer privaten Sphäre überwacht und bespitzelt. Sie solle weiter behauptet haben, sie solle deshalb aus dem Unternehmen der Beklagten ausscheiden, um für seine Tochter einen Arbeitsplatz frei zu machen. Aus diesem Grunde habe er die Klägerin zu einem weiteren Personalgespräch gebeten. An diesem habe auch wiederum der direkte Vorgesetzte der Klägerin B. teilgenommen. Er habe die Klägerin mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Sie habe diese nicht bestritten, sondern auf der Richtigkeit dieser Vorwürfe beharrt. Sie habe also ausdrücklich zugegeben, solche Äußerungen in der Abteilung getan zu haben. Er habe der Klägerin bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck gebracht, daß dieser Vorgang Konsequenzen nach sich ziehen werde und es so nicht weitergehen könne.
Das Arbeitsgericht hat in seinem erstinstanzlichen Urteil dazu ausgeführt, nachdem die Klägerin in der Abteilung Rechnungswesen geäußert hätte, sie werde in der Firma und auch in ihrer privaten Sphäre überwacht und bespitzelt, was die Klägerin sowohl gegenüber dem Leiter des Rechnungswesens einräume, wie auch in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten habe, sei sie erneut auf die Konsequenzen ihres Verhaltens hingewiesen worden.
Die Klägerin ist in der Berufungsschrift hierauf nicht eingegangen. Der Vortrag der Beklagten zu diesem Komplex war daher unstreitig. Er war auch rechtlich erheblich. Der Inhalt der Äußerungen der Klägerin steht fest. Ebenso der Umstand, daß sie in ihrer Abteilung gefallen sind. Wieso genauere Orts- und Zeitangaben hier rechtlich von Bedeutung sein könnten, ist unerfindlich. Da die Klägerin den Vortrag nicht bestritten hatte, war die Beklagte zu einem genaueren Vortrag nicht gehalten.
Die gleichen Erwägungen gelten für die Behauptungen der Klägerin, ihr solle aus sachfremden Motiven gekündigt werden. Die Beklagte hatte hierzu im Schriftsatz vom 27. November 1987 geltend gemacht, die Klägerin habe behauptet, sie solle aus dem Unternehmen der Beklagten deshalb ausscheiden und ein Abfindungsgebot erhalten, um für die Tochter des Herrn Br. einen Arbeitsplatz frei zu machen. Herr Br. habe die Klägerin darauf hingewiesen, daß seine Tochter erst 15 Jahre alt sei und noch mindestens vier Jahre die Schule besuchen werde. Die Klägerin hatte auch hierzu weder im Schriftsatz vom 18. Dezember 1987 noch später eine Stellungnahme abgegeben. Diese inhaltlich konkretisierten Behauptungen sind beleidigend und unterstellen, daß aus sachfremden Erwägungen heraus die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ins Auge gefaßt wird. Das Landesarbeitsgericht hätte sie daher in seine Erwägungen einbeziehen müssen.
bb) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung angenommen, das Auflösungsinteresse der Beklagten wegen der fraglichen Äußerungen hätte allenfalls dann überwiegen können, wenn die Klägerin trotz förmlicher Abmahnung in dem Wissen, daß sie damit den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdete, diese wiederholt hätte; eine solche liege aber nicht vor, denn eine Abmahnung könne nur von derjenigen betrieblichen Stelle ausgesprochen werden, die für personelle Maßnahmen zuständig sei. Dieser Würdigung kann nicht gefolgt werden.
In Anbetracht der Art und Schwere der Äußerungen der Klägerin war eine Abmahnung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erforderlich. Es ist daher auch nicht entscheidungserheblich, ob im vorliegenden Fall eine „abmahnungsberechtigte Person” eine solche ausgesprochen hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist bei Störungen im Leistungsbereich regelmäßig vor Ausspruch einer Kündigung eine vergebliche Abmahnung mit ausreichender Warnfunktion erforderlich (BAG Urteile vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 75/78 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; 9. August 1984 – 2 AZR 400/83 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 1 a der Gründe; BAGE 46, 163, 170 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969, zu II 5 a der Gründe), was insbesondere auch für verhaltensbedingte Gründe mit Auswirkungen im Leistungsbereich gilt (BAG Urteil vom 9. August 1984, a.a.O.; KR-Hillebrecht, a.a.O., § 626 BGB Rz 109). Bei einem Fehlverhalten im Vertrauensbereich bedarf es dann einer vorherigen erfolglosen Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG Urteil vom 30. Juni 1983 – 2 AZR 524/81 – AP Nr. 15 zu Art. 140 GG, zu A IV 1 der Gründe). Das war vorliegend nicht der Fall.
cc) Die von der Klägerin angestellten Vergleiche haben ehrverletzenden Charakter und sind als Störungen im Vertrauensbereich zu bewerten. Umstände, aus denen die Klägerin berechtigterweise hätte schließen können, die Beklagte sehe in ihren Äußerungen kein bestandsgefährdendes Verhalten, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Die Klägerin mußte vielmehr im Gegenteil nach den Erklärungen Brückners annehmen, im Wiederholungsfall müsse sie mit kündigungsrechtlichen Konsequenzen rechnen, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob Br. abmahnungsberechtigt war oder nicht. Auch ohne den Hinweis Br. mußte die Klägerin aus ihrer Sicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses als gefährdet ansehen. Die Klägerin ist 1935 geboren und hat zumindest als Kind das Ende des Naziregimes und die Nachkriegszeit noch voll miterlebt. Dieser Umstand schließt es aus, die Äußerungen der Klägerin als rechtlich nicht relevant zu beurteilen.
b) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Warenbestellung der Klägerin erschöpfen den Sach- und Streitstand ebenfalls nicht. Das Landesarbeitsgericht hat nicht zwischen der von der Beklagten behaupteten Vertragswidrigkeit als solcher und einer damit u. U. noch verbundenen Betrugsabsicht der Klägerin hinreichend getrennt. Daß ein Bediensteter einer Firma unter dem Namen und unter Benutzung eines Stempels der Firma Waren für sich bestellt, ist an sich durch das Arbeitsverhältnis nicht gedeckt. Ob allerdings der auf die Warenbestellung gestützte Vorwurf der Beklagten die Kündigung rechtfertigt, kann noch nicht abschliessend entschieden werden. Die Beklagte hat sich zum einen auf das unbefugte Benutzen des Firmenstempels und damit verbunden des Firmennamens bei der Bestellung berufen. Die unberechtigte Verwendung des Firmenstempels und -namens ist an sich geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu beeinträchtigen. Wenn die Klägerin sich darauf beruft, ein Herr Resch, dessen Funktion im Betrieb bisher im Prozeß nicht klargestellt ist, habe ihr dies erlaubt, so ist dem nachzugehen. Hat die Klägerin hier eigenmächtigt gehandelt, so liegt schon ein Arbeitsvertragsverstoß vor. Unabhängig davon könnte die Klägerin mit ihrem Verhalten noch versucht haben, sich auf Kosten der Firma zu bereichern. Insoweit treffen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu, der Klägerin sei nicht nachgewiesen, sie habe angenommen, die Lieferung erfolge frei Haus. Es wäre Sache der Beklagten, diese Behauptung der Klägerin substantiiert zu widerlegen.
3. Über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist in der Revision nicht zu befinden, da über die Sozialwidrigkeit der Kündigung noch keine abschließende Entscheidung gefällt werden kann.
4. Das Landesarbeitsgericht wird daher die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Revisionsgerichts erneut zu beurteilen haben.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Ascheid, Nipperdey, Roeder
Fundstellen