Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösungsantrag des Arbeitgebers. Verwertungsverbot. vom Arbeitgeber zu verantwortende Zerrüttung. Verwertungsverbot für Auflösungsgründe, die der Personalvertretung nicht mitgeteilt wurden?
Leitsatz (amtlich)
Ein betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtliches Verwertungsverbot für nicht mitgeteilte Kündigungsgründe erstreckt sich nicht auf die Verwendung dieser Gründe im Rahmen eines Auflösungsantrages nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
Orientierungssatz
1. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere auch nicht im verschuldeten Verhalten des Arbeitnehmers liegen.
2. Der Arbeitgeber darf aber auch im Rahmen seines Auflösungsantrages nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG Spannungen zwischen Arbeitnehmern oder zwischen einem Arbeitnehmer und Vorgesetzten nicht ohne Beachtung der Verantwortungsanteile zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers lösen.
3. Die bloße Weigerung von Arbeitnehmern, mit dem Gekündigten zusammenzuarbeiten, stellt noch keinen Auflösungsgrund nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG dar.
4. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist es dem Arbeitgeber nicht gestattet, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die entweder von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind.
5. Ein betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtliches Verwertungsverbot für nicht mitgeteilte Kündigungsgründe erstreckt sich nicht auf die Verwendung dieser Gründe im Rahmen eines Auflösungsantrages nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
Normenkette
KSchG §§ 9-10; LPersVG BaWü § 77
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2001 – 18 Sa 65/00 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es dem Auflösungsantrag der Beklagten stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung verurteilt hat.
Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über einen Auflösungsantrag der Beklagten.
Die im Jahre 1961 geborene Klägerin ist Fachärztin für Augenheilkunde und Anästhesiologie. Sie trat am 1. August 1998 in die Dienste der beklagten Stadt. Als Assistenzärztin in der Augenklinik des Städtischen Klinikums erhielt sie zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von rund 10.000,00 DM einschließlich der Vergütung von Bereitschaftsdiensten.
Die Augenklinik ist in einem eigenen Gebäude im Klinikgelände untergebracht. Darin untergebracht ist neben dem stationären Bereich mit 15 Planbetten auch die Ambulanz. In der Ambulanz befindet sich auch das Sekretariat, in dem eine Sekretärin tätig ist. Den ärztlichen Dienst versehen ein Chefarzt, zwei Oberärzte und vier Assistenzärzte. In der Ambulanz arbeiten zwei Arzthelferinnen. Auf der Station sind zehn Krankenschwestern im Schichtdienst eingesetzt.
Einige Zeit vor Beschäftigungsbeginn der Klägerin hatte Herr Professor Dr. F als neuer Chefarzt der Augenklinik seinen Dienst angetreten. Er wurde jedoch alsbald – im November 1998 – von seiner Tätigkeit entbunden. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Neubesetzung der Stelle im März 2000 nahm die Oberärztin Dr. W die Aufgaben des Chefarztes kommissarisch wahr. Im März 1999 kehrte Herr Dr. S – der als Oberarzt kurz vor dem Ende der Dienstzeit des Herrn Professor Dr. F ausgeschieden war – in die Klinik zurück und war nunmehr wieder Oberarzt neben Frau Dr. W. Im Februar und März 1999 beschwerten sich Patienten über unfreundliches Verhalten der Klägerin. Ebenfalls um diese Zeit traten Mißhelligkeiten in der Belegschaft der Klinik auf. In diesem Zusammenhang fand am 22. März 1999 ein Gespräch zwischen der Klägerin und den beiden Oberärzten Dr. W und Dr. S statt, das zu keinem Einvernehmen führte. Mit Schreiben vom 27. April 1999 beschwerten sich zehn Schwestern der Augenstation über das Arbeitsklima zwischen ihnen und der Klägerin. Sie warfen der Klägerin sehr schlechte Rücksprache zu Behandlungsmethoden, sehr unfreundliche Behandlung, sehr mangelhafte Darlegung einzelner Therapien, Abstreiten von Verantwortlichkeit und Abgabe ärztlicher Aufgaben an die Schwestern vor.
Mit Schriftsatz vom 18. April 2000 im vorliegenden Rechtsstreit überreichten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein von dieser unterzeichnetes mehrseitiges Schreiben vom 2. Mai 1999, das an den Klinikdirektor gerichtet war und in dem die Klägerin in teils scharfer Form Vorwürfe gegen Vorgesetzte und Mitarbeiter erhob. Es heißt dort ua.:
„…
Tatsächlich sehe ich mich jedoch seit meinem Stellenantritt mit massiven Widerständen konfrontiert, die von den bereits am Klinikum befindlichen Mitarbeitern Herrn Prof. F und den von ihm neu eingestellten ärztlichen wie nicht-ärztlichen Mitarbeitern entgegengestellt wurden, um ihnen das Gefühl des Unerwünschtseins zu vermitteln.
Nachdem ich lange Zeit schweigend zugesehen habe, bin ich zu der Ansicht gekommen, daß nun ein Maß der Schikane und des systematischen Mobbings erreicht ist, das eine In-Kenntnis-Setzung Ihrer Person zu den Vorgängen erforderlich macht. Leider habe ich derzeit keinen Chef, an den ich mich vertrauensvoll wenden könnte.
…
… ich bin nicht mehr bereit, mich wie bisher einer Situation des systematischen Mobbings sowie der gezielten üblen Nachrede zu fügen. Sollte sich in dieser Hinsicht nicht ab sofort etwas ändern und sollte sich für mich das Entstehen eines durch Mobbing induzierten gesundheitlichen Schadens abzeichnen, ganz abgesehen davon, daß unter den gegebenen Bedingungen keine vernünftige Berufsausübung möglich ist, werde ich zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen greifen und diese notfalls bis zum Letzten ausschöpfen. Ich habe bereits die Anwaltskanzlei … mit der Vertretung meiner Interessen beauftragt.
Noch freue ich mich auf eine produktive, geistig höherstehende Zusammenarbeit mit einem neuen Chefarzt, dessen baldiger Stellenantritt höchst begrüßenswert wäre, schon allein um diesem unwürdigen Treiben ein Ende zu bereiten.”
In einem Vermerk vom 19. Mai 1999 beschwerte sich eine Schwester der Kinderklinik über unfreundliches Verhalten der Klägerin gegenüber Kindern. Mit Schreiben vom 23. Mai 1999 wandte sich die Oberärztin Dr. W an die Personalleitung und bat um schnellstmögliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin, weil eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr möglich sei. Mit Schreiben vom 31. Mai 1999 wandte sich die Klägerin durch ihre jetzigen Prozeßbevollmächtigten an die Oberärzte Dr. W und Dr. S mit verschiedenen Vorwürfen und führte abschließend aus:
„…darf ich darauf hinweisen, daß Sie es durch Ihr Verhalten nicht schaffen werden meine Mandantin zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu bewegen.
Meine Mandantin wird sich dieses Verhalten nicht weiter bieten lassen und wird auch nicht davor scheuen ihre Rechte notfalls gerichtlich durchzusetzen.”
Vom 22. Juni bis zum 3. September 1999 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Schreiben vom 3. August 1999 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung wegen fünf Beschwerden, mit denen sich Patienten wegen unfreundlicher Behandlung an die Beklagte gewandt hatten. Ferner rügte die Beklagte in der Abmahnung die Klägerin wegen Mitarbeiterbeschwerden und wegen ihres Verhaltens bei einer Präsentation der Augenklinik am 12. Mai 1999.
Mit sechs Schreiben vom 28. Oktober 1999 erteilte die Beklagte der Klägerin wegen derselben Vorgänge – mit Ausnahme der Mitarbeiterbeschwerden – jeweils getrennte Abmahnungen. Die Klägerin erhob gegen die Abmahnungen vor dem Arbeitsgericht eine Klage. Der Ausgang des Rechtsstreits ist nicht aktenkundig.
Am 13. November 1999 beschwerte sich erneut eine Patientin über schroffes Verhalten der Klägerin anläßlich einer Untersuchung am 9. November 1999.
Unter dem 5. Januar 2000 hörte die Beklagte den Personalrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Dem Anhörungsschreiben lagen verschiedene Schriftstücke, nicht jedoch das Schreiben der Klägerin vom 2. Mai 1999 bei. Die Beklagte stützte die Kündigung auf die Patientenbeschwerde vom 13. November 1999. Daraus werde deutlich, daß die Klägerin trotz der Abmahnungen nicht bereit sei, ihr „teils als frech, barsch bzw. sogar diskriminierend und beleidigend empfundenes Verhalten zu ändern”. Auch der Umgang mit Kollegen habe sich nicht geändert. Nachdem der Personalrat der Kündigung zugestimmt hatte, kündigte die Beklagte am 10. Februar 2000 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31. März 2000.
Mit der Klage hat die Klägerin die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht. Die Beklagte hat um Abweisung der Kündigungsschutzklage gebeten und hilfsweise beantragt,
das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufgelöst.
Zur Begründung des Auflösungsantrags hat sie insbesondere auf das Schreiben der Klägerin vom 2. Mai 1999 Bezug genommen. Die darin zum Ausdruck kommende und unveränderte Haltung der Klägerin habe dazu geführt, daß eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten sei. Auch nach der Kündigung habe die Klägerin sich negativ über die Oberärzte geäußert. Mit den Schwestern habe die Klägerin so gut wie kein Wort gewechselt. Das Verhältnis zu den Patienten sei gestört. Selbstkritik lasse die Klägerin nicht erkennen. Im Interesse der ärztlichen Versorgung der Patienten und des Rufs der Klinik könne die Beklagte nicht dulden, daß Machtkämpfe auf dem Rücken der Patienten ausgetragen würden. Die hohen Krankheitszeiten der Klägerin (61 Arbeitstage) zeigten, wie belastend die Zusammenarbeit auch für sie selbst sei.
Die Klägerin hat um Zurückweisung des Auflösungsantrags gebeten und ausgeführt: Ihr Verhältnis zu den ärztlichen Kollegen sei unproblematisch, das zum Pflegepersonal gespalten. Mit den Mitarbeitern der Ambulanz habe sie sich gut verstanden, die Stationsschwestern dagegen seien ihr selten fair begegnet. Anordnungen an das Pflegepersonal würden schriftlich festgehalten und mit Namen abgezeichnet. Eine Darlegung von Therapien in Form von Diskussionen mit den Schwestern sei unüblich und nicht notwendig. Zu den beiden von Herrn Professor Dr. F eingestellten, inzwischen wieder ausgeschiedenen Assistenzärzten habe sie ein gutes Verhältnis gehabt. Das gelte auch für den im März 2000 eingetretenen neuen Chefarzt. Sie habe sich nicht, wie von der Beklagten behauptet, nach der Kündigung negativ über die Oberärzte geäußert. Allerdings habe die Beklagten gegen die permanenten Mobbing-Attacken der Oberärzte nichts unternommen. Das Schreiben vom 2. Mai 1999 müsse schon deshalb außer Betracht bleiben, weil es dem Personalrat nicht vorgelegen habe.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag entsprochen, auf Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2000 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung von 30.000,00 DM verurteilt. Die Klägerin erstrebt mit der vom Landesarbeitsgericht allein für sie zugelassenen Revision weiterhin die Zurückweisung des Auflösungsantrags.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig.
I. Gem. § 72 Abs. 5 ArbGG, § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO gehört zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision die Angabe der Revisionsgründe unter Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Dazu ist es ausreichend, wenn der Revisionsführer den von ihm beanstandeten Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzeigt. Er muß keinen Paragraphen zitieren. Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs müssen erkennbar sein. Außerdem muß sich die Revisionsbegründung in den nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO gerügten Punkten mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen (BAG 29. Oktober 1997 – 5 AZR 624/96 – BAGE 87, 41 mwN; 13. Dezember 2000 – 5 AZR 334/99 – AP BGB § 392 Nr. 31).
II. Dem wird die Revisionsbegründung auch insoweit gerecht, als sie die Annahme des Landesarbeitsgerichts rügt, Auflösungsgründe müßten dem Personalrat nicht mitgeteilt werden. Daß die Klägerin nicht ausdrücklich die Norm des § 77 LPVG BaWü nennt, ist unschädlich, weil sie sich ausführlich mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts auseinandersetzt und diese zu widerlegen sucht.
B. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, da der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden und die Kündigung der Beklagten allein wegen Sozialwidrigkeit gem. § 1 KSchG unwirksam sei, habe das Arbeitsverhältnis nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufgelöst werden können. Bei einer Gesamtschau aller Umstände sei eine den Betriebszwecken, nämlich der Behandlung und Versorgung kranker Menschen, dienliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten. Auf die Frage, ob den Arbeitnehmer an den Auflösungsgründen ein Verschulden treffe, komme es nicht an. Als Assistenzärztin müsse die Klägerin arbeitsteilig, offen und vertrauensvoll mit den Oberärzten und dem Pflegepersonal zusammenwirken. Das Verhältnis der Klägerin zu den vorgesetzten Oberärzten, zum nachgeordneten Pflegepersonal und zur Chefsekretärin sei zerrüttet. Das ergebe sich insbesondere aus den Schreiben von April und Mai 1999. Eine gestörte Kommunikation und ein negatives Betriebsklima seien geeignet, die Patienten, deren Genesung und dadurch auch den Ruf und den unternehmerischen Erfolg der Klinik negativ zu beeinflussen. Die Patientenbeschwerden spiegelten möglicherweise die Reaktion der Patienten auf die Zerrüttung wider. Die negative Prognose habe noch in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht fortbestanden. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Klägerin ausschließlich in der Ambulanz einzusetzen, weil dadurch die anderen Assistenzärzte vertragswidrig benachteiligt würden. Das Schreiben der Klägerin vom 2. Mai 1999 habe berücksichtigt werden dürfen, obwohl es dem Personalrat nicht vorgelegen habe. Nach § 77 LPVG BaWü, § 102 BetrVG sei der Arbeitgeber nur zur Mitteilung der Kündigungsgründe verpflichtet. Zur Begründung der Abfindungshöhe hat das Landesarbeitsgericht ua. ausgeführt, die Eskalation im Verhältnis der Parteien sei möglicherweise durch Konfliktmanagement vermeidbar gewesen.
II. Dem stimmt der Senat nur in Teilen der Begründung zu.
1. Der Arbeitgeber kann eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach der – verfassungsgemäßen (BVerfG 29. Januar 1990 – 1 BvR 42/82 – EzA KSchG § 9 nF Nr. 37; BAG 16. Mai 1984 – 7 AZR 280/82 – BAGE 46, 42) – Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur verlangen, wenn der geltend gemachte Kündigungssachverhalt lediglich nach § 1 KSchG wegen Sozialwidrigkeit zur Unwirksamkeit der Kündigung führt (BAG 21. September 2000 – 2 AZN 576/00 – BAGE 95, 348). Davon ist zu Recht auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen und hat festgestellt, der Personalrat sei gem. § 77 LPVG BaWü ordnungsgemäß beteiligt worden und die Kündigung sei allein nach § 1 KSchG, nicht auch wegen Verstoßes gegen § 77 LPVG BaWü unwirksam. Das ist nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht gerügt.
2. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung rechtfertigt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG jedoch nicht.
a) Bei der Beurteilung der Auflösungsgründe gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG geht es um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Die Wertung, ob im Einzelfall die Auflösung gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag verkannt und bei der Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 25. November 1982 – 2 AZR 21/81 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 10 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 15; 18. November 1999 – 2 AZR 903/98 – AP KSchG 1969 § 14 Nr. 5 = EzA KSchG § 14 Nr. 4). Diesem Prüfungsmaßstab genügt das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht.
b) Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (vgl. Senat 30. September 1976 – 2 AZR 402/75 – BAGE 28, 196; 15. Januar 1993 – 2 AZR 343/92 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 39, zu II 3 der Gründe). Dieser Grundsatz wird durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, daß – bezogen auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers – eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht (vgl. schon Begründung Regierungsentwurf vom 23. Januar 1951 zu § 7 KSchG in: RdA 1951, 58, 64; KR-Spilger 6. Aufl. § 9 KSchG Rn. 9). Da hiernach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur ausnahmsweise in Betracht kommt, sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (st. Rspr. zuletzt Senat 7. März 2002 – 2 AZR 158/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42; APS-Biebl § 9 KSchG Rn. 49; KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 52; Keßler NZA-RR 2002, 1, 7). Allerdings war die Erwägung, daß es insbesondere während eines Kündigungsschutzprozesses zu zusätzlichen Spannungen zwischen den Parteien kommen kann, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen, für die Schaffung der gesetzlichen Regelungen mitbestimmend (BAG 25. November 1982 – 2 AZR 21/81 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 10 mit Anmerkung Herschel). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. schon BAG 29. März 1960 – 3 AZR 568/58 – BAGE 9, 131; zuletzt 7. März 2002 – 2 AZR 158/01 – aaO). Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers in der Vergangenheit in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Wegen dieses zeitlichen Beurteilungsansatzes ist es denkbar, daß mögliche Auflösungsgründe ihr Gewicht wieder verlieren, weil die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände sich im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geändert haben (BAG 7. März 2002 – 2 AZR 158/01 – aaO).
Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen zwar nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Indes darf der Arbeitgeber Spannungen zwischen dem Arbeitnehmer und Kollegen oder Vorgesetzten nicht ohne Beachtung der Verursachungsanteile zu Lasten eines Arbeitnehmers lösen. Weder kann die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, die Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG rechtfertigen, noch kann dem Arbeitgeber gestattet sein, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind (vgl. LAG Köln 17. Januar 1996 – 8 (11) Sa 768/95 – LAGE § 626 BGB Druckkündigung Nr. 1; BAG 15. Februar 1973 – 2 AZR 16/72 – BAGE 25, 43; KR-Spilger 6. Aufl. § 9 KSchG Rn. 56, 59). Mit dieser Maßgabe kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluß der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, daß die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (vgl. nur KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 57 mwN). Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (so schon BAG 30. Juni 1959 – 3 AZR 111/58 – AP KSchG § 1 Nr. 56; KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 56; Keßler NZA-RR 2002, 1, 9 beide mwN).
c) Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet. Zwar hat das Landesarbeitsgericht den Betriebszweck in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bestimmt. Es hat auch – für den Zeitraum bis zum Eintritt des neuen Chefarztes – mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen angenommen, das Arbeitsverhältnis sei zerrüttet gewesen. Jedoch hat es § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG verletzt, indem es den Vortrag der Klägerin außer Acht gelassen hat, die Zerrüttung der Parteien sei auf Fehlverhalten von Personen zurückzuführen, für die die Beklagte als Arbeitgeberin einzustehen habe. Die Frage, wer die zwischenmenschlichen Spannungen verursacht hatte, konnte nach den vorstehenden Grundsätzen eben nicht – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – dahinstehen. Das Landesarbeitsgericht durfte auch die Frage nicht offenlassen, ob die Zerrüttung durch geeignete und zumutbare Schritte seitens der Beklagten (Konfliktmanagement) hätte vermieden werden können. Ebenfalls hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht dem Umstand keine Bedeutung zugemessen, daß im Zeitpunkt seiner Entscheidung ein neuer Chefarzt im Amt war, von dem nach dem Vortrag der Klägerin in Betracht kam, sie könne mit ihm gut zusammenarbeiten und die zunächst eingetretene Zerrüttung werde dadurch überwunden.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Sie muß deshalb aufgehoben werden.
Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden. Es steht noch nicht fest, ob der Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist.
1. Das Landesarbeitsgericht war allerdings, wie es zu Recht angenommen hat, nicht durch ein personalvertretungsrechtliches Verwertungsverbot daran gehindert, das Schreiben der Klägerin vom 2. Mai 1999 zu berücksichtigen. Aus § 77 LPVG BaWü ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision kein solches Verwertungsverbot.
a) Allerdings wird die Auffassung vertreten, soweit für Kündigungsgründe ein Verwertungsverbot wegen Nichtbeteiligung des Betriebsrates bestehe, müsse dies auch für die Verwertung dieser nicht mitgeteilten Kündigungsgründe als Auflösungsgründe gelten (KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 58 a; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 5. Aufl. § 9 KSchG Rn. 23). Die Vorschriften des § 102 BetrVG und der entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Regelungen wollten es dem Arbeitgeber verwehren, Kündigungsgründe an den Mitbestimmungsorganen vorbei in den Prozeß zu schieben, um damit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen. Dieses Verbot dürfe der Arbeitgeber nicht dadurch umgehen, daß er die nicht mitgeteilten Kündigungsgründe einer mitbestimmungsfreien „Zweitverwertung” zuführe.
b) Die Frage, ob das betriebsverfassungsrechtliche bzw. personalvertretungsrechtliche Verwertungsverbot (st. Rspr. vgl. BAG 26. September 1991 – 2 AZR 132/91 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 28 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 10) für nicht mitgeteilte Kündigungsgründe auch auf die Verwendung dieser Gründe als Auflösungsgründe nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu erstrecken ist, hat der Senat bisher nicht entschieden (befürwortend allerdings Senat 18. Dezember 1980 – 2 AZR 1006/78 – BAGE 34, 309). Sie ist zu verneinen (so auch ErfK/Ascheid 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 23; HaKo-Fiebig KSchG § 9 Rn. 69; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 9 Rn. 45; KPK-Ramrath KSchG 2. Aufl. §§ 9, 10 Rn. 19; Löwisch KSchG 8. Aufl. § 9 Rn. 50; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 1984; Keßler NZA-RR 2002, 1, 9; Koller SAE 1982, 27, 30). Soweit der Senat hiergegen in der Entscheidung vom 18. Dezember 1980 (aaO) Bedenken geäußert hat, wird daran nicht festgehalten.
Für die Beteiligung des Personalrats im Anhörungsverfahren zu einer Kündigung gelten dieselben Grundsätze wie für die Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG (BAG 16. März 2000 – 2 AZR 828/98 – AP LPVG Sachsen-Anhalt § 67 Nr. 2). Der Gesetzeswortlaut in § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verpflichtet den Arbeitgeber lediglich, die „Gründe für die Kündigung”, nicht aber Gründe für eine anderweitige Beendigung mitzuteilen. Eine Beteiligung der Mitarbeitervertretung bei Beendigungen des Arbeitsverhältnisses, die auf andere Weise als durch Kündigung zustande kommen, sieht der Wortlaut des Gesetzes weder in § 77 LPVG BaWü noch in § 102 BetrVG vor (vgl. im einzelnen: Fitting BetrVG 21. Aufl. § 102 Rn. 15 ff.). Gegen eine Ausweitung des Verwertungsverbots spricht außer dem Wortlaut auch das der betrieblichen Mitbestimmung zugrunde liegende Konzept, das für bestimmte personelle Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers je darauf zugeschnittene Beteiligungsrechte ausgestaltet hat (vgl. §§ 99 ff., 102, 103 BetrVG, § 15 KSchG, §§ 75 bis 77 LPVG BaWü). So ist nicht nur der Kündigungsschutz für Mitglieder des Betriebsrats je nach Art der Kündigung und ihrer Begründung unterschiedlich geregelt, sondern auch § 102 Abs. 1 BetrVG muß im Zusammenhang mit § 102 Abs. 2 bis 7 BetrVG gesehen werden. Insbesondere die Widerspruchstatbestände in § 102 Abs. 3 BetrVG ergeben in Bezug auf etwaige Auflösungsgründe keinen Sinn. Damit vertrüge es sich nicht, einen gewissermaßen übergeordneten Mitbestimmungstatbestand „Beendigung des Arbeitsverhältnisses” oder „Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers” zu schaffen. So hat auch der Senat in einem Fall, in dem der Arbeitgeber gegenüber einem Betriebsratsmitglied die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB erklärt hatte, eine Unwirksamkeit dieser Maßnahme wegen fehlender Zustimmung des Betriebsrates nach § 103 BetrVG nicht einmal erwogen (BAG 21. November 1985 – 2 AZR 33/85 – RzK II 1 g 4). Ob Fälle, in denen der Arbeitgeber die Möglichkeit der §§ 9, 10 KSchG zur Umgehung kollektivrechtlicher Informationspflichten mißbraucht, anders zu beurteilen sind, war hier nicht zu entscheiden. Denn ein solcher Fall liegt offenkundig nicht vor.
2. Auf Grund des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht beurteilen, ob ein Auflösungsgrund vorliegt, insbesondere, ob die Zerrüttung von der Beklagten zu verantworten ist. Zwar hat die Klägerin behauptet, sie sei – etwa am 22. März 1999 – überfallartig von den Oberärzten Dr. W und Dr. S zu einem Personalgespräch gezwungen worden. Im Hintergrund habe die Absicht der „alten Garde” gestanden, die neu eingestellten Ärzte herauszudrängen. War dies so und ist die Klägerin, wie sie geltend macht, durch gezielte und von der Beklagten geduldete Feindseligkeiten aus dem Kreis der Mitarbeiter gedrängt worden, so kommt in Betracht, daß die der Beklagten zuzurechnenden Anteile an der Verursachung der Spannungen überwiegen. In einem solchen Fall ist der Auflösungsantrag nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist es dann Sache des Arbeitgebers, auf die Mitarbeiter einzuwirken und für ein möglichst spannungsfreies Zusammenwirken zum Wohle des Betriebes zu sorgen. Allerdings ist die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte den Behauptungen der Klägerin entgegengetreten und hat dargetan, die Spannungen seien ganz überwiegend durch uneinsichtiges und konfliktträchtiges Verhalten der Klägerin gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Vorgesetzten verursacht worden. So hat die Beklagte das Gespräch vom 22. März 1999 als einen fairen und wohlgemeinten Versuch der Oberärzte geschildert, eine vertrauensvolle Basis für die Zusammenarbeit zu suchen, dem sich die Klägerin in persönlich verletzender, schroffer, unhöflicher Form demonstrativ widersetzt habe. Die Beklagte hat dazu weiter vorgetragen, die Klägerin habe dieses Verhalten auch in der Folge durchgehend beibehalten, so daß eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich gewesen sei. Entgegen der von der Klägerin geäußerten Erwartung, sie werde mit dem neuen Chefarzt gut zusammenarbeiten, hat die Beklagte ausgeführt, dieser habe persönliche Erfahrungen mit der Klägerin aus einer früheren Zusammenarbeit, die ihn zu der Überzeugung geführt hätten, die Klägerin werde ihre persönliche Art nicht ändern. Außerdem habe sich die Klägerin gegenüber Dritten nach der Kündigung extrem negativ über die Oberärzte geäußert, möglicherweise habe sie auch Nachteiliges über den Chefarzt verlauten lassen. Es ist also nicht auszuschließen, daß die erneute Prüfung des Auflösungsantrages unter Beachtung der oben wiedergegebenen Grundsätze wiederum zu dem Ergebnis führt, daß eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Sollte sich dabei herausstellen, daß die Verursachungsanteile der Klägerin deutlich überwiegen und daß auch das vom Landesarbeitsgericht vermißte Konfliktmanagement der Beklagten nicht zu einer Besserung hätte führen können, so kann dies auch bei der etwa erneut festzusetzenden Höhe der Abfindung der Klägerin ins Gewicht fallen.
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Pitsch, Niebler
Fundstellen
Haufe-Index 920335 |
BAGE 2004, 100 |
DB 2003, 999 |
NWB 2003, 1483 |
BuW 2003, 526 |
FA 2003, 220 |
FA 2003, 269 |
SAE 2003, 274 |
ZAP 2003, 652 |
ZTR 2003, 407 |
AP, 0 |
ArztR 2004, 11 |
EzA-SD 2003, 10 |
EzA |
PERSONAL 2003, 59 |
PersR 2004, 76 |
AA 2003, 106 |
SPA 2003, 4 |