Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliches Weihnachtsgeld bei langjähriger Arbeitsunfähigkeit
Normenkette
BGB §§ 611, 242; AFG § 105a
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Januar 1997 – 10 Sa 1190/96 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 21. Mai 1996 – 5 Ca 3390/95 – wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gewährung eines tariflichen Weihnachtsgeldes für das Kalenderjahr 1995.
Die Klägerin ist bei dem Beklagten als kaufmännische Angestellte tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der für die Bediensteten des Beklagten abgeschlossene Manteltarifvertrag Anwendung, der u.a. lautet:
„S 11
Weihnachtsgeld
1. Mitarbeiter, die im Zeitpunkt der Auszahlung der Weihnachtsgratifikation im ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, erhalten – vorausgesetzt, daß das Arbeitsverhältnis während des ganzen Kalenderjahres bestanden hatte und bis zum 31.12. fortbesteht – eine Weihnachtsgratifikation, …”
Die Klägerin ist seit dem 25. November 1992 ununterbrochen arbeitsunfähig krank. Bis zum 19. Mai 1994 erhielt sie von der Krankenkasse Krankengeld. Seit dem 20. Mai 1994 bezieht sie vom Arbeitsamt Arbeitslosengeld gemäß § 105 a AFG. Dazu hatte sie mit Schreiben vom 27. April 1994 den Beklagten um Ausfüllung der Bescheinigung zur Bewilligung des Arbeitslosengeldes gebeten. Der Beklagte kam der Bitte nach.
Im April 1993 hatte die Klägerin Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt. Dieser Antrag wurde vom Rentenversicherungsträger im März 1994 abgelehnt. Die Klägerin erhob nach Zustellung des Widerspruchsbescheids im Juni 1995 Klage beim Sozialgericht. Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 23. August und 31. August 1995 bat der Beklagte die Klägerin zu einem Gespräch über ihre weitere Tätigkeit. Die Klägerin kam dieser Bitte aus gesundheitlichen Gründen nicht nach. Mit anwaltlichen Schreiben vom 6. und 27. September 1995 wies der Beklagte darauf hin, daß die Klägerin aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld gemäß § 105 a AFG statt ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitszeit eine kurzzeitige Beschäftigung ausüben könne. Zu einer solchen leidensgerechten Beschäftigung sei der Beklagte bereit. Mit Schreiben vom 28. September 1995 wurde die Klägerin erneut zu einem Gespräch gebeten. Auch dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach. Mit Schreiben vom 6. November 1995 forderte der Beklagte die Klägerin zur Untersuchung beim arbeitsmedizinischen Dienst auf. Dies geschah auch.
Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 16. November 1995 die Zahlung des tariflichen Weihnachtsgeldes für das Kalenderjahr 1995. Der Beklagte lehnte dies ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe für das Kalenderjahr 1995 das tarifliche Weihnachtsgeld zu. Allein die Tatsache, daß sie im Jahre 1995 keine Arbeitsleistung für den Beklagten erbracht habe, führe nach § 11 MTV nicht zum Ausschluß oder zur Kürzung des Weihnachtsgeldes. Im übrigen habe der Beklagte gegenüber der Klägerin auch im Jahre 1995 sein Direktionsrecht ausgeübt, weil er sie mehrfach zur Vorstellung in seinem Betrieb aufgefordert und die Untersuchung beim arbeitsmedizinischen Dienst veranlaßt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 4.617,62 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 12. Dezember 1995 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe keinen Anspruch auf das tarifliche Weihnachtsgeld, weil sie Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG bezogen und daher gegenüber der Klägerin kein Weisungsrecht mehr habe. Die Aufforderungen zu Gesprächen im Jahre 1995 seien zur Klärung des Gesundheitszustandes der Klägerin erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zur Klageabweisung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein tariflicher Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation für das Kalenderjahr 1995 zu, weil tarifvertraglich keine tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum verlangt werde und somit die ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit der Klägerin rechtlich unschädlich sei. Trotz der langandauernden Arbeitsunfähigkeit und des Bezugs von Arbeitslosengeld bestehe das Arbeitsvsrhältnis fort. Es sei auch nicht nur formaler Natur, weil der Beklagte nicht auf das Direktionsrecht gegenüber der Klägerin verzichtet habe. Der Beklagte habe in mehreren Schreiben im August und September 1995 die Klägerin zu Gesprächen über eine weitere Tätigkeit und auch zur Untersuchung beim arbeitsmedizinischen Dienst aufgefordert.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weihnachtsgeld gemäß § 11 Nr. 1 MTV. Danach erhalten Mitarbeiter, die im Zeitpunkt der Auszahlung der Weihnachtsgratifikation im ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, das während des ganzen Kalenderjahres bestanden hat und bis zum 31. Dezember fortbesteht, eine Weihnachtsgratifikation.
1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die Klägerin auch im Kalenderjahr 1995 die tariflichen Voraussetzungen für die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation erfüllt. Sie steht rechtlich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Da die Tarifnorm keine Kürzung oder den Wegfall der Gratifikation für Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung vorsieht, ist deswegen der Anspruch trotz der langandauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht entfallen.
2. Der erkennende Senat hat allerdings in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 805/93 – und vom 10. April 1996 – 10 AZR 600/95 – AP Nr. 168 und 195 zu § 611 BGB Gratifikation sowie Urteil vom 12. November 1997 – 10 AZR 74/97 – n.v.) angenommen, daß ein rechtlich an sich fortbestehendes Arbeitsverhältnis tatsächlich nur noch formaler Natur ist und damit ein Anspruch ausgeschlossen ist, wenn nach dem Willen und den Vorstellungen beider Parteien keine rechtliche Bindung im Hinblick auf eine Wiederaufnahme des bisherigen Arbeitsverhältnisses anzunehmen ist. Davon ist auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer bei langjähriger, auf nicht absehbare Zeit fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Aussteuerung durch die Krankenkasse sich arbeitslos meldet und die Zahlung von Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG beantragt und der Arbeitgeber auf Antrage des Arbeitsamtes auf seine Verfügungsgewalt gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet, um diesem den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, daß eine Wiederaufnahme des bisherigen Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Betracht kommt.
a) Sämtliche dieser Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle erfüllt. Die Klägerin war seit November 1992 und damit am Auszahlungstag im November 1995 über mehr als drei Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig krank und hatte für den Beklagten keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Sie hat nach Aussteuerung durch die Krankenkasse Leistungen der Arbeitslosenversicherung bezogen. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 27. April 1994 die für den Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung erforderliche Bescheinigung vom Beklagten angefordert und erhalten. Damit ist davon auszugehen, daß nach dem Willen der Parteien das bisherige Arbeitsverhältnis ab diesem Zeitpunkt nicht fortgesetzt werden sollte (vgl. BAG Urteil vom 12. November 1997 – 10 AZR 74/97 –). Trotz des rechtlichen Fortbestandes war es seit April 1994 inhaltlich ohne Bedeutung.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Umstand, daß der Beklagte die Klägerin im August und September 1995 vergeblich zu Gesprächen über eine leidensgerechte Beschäftigung sowie im November 1995 zu einer Untersuchung beim arbeitsmedizinischen Dienst aufgefordert hat, der die Klägerin auch nachgekommen ist, zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen.
Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß der Beklagte damit nicht die Wiederaufnahme der von der Klägerin bisher vertraglich geschuldeten Tätigkeit begehrt hat. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wollte der Beklagte nur klären, ob bei dem Gesundheitszustand der Klägerin eine andere leidensgerechte Beschäftigung z.B. mit kürzerer Arbeitszeit möglich sei. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß eine Reaktivierung des bisherigen Arbeitsverhältnisses erfolgen sollte. Auch der Umstand, daß die Klägerin vom Beklagten zu einer Untersuchung beim arbeitsmedizinischen Dienst aufgefordert wurde und dem nachkam, läßt nicht darauf schließen, daß die Klägerin an einer Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses interessiert war und dem Beklagten dies auch deutlich gemacht hat. Die Klägerin ist der Aufforderung zu Gesprächen mit dem Beklagten unter Hinweis auf den Bezug des Arbeitslosengeldes und ihren Gesundheitszustand nicht nachgekommen. Sie hat darüber hinaus ihren Antrag auf Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente durch Klage beim Sozialgericht weiterverfolgt. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, daß eine Wiederaufnahme des bisherigen Arbeitsverhältnisses nicht oder jedenfalls nicht in absehbarer Zeit erfolgen sollte.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Dr. Jobs, Böck, Schlaefke, Peters
Fundstellen
Haufe-Index 1254412 |
BB 1998, 2367 |
FA 1998, 195 |
FA 1998, 214 |