Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung
Leitsatz (redaktionell)
An der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei wahrheitswidriger Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft (ua BAG Urteile vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP Nr 26 zu § 123 BGB und vom 28. Februar 1991 - 2 AZR 515/90 - nv) ist jedenfalls in den Fällen weiter festzuhalten, in denen die Schwerbehinderungserkrankung für die auszuübende Tätigkeit von Bedeutung ist.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.01.1993; Aktenzeichen 13 Sa 64/92) |
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 15.06.1992; Aktenzeichen 8 Ca 139/92) |
Tatbestand
Der am 10. Oktober 1963 geborene Kläger war seit dem 20. Februar 1989 aufgrund schriftlichen Vertrages vom 20. Februar 1989 als Maschinenformer für die Beklagte tätig. Er ist aufgrund eines Bescheides des Versorgungsamtes Heidelberg vom 23. Dezember 1987 als Schwerbehinderter mit einem Behinderungsgrad von 60 % anerkannt und hat folgende Behinderungen:
1. Verlust der linken Niere, Nierensteinleiden und Funktions-
störung der rechten Niere.
2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Ischialgien
Chondropathia patellae.
Bei Einstellung verneinte der Kläger die Frage der Beklagten nach der Schwerbehinderung. Der von ihm unterschriebene Arbeitsvertrag enthält den Vermerk: "Schwerbehinderter: Nein". Die vom Kläger verrichtete Tätigkeit besteht darin, daß Sand zunächst in den Formkasten gekippt, anschließend gerüttelt und schließlich mit einem Pressluftstampfer bearbeitet wird. Der Formkasten muß dabei teilweise manuell aus der Vorrichtung herausgenommen werden. Die Tätigkeit wird zu 90 % im Stehen ausgeführt und ist eine körperlich schwere Arbeit.
Ende März 1992 teilte der Kläger nach einer arbeitsmedizinischen Voruntersuchung auf Anraten der Betriebsärztin Dr. C mit, daß er Schwerbehinderter sei. Die Beklagte focht mit Schreiben vom 9. April 1992, dem Kläger am 13. April 1992 zugegangen, den geschlossenen Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an.
Der Kläger hat die Unwirksamkeit der von der Beklagten erklärten Anfechtung geltend gemacht und die Ansicht vertreten, die Betriebsärztin habe ihn sowohl bei der Einstellungsuntersuchung als auch bei einer weiteren Untersuchung im März 1992 für die Tätigkeit als Maschinenformer als tauglich angesehen. Im Laufe von drei Jahren habe er gezeigt, daß er trotz seiner Behinderung seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllen könne. Der Beklagten stehe kein uneingeschränktes Fragerecht nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu. Bei Vertragsabschluß habe er nicht erkennen können, daß die Frage nach der Schwerbehinderung für die Einstellung von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Er bestreite, im März 1992 gegenüber seinem Vorgesetzten erklärt zu haben, ihm sei klar gewesen, daß er nicht eingestellt werde, wenn er die Frage nach der Schwerbehinderung bejaht hätte.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwi-
schen den Parteien über den 9. April 1992 hin-
aus unangefochten fortbesteht,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn als Maschi-
nenformer zu den bisherigen Vertragsbedingun-
gen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat sich mit ihrem klagabweisenden Antrag darauf berufen, sie sei durch den Kläger arglistig getäuscht worden. Der Kläger könne die Tätigkeit als Maschinenformer bei seinem Leiden und seiner Behinderung auf Dauer nicht ausüben. Das bestätigten seine nicht unerheblichen Krankheitszeiten in der Vergangenheit. Im Hinblick auf die Tätigkeit sei mit einer weiteren Zunahme der Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen, wenn das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werde. Der Kläger sei sich bei Einstellung über die Konsequenzen der Verneinung seiner Schwerbehinderteneigenschaft bewußt gewesen, denn er habe im März 1992 sein früheres Verschweigen damit begründet, daß er nicht eingestellt worden wäre, wenn er die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft wahrheitsgemäß beantwortet hätte.
Das Arbeitsgericht hat die Klage aufgrund wirksamer Anfechtung des Arbeitsvertrages abgewiesen und dabei in den zur Schwerbehinderung führenden Leiden des Klägers eine Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit gesehen.
Die von dem Kläger gegen dieses Urteil eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen sind zu Recht von einer wirksamen Anfechtung des Arbeitsvertrages ausgegangen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Beklagte sei nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt gewesen. Der Kläger habe wahrheitswidrig erklärt, er sei kein Schwerbehinderter. In diesem Zeitpunkt habe jedoch seine Schwerbehinderteneigenschaft vorgelegen. Er habe damals auch gewußt, daß seine Angabe unrichtig sei. Das Vorbringen des Klägers, er habe angenommen, für die vertraglich vorgesehene Arbeit trotz seiner Behinderung geeignet zu sein, weil er dem betriebsärztlichen Dienst bei der Einstellungsuntersuchung seine Behinderung bekannt gegeben und dieser ihn gleichwohl für die vorgesehene Tätigkeit für geeignet befunden habe, sei durch die Beweisaufnahme widerlegt worden. Bei Zulassung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft sei trotz berechtigter schutzwürdiger Interessen von Schwerbehinderten nicht von einem arbeitsplatzbezogenen Fragerecht auszugehen, sondern an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festzuhalten. Die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Der Anfechtungsgrund habe für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses seine Rechtfertigung nicht verloren. Er bestehe in den zusätzlichen gesetzlichen Verpflichtungen, welche dem Arbeitgeber aus der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers erwüchsen und die er bei Eingehung des Arbeitsverhältnisses nicht gekannt habe. Diese Anfechtungslage bestehe unverändert fort.
II. Dem angefochtenen Urteil folgt der Senat im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung.
1. Zwischen den Parteien besteht kein Arbeitsverhältnis mehr. Die Beklagte war zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt, denn sie ist vom Kläger arglistig getäuscht worden, § 123 BGB.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit BAGE 5, 159 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB) kann grundsätzlich der Arbeitsvertrag auch durch Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB beendet werden. Das Anfechtungsrecht wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, daß der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlaßt. Die Täuschung muß sich auf objektiv nachprüfbare Umstände beziehen; subjektive Werturteile genügen nicht (Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 123 Rz 3; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 123 Rz 4). Die Täuschung kann durch positives Tun, also insbesondere durch Behaupten, Unterdrücken oder Entstellen von Tatsachen erfolgen. Sie kann aber auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zur Offenbarung der fraglichen Tatsache verpflichtet ist. Das gilt auch im Zusammenhang mit der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen. Wird der Arbeitnehmer bei der Einstellung nach dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache befragt, so ist er, falls die Frage zulässig ist, zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet (BAGE 11, 270; 49, 214 = AP Nr. 15 und 30 zu § 123 BGB). Ein Fragerecht wird dem Arbeitgeber im allgemeinen nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat (Senatsurteil vom 20. Februar 1986 - 2 AZR 244/85 - BAGE 51, 167 = AP Nr. 31 zu § 123 BGB). Wie in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts weiter klargestellt worden ist, stellt nicht jede falsche Angabe bei der Einstellung eine arglistige Täuschung i. S. des § 123 BGB dar, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässig gestellte Frage (Senatsurteil vom 21. Februar 1991 - 2 AZR 449/90 - AP Nr. 35, aaO).
Für den Bereich der Schwerbehinderten besteht sowohl in der Literatur als auch der Rechtsprechung Einigkeit darüber, daß der Schwerbehinderte von sich aus nicht über die bestehende Behinderung aufklären muß, soweit ihm die Tätigkeit dadurch nicht unmöglich gemacht wird (vgl. BAG Urteil vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19, aaO). Dem Arbeitgeber wird jedoch das Recht zugestanden, nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu fragen; der Arbeitnehmer hat die Pflicht, darauf wahrheitsgemäß zu antworten (vgl. BAG Urteil vom 7. Juni 1984 - AP Nr. 26, aaO, zu II 4 der Gründe; BAGE 49, 214, 219 f. = AP Nr. 30, aaO, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 28. Februar 1991 - 2 AZR 515/90 -, unveröffentlicht, zu II 1 der Gründe).
b) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht eine arglistige Täuschung des Klägers gegenüber der Beklagten rechtsfehlerfrei angenommen.
aa) Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Bewerber beim Einstellungsgespräch die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft falsch beantwortet. Im Einstellungsgespräch hat der Kläger die Frage des Vertreters der Beklagten nach der Schwerbehinderung mit "nein" beantwortet. Dementsprechend wurde in den Arbeitsvertrag vom 20. Februar 1989 bei dem Vermerk "Schwerbehindert ja/nein" das Wort ja durchgestrichen. Durch die wahrheitswidrige Beantwortung der zulässigen Frage hat der Kläger einen Irrtum über den wahren Sachverhalt hervorgerufen.
bb) Die Täuschung muß widerrechtlich gewesen sein. Nach § 123 Abs. 1 BGB ist diese Voraussetzung bei der Täuschung nicht ausdrücklich genannt. Der Gesetzgeber ist aber davon ausgegangen, die arglistige Täuschung sei immer rechtswidrig. Dies wäre allerdings zu verneinen, wenn ein Arbeitnehmer vor seiner Anstellung in unzulässiger Weise befragt wird (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 1991, aaO).
Der Senat ist bisher davon ausgegangen, der Arbeitgeber habe bei den Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages ein uneingeschränktes Recht, einen Bewerber nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einer Gleichstellung zu fragen (Urteile des Senats vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP Nr. 26, aaO, zu II 4 der Gründe und vom 28. Februar 1991 - 2 AZR 515/90 -, unveröffentlicht, zu II 1 b der Gründe). Das Fragerecht des Arbeitgebers und die entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Beantwortung folgten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Im vorvertraglichen Anbahnungsverhältnis seien die zu berücksichtigenden Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegensätzlich. Die Interessen des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre müßten gegen die Interessen des Arbeitgebers zurücktreten. Die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft erfolge unabhängig davon, welche Auswirkung sie und die zugrundeliegende Behinderung konkret auf die in Aussicht genommene Tätigkeit habe. Das vorrangige Interesse des Arbeitgebers ergebe sich aus den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für ihn durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstünden, und zwar aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und den betrieblichen Auswirkungen, die sich für ihn aus der Einstellung und Beschäftigung eines Schwerbehinderten ergäben (Senatsurteile vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP, aaO, und vom 28. Februar 1991 - 2 AZR 515/90 -, unveröffentlicht).
cc) Die Revision rügt dieses uneingeschränkte Fragerecht des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft. Sie erachtet die Frage nur unter arbeitsplatzbezogenen Gesichtspunkten für zulässig. Sie kritisiert ausgehend vom Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes eine Gesetzesauslegung durch die bisherige Rechtsprechung, die bei Offenlegung der Schwerbehinderung zur Verhinderung der Einstellung des Bewerbers führe.
dd) An dem Fragerecht des Arbeitgebers (vgl. dazu kritisch Düwell, Praxishandbuch Arbeitsrecht, Teil 8; Kap. 5.1.2, Stand November 1988, S. 15 f.) ist jedenfalls für die vorliegende Fallkonstellation festzuhalten. Der Kläger war aufgrund seiner Behinderungsleiden zumindest auf Dauer für die vertraglich geschuldete Tätigkeit nur beschränkt einsetzbar. Er leidet nicht nur an Nierenerkrankungen, die sich möglicherweise noch nicht unmittelbar auf seine Leistungsfähigkeit als Maschinenformer auswirkten. Aber die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und die Chondropathia patellae (lt. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl.: Degenerative Knorpelveränderung der Kniescheibe, die in Arthrose übergehen kann) lassen den Kläger bei seiner körperlich schweren Tätigkeit als Maschinenformer gerade unter den von der Revision reklamierten arbeitsplatzbezogenen Gesichtspunkten als nur eingeschränkt verwendbar erscheinen. Die Tätigkeit des Klägers besteht nach dem unstreitigen Tatbestand darin, daß Sand zunächst in den Formkasten gekippt, anschließend gerüttelt und schließlich mit einem Pressluftstampfer bearbeitet wird; dabei muß der Formkasten teilweise manuell aus der Vorrichtung herausgenommen werden. Diese Tätigkeit wird zu 90 % im Stehen ausgeführt. Aufgrund dieser Tatsachen sind beide Vorinstanzen zum Ergebnis gelangt, daß die zur Schwerbehinderung führenden Leiden arbeitsplatzbezogen erheblich sind. Das wird auch von der Revision letztlich nicht in Zweifel gezogen, wobei ergänzend - wie auch von der Beklagten geltend gemacht - darauf abzustellen ist, daß der Kläger wegen dieser Leiden im Beschäftigungszeitraum an mindestens 20 Arbeitstagen arbeitsunfähig war. Die Relevanz des Fragerechts kann daher vorliegend schon deshalb nicht verneint werden, weil dem Arbeitgeber u.a. in § 618 BGB aufgegeben wird, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, daß niemand ohne Not gesundheitlich gefährdet wird (vgl. u.a. Senatsurteil vom 13. März 1967 - 2 AZR 133/66 - AP Nr. 15 zu § 618 BGB). Hätte sich der Kläger bei seiner Tätigkeit einen Gesundheitsschaden oder auch nur eine Verschlechterung seiner gesundheitlichen Konstitution zugezogen, wäre u.a. eine Schadenersatzpflicht der Beklagten nach § 618 Abs. 3 BGB in Betracht gekommen (vgl. u.a. Palandt/Putzo, BGB, 52. Aufl., § 618 Rz 8; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 108 III 2 c, S. 821 und § 178 V 5 d, S. 1344). Das bedeutet, daß die Beklagte den Kläger wegen der Gesundheitsgefährdung nicht einmal beschäftigen darf. Schon deshalb kann ihr Interesse an der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht verneint werden.
Das gilt unabhängig davon, daß das Schwerbehindertengesetz überhaupt nur im beschränkten Umfang das Interesse des Schwerbehinderten regelt, als Arbeitnehmer eingestellt zu werden. Der individuelle Schutz zugunsten des Schwerbehinderten im Verhältnis zum Arbeitgeber beschränkt sich darauf, ihm den bereits erworbenen Arbeitsplatz, nicht aber auch die Eingehung des Arbeitsvertrages selbst, d. h. den Erwerb des Arbeitsplatzes unter allen Umständen zu sichern (vgl. Senatsurteil vom 1. August 1985 - 2 AZR 101/83 - AP Nr. 30 zu § 123 BGB).
Insofern belegt - entgegen der Meinung der Revision - die Neuregelung des § 20 SchwbG, wonach das Erfordernis der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses entfallen ist, eher, daß hiermit eine abschließende Regelung des Gesetzgebers über die erleichterte Einstellung Schwerbehinderter beabsichtigt war (anders Düwell, aaO, S. 17 f.). Ansonsten hätte nichts näher gelegen, als eine dem § 611 a BGB entsprechende Bestimmung in das Schwerbehindertengesetz aufzunehmen.
ee) Zwischen der Täuschungshandlung und der Willenserklärung besteht vorliegend auch Kausalität. Die Täuschungshandlung muß zu einem Irrtum des Getäuschten führen, und der Irrtum muß für eine Willenserklärung ursächlich sein, die der Getäuschte ohne die Täuschung nicht, mit anderem Inhalt oder jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt abgegeben hätte (BGH Urteil vom 12. November 1957 - VIII ZR 311/56 -, NJW 1958, 177; BGH Urteil vom 2. Januar 1964 - VIII ZR 103/62 -, NJW 1964, 811). Es genügt für die Kausalität, daß die Täuschung für den Willensentschluß mitbestimmend war, wobei es ausreicht, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein können, und wenn die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei dem Abschluß eines Vertrages einen Einfluß auf die Entscheidung haben kann (vgl. BGH Urteil vom 12. November 1957 - VIII ZR 311/56 -, aaO).
Im Streitfall hat die Beklagte durch ihre Frage nach der Schwerbehinderung zu erkennen gegeben, daß diese Tatsache für sie - nicht zuletzt im Hinblick auf die vom Kläger auszuübende Tätigkeit - von erheblicher Bedeutung war. Die Täuschung des Klägers, daß keine Schwerbehinderung vorliege, bildete unter diesen Umständen nach der Lebenserfahrung einen Umstand, der die Beklagte zum Abschluß des Arbeitsvertrages bewogen hat.
ff) Der Täuschende muß schließlich arglistig gehandelt haben. Arglistig ist die Täuschung dann, wenn sie vorsätzlich zu dem Zweck vorgenommen wird, den Willen des Getäuschten zu beeinflußen. Es genügt aber auch bedingter Vorsatz, also das Bewußtsein, daß die Täuschung den anderen zu der Erklärung bestimmen könnte. Demnach reicht es aus, wenn der Täuschende weiß, daß seine Angaben unrichtig sind, er aber mit der Möglichkeit rechnet, der Erklärungsgegner könnte in seiner Entscheidung durch die Täuschung beeinflußt werden, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHZ 7, 301, 302; 49, 155, 156; MünchKomm-Kraemer, BGB, 2. Aufl., § 123 Rz 7), wobei die bewußt unwahre Aussage den Vorsatz erkennen läßt, auf den Erklärungswillen des Arbeitgebers einzuwirken (MünchArbR-Richardi, § 44 Rz 38).
Das arglistige Verhalten ist beim Kläger zu bejahen, weil er bewußt eine falsche Aussage abgegeben hat. Bereits dieser Umstand läßt den Vorsatz erkennen, auf den Erklärungswillen der Beklagten einzuwirken. Der Einwand des Klägers, er habe sich subjektiv in der Lage gefühlt, die vorgesehene Tätigkeit ohne Gefährdung für seine Gesundheit auszuüben und daher der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft keine Bedeutung beigemessen, ist kein Grund, den bedingten Vorsatz zu verneinen, weil es nicht auf den Irrtum über die Bedeutung der Frage, sondern auf die falsche Auskunft ankommt.
c) Die Revision rügt erfolglos, die Beklagte habe im Rahmen der Anfechtungsvoraussetzungen vortragen müssen, daß die entsprechende Passage im Formulararbeitsvertrag des Klägers zur Schwerbehinderung mit Zustimmung des Betriebsrates erfolgt sei. Diese erstmals im Revisionsverfahren erhobene Einwendung kann der Senat schon deshalb nicht berücksichtigen, weil hierfür tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts fehlen, § 561 ZPO. Nach dieser Vorschrift unterliegt nur dasjenige Vorbringen der Beurteilung des Revisionsgerichts, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ersichtlich ist. Die Beklagte hat diesen Umstand auch nicht unstreitig gestellt.
Dasselbe gilt im übrigen für das neue Revisionsvorbringen, die Beklagte habe die Schwerbehindertenquote nicht erfüllt. Ob dieses Vorbringen rechtlich überhaupt erheblich ist, braucht deshalb nicht erörtert zu werden.
d) Die Anfechtung ist schließlich nicht wegen fehlender Betriebsratsanhörung unwirksam. Die Beklagte war nämlich bei der Anfechtung des Arbeitsvertrages des Klägers nicht zur Anhörung des Betriebsrates verpflichtet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung unwirksam. Dem Betriebsrat steht das Anhörungsrecht nur bei Kündigungen, nicht aber bei einer Anfechtung zu. Auch in der Literatur wird überwiegend die Beteiligung des Betriebsrates bei einer Anfechtung des Arbeitgebers verneint (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 25; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 102 Rz 10; Kraft, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rz 22; ausführlich: Picker, Anfechtung von Arbeitsverträgen, ZfA 1981, 1, 43 ff.). Die Anfechtung ist gegenüber der Kündigung ein anderes Gestaltungsrecht. Bei ihr geht es ausschließlich um die dem Anfechtungsberechtigten eingeräumte Entscheidung über die Geltung oder Nicht-Geltung des Rechtsgeschäftes. Da der Betriebsrat nach § 99 BetrVG nicht die Einstellung eines Bewerbers erzwingen kann, muß der Arbeitgeber frei in seiner Entscheidung darüber sein, ob er den Arbeitsvertrag gelten läßt, nachdem der Anfechtungsgrund aufgedeckt ist (vgl. MünchArbR-Richardi, § 44 Rz 54, m.w.N.).
e) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Ausübung des Anfechtungsrechtes als nicht treuwidrig nach § 242 BGB angesehen.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung steht die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben; die Anfechtung ist daher ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Ausübung des Anfechtungsrechts durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (vgl. BAGE 22, 278 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; BAG Urteil vom 18. September 1987 - 7 AZR 507/86 - AP Nr. 32 zu § 123 BGB). Bei der Ausübung des Anfechtungsrechts ist die Entwicklung des Arbeitsvertrages in der Vergangenheit zu beachten. Dabei kann sich ergeben, daß der Anfechtungsgrund soviel an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsvertrages nicht mehr rechtfertigen kann (vgl. BAGE 22, 278 = AP Nr. 17, aaO). Der Anfechtungsberechtigte wird zum Zeitpunkt der Anfechtung in die Lage versetzt, neu und unbeeinflußt vom Willensmangel über das Ob und Wie des Vertrages zu entscheiden.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte im März 1992 sichere Kenntnis vom objektiven und subjektiven Tatbestand der arglistigen Täuschung erlangt. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bereits fast drei Jahre. Dieser Zeitraum ist für sich allein nicht geeignet, den Umstand der arglistigen Täuschung zurücktreten zu lassen. Das gilt vorliegend schon deshalb, weil der Kläger wegen seiner Schwerbehinderungserkrankungen an 25 Arbeitstagen arbeitsunfähig war, was schon allein aufgrund der Lohnfortzahlungspflicht, die auch in Zukunft erneut eintreten kann, indiziert, daß der Anfechtungsgrund für die Beklagte nicht an Bedeutung verloren hat. Im übrigen sind auch hier die obigen Überlegungen (unter B II b dd) zu § 618 BGB von Bedeutung.
2. Da die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung berechtigt war und demnach die Vorinstanzen zu Recht die gegen diese Anfechtung gerichtete Klage abgewiesen haben, war auch der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers hinfällig.
Hillebrecht Bitter Bröhl
Hayser Nipperdey
Fundstellen
Haufe-Index 437956 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 77 |
BB 1994, 357 |
BB 1994, 357-359 (LT1) |
DB 1994, 939-940 (LT1) |
NJW 1994, 1363 |
NJW 1994, 1363-1365 (LT) |
BuW 1994, 212 (K) |
EBE/BAG 1994, 26-28 (LT1) |
AiB 1994, 572-573 (LT1) |
ARST 1994, 87-89 (LT1) |
EEK, II/222 (ST1-4) |
EWiR 1994, 329 (L) |
JR 1994, 352 |
JR 1994, 352 (L) |
NZA 1994, 407 |
NZA 1994, 407-409 (LT1) |
RzK, I 9h Nr 22 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 240/94 (L1) |
AP § 123 BGB (LT1), Nr 38 |
AR-Blattei, ES 60 Nr 25 (LT1) |
AuA 1994, 222-223 (LT1) |
DSB 1994, Nr 9, 30-31 (ST) |
EzA-SD 1994, Nr 4, 10-12 (LT1) |
EzA § 123 BGB, Nr 40 (LT1) |
EzBAT § 4 BAT Anfechtung, Nr 16 (LT1) |
GdS-Zeitung 1994, Nr 10, 14 (KT) |
JA 1994, 532 (L) |
MDR 1994, 1227 (LT) |
RDV 1994, 135-137 (LT) |
br 1994, 156-158 (LT) |