Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Beendigung des Reinigungsauftrags. Beteiligung des Arbeitgebers an Neuausschreibung. Kündigung vor Entscheidung über die Neuvergabe. “Vorratskündigung”. Kündigung
Leitsatz (amtlich)
- Eine betriebsbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn bei Ausspruch der Kündigung auf Grund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Prognose davon auszugehen ist, daß zum Zeitpunkt des Kündigungstermins eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr besteht.
- Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn sich ein Reinigungsunternehmen, dessen noch laufender Reinigungsauftrag nicht verlängert worden ist, an der Neuausschreibung beteiligt und bei Ausspruch der Kündigung die Neuvergabe noch offen ist. Der Zwang zur Einhaltung längerer Kündigungsfristen rechtfertigt grundsätzlich keine andere Beurteilung.
Orientierungssatz
- Eine betriebsbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn bei Ausspruch der Kündigung auf Grund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Prognose davon auszugehen ist, daß zum Zeitpunkt des Kündigungstermins eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr besteht.
- Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch für Kündigungen, die auf außerbetriebliche Gründe gestützt werden.
- Beteiligt sich ein Arbeitgeber des Reinigungsgewerbes an der Neuausschreibung eines auslaufenden Auftrags, so ist mit dem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für die im Objekt beschäftigten Arbeitnehmer nicht zu rechnen, so lange die Entscheidung über die Neuvergabe noch offen ist. Eine vor Entscheidung über die Neuvergabe ausgesprochene Kündigung ist als “Vorratskündigung” sozial ungerechtfertigt.
- Der Zwang zur Einhaltung längerer Kündigungsfristen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
- Auch der Umstand, daß einem vorzeitig gekündigten Arbeitnehmer uU ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen kann, vermag an der Unwirksamkeit einer “Vorratskündigung” nichts zu ändern.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 16.02.2001; Aktenzeichen 3 (7) Sa 1487/00) |
ArbG Hannover (Urteil vom 23.06.2000; Aktenzeichen 8 Ca 74/00) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 2001 – 3 (7) Sa 1487/00 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die am 1. Januar 1938 geborene Klägerin trat am 19. Juni 1989 als Gebäudereinigerin in die Dienste der Beklagten. Die Beklagte betreibt ein bundesweit tätiges Reinigungsunternehmen und beschäftigt in ihrer Niederlassung Hannover mehrere hundert Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat besteht nicht.
Die Klägerin war zuletzt in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eingesetzt. Für diese Einrichtung hatte die Beklagte seit dem 1. Juli 1994 die Reinigung zunächst teilweise und später ganz übernommen. Sie hatte dort zuletzt 180 Arbeitnehmer eingesetzt.
Im März 1999 teilte die MHH der Beklagten mit, der Reinigungsauftrag laufe Ende Juni 1999 aus. Er müsse neu ausgeschrieben werden. Für die Zeit der Ausschreibung bot die MHH der Beklagten einen bis zum 30. Juni 2000 befristeten Vertrag zu den bisherigen Konditionen an. Damit erklärte sich die Beklagte einverstanden. An der zwischenzeitlich erfolgten Ausschreibung beteiligte sich die Beklagte mit Angeboten vom 11. Oktober 1999.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2000 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30. Juni 2000 und führte ua. aus:
“Unsere Firma bemüht sich jedoch, den Anschlußauftrag von der Medizinischen Hochschule zu erhalten. Hierzu bestehen, nicht zuletzt auch dank Ihrer Einsatzbereitschaft, gute Chancen.
Für den Fall, daß P den Auftrag ab 01.07.2000 wiedererhält, werden wir uns umgehend zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit Ihnen in Verbindung setzen.
…”
Nachdem die Klägerin die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben hatte, teilte die Beklagte durch Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 16. März 2000 ua. mit, es sei “gegenwärtig völlig offen”, welcher Dienstleister den Reinigungsauftrag erhalte.
Ende März 2000 teilte die MHH der Beklagten mit, der Zuschlag sei einem Konkurrenzunternehmen erteilt worden.
Die Klägerin hält die Kündigung für sozialwidrig, weil bei Ausspruch der Kündigung der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs noch nicht absehbar gewesen sei.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22. Februar 2000 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Sie hat vorgetragen, die Anforderungen an den Grad der Prognosesicherheit bei betriebsbedingten Kündigungen dürften nicht überspitzt werden, zumal dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Wiedereinstellung zustehe, wenn sich die Prognose als falsch erweise. Es habe sich hier nicht um eine allein auf freie Entschließung gegründete unternehmerische Entscheidung gehandelt; sie habe vielmehr der Entscheidung der MHH Rechnung getragen. Bei wertender Gesamtbetrachtung habe im Zeitpunkt der Kündigung der betriebsbedingte Kündigungsgrund bereits greifbare Formen angenommen. Das Auslaufen des ursprünglichen Reinigungsauftrags habe festgestanden. Sie habe sich an der Ausschreibung mit zwei Geboten beteiligt. In dem ersten Gebot habe sie mit unverändertem Personaleinsatz und höheren Preisen kalkuliert. Die Erfolgschancen dieses Gebots hätten bei 10 vH gelegen. Die Chancen des – billigeren – Alternativangebots (“Pr”) seien ebenfalls nicht groß (deutlich unter 50 vH) gewesen.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Engel, Bühler
Fundstellen
Haufe-Index 797182 |
BB 2002, 2184 |
DB 2002, 2653 |
NJW 2002, 3795 |
BuW 2002, 967 |
ARST 2003, 54 |
FA 2003, 53 |
JR 2003, 132 |
NZA 2002, 1205 |
RdA 2003, 171 |
SAE 2003, 84 |
AP, 0 |
AuA 2003, 55 |
EzA-SD 2002, 13 |
EzA |
PERSONAL 2003, 59 |
AUR 2002, 356 |
ArbRB 2002, 324 |
RdW 2003, 185 |
BAGReport 2003, 10 |
GdWZ 2003, 101 |
SPA 2002, 4 |