Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision gegen zweites Versäumnisurteil
Normenkette
ArbGG § 72; ZPO §§ 513, 547, 554a, 566
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 14.12.1990; Aktenzeichen 5 (9) Sa 636/88) |
ArbG Bielefeld (Urteil vom 27.01.1988; Aktenzeichen 2 Ca 2497/87) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das zweite Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Dezember 1990 – 5 (9) Sa 636/88 – wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte war seit 1955 bei der Klägerin angestellt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis am 14. Dezember 1984 zum 31. Dezember 1984 und verlangte die Herausgabe eines dem Beklagten zur Verfügung gestellten Dienstwagens zum 31. Dezember 1984. Das Arbeitsgericht gab der Klage durch Urteil vom 2. Oktober 1986 statt. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Beklagten zurück.
Der Beklagte gab den Dienstwagen nicht an die Klägerin heraus. Die Klägerin hat daraufhin im vorliegenden Verfahren von dem Beklagten Schadenersatz in Höhe von 11.849,50 DM verlangt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 8.249,50 DM stattgegeben und hat sie im übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben der Beklagte mit einem Schriftsatz, der ihn im Briefkopf als Rechtsanwalt auswies, Berufung und die Klägerin Anschlußberufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 27. Oktober 1989 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Durch Versäumnis-Endurteil vom 6. Juli 1990 hat es auf die Anschlußberufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und den Beklagten zur Zahlung weiterer 3.600,– DM verurteilt. Auf den Einspruch des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht am 3. August 1990 Verhandlungstermin über den Einspruch auf den 14. Dezember 1990, 10.00 Uhr bestimmt. Zu diesem Termin ist der Beklagte am 17. August 1990 geladen worden. Am 12. Dezember 1990 ist bei dem Landesarbeitsgericht ein Schriftsatz des Beklagten eingegangen, der ihn im Briefkopf nicht als Rechtsanwalt auswies und in dem es wörtlich heißt: „In dem Rechtsstreit … nehme ich Bezug auf das heute mit den Herrn Vorsitzenden geführte Telephongespräch und bitte um Terminsänderung von amtswegen.”. Es wird dann weiter ausgeführt, am 14. Dezember 1990 um 9.00 Uhr sei vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Paderborn Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, es hätten bereits Termine am 23. November, 28. November, 6. Dezember und 7. Dezember 1990 stattgefunden.
Im Termin vom 14. Dezember 1990 ist für den Beklagten niemand erschienen. Hierauf hat das Landesarbeitsgericht auf Antrag der Klägerin durch zweites Versäumnisurteil den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 6. Juli 1990 verworfen.
In seinem zweiten Versäumnisurteil hat das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zugelassen. Der Tenor ist von den Richtern unterschrieben. Es findet sich sodann auf der gleichen Seite folgende „Rechtsmittelbelehrung”:
„Gegen dieses Versäumnisurteil kann von der unterlegenen Partei Revision eingelegt werden. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß der Fall der
Versäumung nicht vorgelegen hat (§§ 566, 513 ZPO).
…”
Darunter befindet sich der Beglaubigungsvermerk einer Regierungsangestellten als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle.
Mit der Revision begehrt der Beklagte die Aufhebung des zweiten Versäumnisurteils und die Abweisung der Klage. Der Beklagte macht geltend, ein Fall der Säumnis habe nicht vorgelegen. Angesichts des Umstandes, daß eine Fortsetzungsverhandlung vor der Strafkammer angesetzt gewesen sei, hätte das Landesarbeitsgericht den Termin aufheben müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten war gem. § 554 a Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, denn sie ist nicht statthaft.
1. Nach § 72 Abs. 1 ArbGG findet gegen die Endurteile des Landesarbeitsgerichts, zu denen auch zweite Versäumnisurteile zählen, die Revision nur statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts zugelassen worden ist oder die Zulassung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren durch das Bundesarbeitsgericht erfolgt. Die Zulassung der Revision ist nur wirksam, wenn sie im Tenor enthalten ist. Eine Zulassung in den Entscheidungsgründen genügt nur dann, wenn diese mitverkündet werden (BAG Beschluß vom 21. März 1974 – 1 ABR 19/74 – AP Nr. 13 zu § 92 ArbGG 1953; BAGF 52, 242 = AP Nr. 122 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Beide Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Revision sind nicht erfüllt.
2. Die Revision ist auch nicht deswegen zulässig, weil sich am Ende des Berufungsurteils ein als „Rechtsmittelbelehrung” bezeichneter Vermerk befindet, ausweislich dessen von der Zulässigkeit der Revision ausgegangen wird. Dieser Vermerk ist schon deshalb keine wirksame Rechtsmittelbelehrung, weil er von den Richtern nicht unterschrieben worden ist (vgl. BAG Urteil vom 15. Mai 1984 – 1 AZR 532/80 – NZA 1984, 98).
Zudem könnte eine rechtsirrtümliche Rechtsmittelbelehrung, die mit § 72 Abs. 1 ArbGG nicht im Einklang steht, die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen (vgl. BAGE 1, 289, 291 = AP Nr. 3 zu § 64 ArbGG 1953; BAGE 53, 396 = AP Nr. 3 zu § 566 ZPO; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 72 Rz 28).
3. Die Zulässigkeit der vorliegenden Revision kann auch nicht aus § 566 ZPO in Verbindung mit § 513 Abs. 2 ZPO hergeleitet werden. Nach § 566 ZPO sind die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile auf die Revision entsprechend anzuwenden. Nach § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, ein Fall der Säumnis habe nicht vorgelegen. Nach dem durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3. Dezember 1976 (BGBl I, 3281) neu eingefügten Satz 2 in § 513 Abs. 2 ZPO ist § 511 a ZPO nicht anzuwenden, d.h. es kommt auf die Höhe der Beschwer nicht an. Damit bezweckte der Gesetzgeber, den Rechtsschutz in diesem Bereich zu verbessern (vgl. BT-Drucks. 7/5250, S. 11 zu Nr. 52 a).
a) Während der Bundesgerichtshof (Urteil vom 11. Oktober 1978 – IV ZR 101/77 – ZZP 1979, 370 = NJW 1979, 166) angenommen hat, nach der Neufassung des § 513 Abs. 2 ZPO könne an dem Erfordernis der Revisionszulassung gem. § 546 Abs. 1 ZPO für die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil nicht festgehalten werden, hat das Bundesarbeitsgericht (BAGE 53, 396 = AP, a.a.O.) die Auffassung vertreten, § 72 Abs. 1 ArbGG 1979 regele erschöpfend, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen gegen ein Urteil eines Landesarbeitsgerichts Revision eingelegt werden könne. Ein Rückgriff auf entsprechende Bestimmungen der ZPO sei daher nicht möglich. Vielmehr müßten darüber hinaus auch die allgemeinen Voraussetzungen für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels erfüllt sein, d.h. die Zulassung durch das Landesarbeitsgericht (so auch Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 72 Rz 4; a.A.: Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 72 Rz 9; ders. in Anm. zu BAG EWiR § 72 ArbGG 1/87, 211; Vollkommer, Anm. zu AP Nr. 2 zu § 566 ZPO; Walchshöfer. Anm. zu AP Nr. 3 zu § 566 ZPO).
b) An der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist festzuhalten.
aa) § 72 Abs. 1 ArbGG gibt nach seinem Wortlaut keinen Anhaltspunkt für eine einschränkende Auslegung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung von §§ 76 und 77 ArbGG. Nach § 76 Abs. 1 ArbGG ist die Sprungrevision im Unterschied zu der Regelung des § 566 a ZPO nur statthaft, wenn sie durch das Arbeitsgericht zugelassen ist. Nach § 77 ArbGG ist die sofortige Beschwerde nur zulässig, wenn sie das Landesarbeitsgericht in dem Beschluß über die Verwerfung der Berufung wegen der Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Die Vorschriften der §§ 72, 76 und 77 ArbGG zeigen, daß das ArbGG – anders als die ZPO – das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht jeweils von einer Zulassung des Rechtsmittels abhängig macht. Es ist aber kein Grund ersichtlich, im Falle der Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil von dem im ArbGG durchweg enthaltenen Grundsatz der Zulassung abzuweichen.
bb) Die in § 547 ZPO enthaltene Wertung, daß der Partei im Zivilprozeß stets zwei Tatsacheninstanzen zur Verfügung stehen sollen, findet sich im Arbeitsgerichtsgesetz nicht, wie ein Vergleich der Vorschriften des § 519 b ZPO einerseits und § 77 ArbGG andererseits zeigt. Daß § 547 ZPO im Arbeitsgerichtsverfahren nicht anwendbar ist, ist auch für die Anfechtbarkeit eines zweiten Versäumnisurteils in der Berufungsinstanz von Bedeutung. Das Versäumnisurteil und eine Verwerfung der Berufung als unzulässig stimmen nämlich darin überein, daß das Vorbringen der Partei nicht vollständig berücksichtigt wird (so Grunsky, ZZP 1979, 371, 372). Damit liegt es nahe, die Anfechtungsmöglichkeiten gleichzuschalten.
4. Die Geltung der §§ 566, 513 Abs. 2 Satz 2 ZPO läßt sich auch nicht, wie Rimmelspacher/Abel (Zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 513 II 2 ZPO im Arbeitsgerichtsverfahren, NZA 1990, 511) meinen, aus § 72 Abs. 5 ArbGG herleiten. Diese Vorschrift besagt nur, daß sich das, weitere Verfahren nach den in Bezug genommenen Vorschriften richtet, wenn die Revisionsinstanz durch ein statthaftes Rechtsmittel eröffnet ist. Zum Verfahren gehören jedoch die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Rechtsmittel, die das ArbGG abweichend von der ZPO in § 72 Abs. 1 ArbGG regelt, nicht (vgl. BAGE 53, 396 = AP, a.a.O.; ebenso zu der entsprechenden Frage für das Berufungsverfahren BAG Urteil vom 4. April 1989, BAGE 61, 237 = AP Nr. 13 zu § 64 ArbGG 1979).
Das ArbGG verwendet den Begriff „Verfahren” nicht einheitlich. Es verwendet den Begriff „Verfahren” zunächst im Sinne von Verfahrensart, indem es bei den Verfahren vor den Arbeitsgerichten das Urteilsverfahren (§§ 2, 46 ff. ArbGG) und das Beschlußverfahren unterscheidet (§§ 2 a, 80 ff. ArbGG). Die Bezeichnung „Verfahren” dient im ArbGG aber auch zur Bezeichnung des einzelnen, des konkreten Verfahrens, das zwischen zwei Parteien hinsichtlich eines bestimmten Rechtsverhältnisses schwebt. Schließlich verwendet das ArbGG den Begriff „Verfahren” im Sinne von Verfahrensrecht, indem es z.B. in § 76 Abs. 4 bestimmt, daß die Revision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden kann. Damit läßt sich aber aus der Tatsache, daß das ArbGG unter den Abschnitten „Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten” und „Revisionsverfahren” auch Zulässigkeitsregeln enthält, für die Auslegung des in § 72 Abs. 5 verwandten Verfahrensbegriffs nichts herleiten.
5.a) Schließlich gebieten auch verfassungsrechtliche Erwägungen nicht, im Falle eines zweiten Versäumnisurteils die Revisionsinstanz zu eröffnen (vgl. Vollkommer, Anm. zu AP Nr. 2 zu § 566 ZPO; Walchshöfer, Anm. zu AP Nr. 3 zu § 566 ZPO).
b) Es mag sein, daß der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt sein kann, wenn eine durch ein zweites Versäumnisurteil unterlegene Partei mit Erfolg geltend machen kann, ein Fall der Versäumung im Sinne von § 513 Abs. 2 ZPO habe nicht vorgelegen. Das erlaubt es jedoch nicht, ein unstatthaftes Rechtsmittel für zulässig anzusehen, wenn es auf die Behauptung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt wird (so BAG Urteil vom 4. April 1989, BAGE 61, 237 = AP, a.a.O.; ebenso Rimmelspacher/Abel. a.a.O.).
c) Im übrigen hätte selbst im Falle der Zulässigkeit der Revision ein Fall der Säumnis vorgelegen. Der Kläger hat vorliegend keinen Antrag auf Verlegung des Termins gestellt. Er hat das Landesarbeitsgericht vielmehr gebeten, eine Terminsverlegung von Amts wegen zu prüfen. Auf diese Anregung von Amts wegen hat er keine positive Entscheidung erhalten. Er konnte eine solche Entscheidung auch nicht unterstellen. Aus dem an das Landesarbeitsgericht gerichteten Schreiben ergab sich entgegen den früheren Schriftsätzen nicht, daß der Kläger noch als Rechtsanwalt zugelassen war. Das Landesarbeitsgericht mußte daher nicht davon ausgehen, daß der Kläger weiterhin anwaltlich vertreten sei. Zudem begegnet es Bedenken, daß der Kläger sich erst kurz vor dem anstehenden Termin um eine Verlegung von Amts wegen an das Gericht wendet, wenn bereits seit November Fortsetzungstermine vor der Wirtschaftsstrafkammer anstanden.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müllger-Glöge, Wittendorfer, Femppel
Fundstellen