Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuß zum Unterhaltsgeld
Leitsatz (amtlich)
- Nach dem Tarifvertrag über Kündigungsschutz und Qualifizierung bei Umstrukturierungs- und betriebsorganisatorischen Maßnahmen im Sinne des AFG vom 22. Juni 1990 (TVKQ) für Sachsen kann ein Arbeitnehmer Anspruch auf einen Zuschuß zum Unterhaltsgeld auch während einer Fortbildungsmaßnahme i.S. von §§ 41 ff. AFG haben, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begonnen hat. Nach § 4 Nr. 4 der Anlage 3 zum TVKQ ist hierfür erforderlich, daß die Maßnahme in der eingeschlagenen Qualifikationsrichtung die konsequente Fortsetzung einer vor dem 30. Juni 1991 und während des bestehenden Arbeitsverhältnisses begonnenen Maßnahme der beruflichen Fortbildung i.S. von §§ 41 ff. AFG war. Darauf, ob während der ersten Maßnahme Unterhaltsgeld oder Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, kommt es nicht an (Bestätigung und Fortführung des BAG Urteils vom 21. April 1993 – 4 AZR 541/92 – AP Nr. 108 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
- Die Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme kann auch nach dem Besuch eines Berufsorientierungsseminars “eine konsequente Fortsetzung in der eingeschlagenen Qualifikationsrichtung” sein. Voraussetzung dafür ist, daß das Berufsorientierungsseminar die Ausrichtung auf ein bestimmtes Berufsfeld, etwa das der kaufmännischen Berufe, erkennen läßt und auch die zweite Maßnahme dieses Berufsfeld betrifft.
- Der Anspruch auf einen Zuschuß zum Unterhaltsgeld entfällt nach § 5 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ für die Arbeitnehmer, in deren Betrieb ein Sozialplan vereinbart wurde, der mit den während der Laufzeit des TVKQ abgeschlossenen oder eingeleiteten betrieblichen Strukturve änderungen im Zusammenhang steht (Bestätigung des BAG Urteils vom 21. April 1993 – 4 AZR 541/92 – AP Nr. 108 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
- Die Bestimmung des § 5 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ kann durch einen Firmentarifvertrag aufgehoben werden, der den Anspruch auf den Zuschuß zum Unterhaltsgeld unabhängig von betrieblichen Sozialplanleistungen aufrechterhält. Die Betriebspartner können einen solchen Firmentarifvertrag zugleich als Sozialplan auf die Gesamtbelegschaft erstrecken (Bestätigung des BAG Urteils vom 24. November 1993 – 4 AZR 225/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie; Tarifvertrag über Kündigungsschutz und Qualifizierung bei Umstrukturierungs- und betriebsorganisatorischen Maßnahmen im Sinne des AFG vom 22. Juni 1990 (TVKQ) für Sachsen § 4; Tarifvertrag über Kündigungsschutz und Qualifizierung bei Umstrukturierungs- und betriebsorganisatorischen Maßnahmen im Sinne des AFG vom 22. Juni 1990 (TVKQ) für Sachsen § 5
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 15.07.1993; Aktenzeichen 4 Sa 27/92) |
KreisG Dresden (Urteil vom 18.06.1992; Aktenzeichen 9 Ca 974/92) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 15. Juli 1993 – 4 Sa 27/92 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger fordert von der Beklagten einen Zuschuß zum Unterhaltsgeld für die Zeit vom 30. August bis zum 30. Oktober 1991.
Der Kläger ist diplomierter Ingenieur. Er war bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung am 30. Juni 1991. Vom 29. April bis zum 24. Mai 1991 hatte der Kläger, der sich in dieser Zeit in Kurzarbeit “Null Stunden” befand, an einem von der Bundesanstalt für Arbeit nach § 41a AFG geförderten Berufsorientierungsseminar teilgenommen. Nach einem Informationsblatt hatte das Seminar den folgenden Inhalt:
“
10. |
Kursinhalt: |
|
Grundlagen der Marktwirtschaft |
1 Woche |
|
Berufsweganalyse in Verbindung mit Eignungstests und Praktika |
2 Wochen |
|
Bewerbungstraining |
3 Tage |
|
Berufswegplanung |
2 Tage |
”
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besuchte der Kläger vom 30. August bis zum 30. Oktober 1991 einen Kurs “Kaufmännische Praxisqualifizierung”. Der Veranstalter bescheinigte dem Kläger, an den folgenden Lehrveranstaltungen teilgenommen zu haben:
- “
- Volkswirtschaftslehre,
- Betriebswirtschaftslehre (Grundlagen),
- Gesellschafts- und Handelsrecht,
- Handelsbetriebslehre (Einführung),
- Beschaffung, Lagerung und Logistik,
- Management (Einführung),
- Marketing (Einführung),
- Buchführung,
- Kostenrechnung,
- Personalwirtschaft (Teil I),
- Finanzmathematik,
- Statistik,
- Rhetorik.”
Dieser Kurs wurde ebenfalls von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert und sollte insgesamt 10 Monate dauern. Der Kläger brach seine Teilnahme zum 1. November 1991 ab, weil er eine Anstellung gefunden hatte.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Tarifvertrag über Kündigungsschutz und Qualifizierung bei Umstrukturierungs- und betriebsorganisatorischen Maßnahmen im Sinne des AFG vom 22. Juni 1990 (TVKQ) Anwendung, den die Industriegewerkschaft Metall und der Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e. V. (VSME) am 18. Juli 1990 abgeschlossen hatten. Dieser Tarifvertrag enthält in seiner Anlage 3 u.a. die folgenden Bestimmungen:
Ҥ 4
Zuschuß zum Unterhaltsgeld und Kurzarbeitergeld
- Der Arbeitnehmer erhält für die Zeit, in der für ihn der besondere Kündigungsschutz nach § 1 gilt und er entweder Unterhaltsgeld nach § 44 Abs. 2 AFG oder Kurzarbeitergeld bezieht, einen Zuschuß zu diesen Leistungen.
- …
- Arbeitnehmer, die am 30. Juni 1991 an einer noch nicht abgeschlossenen Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung gemäß §§ 41 ff. AFG teilnehmen, erhalten für die über diesen Zeitpunkt hinausreichende restliche Zeit der geförderten Maßnahme, längstens bis 31. März 1992, den in § 4 Ziffer 2 bezeichneten Zuschuß zum Unterhaltsgeld weiter. Das gilt auch, wenn Arbeitnehmer bis spätestens zum 1. September 1991 eine solche Maßnahme beginnen und diese Maßnahme für sie in der eingeschlagenen Qualifikationsrichtung eine konsequente Fortsetzung einer vor dem 30. Juni 1991 begonnenen Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung im Sinne der §§ 41 ff. AFG darstellt.
§ 5
Ausschluß von Doppelbelastungen
Die vorstehenden Regelungen in den §§ 1, 3 und 4 stellen einen Ausgleich bzw. die Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Sinne des § 112 BetrVG dar, die dem Arbeitnehmer entstehen können.
Alle Rechte und Ansprüche aus diesem Abkommen entfallen, wenn nach Abschluß des Tarifvertrages betrieblich eine andere Regelung über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile getroffen wird$ . Bereits erbrachte betriebliche Leistungen sind in diesem Falle zurückzugewähren.
Am 20. März 1991 wurde bei der Beklagten ein “Sozialplan/Tarifvertrag” abgeschlossen. Diese Vereinbarung wurde auf der einen Seite von Geschäftsführung und Aufsichtsrat der Beklagten, auf der anderen Seite vom Vorsitzenden des Betriebsrates und dem Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Metall unterzeichnet. Der Kläger erhielt aus dieser Vereinbarung eine Abfindung. Im “Sozialplan/Tarifvertrag” heißt es u.a.:
- “
Geltungsbereich
Die Vereinbarung gilt
- räumlich für die Standorte Klotzsche, Reick und Zschieren sowie betriebliche Sozialeinrichtungen
- persönlich für alle Mitarbeiter, die unter den Geltungsbereich des BetrVG fallen, am 1. März 1991 bei der E… GmbH beschäftigt waren und deren Arbeitsverhältnis auf Grund des Interessenausgleichs vom 20. März 1991 endet.
Außerdem erhalten Arbeitnehmer, die nach dem 1. Juli 1990 in den Vorruhestand gegangen sind, Leistungen aus diesem Sozialplan.
Tarifliche Regelungen
Die Parteien sind sich darin einig, daß ausnahmslos allen Beschäftigten der E… GmbH die Rechte aus dem Verhandlungsergebnis zwischen dem Verband der Sächsichen Metall- und Elektroindustrie e.V. (VSME) und der IG Metall vom 18. Juli 1990 Anl. 3, §§ 1, 3 und 4 zustehen.
Sozialplanvolumen
Über das zur Sicherung der Ansprüche aus Pkt. 2. notwendige Finanzvolumen hinaus stellt das Unternehmen für die Erfüllung der in nachfolgendem Sozialplan geregelten Ansprüche den von Umstrukturierungsmaßnahmen bzw. der Betriebsstillegung betroffenen Arbeitnehmern, eine Summe von … 26 Mio. DM … zur Verfügung.”
Die Beklagte befindet sich seit dem 1. Juli 1991 in Liquidation. Sie zahlte an den Kläger einen Zuschuß zum Kurzarbeitergeld während dessen Besuch des Berufsorientierungsseminars vom 28. April bis zum 24. Mai 1991. Sie weigerte sich aber, an den Kläger für die Zeit vom 30. August bis zum 30. Oktober 1991 einen Zuschuß zum Unterhaltsgeld zu zahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse für die Zeit des zweiten Seminarbesuchs nach Ende des Arbeitsverhältnisses den der Höhe nach unstreitigen Zuschuß zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zahlen. Unter den besonderen Arbeitsmarktbedingungen in den neuen Bundesländern sei es von seiten der Bundesanstalt für Arbeit konsequent gewesen, zunächst ein Berufsorientierungsseminar anzubieten. Auf diesem Seminar habe er durch die Teilnahme an dem Kurs “Kaufmännische Praxisqualifizierung” aufgebaut. Dem Anspruch auf Zuschuß zum Unterhaltsgeld stehe nicht entgegen, daß im Betrieb der Beklagten ein Sozialplan abgeschlossen worden sei. Dies lege der Sozialplan in Nr. 2 selbst fest.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 971,72 DM nebst 4 % Zinsen aus 485,86 DM seit dem 1. Oktober 1991 sowie 4 % aus 485,86 DM seit dem 1. November 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch des Klägers werde bereits durch § 5 der Anlage 3 zum TVKQ ausgeschlossen. Nr. 2 und 3 des Sozialplanes/Tarifvertrages stünden dem nicht entgegen. Im übrigen handele es sich bei dem Kurs “Kaufmännische Praxisqualifizierung” nicht um eine konsequente Fortsetzung des Berufsorientierungsseminars im Sinne von § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht ihr entsprochen. Mit der Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 30. August bis zum 30. Oktober 1991 einen Zuschuß zum Unterhaltsgeld schuldet. Dieser der Höhe nach unstreitige Anspruch beruht auf § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ in Verbindung mit Nr. 2 des “Sozialplan/Tarifvertrag” vom 20. März 1991.
I. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ.
1. Bei dem vom Kläger besuchten Kurs “Kaufmännische Praxisqualifizierung” handelt es sich um eine von der Bundesanstalt für Arbeit nach §§ 41 ff. AFG geförderte Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung. Dies ist zwischen den Parteien nicht umstritten.
2. Diese Maßnahme war eine konsequente Fortsetzung einer vor dem 30. Juni 1991 begonnenen Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung im Sinne der §§ 41 ff. AFG.
a) Das vom Kläger zwischen dem 29. April und dem 24. Mai 1991 besuchte Berufsorientierungsseminar war eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung im Sinne der §§ 41 ff. AFG. Mit der Verweisung auf §§ 41 ff. AFG ist auch der bis zum 31. Dezember 1992 geltende § 41a AFG in Bezug genommen. Das vom Kläger besuchte Berufsorientierungsseminar gehört zu den in § 41a Abs. 1 Nr. 1 AFG genannten Maßnahmen, die nach § 41a Abs. 2 AFG Maßnahmen der beruflichen Fortbildung gleichstehen. Nach den nicht gerügten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Seminar von der Bundesanstalt für Arbeit auch tatsächlich nach § 41a AFG gefördert worden.
b) Das Berufsorientierungsseminar hat die Eigenschaft einer nach § 41a AFG geförderten Maßnahme nicht dadurch verloren, daß der Kläger während der Teilnahme Kurzarbeitergeld bezog. Nach den damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen sollte die Beklagte es dem Kläger ermöglichen, seine berufliche Qualifikation in der Zeit zu verbessern, in der er Kurzarbeitergeld bezog. Der Kläger erhielt Kurzarbeitergeld nach § 63 Abs. 5 AFG-DDR (GBl. DDR 1990 I S. 403 f.). Diese Vorschrift galt aufgrund der Übergangsregelung in der Anlage II zum Einigungsvertrag Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 1b bb und Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Juni 1991 (BGBl. I S. 1306) über den 3. Oktober 1990 hinaus bis zum 31. Dezember 1991. Nach ihr konnte Kurzarbeitergeld unter den besonderen Bedingungen beim Umbau der Wirtschaftsordnung in der früheren DDR auch dann gewährt werden, wenn der Arbeitsausfall im Betrieb nicht nur vorübergehend, sondern, wie bei der Beklagten, auf Dauer eingetreten war. Nach § 63 Abs. 5 Satz 6 AFG sollte ein Betrieb seinen Arbeitnehmern, die Kurzarbeitergeld nach dieser Vorschrift bezogen und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen mußten, während dieser Zeit eine berufliche Qualifizierung ermöglichen.
c) Der vor dem 1. September 1991 begonnene Kurs “Kaufmännische Praxisqualifizierung” stellte in der eingeschlagenen Qualifikationsrichtung eine konsequente Fortsetzung des Berufsorientierungs- seminars dar.
Das Landesarbeitsgericht hat § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ zu Recht dahin ausgelegt, daß sich auch aus Berufsorientierungsseminaren eine Qualifikationsrichtung ergeben kann, die entsprechend den tariflichen Anforderungen in einer weiteren Bildungsmaßnahme fortgesetzt werden kann. Die Vorschrift verlangt nicht, daß die erste Fortbildungsmaßnahme bereits auf einen bestimmten Beruf ausgerichtet ist. Es genügt, daß eine “Qualifikationsrichtung” eingeschlagen wurde, die Fortbildungsmaßnahme sich also auf ein bestimmtes Berufsfeld richtete. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift verlangen diese weite Auslegung. Es ging den Tarifvertragsparteien ersichtlich darum, die von betrieblichen Strukturveränderungen betroffenen Arbeitnehmer in möglichst hoher Zahl dazu zu bewegen, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen (ebenso BAG Urteil vom 21. April 1993 – 4 AZR 541/92 – AP Nr. 108 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, zu B I 3b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Durch die zusätzliche finanzielle Absicherung sollte für die vom Arbeitsplatzverlust bedrohten Arbeitnehmer ein Anreiz geschaffen werden, ihre Chancen auf eine neue Beschäftigung durch Qualifizierungsmaßnahmen zu verbessern. Es mußte deshalb unter den Bedingungen der neuen Wirtschaftsordnung auch darum gehen, die Arbeitnehmer in der Umbruchphase nicht zu früh beruflich festzulegen, sondern für sie ein möglichst weites Spektrum möglicher Berufstätigkeit zu eröffnen. Dem haben die Tarifvertragsparteien mit der Wahl des Begriffes “Qualifikationsrichtung” in § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ Rechnung getragen.
Nach diesem Maßstab setzte der Kurs “Kaufmännische Praxisqualifizierung” die mit dem Berufsorientierungsseminar eingeleitete Qualifikationsrichtung fort. Das im Berufsorientierungsseminar angebotene Fach “Grundlagen der Marktwirtschaft” belegt ebenso wie das vom Kläger nach der Teilnahmebescheinigung belegte Fach “Grundlagen der PC-Technik” eine – im weiteren Sinne – kaufmännische Orientierung des Berufsorientierungsseminars. Daran ändern auch die übergreifenden Bereiche Berufswegplanung, Berufsweganalyse und Bewerbertraining nichts. Die kaufmännische Orientierung hat der Kläger durch den Besuch des Kurses “Kaufmännische Praxisqualifizierung” konsequent fortgesetzt, der auf den allgemeinen Kentnnissen über die Grundlagen der Marktwirtschaft aufbauen konnte und nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weitere und eingehendere kaufmännische Kenntnisse vermittelte.
3. Dem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, daß er während des Besuchs des Berufsorientierungsseminars Kurzarbeitergeld und erst während des Besuchs des Kurses “Kaufmännische Praxisqualifizierung” Unterhaltsgeld erhalten hat. Für die Anwendung von § 4 Nr. 4 der Anlage 3 zum TVKQ ist das während der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme gezahlte Kurzarbeitergeld dem Unterhaltsgeld gleichzusetzen. Es heißt dort zwar, daß Arbeitnehmer das Unterhaltsgeld “weitererhalten” sollen. Daraus kann aber nicht auf einen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden, einen Zuschußanspruch gegen den Arbeitgeber für den Fall auszuschließen, daß der Arbeitnehmer während der Umschulungsmaßnahme zunächst Kurzarbeitergeld erhalten hat. Die Tarifvertragsparteien konnten einen solchen Fall bei Abschluß des Tarifvertrages noch nicht berücksichtigen. Zum damaligen Zeitpunkt galt § 63 AFG-DDR in der Fassung vom 22. Juni 1990. Er sah die Zahlung von Kurzarbeitergeld bei Umschulungsmaßnahmen noch nicht vor. Erst durch den Einigungsvertrag wurden § 63 Abs. 5 AFG-DDR die Sätze 7 bis 11 angefügt, in denen u.a. die Zahlung von Kurzarbeitergeld für Fälle vorgesehen ist, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsgeld nach § 44 Abs. 2 AFG vorliegen. Da seither die Zahlung von Kurzarbeitergeld funktionsgleich und an dieselben Voraussetzungen gebunden ist wie der Anspruch auf Unterhaltsgeld, muß der Bezug von Kurzarbeitergeld auch in gleicher Weise wie der Bezug von Unterhaltsgeld geeignet sein, die Rechtsfolgen des § 4 Nr. 4 der Anlage 3 zum TVKQ auszulösen. Nur dies entspricht auch dem in der Anlage 3 zum TVKQ zum Ausdruck gekommenen Ziel der Tarifvertragsparteien, möglichst viele Arbeitnehmer zum Besuch von Weiterbildungsmaßnahmen zu veranlassen (BAG Urteil vom 21. April 1993 – 4 AZR 541/92 – AP Nr. 108 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, zu B I 3b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
4. Der Anspruch auf Zuschüsse zum Unterhaltsgeld für die Zeit vom 30. August bis zum 30. Oktober 1991 wird schließlich nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger in diesem Zeitraum bereits nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten stand. § 4 Nr. 4 der Anlage 3 zum TVKQ verlangt lediglich, daß die anspruchsbegründende erste Maßnahme im bestehenden Arbeitsverhältnis begonnen wurde. Anhaltspunkte dafür, daß die Weiterbildungsmaßnahme innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses beendet worden sein muß, sind dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen. Eine entsprechende Regelung wäre aber zu erwarten gewesen, hätten die Tarifvertragsparteien eine solche Einschränkung gewollt. Im Mittelpunkt der tariflichen Regelung stehen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund betriebsbedingter Kündigung endet. Aufgrund der in § 1 Nr. 1 Satz 1 der Anlage 3 zum TVKQ festgelegten Entlassungssperre konnten solche Kündigungen erst zum 30. Juni 1991 wirksam werden. Damit ist der Tarifvertrag gerade auf die Fallgestaltungen zugeschnitten, in denen das Arbeitsverhältnis an dem in § 4 Nr. 4 der Anlage 3 zum TVKQ genannten Stichtag, dem 30. Juni 1991 endet, die Weiterbildungsmaßnahme aber darüber hinaus fortdauert (Satz 1), oder in einer neuen Maßnahme konsequent fortgesetzt wird (Satz 2) (BAG Urteil vom 21. April 1993 – 4 AZR 541/92 – AP Nr. 108 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, zu B I 3c der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BAG Urteil vom 24. November 1993 – 4 AZR 225/93 – NZA 1994, 471, 473, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV der Gründe).
II. Der Anspruch auf Zuschuß zum Unterhaltsgeld nach § 4 Nr. 4 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß im Betrieb der Beklagten am 20. März 1991 ein “Sozialplan/ Tarifvertrag” abgeschlossen wurde.
§ 5 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ ordnet zwar an, daß die Ansprüche aus diesem Tarifvertrag entfallen, wenn im Betrieb eine Regelung über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, also ein Sozialplan, getroffen wird (vgl. hierzu im einzelnen BAG Urteile vom 21. April 1993 – 4 AZR 541/92 und 543/92 – AP Nr. 108 und 109 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Regelung in Nr. 2 “Sozialplan/Tarifvertrag” vom 20. März 1991 hat diese tarifliche Bestimmung jedoch aufgehoben.
1. Nach Nr. 2 der als Firmentarifvertrag und Sozialplan anzusehenden Vereinbarung sind sich die Vertragsparteien einig, daß ausnahmslos allen Beschäftigten der Beklagten die Rechte aus den §§ 1, 3 und 4 der Anlage 3 zum TVKQ zustehen. Alle Beschäftigten einschließlich der nicht in den persönlichen Geltungsbereich des TVKQ fallenden Arbeitnehmer sollen also unter anderem den Zuschuß zum Unterhaltsgeld erhalten.
Allein nach ihrem Wortlaut läßt sich diese Bestimmung so verstehen, daß mit ihr nur der persönliche Geltungsbereich des TVKQ erweitert werden sollte. Eine solche Regelung hätte aber keinen vernünftigen Sinn. Sie würde den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages innerhalb eines Regelungswerkes erweitern, das durch seine bloße Existenz nach § 5 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ allen Beschäftigten die tariflichen Ansprüche nähme.
Die Regelung in Nr. 2 “Sozialplan/Tarifvertrag” kann deshalb nur so verstanden werden, daß mit ihr der persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrages auf alle Beschäftigten erweitert und die dort geregelten Ansprüche ohne die Ausnahme des § 5 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ bestätigt werden sollen. Dafür spricht auch, daß Nr. 2 des “Sozialplan/Tarifvertrag” zwar auf §§ 1, 3 und 4 der Anlage 3 zum TVKQ verweist, nicht aber auf die Ausnahme des § 5. Darüber hinaus haben die Parteien der Vereinbarung vom 20. März 1991 ihre Regelungen nicht nur – zur Erweiterung des persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages auf Nichtorganisierte – in einem Sozialplan, sondern zugleich auch in einem Firmentarifvertrag getroffen. Die Wahl dieser Regelungsform zeigt, daß die an der Vereinbarung Beteiligten von den Regelungen des TVKQ innerhalb des Geltungsbereichs der Vereinbarung abweichen wollten. In dieselbe Richtung deutet Nr. 3 der Vereinbarung, wo es heißt, das Unternehmen stelle über das zur Sicherung der Ansprüche aus Nr. 2 notwendige Finanzvolumen hinaus für die Erfüllung des Sozialplans zusätzliche Mittel zur Verfügung. Dies hat nur dann einen Sinn, wenn sich aus Nr. 2 der Vereinbarung vom 20. März 1991 überhaupt eine Belastung für die Beklagte ergibt, und die darauffolgenden Sozialplanregelungen zusätzliche Ansprüche begründen. Dies ist nur dann der Fall, wenn Nr. 2 der Vereinbarung vom 20. März 1991 § 5 Satz 2 der Anlage 3 zum TVKQ ausschließt (BAG Urteil vom 24. November 1993 – 4 AZR 225/93 – NZA 1994, 471, 472 f., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 2 der Gründe).
2. Die Modifikation der Anlage 3 zum TVKQ durch die Vereinbarung vom 20. März 1991 ist rechtswirksam. Als Firmentarifvertrag geht die Vereinbarung nach dem Grundsatz der Spezialität dem als Bezirkstarifvertrag abgeschlossenen TVKQ vor. Die Sozialplanleistungen konnten auch zugleich in einem Firmentarifvertrag und in einem Sozialplan vereinbart werden. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird durch § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG für Sozialpläne beseitigt. Dies bedeutet, daß die Betriebspartner unabhängig von tariflichen Regelungen Sozialpläne vereinbaren können (BAG Urteil vom 24. November 1993 – 4 AZR 225/93 – NZA 1994, 471, 473, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu V der Gründe).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Heither, Griebeling, Bepler, Schoden
Der ehrenamtliche Richter Stabenow ist ausgeschieden und deshalb an der Unterschrift verhindert
Dr. Heither
Fundstellen
Haufe-Index 856647 |
BB 1994, 2004 |
NZA 1995, 690 |