Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsbeschränkung bei Fluglehrern der Deutschen Lufthansa AG durch den Tarifvertrag Schutzabkommen Bordpersonal innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses. Betriebsänderung durch Einschränkung des Flugbetriebs

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die tarifliche Beschränkung betriebsbedingter Kündigungen gilt im Zweifel unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG genießt.
  • Der TV Schutzabkommen Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG und der Condor Flugdienst GmbH beschränkt auch für Fluglehrer in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit von Kündigungen aufgrund von Betriebsänderungen i.S.v. § 94 TV Personalvertretung und von entsprechenden Änderungen für nicht erhebliche Teile der Belegschaft.
  • Der Betrieb der Verkehrsfliegerschule Bremen der Deutschen Lufhansa AG ist kein selbständiger Flugbetrieb i.S.v. § 94 TV Personalvertretung. Er ist aber Teil des (gesamten) Flugbetriebs i.S. der genannten Tarifvorschrift.
 

Normenkette

TV Schutzabkommen Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG und der Condor Flugdienst GmbH vom 29. Oktober 1980 i.d.F. des zweiten Änderungs- und Ergänzungs-TV vom 15. September 1984; MTV Nr. 3b für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG und der Condor Flugdienst GmbH vom 14. Juni 1988 i.d.F. vom 1. Oktober 1991 § 1 i.V.m. der Anlage 1; TV Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG vom 15. November 1972 §§ 1, 4-5, 30, 42, 94

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 16.06.1995; Aktenzeichen 4 Sa 274/93)

ArbG Bremen (Urteil vom 15.06.1993; Aktenzeichen 3 Ca 3309/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Juni 1995 – 4 Sa 274/93 – aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 1. Mai 1992 als einer von etwa 60 Fluglehrern an der Verkehrsfliegerschule Bremen der Deutschen Lufthansa AG beschäftigt. Insgesamt waren an der Schule ca. 300 Mitarbeiter der Beklagten tätig. Das Gehalt des Klägers betrug zuletzt 6.500,-- DM brutto im Monat. Nach dem Arbeitsvertrag vom 25. Februar 1992 finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die für die Beklagte geltenden Tarifverträge Anwendung.

Mit Schreiben vom 20. August 1992, dem Kläger zugegangen am 25. August 1992, hat die Beklagte eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. Oktober 1992 erklärt. Der Personalvertretung (Gruppenvertretung) hatte sie im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 11. August 1992 folgendes mitgeteilt:

“Die wirtschaftliche Situation der Lufthansa hat sich in den zurückliegenden Monaten seit Einstellung des Fluglehrers noch weiter gravierend verschlechtert. Am 11.08. wurde dem 211NFF-Lehrgang gekündigt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß weitere folgen. Durch Stillegung von 37 Flugzeugen wird der bereits bestehende Personalüberhang an Flugzeugführern auf der Linie drastisch vergrößert. Eine vorzeitige Übernahme von Fluglehrern zur Linie ist daher ausgeschlossen.

…”

Der Kläger meint, die Kündigung verstoße gegen vereinbarte tarifliche Vorschriften. Einschlägig sind insoweit folgende Tarifnormen:

1. TV Schutzabkommen Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG und der Condor Flugdienst GmbH vom 29. Oktober 1980 in der Fassung des zweiten Änderungs- und Ergänzungs-TV vom 15. September 1984 (TV Schutz):

Teil I

2. Abkommen zum Schutz der Mitarbeiter im DLH-Konzern vor nachteiligen Folgen aus Rationalisierungsmaßnahmen

(SCHUTZABKOMMEN BORDPERSONAL)

PRÄAMBEL

Der Einsatz neuer Technologien, verbesserter Arbeitsverfahren und Änderungen der Organisation und Aufgabenverteilung dient der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und der Produktivität der Volkswirtschaft …

Die Tarifpartner sind sich darüber im klaren, daß die sozial ausgewogene Nutzung dieser Möglichkeiten bei aller positiver Auswirkung für die Belegschaft der Unternehmen als Ganzes Nachteile für einzelne Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen bringen kann. Daher schließen sie dieses Abkommen, um in diesen Fällen Nachteile nach Möglichkeit vermeiden, vermindern oder ausgleichen zu können.

I. Abschnitt: Wirkungsbereich und Schutzziel

§ 1

Geltungsbereich

(1) Dieser Tarifvertrag gilt räumlich für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und im Land Berlin.

(2)* Dieser Tarifvertrag gilt persönlich für alle Mitarbeiter der DLH und der CFG, für die der Manteltarifvertrag Bordpersonal in seiner jeweiligen Fassung uneingeschränkt gilt.

II. Abschnitt: Schutzauslösende betriebliche Veränderungen

§ 3

Betriebliche Veränderungen für erhebliche Teile der Belegschaft

Als Maßnahme im Sinne dieses Tarifvertrages gelten Betriebsänderungen gemäß § 94 Tarifvertrag Personalvertretung, die wesentliche Nachteile für das Cockpitpersonal oder erhebliche Teile davon bzw. für das Kabinenpersonal oder erhebliche Teile davon zur Folge haben können.

§ 4

Betriebliche Veränderungen für nicht erhebliche Teile der Belegschaft

Als Maßnahme im Sinne dieses Tarifvertrages gelten darüber hinaus Änderungen entsprechend § 94 Tarifvertrag Personalvertretung, die nur deshalb keine Betriebsänderungen gemäß § 94 Tarifvertrag Personalvertretung sind, weil sie entweder nicht grundlegend sind oder wesentliche Nachteile nur für nicht erhebliche Teile des in § 3 bezeichneten Personals – also auch für einzelne Mitarbeiter – haben können.

III. Abschnitt: Schutzvorschriften

§ 10

Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses im übrigen

(1) Bewirkt eine Maßnahme gemäß § 3 den Verlust des derzeitigen Arbeitsplatzes und ist eine Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses nach Maßgabe der §§ 6 ff. nicht möglich, ist eine Kündigung durch den Arbeitgeber gleichwohl nicht zulässig, wenn eine Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters unter geänderten angemessenen Vertragsbedingungen auf einem anderen zumutbaren Arbeitsplatz im Konzern (DLH/CFG/LSG) – vorzugsweise im fliegerischen Beschäftigungsverhältnis – möglich ist und der Mitarbeiter dazu sein Einverständis erklärt hat, insbesondere

a) wenn eine Weiterbeschäftigung in einer anderen Tätigkeit im fliegerischen Beschäftigungsverhältnis nach zumutbarer Umschulung möglich ist und der Mitarbeiter sein Einverständnis erklärt hat,

b) wenn der Mitarbeiter in einer zumutbaren Tätigkeit in Bodenbetrieben des Konzerns am gleichen oder an einem anderen Ort weiterbeschäftigt werden kann,

c) wenn eine Weiterbeschäftigung im Sinne des Buchstaben b) nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen möglich ist und der Mitarbeiter sein Einverständnis zu Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen erklärt hat.

(2) Bewirkt eine Maßnahme gemäß § 4 den Verlust des derzeitigen Arbeitsplatzes und ist eine Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses nach Maßgabe der §§ 6 ff. nicht möglich, ist eine Kündigung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn der Mitarbeiter eine erforderliche und zumutbare Einwilligung und/oder Mitwirkung bei der Umsetzung (gemäß Abs. 1) auf einen anderen Arbeitsplatz im Konzern, und zwar in erster Linie im fliegerischen Beschäftigungsverhältnis, hilfsweise auf einen Arbeitsplatz im Bodenbetrieb verweigert.

Absatz 1 findet sinngemäß Anwendung.

§ 11

Beschränkung der Einkommensminderung

(6) …

….

f) Im Falle der Umschulung eines I. Offiziers, eines Flugingenieurs bzw. eines Fluglehrers zum Flugbegleiter (§ 10 Abs. 1) wird bei der Abgruppierung auf jeden Fall die Vergütung garantiert, die der höchsten Stufe der Tabelle für 1. Stewardessen/Stewards entspricht.

2. MTV Nr. 3b für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG und der Condor Flugdienst GmbH vom 14. Juni 1988 in der Fassung vom 14. Oktober 1991 (MTV Bord):

§ 1

Geltungsbereich/Arbeitsvertrag

(1) Dieser Manteltarifvertrag gilt für die in der Anlage 1 aufgeführten Mitarbeiter des Bordpersonals der Deutschen Lufthansa Aktiengesellschaft (im folgenden DLH genannt) und der Condor Flugdienst GmbH (im folgenden CFG genannt).

Anlage 1:

Tätigkeitsmerkmale des Bordpersonals:

1. Flugzeugführer:

d) I. Fluglehrer

Flugzeugführer, die mindestens die Erlaubnis als Berufsflugzeugführer 2. Klasse mit Instrumentenflugberechtigung besitzten sowie einen Lehrgang zur Erlangung mindestens der PPL-Lehrberechtigung erfolgreich abgeschlossen und den DLH-Fluglehrer-Checkout bestanden haben und an der Verkehrsfliegerschule der DLH als Fluglehrer eingesetzt sind.

3. TV Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa AG vom 15. November 1972 (TV Personalvertretung):

§ 94

Betriebsänderungen

Der Unternehmer hat die Personalvertretung über geplante Änderungen des Flugbetriebs, die wesentliche Nachteile für das Personal einer Flotte oder erhebliche Teile davon zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Änderungen mit ihr zu beraten.

Als Änderungen des Flugbetriebs gelten

1. Einschränkung und Stillegung des gesamten Flugbetriebs oder von einzelnen Flotten,

Mit seiner am 8. September 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger ferner geltend gemacht, die Beklagte habe ihn aus seiner sicheren Position bei der Bundeswehr, wo er im Rang eines Hauptmanns als Fluglehrer und Einsatzoffizier tätig gewesen war, abgeworben. Sie habe ihm eine Dauerstellung zugesagt, so daß das Kündigungsschutzgesetz schon mit Beginn des Arbeitsverhältnisses Anwendung finden müsse. Jedenfalls verstoße die Kündigung gegen Treu und Glauben, zumal seitens der Beklagten mehrfach und noch im August 1992 versichert worden sei, Kündigungen von Fluglehrern kämen nicht in Betracht.

Der Kläger hat beantragt,

  • festzustellen, daß die mit Schreiben vom 20. August 1992, erhalten am 25. August 1992, ausgesprochene Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat,
  • die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, ein sofortiger Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz sei nicht vereinbart worden. Aus den zwischen den Parteien vor Vertragschluß geführten Gesprächen könne dies im übrigen auch schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil nach dem MTV Bord Nebenabreden für ihre Wirksamkeit der Schriftform bedürften. Auch später habe es keine verbindlichen Zusicherungen gegeben, Fluglehrer würden von anstehenden Kündigungen nicht betroffen sein. Der TV Schutz stehe der Kündigung nicht entgegen, weil der Kläger noch keinen Kündigungsschutz gehabt habe, keine Betriebsänderung vorliege und der Kläger als Fluglehrer weder zum Cockpit- noch zum Kabinenpersonal gehört habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt gemäß §§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die streitige Kündigung sei gemäß § 10 Abs. 2 TV Schutz unwirksam. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Tarifnorm und ihrem Sinn und Zweck, wie er unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs festzustellen sei.

Nach seinem persönlichen Geltungsbereich sei der TV Schutz auch für Fluglehrer anwendbar, die tarifrechtlich zu den Flugzeugführern und damit zum Cockpitpersonal zählten. Der Kläger sei von einer Maßnahme nach § 4 TV Schutz betroffen. Diese Vorschrift verlange nicht das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne von § 94 TV Personalvertretung, sondern lediglich eine entsprechende Änderung, die nicht grundlegend sein müsse und bei der es genüge, daß sie für einzelne Mitarbeiter erhebliche Nachteile haben könne. Eine solche entsprechende Änderung sei sowohl die für die streitige Kündigung ursächliche Einschränkung des Flugbetriebs durch Stillegung von 37 Flugzeugen als auch die Einschränkung des Flugbetriebs an der Flugschule selbst. Kündigungen, die nicht die notwendige Anzahl erreichten, um als Betriebsänderung zu gelten, seien den Betriebsänderungen “ähnliche” Maßnahmen, also eine entsprechende Änderung im Sinne von § 4 TV Schutz. Nach § 10 Abs. 2 TV Schutz sei eine Kündigung ausgeschlossen, weil der Tarifvertrag keinen Unterschied zwischen solchen Arbeitsverhältnissen mache, die dem Kündigungsschutz unterlägen, und solchen, bei denen das Kündigungsschutzgesetz noch nicht anwendbar sei.

II. Dieser Auslegung der genannten Tarifbestimmungen und ihrer Anwendung durch das Landesarbeitsgericht folgt der Senat nur teilweise.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für die Auslegung von Tarifverträgen geltenden Grundsätze zutreffend wiedergegeben und ist von ihnen ausgegangen. Insoweit hat auch die Revision keine Rügen erhoben. Allerdings unterliegt die Auslegung, da es um Rechtsnormen geht (§§ 1, 4 TVG), der selbständigen Beurteilung durch das Revisionsgericht (vgl. BAGE 55, 298, 301 f. = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).

2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der TV Schutz gelte auch für solche Arbeitsverhältnisse, bei denen gemäß § 1 Abs. 1 KSchG noch kein Kündigungsschutz nach diesem Gesetz bestehe, trifft zu. Der TV Schutz regelt nicht eine generelle Vorverlagerung des allgemeinen Kündigungsschutzes. Er differenziert aber bei seinen Kündigungsbeschränkungen für die speziell in §§ 3 und 4 geregelten Tatbestände auch nicht danach, ob das Arbeitsverhältnis im Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden hat oder nicht. Die Beschränkung betriebsbedingter Kündigungen allein rechtfertigt noch nicht die Annahme, der Kündigungsschutz im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sei ungeschriebene Voraussetzung für das Eingreifen des Tarifvertrages. Dafür bedürfte es eines Anhaltspunktes im Tarifvertrag selbst. Der Kündigungsschutz ist hier kein gesetzlicher, sondern ein spezifisch tariflicher Schutz. Der TV Schutz nimmt weder auf das Kündigungsschutzgesetz Bezug, noch knüpft er bei seinen besonderen Schutzvorschriften an die Wortwahl des Kündigungsschutzgesetzes an. Es geht hier nicht um die soziale Rechtfertigung von Kündigungen und auch nicht um Kündigungen aus “dringenden betrieblichen Erfordernissen”, vielmehr behandelt der TV Schutz speziell den Schutz vor Kündigungen als Folge von Maßnahmen, die sich als Betriebsänderungen im Sinne von § 94 TV Personalvertretung oder als entsprechende Änderungen darstellen.

Im Grunde macht die Revision nur geltend, die Tarifvertragsparteien könnten den Schutz des Tarifvertrages für Arbeitsverhältnisse in den ersten sechs Monaten nicht gewollt haben. Abgesehen davon, daß ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien möglicherweise schon deshalb nicht bestand, weil diese bei den Tarifvertragsverhandlungen an nicht dem Schutz des Kündigungschutzgesetzes unterfallende Arbeitsverhältnisse gar nicht gedacht haben, hat er jedenfalls im Wortlaut des TV Schutz keinerlei Niederschlag gefunden. Es geht in diesem Tarifvertrag überhaupt nicht um eine Verkürzung oder Aufhebung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. Letzteres ist lediglich für bestimmte Tatbestände betrieblich motivierter Kündigungen eine von den Tarifvertragsparteien vielleicht nicht gesehene, aber jedenfalls im Tarifvertrag auch nicht ausgeschlossene Rechtsfolge. Darin unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend von dem, den der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1987 (BAGE 55, 298 = AP, aaO) zu beurteilen hatte. Dort ging es nicht etwa um einen speziellen tariflichen Kündigungsschutz, sondern um den allgemeinen Kündigungsschutz des § 1 KSchG und die Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, wozu allerdings eine besondere tarifliche Regelung erforderlich ist, wenn die Tarifvertragsparteien die Anrechnung wollen.

3. Beizupflichten ist auch der Auslegung des Landesarbeitsgerichts, Fluglehrer unterfielen dem persönlichen Anwendungsbereich des TV Schutz. Betrachtet man nur § 1 Abs. 2 TV Schutz in Verbindung mit § 1 Abs. 1 MTV Bord und der zugehörigen Anlage 1 Ziffer 1d, so bestehen keine Zweifel. Eine den persönlichen Geltungsbereich wieder einschränkende und Fluglehrer ausschließende Regelung enthält aber auch § 3 TV Schutz nicht, wenn dort von erheblichen Nachteilen für das Cockpit- bzw. Kabinenpersonal die Rede ist. Dem steht, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend gesehen hat und was die Revision übergeht, § 11 Abs. 6 f TV Schutz entgegen, der die Verdienstsicherung von Fluglehrern bei der Umschulung zu Flugbegleitern regelt. Eine solche Umschulung ist gemäß § 10 Abs. 1 TV Schutz bei Betriebsänderungen gemäß § 3 TV Schutz in Verbindung mit § 94 TV Personalvertretung vorgesehen. Die Regelung des § 11 Abs. 6 f TV Schutz setzt damit stillschweigend voraus, daß auch Fluglehrer von Betriebsänderungen i.S.v. § 3 TV Schutz i.V.m. § 94 TV Personalvertretung nachteilig betroffen sein können und dann den Schutz des erstgenannten Tarifvertrages genießen. Daß eine Betriebsänderung oder eine entsprechende Änderung, die den Arbeitsplatz eines Fluglehrers entfallen läßt und nach der Vorstellung der Beklagten dessen Kündigung rechtfertigt, für den Fluglehrer einen wesentlichen Nachteil im Sinne vom § 5 TV Schutz mit sich bringt, bezweifelt auch die Revision nicht.

4. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat ferner der von der Revision in der mündlichen Verhandlung am 25. April 1996 vorgetragenen Ansicht, aus der Präambel des TV Schutz sei zu entnehmen, daß der Tarifvertrag nur einen Schutz vor Nachteilen durch den Einsatz neuer Technologien, von verbesserten Arbeitsverfahren und durch Änderungen der Organisation und Aufgabenverteilung regele, während es vorliegend um Einsparungen anderer Art gehe. Die Präambel beleuchtet zwar Anlaß und Motive der Tarifvertragsparteien zum Abschluß des TV Schutz, sie gibt aber keine abschließende Aufzählung der schutzauslösenden betrieblichen Veränderungen. Diese werden vielmehr im II. Abschnitt (§§ 3, 4) eindeutig und ohne eine Satz 1 der Präambel entsprechende Einschränkung anhand von § 94 TV Personalvertretung definiert, wobei § 94 TV Personalvertretung die Einschränkung und Stillegung des gesamten Flugbetriebs oder von einzelnen Flotten an erster Stelle nennt. Die Formulierung der Präambel des TV Schutz mag von dem Wunsch geprägt sein, es werde bei der Beklagten wirtschaftlich stets nur aufwärts gehen, eine entsprechende einschränkende Auslegung von §§ 3, 4 TV Schutz rechtfertigt diese Formulierung aber nicht.

5. Dagegen wird die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die streitige Kündigung beruhe auf einer Änderung entsprechend § 94 TV Personalvertretung i.S.v. § 4 TV Schutz, durch die im Berufungsurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gedeckt. Das Landesarbeitsgericht stellt insoweit, wie übrigens auch die Beklagte in ihrer Revisionsbegründung vom 6. Oktober 1995 unter II.1.b (Seite 9 f.) zu Unrecht auf den Betrieb der Verkehrsfliegerschule Bremen ab.

§ 94 TV Personalvertretung setzt Änderungen “des Flugbetriebs” voraus. Als Änderungen des Flugbetriebs gelten gemäß § 94 Nr. 1 TV Personalvertretung “Einschränkung und Stillegung des Flugbetriebs oder von einzelnen Flotten”. Die genannte Tarifnorm legt damit für die Beteiligung der Personalvertretung bei Betriebsänderungen nicht den Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern einen davon abweichenden Begriff des Flugbetriebs zugrunde. Die Verkehrsfliegerschule mag ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sein, sie ist aber nicht “der Flugbetrieb” der Beklagten und auch nicht der Flugbetrieb einer Flotte i.S.v. § 94 TV Personalvertretung.

Allerdings hat der Kläger darauf hingewiesen, entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts könne zwischen dem Schulungsbetrieb der Flugschule einerseits und dem Flugbetrieb andererseits nicht strikt getrennt werden. Auch an der Verkehrsfliegerschule gebe es eine Flugbetriebsleitung, auch die nicht im “richtigen” Flugzeug, sondern am Simulator verbrachte Arbeitszeit gelte begrifflich als Flugzeit und der Simulator selbst sei beim Luftfahrtbundesamt als Flugzeug angemeldet und eingetragen. Dies hat die Beklagte nicht bestritten. Daraus folgt, daß der Betrieb der Verkehrsfliegerschule als solcher zwar kein Flugbetrieb ist, aber zum Flugbetrieb im Sinne von § 94 TV Personalvertretung gehört. Dies steht mit der dargelegten Tarifsystematik im Einklang. Fluglehrer zählen danach tarifrechtlich zu den Flugzeugführern und ihre Arbeitsverhältnisse unterfallen bei Änderungen des Flugbetriebes dem TV Schutz; die Tarifvertragsparteien gingen demnach ersichtlich ebenfalls davon aus, daß die Tätigkeit der Fluglehrer Teil des gesamten Flugbetriebs ist. Dies bedeutet, daß eine Einschränkung des Ausbildungsbetriebs der Flugschule zugleich eine Änderung des Flugbetriebs der Beklagten darstellt. Umgekehrt darf aber bei einer über die Flugschule hinausgehenden Einschränkung des Flugbetriebs der Beklagten für die Frage, ob von der betrieblichen Veränderung erhebliche Teile (§ 3 TV Schutz) oder nicht erhebliche Teile (§ 4 TV Schutz) der Belegschaft betroffen sind, nicht allein auf die Belegschaft der Verkehrsfliegerschule abgestellt werden. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn § 94 TV Personalvertretung von mehreren Betrieben der Beklagten i.S. des Betriebsverfassungsgesetzes mit jeweils einem eigenen Flugbetrieb ausgehen würde, so daß auch für den Flugbetrieb der Verkehrsfliegerschule separat das Vorliegen der Voraussetzungen der Tarifnorm geprüft werden müßte. Das ist jedoch, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang entnehmen läßt, nicht der Fall. Der TV Personalvertretung sieht nämlich nicht etwa die Errichtung eigenständiger Personalvertretungen für verschiedene Betriebe bzw. Flugbetriebe der Beklagten vor, sondern nur eine Gruppenvertretung für jede Gruppe des Bordpersonals der Beklagten und eine Gesamtvertretung für den Flugbetrieb der Beklagten (§§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1, 5, 30, 42 TV Personalvertretung). Für einen eigenen Flugbetrieb “Verkehrsfliegerschule Bremen” gäbe es daher keine entsprechende Personalvertretung, mit der gemäß § 95 TV Personalvertretung über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt werden könnte.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die Kündigungen gegenüber fünf Fluglehrern und die Auflösung eines Lehrgangs der Flugschule Teil eines umfassenderen, über die Flugschule hinausgreifenden Sanierungskonzepts der Beklagten, im Zuge dessen auch 37 Flugzeuge stillgelegt und 32 Copiloten entlassen wurden. Es liegt daher eine Änderung (Einschränkung) des Flugbetriebs der Beklagten mit wesentlichen Nachteilen für mehr als 29 Arbeitnehmer und damit für erhebliche Teile des Bordpersonals im Sinne von § 94 TV Personalvertretung, § 3 TV Schutz vor (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 3 KSchG) und nicht etwa nur eine Änderung entsprechend § 94 TV Personalvertretung, § 4 TV Schutz, welche keine erheblichen Teile der Belegschaft betrifft (zum Rückgriff auf § 17 Abs. 1 KSchG für die insoweit maßgebliche Zahl betroffener Arbeitnehmer vgl. BAG Urteil vom 7. August 1990 – 1 AZR 445/89 – EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 27, m.w.N.). Damit hängt die tarifrechtliche Zulässigkeit der streitigen Kündigung davon ab, ob sie durch Maßnahmen gemäß §§ 6 ff. TV Schutz, notfalls gemäß § 10 Abs. 1 TV Schutz vermieden werden konnte. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1995 hat die Beklagte unter Beweisantritt vorgetragen, Mittel zur Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der genannten Vorschriften habe es nicht gegeben. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch dazu, aus seiner Sicht folgerichtig, keine Feststellungen getroffen.

6. Sollte sich im erneuten Berufungsverfahren ergeben, daß die Kündigung nicht gemäß §§ 6 ff. TV Schutz vermeidbar war, wird es auf die weiteren vom Kläger geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe ankommen. Allerdings wäre aufgrund des Umfangs des tariflichen Kündigungsschutzes die Frage einer Sozialwidrigkeit der Kündigung gemäß § 1 KSchG schon weitgehend geklärt. Ob der allgemeine Kündigungschutz, wie der Kläger geltend macht, wirksam vertraglich vorverlagert wurde, könnte deshalb evtl. offen bleiben. Zu prüfen ist aber insbesondere, ob die Kündigung aus den vom Kläger vorgetragenen Gründen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt. Auch hierzu fehlen überwiegend Tatsachenfeststellungen seitens des Berufungsgerichts, weshalb der Senat nicht gemäß § 565 Abs. 3 ZPO selbst entscheiden konnte.

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Timpe, Bensinger

 

Fundstellen

Haufe-Index 884810

NZA 1996, 1168

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