Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnpfändung. verschleiertes Arbeitseinkommen
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn ein Gläubiger verschleiertes Arbeitseinkommen nach § 850 h Abs. 2 ZPO gegen den Drittschuldner geltend macht, muß er sich vorrangige Pfändungen der Vergütung seines Schuldners entgegenhalten lassen.
Normenkette
ZPO § 850 h Abs. 2, § 804 Abs. 3, § 832
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.08.1992; Aktenzeichen 8 Sa 281/92) |
ArbG Koblenz (Urteil vom 11.02.1992; Aktenzeichen 5 (7) Ca 1135/90 N) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. August 1992 – 8 Sa 281/92 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des von der Beklagten als Drittschuldnerin an den Streitverkündeten zu zahlenden Arbeitseinkommens.
Die Beklagte ist Inhaberin eines Optikerfachgeschäftes in S…. Der Schuldner und Streitverkündete ist bei ihr als Optikermeister täglich in der Zeit von 9.00 Uhr bis 12.30 Uhr und von 14.00 Uhr bis 18.30 Uhr beschäftigt. Seine monatliche Nettovergütung beträgt 1.720,00 DM bis 1.739,99 DM. Der Schuldner ist gegenüber zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet.
Die Klägerin ist Gläubigerin eines vom Amtsgericht Passau unter dem 2. Oktober 1989 gegen den Schuldner erlassenen Vollstreckungsbescheides über 5.634,71 DM zuzüglich Zinsen und Kosten. Wegen dieser Forderung und der weiteren Vollstreckungskosten erwirkte sie am 14. März 1990 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß über das gesamte gegenwärtige und zukünftige Arbeitseinkommen des Schuldners. Dieser Titel wurde der Beklagten am 19. März 1990 zugestellt.
Die Beklagte erkannte die Forderung gegenüber der Klägerin an, teilte ihr jedoch mit, wegen vorrangiger Forderungen in Höhe von 73.056,70 DM könnten zur Zeit keine Beträge gezahlt werden. Von dem Arbeitseinkommen des Schuldners werden aufgrund einer Gehaltsabtretung vom November 1989 monatlich 150,00 DM an den Abtretungsgläubiger von der Beklagten überwiesen.
Nach einer Pfändung von Bankkonten des Schuldners reduzierte die Klägerin ihre Forderung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 14. März 1990 auf 5.453,91 DM zuzüglich laufender Zinsen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die dem Schuldner von der Beklagten gezahlte Vergütung sei unverhältnismäßig gering. Aufgrund seiner Qualifikation und Tätigkeit als Optikermeister im Geschäft der Beklagten sei mindestens ein Nettomonatsverdienst von 3.000,00 DM angemessen. Unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung des Schuldners ergebe sich ein pfändbarer Betrag in Höhe von 669,60 DM. Hiervon müsse lediglich der Betrag in Abzug gebracht werden, den die Beklagte aufgrund der Gehaltsabtretung von November 1989 an den Abtretungsgläubiger abführe. Mit Zustellung der vorliegenden Klage sei die Beklagte verpflichtet, jedenfalls einen Betrag von 512,00 DM monatlich an die Klägerin abzuführen. Auf den Vorrang anderer Pfandgläubiger könne sie sich dabei nicht berufen, da diese ihre Ansprüche auf das verschleierte Arbeitseinkommen des Schuldners nicht gerichtlich durchsetzten.
Die Klägerin hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.608,00 DM zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, künftig für die Dauer der Beschäftigung des Streitverkündeten bei ihr monatlich 512,00 DM, beginnend ab dem 31. Juli 1991 bis zur völligen Deckung eines Betrages von 845,91 DM nebst 10% Zinsen aus 3.500,99 DM seit dem 10. Januar 1989 sowie 10% Zinsen aus 1.952,92 DM seit dem 16. Juli 1990 an sie zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Arbeitsvergütung des Schuldners für angemessen. Daneben sei sie wegen der vorrangigen Forderungen anderer Pfandgläubiger zur Zeit nicht verpflichtet, an die Klägerin pfändbare Teile eines etwaig verschleierten Arbeitseinkommens zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat durch Versäumnisurteil nach dem Klageantrag erkannt und den Einspruch der Beklagten durch Urteil zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsurteil ist nicht etwa deswegen aufzuheben, weil es als nicht mit Gründen versehen anzusehen wäre (§ 551 Nr. 7 ZPO). Das am 13. August 1992 verkündete Urteil ist zwar erst Ende März/Anfang April 1993 schriftlich niedergelegt und von allen Richtern unterschrieben der Geschäftsstelle zugegangen. Eine entsprechende Rüge hat die Klägerin innerhalb der Revisionsbegründungsfrist jedoch nicht erhoben.
II.
Die Klägerin hat zur Zeit keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung pfändbarer Teile von verschleiertem Arbeitseinkommen des Schuldners.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, kann die Klägerin ihren Anspruch allein auf § 850 h Abs. 2 ZPO stützen. Danach gilt bei einem Arbeits- oder Dienstverhältnis des Schuldners zu einem Dritten in Verhältnis zum Gläubiger eine angemessene Vergütung als geschuldet, wenn die Arbeits- oder Dienstleistung üblicherweise vergütet wird und das tatsächliche Arbeitseinkommen des Schuldners unverhältnismäßig gering ist.
1. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Arbeitsentgelt des Schuldners als unverhältnismäßig gering anzusehen ist und, wie die Klägerin meint, ein monatliches Nettoeinkommen von 3.000,00 DM eine angemessene Vergütung des Schuldners wäre. Selbst wenn dieser Betrag im Verhältnis zwischen den Parteien als geschuldet anzusehen wäre, könnte die Klägerin von der Beklagten keine Zahlung verlangen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben bei Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses der Klägerin am 19. März 1990 vorrangige Forderungen anderer Gläubiger in Höhe von insgesamt 73.056,70 DM bestanden. Diese Feststellungen sind von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und für den Senat daher bindend (§ 561 ZPO).
2. Von diesen Pfändungen der mit besserer Rangstelle ausgestatteten Gläubiger werden gleichzeitig bestehende Ansprüche auf verschleiertes Arbeitseinkommen des Schuldners erfaßt.
Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom 13. November 1990 – IX ZR 17/90 – AP Nr. 17 zu § 850 h ZPO) davon abgesehen, im Rahmen des § 850 h Abs. 2 ZPO nur den Pfandgläubiger zu berücksichtigen, der einen Anspruch auf verschleiertes Arbeitseinkommen gerichtlich geltend macht. Entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung (ArbG Lübeck Urteil vom 4. November 1982 – 4 Ca 967/82 – MDR 1984, 174) kann dem Wortlaut der Vorschrift kein Hinweis darauf entnommen werden, daß als Gläubiger nur in Betracht komme, wer den Anspruch auf verschleiertes Arbeitseinkommen gerichtlich durchsetzt. Hiergegen spricht auch die Systematik des Zwangsvollstreckungsrechts, die auf die zeitliche Reihenfolge der Pfandrechtsentstehung abstellt. Soweit ersichtlich hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch in der Literatur keinen Widerspruch erfahren (Grunsky, JZ 1991, 245 f.; Münzberg, EWiR 1991, 309 f.; Hintzen, EWiR 1991, 1245 f.; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 850 h Rz. 4; nunmehr auch Zöller/Stöber, ZPO, 18. Aufl., § 850 h Rz. 9).
Der Senat schließt sich der vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung an. Bereits in einer früheren Entscheidung hat er Zweifel geäußert, ob das vorrangige Pfandrecht anderer Gläubiger in diesen Fällen außer Betracht bleibt, ohne diese Frage abschließend zu entscheiden (BAGE 65, 147, 154 AP Nr. 21 zu § 554 ZPO, zu II der Gründe).
Ein Durchbrechen des Prioritätsprinzips (§ 804 Abs. 3, § 832 ZPO) zugunsten des Gläubigers, der einen Anspruch auf verschleiertes Arbeitseinkommen gerichtlich durchsetzt, findet nicht statt. Für eine solche Sichtweise bietet der Wortlaut des § 850 h ZPO keine Anhaltspunkte, wie schon der Bundesgerichtshof zutreffend ausgeführt hat. Die Vorschrift nennt allgemein den „Gläubiger” des Schuldners als gegenüber dem Drittschuldner Anspruchsberechtigten, wenn zwischen diesem und dem Schuldner eine unangemessen niedrige Arbeitsvergütung vereinbart wird. Die Gläubigerstellung ergibt sich bereits aus einem bestehenden Schuldverhältnis, sie ist von der gerichtlichen Durchsetzung eines Anspruchs unabhängig.
Eine von der allgemeinen Rechtssprache abweichende Interpretation des Begriffs findet entgegen der Auffassung der Revision in Gesetzeswortlaut und -systematik keine Stütze. In § 850 h Abs. 2 ZPO werden Anspruchsvoraussetzungen und -höhe der vom Gesetz unterstellten Vergütungsforderung des Schuldners unmittelbar und abschließend geregelt (Grunsky, JZ 1991, 245 f.). Das Verhältnis der Pfandgläubiger zueinander wird von § 850 h Abs. 2 ZPO nicht erfaßt, vielmehr verbleibt es insoweit bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften. Die nach Abs. 2 Satz 2 zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles dienen nur der inhaltlichen Konkretisierung des nach Satz 1 im Verhältnis zwischen Gläubiger und Drittschuldner fingierten Anspruchs.
3. Ein nachrangiger Gläubiger kann von dem Drittschuldner erst dann erfolgreich Zahlung verlangen, wenn unter Berücksichtigung des verschleierten Arbeitseinkommens und der tatsächlichen Zahlungen die vorrangigen Pfandgläubiger befriedigt worden wären. Den früher begründeten Pfandrechten kommt die bessere Rangstelle im Verhältnis zu dem nachrangigen Gläubiger nur solange zu, soweit ihr Pfandrecht nicht durch die vom Drittschuldner abzuführenden Beträge als befriedigt anzusehen wäre (BGH Urteil vom 13. November 1990 – IX ZR 17/90 – AP, a.a.O.; Münzberg, a.a.O., S. 310).
4. Danach kann die Klägerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch keine Zahlung verlangen. Nach Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen des Schuldners stünde bei dem von der Klägerin als angemessen angesehenen Nettoeinkommen von 3.000,00 DM ein Betrag von monatlich 669,60 DM zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung. Bei einem Zeitraum von insgesamt 33 Monaten (beginnend am 3. November 1989) wären von 73.056,70 DM vorrangigen Forderungen erst 22.096,80 DM (bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht) von der Beklagten zu zahlen gewesen.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
BB 1994, 2284 |
BB 1995, 415 |
NJW 1995, 414 |
NZA 1995, 47 |
AP, 0 |