Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterschutzfrist und vermögenswirksame Leistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 1 Abs 4 der Anlage 9 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) besteht während der Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs 2 und § 6 Abs 1 MuSchG kein Anspruch auf Abführung vermögenswirksamer Leistungen.
2. Diese Regelung verstößt nicht gegen mutterschutzrechtliche Schutznormen, weil die vermögenswirksamen Leistungen nach § 12 Abs 7 des 3. VermögensbildungsG arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts sind und deshalb in die Berechnung des Zuschusses des Arbeitgebers zum Mutterschutzlohn eingehen.
Normenkette
MuSchG § 6 Abs. 1, § 3 Abs. 2; VermBG § 12 Abs. 7 Fassung 1975-01-15; VermBG 3 § 12 Abs. 7 Fassung 1975-01-15
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 30.09.1982; Aktenzeichen 11 Sa 81/82) |
ArbG Göttingen (Entscheidung vom 13.05.1982; Aktenzeichen 2 Ca 273/82) |
Tatbestand
Die Klägerin war vom 1. Oktober 1972 bis zum Ablauf ihres Mutterschaftsurlaubs am 24. Januar 1982 in einem von der Beklagten geführten Krankenhaus beschäftigt. Die Mutterschutzfristen des § 3 Abs. 2 und des § 6 Abs. 1 MuSchG lagen zwischen dem 10. Juni 1981 und dem 19. September 1981. Während dieser Schutzfristen zahlte die Beklagte den Arbeitgeberzuschuß zum Mutterschaftsgeld. Den Arbeitgeberanteil der vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von monatlich 13,-- DM hat sie für die Monate Juli, August und September 1981 nicht abgeführt und sich dabei auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) berufen. Die Parteien haben die Anwendung der AVR nebst deren Anlagen auf das Arbeitsverhältnis vereinbart. § 1 Abs. 4 der Anlage 9 der AVR lautet wie folgt:
"Anlage 9 - vermögenswirksame Leistungen
§ 1 Voraussetzungen und Höhe der vermögens-
wirksamen Leistungen
...
Abs. 4: Die vermögenswirksame Leistung wird nur
für die Kalendermonate gewährt, für die dem Mit-
arbeiter Dienstbezüge, Urlaubsvergütung oder
Krankenbezüge zustehen. Für den zu einer Ausbil-
dung Beschäftigten treten anstelle der Dienstbe-
züge die Ausbildungsbeihilfe bzw. der Unterhalts-
zuschuß."
Was unter "Dienstbezügen" zu verstehen ist, ist in der Anlage 1 zu den AVR "Vergütungsordnung" wie folgt bestimmt:
"II. Dienstbezüge
(a) Die dem Mitarbeiter monatlich zu gewährenden
Dienstbezüge bestehen aus:
1. der Grundvergütung (Abschnitt III und IV)
2. dem Ortszuschlag (Abschnitt V)
3. den sonstigen Zulagen (Abschnitt VIII).
Die sonstigen Zulagen sind Stellenzulagen (VIII
lit. a), widerrufliche Leistungszulagen (VIII
lit. b), Zulagen für besonders gefährliche oder
gesundheitsschädliche Arbeiten (VII lit. e)."
Da die Beklagte die vermögenswirksamen Leistungen für drei Monate nicht abgeführt hat und eine nachträgliche Abführung auch nicht mehr möglich ist, begehrt die Klägerin Auszahlung des Betrages an sich. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei auch während der Mutterschutzfrist der Klägerin verpflichtet gewesen, die vermögenswirksamen Leistungen abzuführen. Zwar handele es sich bei dem Zuschuß des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld nicht um eine Vergütung im Sinne der Anlage 9 der AVR; der Zuschuß sei aber als Entgeltfortzahlung anzusehen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die
Klägerin 39,-- DM netto nebst 4 %
Zinsen seit dem 24. Januar 1982 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht verpflichtet, während der Mutterschutzfristen der Klägerin für diese die vermögenswirksamen Leistungen abzuführen. Der Zuschuß des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld sei weder als Dienst- oder Krankenbezug noch als Urlaubsvergütung anzusehen. Der Arbeitgeberanteil der vermögenswirksamen Leistungen sei vielmehr in dem Zuschuß zum Mutterschaftsgeld bereits enthalten. Der Zuschuß errechne sich nach den Bruttobezügen; die vermögenswirksamen Leistungen seien dem Bruttoverdienst hinzuzurechnen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Die von der Beklagten gegen das Urteil am 9. Juni 1982 eingelegte Berufung ist von Assessor M als einem der Prozeßbevollmächtigten des Arbeitgeberverbandes Südhannover e.V. unterzeichnet. Die Beklagte hatte am 25. Februar 1982 einen Aufnahmeantrag beim Arbeitgeberverband Südhannover e.V. gestellt; der Arbeitgeberverband hat den Beitritt der Beklagten unter dem 3. März 1982 bestätigt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als zulässig und begründet angesehen und die Klägerin mit ihrer Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als zulässig angesehen. Die Beklagte war in der Berufungsinstanz durch Assessor M vom Arbeitgeberverband Südhannover e.V. wirksam vertreten.
1. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist die Postulationsfähigkeit der Vertreter von Vereinigungen von Arbeitgebern davon abhängig, daß sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und das Mitglied der Vereinigung in dem Rechtsstreit Partei ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband Südhannover e.V. Nach dessen Satzung (§ 4) kann die Mitgliedschaft erworben werden von jedem selbständigen Gewerbetreibenden aus Handel, Handwerk, Industrie und Gewerbe sowie von jedem Landwirt und Angehörigen eines freien Berufes, soweit derselbe seinen Sitz oder eine Niederlassung im Wirkungsbereich des Verbandes hat. Die Mitgliedschaft wird erworben durch Anmeldung bei dem Vorstand, der die Geeignetheit des Antragstellers als Mitglied zu prüfen hat und danach über die Aufnahme entscheidet. Der Arbeitgeberverband Südhannover e.V. hat den Aufnahmeantrag der Beklagten angenommen. Diese ist damit Mitglied in dem Verein geworden.
2. Die Klägerin hatte die Mitgliedschaft der Beklagten zunächst mit der Begründung bezweifelt, bei der Beklagten handele es sich um eine kirchliche Einrichtung und damit vertrage sich nicht die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt, daß die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts Arbeitgeber ist und privatrechtliche Arbeitsverträge begründen kann. Sie kann daher auch Mitglied in einem Arbeitgeberverband sein. Insoweit greift die Revision das angefochtene Urteil auch nicht an.
3. In der Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, die Beklagte erfülle deshalb nicht die satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft bei dem Arbeitgeberverband, weil sie kein Gewerbe betreibe. Hierauf kommt es jedoch nach der Satzung nicht an, denn auch Landwirte und Angehörige eines freien Berufes können die Mitgliedschaft in dem Arbeitgeberverband nach dessen Satzung erwerben.
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auch zu Recht als unbegründet abgewiesen.
Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin, nämlich Zahlung des Arbeitgeberanteils an den vermögenswirksamen Leistungen an sich, kommt allenfalls Schadenersatz aus positiver Vertragsverletzung (§ 276 BGB) in Frage. Das setzt voraus, daß die Beklagte verpflichtet war, während der Mutterschutzfristen der Klägerin die vermögenswirksamen Leistungen für diese abzuführen. Das ist aber nicht der Fall. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte nicht verpflichtet war, während der Mutterschutzfristen vermögenswirksame Leistungen für die Klägerin abzuführen. Die zugunsten der Klägerin zu zahlenden vermögenswirksamen Leistungen waren in dem von der Beklagten gezahlten Zuschuß zum Mutterschaftsgeld bereits enthalten.
1. Nach § 1 Abs. 4 der Anlage 9 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) wird die vermögenswirksame Leistung nur für die Kalendermonate gewährt, für die dem Mitarbeiter Dienstbezüge, Urlaubsvergütung oder Krankenbezüge zustehen. Was hierunter zu verstehen ist, ist in Abschnitt II der Anlage 1 zu den AVR festgelegt. Danach bestehen die Dienstbezüge aus der Grundvergütung, dem Ortszuschlag und den sonstigen Zulagen. Der Zuschuß des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG fällt nicht hierunter. Bei diesem Zuschuß handelt es sich seiner Rechtsnatur nach zwar um einen arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch (Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 14 Rz 83; Gröninger/Thomas, MuSchG Stand Okt. 1982, § 14 Anm. 1). Dennoch ist der Zuschuß nicht als Dienstbezug im Sinne von § 1 Abs. 4 der Anlage 9 zu den AVR anzusehen. Bei den in dieser Bestimmung genannten Ansprüchen handelt es sich vielmehr um solche, die den Gesamtlohn umfassen (vgl. dazu auch BAG Urteil vom 13. Oktober 1982 - 5 AZR 370/80 - AP Nr. 114 zu § 611 BGB Gratifikation, zu I 1 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
2. Gegen die Wirksamkeit der in der Anlage 9 zu den AVR enthaltenen Regelung, wonach die vermögenswirksamen Leistungen während der Mutterschutzfrist der Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber nicht abzuführen sind, bestehen auch keine Bedenken.
a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats darf sich die Zeit der Mutterschutzfrist zwar nicht lohnmindernd auswirken. Daher kann z. B. eine jährlich zu zahlende Jahressonderleistung wegen Fehlzeiten, die durch die Inanspruchnahme der Mutterschutzfristen entstehen, nicht anteilig gekürzt werden; eine etwa in einem Tarifvertrag enthaltene entgegenstehende Regelung ist daher nichtig (BAG Urteil vom 13. Oktober 1982 - 5 AZR 370/80 - AP Nr. 114 zu § 611 BGB Gratifikation). Denn Sinn und Zweck der §§ 11 und 14 MuSchG ist es, die im Arbeitsverhältnis stehenden Frauen vor wirtschaftlichen Nachteilen infolge der Schwangerschaft und der Entbindung zu bewahren. Ihnen soll während der auf Mutterschaft beruhenden Freistellung von der Arbeit ihr bisheriger aus der Berufstätigkeit herrührender Lebensstandard gesichert sein. Durch die Schutzbestimmungen zugunsten der Mütter soll erreicht werden, daß auch bei schwangerschaftsbedingten Fehlzeiten keine Verdienstminderung eintritt. Damit soll zugleich jeder Anreiz für die Mutter entfallen, entgegen der gesetzlich normierten Fürsorge die Arbeit zu ihrem und des Kindes Schaden fortzusetzen (Bulla/Buchner, aaO, § 11 Rz 1; Gröninger/Thomas, aaO, § 11 Anm. 1).
b) Die in der Anlage 9 zu den AVR enthaltenen Regeln, die einer Abführung der vermögenswirksamen Leistungen zugunsten der Arbeitnehmerin während der Zeit der Mutterschutzfrist entgegenstehen, widersprechen jedoch nicht dem Schutzgedanken des Mutterschutzgesetzes. Denn bei der Berechnung des Arbeitgeberzuschusses zum Mutterschaftsgeld sind die vermögenswirksamen Leistungen bereits mitberücksichtigt. Das ergibt sich aus folgendem:
Der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG "in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Mutterschaftsgeld und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt" zu zahlen. Es ist also der durchschnittliche arbeitstägliche Nettoverdienst der Arbeitnehmerin zu ermitteln. Im Gegensatz zu § 13 Abs. 2 MuSchG und § 200 RVO ist dabei nicht der versicherungsrechtliche, sondern der arbeitsrechtliche Entgeltbegriff zugrunde zu legen (Bulla/Buchner, aaO, § 14 Rz 51; Gröninger/Thomas, aaO, § 14 Anm. 4 c; Meisel/Hiersemann, MuSchG, 2. Aufl., § 14 Rz 5; Zmarzlik/Zipperer, MuSchG, Mutterschaftshilfe, 3. Aufl., § 14 Anm. 15). Durch § 12 Abs. 7 des Dritten Vermögensbildungsgesetzes in der Fassung vom 15. Januar 1975 (BGBl. I S. 258), das in der hier fraglichen Zeit galt, ist klargestellt, daß vermögenswirksame Leistungen arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts sind. (Im Vierten Vermögensbildungsgesetz vom 6. Februar 1984, BGBl. I S. 201 findet sich die gleichlautende Vorschrift in § 12 Abs. 8). Die vermögenswirksamen Leistungen gehören daher zum Bruttoentgelt.
Bei der Berechnung des Nettoverdienstes wird das im Berechnungszeitraum ermittelte Bruttoarbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert. Hierzu zählen die Lohnsteuer, die Kirchensteuer und die Sozialversicherungsanteile der Arbeitnehmerin, nicht dagegen freiwillige Versicherungsbeiträge, Bausparkassenbeiträge und vermögenswirksam angelegte Entgeltbestandteile (Bulla/Buchner, aaO, § 13 Rz 119).
Die vermögenswirksamen Leistungen gehen daher als Teil des Arbeitsentgeltes in die Bemessung des Mutterschaftsgeldes ein.
c) Der Tarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen an Angestellte vom 17. Dezember 1970 i. d. F. der Tarifverträge vom 19. Januar 1972, 16. März 1977 und 18. April 1980 enthält in § 1 Abs. 4 fast wortgleich die Regelung, die sich in der Anlage 9 zu den AVR befindet. Auch nach dieser Bestimmung wird die vermögenswirksame Leistung nur für Kalendermonate gewährt, für die dem Angestellten Vergütung, Urlaubsvergütung oder Krankenbezüge zustehen. In der Kommentierung zu dieser Vorschrift ist ebenfalls ausgeführt, daß nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz die vermögenswirksame Leistung als Teil des Arbeitsentgelts selbst bei Weiterzahlung während des Bezugs von Mutterschaftsgeld auf dieses angerechnet würde (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Bd. III, Teil VI, vermögenswirksame Leistungen an Angestellte, Fußn. 9).
3. Die Beklagte hat, von der Klägerin unbestritten, bereits in der Klageerwiderung vorgetragen, daß der Arbeitgeberanteil der vermögenswirksamen Leistungen für die Zeit der Mutterschutzfrist der Klägerin in der Pauschalabrechnung zum Zuschuß zum Mutterschaftsgeld enthalten und von der Beklagten gezahlt worden ist. Die Beklagte war daher in den Monaten Juli, August und September 1981 nicht verpflichtet, den Arbeitgeberanteil der vermögenswirksamen Leistungen für die Klägerin abzuführen.
Dr. Thomas Michels-Holl Richter Schneider
ist durch Urlaub
an der Unterschrift
verhindert
Dr. Thomas
Flachsenberg Scherer
Fundstellen
Haufe-Index 440200 |
BAGE 46, 174-179 (LT1-2) |
BAGE, 174 |
BB 1984, 2193-2194 (LT1-2) |
DB 1984, 2714-2714 (LT1-2) |
FamRZ 1985, 64-65 (LT1-2) |
ARST 1985, 26-27 (LT1-2) |
NZA 1985, 223-224 (LT1-2) |
USK, 8494 (ST1) |
AP § 14 MuSchG 1968 (LT1-2), Nr 2 |
AR-Blattei, ES 1220 Nr 75 (LT1-2) |
AR-Blattei, Mutterschutz Entsch 75 (LT1-2) |
EzA § 3 MuSchG, Nr 1 (LT1-2) |