Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung anderer Einkünfte bei Umzug in Karenzzeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird eine zwingend mit einem Umzug verbundene neue Tätigkeit durch Umstände beendet, auf die der Arbeitnehmer keinen Einfluß hat und nimmt er in unmittelbarem Anschluß daran eine neue Stelle an, die ebenfalls zwingend mit einem Umzug verbunden ist, so löst der jetzt vollzogene Umzug im Wettbewerbsverbot die erhöhte Anrechnungsfreigrenze für andere Einkünfte auch schon für die vorhergehende Zeit.

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.04.1986; Aktenzeichen 5 (1) Sa 7/85)

ArbG Ulm (Entscheidung vom 03.05.1983; Aktenzeichen 2 Ca 811/82)

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 1982 eine rückständige Karenzentschädigung in Höhe eines Betrags von 13.410,-- DM.

Der Kläger war bei der Beklagten an deren Geschäftssitz in R beschäftigt, und zwar zuletzt als Verkaufsdirektor und Stellvertreter des Geschäftsführers. Er schied am 31. März 1982 aufgrund eigener Kündigung aus. Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien war unter § 6 ein Wettbewerbsverbot für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer von zwei Jahren vereinbart. Die Karenzentschädigung sollte 50 % der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen betragen. Auf die einschlägigen Vorschriften des Handelsgesetzbuchs war verwiesen.

Am 1. April 1982 übernahm der Kläger zunächst eine Tätigkeit bei der Firma W Österreich in I. Damit verbunden war eine Beratertätigkeit für die Firma W Schweiz. Diese Tätigkeit endete am 30. September 1982, da die dem Kläger zunächst für sechs Monate erteilte Arbeitserlaubnis nicht verlängert wurde. Am 1. Oktober 1982 trat der Kläger eine branchenfremde Stelle als Geschäftsführer einer GmbH in K bei M an. Er zog mit seiner Familie von R nach M um.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte schulde ihm für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 1982 noch zusätzliche Karenzentschädigung. Da er durch das Wettbewerbsverbot zum Umzug gezwungen gewesen sei, betrage der Satz seiner anrechnungsfreien Einkünfte nicht 110 %, sondern 125 % seines letzten Einkommens bei der Beklagten. Der Differenzbetrag ist unstreitig.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

DM 13.410,-- brutto nebst 4 % Zinsen aus

DM 21.750,-- vom 1. Dezember 1982 bis

1. Februar 1983 und aus DM 13.410,-- seit

2. Februar 1983 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, das Wettbewerbsverbot sei nicht ursächlich für den Wohnsitzwechsel des Klägers gewesen. Im näheren Bereich des früheren Wohnsitzes des Klägers in R habe es ohnehin keine Konkurrenzunternehmen gegeben, bei denen der Kläger mit Rücksicht auf das Wettbewerbsverbot nicht habe tätig werden dürfen. Die Tätigkeit für die W Österreich habe den Kläger nicht zum Umzug veranlaßt; nach M sei er erst nach Aufnahme der Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH umgezogen, also erst im Anschluß an die Zeit, für die er den erhöhten Anrechnungsfreibetrag von 125 % des früheren Einkommens verlange.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zunächst durch Urteil vom 29. November 1983 zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Senat die Sache durch Urteil vom 10. September 1985 (3 AZR 31/84 - AP Nr. 12 zu § 74 HGB) an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses hat durch Urteil vom 11. April 1986 die Berufung des Klägers abermals zurückgewiesen. Mit der erneuten Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, für den Klagezeitraum könne der Kläger die erhöhte Karenzentschädigung schon deshalb nicht verlangen, weil er erst anschließend tatsächlich umgezogen sei.

Durch § 565 Abs. 2 ZPO war das Berufungsgericht nicht gehindert, mit dieser Begründung über das Klagebegehren zu entscheiden. Die Vorschrift bindet das Berufungsgericht an die rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht nur insoweit, wie der in der zweiten Berufungsverhandlung zu beurteilende Sachverhalt auch bereits dem Revisionsgericht zur Entscheidung vorlag (allgemeine Meinung, statt aller: Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 565 Anm. 2 c, m.w.N.). Hier hat der Senat durch sein Urteil vom 10. September 1985 das erste Urteil des Berufungsgerichts deshalb aufgehoben, weil nicht aufgeklärt war, ob der Kläger wegen des Wettbewerbsverbots Stellenangebote ausgeschlagen hatte, die, hätte er sie annehmen dürfen, seinen Umzug nicht erforderlich gemacht hätten. Zudem war nicht aufgeklärt, welche Bewandtnis es mit dem Umzug des Klägers nach Miltenberg hatte. Es war auch nicht ersichtlich, wann der Kläger dorthin umgezogen war.

II. Auch das nunmehr angefochtene Urteil des Berufungsgerichts kann keinen Bestand haben. Der Auffassung, der Kläger könne die erhöhte Karenzentschädigung allenfalls für die Zeit nach seinem Umzug nach Miltenberg beanspruchen (1. Oktober 1982), nicht aber für den Klagezeitraum (1. April bis 30. September 1982), kann nicht gefolgt werden.

1. Gemäß § 74 c Abs. 1 HGB muß sich der Handlungsgehilfe auf die fällige Karenzentschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweite Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt. Anrechnungsfrei bleiben jedoch 110 % der Gesamtbezüge aus Arbeitsverdienst und Karenzentschädigung. War der Arbeitnehmer zum Umzug gezwungen, so erhöht sich gemäß § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB die Anrechnungsfreigrenze auf 125 %.

2. Das Berufungsgericht hat angenommen, die erhöhte Anrechnungsfreigrenze gelte nur für die Zeit nach dem Umzug des Arbeitnehmers. Diese Auffassung trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.

a) Das Berufungsgericht stützt seine Begründungen in erster Linie auf den Wortlaut des § 74 c Abs. 1 HGB. Die Anrechnungsgrenze beziehe sich auf die jeweils fällige Entschädigung, also die nach § 74 b Abs. 1 HGB jeweils fällige Monatsrate. Auf die nach § 74 Abs. 2 HGB maßgebliche Höhe der Karenzentschädigung in Höhe von mindestens der Hälfte der letzten vertragsgemäßen Leistungen des früheren Arbeitgebers pro Jahr des Verbots komme es nicht an. Dem ist zwar insoweit zuzustimmen, als § 74 c Abs. 1 HGB nicht regelt, welche Mindestentschädigung für ein verbindliches Wettbewerbsverbot vereinbart sein muß. Die unter Anrechnung anderweiter Bezüge im Ergebnis zu zahlende Entschädigung wird bei anderen Einkünften des wettbewerbspflichtigen Arbeitnehmers in der Tat häufig niedriger sein. Aber ebensowenig läßt sich dem Wortlaut des § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB entnehmen, von welchem Zeitpunkt an die erhöhte Freigrenze gilt, wenn der Arbeitnehmer im Laufe der Karenzzeit durch das Wettbewerbsverbot gezwungen umzieht. Das Ergebnis läßt sich nur aus dem Zweck der Anrechnungsvorschrift erschließen.

b) § 74 c HGB ist durch Gesetz vom 10. Juni 1914 (RGBl S. 209) in das Handelsgesetzbuch eingeführt worden. Die Anrechnung anderweiten Erwerbseinkommens sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers verhindern, daß durch die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots ein Anreiz dafür geschaffen werde, eine Arbeitsstelle aufzugeben, um sodann, ohne arbeiten zu müssen, von der Karenzentschädigung zu leben oder aber eine neue Stelle anzutreten und, gleichsam als "Prämie für den Stellenwechsel", zusätzlich zum Arbeitsentgelt die Karenzentschädigung zu erhalten. Der Gesetzgeber des Jahres 1914 empfand eine solche Möglichkeit als Mißstand, den es zu verhindern gelte. Daher sei die Anrechnung anderweitigen Erwerbseinkommens geboten. Die Karenzentschädigung wurde als eine Art Schadenersatz verstanden, der dann zu kürzen sei, wenn infolge anderer Einkünfte kein Schaden entstehe. Dennoch sah der Gesetzgeber die Notwendigkeit, einen Anreiz zu schaffen, ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Deswegen soll dem Arbeitnehmer die Karenzentschädigung erhalten bleiben, soweit sie zusammen mit dem Arbeitseinkommen nicht 110 % oder im Falle eines notwendigen Umzugs 125 % des früheren Einkommens übersteigt (vgl. zum Ganzen: Reichstagsdrucksache 1912/1913 Nr. 575 S. 10 f.; 1912/1914 Nr. 1387 S. 51 ff.; ferner Urteil des Senats vom 25. Juni 1985 - BAGE 49, 109, 115 f. = AP Nr. 11 zu § 74 c HGB, zu II 2 c der Gründe). Die Gesetzesmaterialien machen deutlich, daß derjenige, der erhöhte Anstrengungen unternimmt und sogar umzieht, bessergestellt sein soll als der nicht umzugsbereite Arbeitnehmer. Der durch das Wettbewerbsverbot erzwungene Umzug soll kein Hindernis sein, Möglichkeiten eines anderweitigen Erwerbs zu nutzen. Darum soll einem solchen Arbeitnehmer die Karenzentschädigung zu einem höheren Anteil erhalten werden.

c) Der Umzug eines Arbeitnehmers zu dem Zweck, während der Karenzzeit eine neue Arbeitsstelle anzutreten ist kein Vorgang, der lediglich von einem entsprechenden Entschluß abhinge. Ein Umzug läßt sich auch nicht in allen Fällen kurzfristig vollziehen. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, daß sich häufig zeitliche Verzögerungen an die Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses anschließen. Nicht immer wird sogleich eine neue Wohnung zur Verfügung stehen. Es können auch sonstige Hindernisse für den Umzugswilligen auftreten, die in seiner Person, seinen Familienverhältnissen oder in äußeren Umständen begründet sein mögen. Soll unter dem Zwang des Wettbewerbsverbots der Umzugswillige bei der Anrechnung bessergestellt werden als derjenige, der sich dazu nicht entschließt, so können Verzögerungen solcher Art nicht dazu führen, daß erst der tatsächlich vollzogene Umzug, auf dessen Zeitpunkt der Betreffende oft keinen Einfluß hat, zur Anwendung der erhöhten Anrechnungsfreigrenze führt. Ein Arbeitnehmer, der durch das Wettbewerbsverbot gezwungen eine auswärtige Stelle annimmt, die nach sachlicher und vernünftiger Beurteilung mit einem Umzug verbunden sein muß, hat auch schon dann Anspruch auf Berücksichtigung der erhöhten Freigrenze, wenn sich der Umzug aus Gründen verzögert, die er nicht zu vertreten hat.

3. Im Streitfall hat der Kläger vorgetragen, das für das gesamte Bundesgebiet geltende Wettbewerbsverbot habe ihn zunächst nach einer Stelle im Ausland suchen lassen. Er habe das Angebot von W Österreich angenommen und sei willens gewesen, nach I umzuziehen. Er habe dort schon eine Wohnung gefunden gehabt, als ihn die Nachricht erreicht habe, daß seine Arbeitserlaubnis nicht verlängert werde. Erst jetzt habe er kurzentschlossen das branchenfremde Angebot der GmbH angenommen und sei auch sogleich nach M umgezogen. Für dieses Vorbringen hat der Kläger Beweis angetreten (Schriftsatz vom 10. Januar 1986). Dieses Vorbringen ist auch schlüssig. Trifft es zu, so war der Kläger schon im unmittelbaren Anschluß an sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten zum Umzug entschlossen und ist nur aus Gründen, die er nicht zu vertreten hatte, nicht schon sogleich umgezogen. Daß ein Umzug nach I nicht zustande kam, weil seine Arbeitserlaubnis nicht verlängert wurde, ist jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen unerheblich. Das Gesetz begünstigt den Arbeitnehmer, der seinen bisherigen Wohnsitz aufgibt. Wird eine zwingend mit einem Umzug verbundene neue Tätigkeit durch Umstände beendet, auf die der Arbeitnehmer keinen Einfluß hat und nimmt er in unmittelbarem Anschluß daran eine neue Stelle an, die ebenfalls zwingend mit einem Umzug verbunden ist, so löst der jetzt vollzogene Umzug die erhöhte Anrechnungsfreigrenze für andere Einkünfte auch schon für die vorhergehende Zeit aus.

III. Der Senat kann nicht selbst abschließend entscheiden. Das Berufungsgericht hat die vom Kläger für seine Umzugswilligkeit und die Vorbereitung seines Umzugs nach I benannten Zeugen (aa0) nicht vernommen. Das wird nachzuholen sein. Weitere Hinweise sind nicht möglich. Unaufgeklärt ist ferner nach wie vor, ob für den Kläger überhaupt ein Zwang zum Umzug bestand. Zu der Frage, wann ein Zwang zum Umzug anzunehmen ist, hat der Senat im Urteil vom 17. Dezember 1973 (BAGE 25, 444 = AP Nr. 2 zu § 74 c HGB) sowie im Urteil vom 23. Februar 1982 - 3 AZR 676/79 - (AP Nr. 9 zu § 74 c HGB) näher Stellung genommen.

Schaub Dr. Peifer Griebeling

Dr. Bächle Zilius

 

Fundstellen

Haufe-Index 438617

DB 1988, 1959-1960 (LT1)

NJW 1988, 3173

NJW 1988, 3173-3173 (LT1)

SteuerBriefe 1989, 11-11 (K)

ARST 1988, 172-172 (LT1)

NZA 1989, 142-143 (LT1)

RdA 1988, 319

AP § 74c HGB (LT1), Nr 14

AR-Blattei, ES 1830 Nr 154 (LT1)

AR-Blattei, Wettbewerbsverbot Entsch 154 (LT1)

EzA § 74c HGB, Nr 26 (LT1)

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