Leitsatz (redaktionell)
1. Nach BGB § 618 Abs 1 hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die nach den Unfallverhütungsvorschriften vorgeschriebene persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören auch Sicherheitsschuhe.
2. Die Kosten hierfür sind Teil der allgemeinen Betriebskosten. Sie fallen dem Arbeitgeber als Betriebsinhaber zur Last. Diese Kostentragungspflicht kann nicht im voraus einzelvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung ganz oder teilweise abbedungen werden (im Anschluß an BAG 1976-03-10 5 AZR 34/75 = AP Nr 17 zu § 618 BGB).
3. Vereinbarungen, die eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers an der persönlichen Schutzausrüstung vorsehen, sind jedoch dann zulässig, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern über seine gesetzliche Verpflichtung hinaus Vorteile bei der Benutzung oder Verwendung der Sicherheitsschuhe anbietet und der Arbeitnehmer von diesem Angebot freiwillig Gebrauch macht.
Normenkette
BGB §§ 619, 618 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 19.06.1980; Aktenzeichen 9 Sa 737/79) |
ArbG München (Entscheidung vom 17.05.1979; Aktenzeichen 14 Ca 730/79) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, den Kläger anteilig an den Kosten für Sicherheitsschuhe zu beteiligen.
Der Kläger war vom 27. April 1978 bis 27. September 1978 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt. Er war nach den Unfallverhütungsvorschriften verpflichtet, Sicherheitsschuhe zu tragen. Die zwischen der Beklagten und deren Gesamtbetriebsrat am 9. März 1977 geschlossene Betriebsvereinbarung enthält dazu folgende Regelung:
"Sicherheitsschuhe werden grundsätzlich vom Betriebsratsvorsitzenden mit Eigentumsübertragungsschein ausgegeben. Arbeitnehmer ab einer einjährigen Betriebszugehörigkeit erhalten die Schuhe kostenlos.
Alle übrigen Betriebsangehörigen müssen eine Schutzgebühr in Höhe von 18,-- DM leisten, welche vom Lohn einbehalten wird. Scheidet ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Erhalt der Sicherheitsschuhe aus der Firma aus, wird pro Monat 1/12 des Schuhpreises vom Lohn abgezogen. Ein Rückgaberecht der gebrauchten Schuhe besteht nicht.
In der Regel wird jedem Betriebsangehörigen pro Jahr ein Paar Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt. Ersatz kann nur gegen Rückgabe der unbrauchbaren Schuhe beim Betriebsrat verlangt werden, andernfalls müssen die Schuhe voll bezahlt werden."
Anfang Juli 1978 erhielt der Kläger ein Paar Sicherheitsschuhe im Wert von 50,-- DM und unterzeichnete einen "Eigentumsübertragungsschein". In der Lohnabrechnung für August 1978 behielt die Beklagte zunächst einen Betrag von 18,-- DM ein. Als der Kläger ausschied, berechnete sie ihm im September 1978 weitere 19,50 DM.
Der Kläger hält den Lohneinbehalt von insgesamt 37,50 DM für nicht gerechtfertigt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte könne ihn nicht anteilig mit den Kosten für Sicherheitsschuhe belasten. Die Betriebsvereinbarung vom 9. März 1977 sei nichtig, soweit sie eine Kostenbeteiligung der Arbeitnehmer vorsehe. Eine solche Regelung verstoße gegen §§ 618, 619 BGB.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 37,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1978 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die in der Betriebsvereinbarung enthaltene Kostenbeteiligung der Arbeitnehmer mit einer Betriebsangehörigkeit unter einem Jahr sei sachlich geboten. Sie wolle dadurch erreichen, daß der Arbeitnehmer sorgfältig mit den Sicherheitsschuhen umgehe. Bei seinem Ausscheiden erhalte der Arbeitnehmer außerdem einen Vorteil dadurch, daß die Schuhe in seinem Eigentum verblieben. Ein Rückgaberecht der gebrauchten Schuhe sei ausgeschlossen, weil die getragenen Schuhe für die Beklagte wertlos seien; es sei nicht zumutbar, anderen Arbeitnehmern getragene Schuhe auszuhändigen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, von dem Lohn des Klägers einen Betrag von 37,50 DM einzubehalten. Gegenüber dem unstreitigen Lohnanspruch des Klägers steht ihr ein aufrechenbarer Gegenanspruch nicht zu. Der Kläger braucht sich an den Anschaffungskosten für Sicherheitsschuhe nicht zu beteiligen. Soweit die Betriebsvereinbarung eine solche Kostenbeteiligung vorsieht, verstößt sie gegen § 619 BGB in Verbindung mit § 618 Abs. 1 BGB und ist daher nichtig.
I. Nach § 619 BGB können die dem Arbeitgeber nach § 618 BGB obliegenden Verpflichtungen nicht im voraus vertraglich aufgehoben oder beschränkt werden. Zu den in § 618 Abs. 1 BGB normierten Pflichten des Arbeitgebers gehört es, dem Arbeitnehmer die nach den Unfallverhütungsvorschriften vorgeschriebene persönliche Schutzausrüstung bereitzustellen. Dazu gehören im vorliegenden Fall Sicherheitsschuhe.
II. Die Kosten für die persönliche Schutzausrüstung der Arbeitnehmer sind Teil der allgemeinen Betriebskosten. Sie fallen dem Arbeitgeber als Betriebsinhaber zur Last (vgl. Urteil des Senats vom 10. März 1976 - 5 AZR 34/75 - AP Nr. 17 zu § 618 BGB, zu 2 der Gründe, mit zustimmender Anmerkung von Herschel). Zu entscheiden ist aber darüber, ob und inwieweit der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im voraus durch Einzelvertrag oder mit Hilfe einer Betriebsvereinbarung an den Kosten für die persönliche Schutzkleidung beteiligen darf.
1. In dem bereits erwähnten Urteil AP Nr. 17 zu § 618 BGB hat der Senat die Frage offengelassen, ob eine anteilige Belastung der Arbeitnehmer mit den Kosten für Schutzkleidung nach § 619 BGB unabdingbar ist oder ob eine Kostenbeteiligung möglich ist, falls ein sachlicher Grund hierfür vorhanden ist. Als mögliche eine Kostenbeteiligung rechtfertigende Gründe sind erwähnt die Ersparnis privater Arbeitskleidung, das Interesse des Arbeitgebers daran, daß der Arbeitnehmer die Sicherheitsschuhe pfleglich behandelt und schließlich der Erwerb von Eigentum an den Schuhen.
2. Diese Rechtsprechung muß im Interesse der Rechtssicherheit weiterentwickelt werden. Dabei kommt der Senat zu folgenden Grundsätzen: Nicht nur die Verpflichtung des Arbeitgebers, persönliche Schutzausrüstung bereitzustellen, ist unabdingbar; auch die Kostentragungspflicht für diese Schutzausrüstung darf nach § 619 BGB nicht im voraus ganz oder teilweise abbedungen werden.
Wenn der Arbeitgeber nicht verpflichtet wäre, die Kosten für die gesetzlich gebotenen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer vor Gefahren für Leben und Gesundheit zu tragen, würde der Normzweck des § 618 Abs. 1 BGB nur unzureichend gewahrt (vgl. dazu MünchKomm-Lorenz, § 618 Rn 1). In vielen Fällen wäre nicht sichergestellt, daß die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergriffen werden, wenn jeweils eine Abrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder Betriebsrat darüber möglich wäre, ob und wie sich der Arbeitnehmer an den Kosten beteiligen soll. Auch die Einstellung des Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber nicht davon abhängig machen, daß eine Vereinbarung über die Kostenbeteiligung an Schutzvorrichtungen und -maßnahmen zustande kommt.
Für die persönliche Schutzkleidung - hier für Sicherheitsschuhe - kann nichts anderes gelten. Der Arbeitgeber hat diese Schuhe zur Verfügung zu stellen. Er muß sie auf seine Kosten anschaffen. Er kann nach § 619 BGB mit dem Arbeitnehmer keine Vereinbarung darüber treffen, daß dieser die Anschaffungskosten übernimmt oder sich daran beteiligt. Dies würde dem Zweck des § 618 Abs. 1 BGB zuwiderlaufen. Der größtmögliche Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer wäre nicht mehr sichergestellt. Die Norm würde in weiten Bereichen ihren Zweck sogar verfehlen. In vielen Fällen wäre ungeklärt, wer dafür einzutreten hat, daß persönliche Schutzkleidung nicht vorhanden ist oder nicht getragen wird.
3. Das schließt Vereinbarungen über eine Kostenbeteiligung an Sicherheitsschuhen nicht schlechthin aus. Solche Vereinbarungen sind dann zulässig, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern über seine gesetzliche Verpflichtung hinaus Vorteile bei der Benutzung oder Verwendung der Sicherheitsschuhe anbietet. Solche Vorteile kann er sich bezahlen lassen. Gleichzeitig kann er durch solche Vereinbarungen seine berechtigten Interessen wahrnehmen.
Dabei denkt der Senat etwa an eine Vereinbarung, durch die es dem Arbeitnehmer gestattet wird, die Sicherheitsschuhe in seinem privaten Bereich zu tragen. Macht der Arbeitnehmer von einem solchen Angebot Gebrauch, darf er auch an den Kosten beteiligt werden. Entsprechendes gilt wohl auch für eine Kostenbeteiligung, wenn der Arbeitnehmer die Sicherheitsschuhe zu Eigentum erwerben kann. Das wäre ein zusätzlicher Vorteil für den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Sicherheitsschuhe dem Arbeitnehmer zu übereignen. Wenn er dies tut, kann er als Gegenleistung eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers vereinbaren. Es muß aber sichergestellt sein, daß dieser Vorteil dem Arbeitnehmer nicht gegen dessen Willen aufgedrängt wird.
Weiter kann der Arbeitgeber seine berechtigten Interessen an ordnungsgemäßer Verwendung der Sicherheitsschuhe auch dadurch wahren, daß er bei neu eintretenden Arbeitnehmern zunächst einen Kostenanteil vom Lohn einbehält. Er sichert sich damit gegen einen Schaden, der ihm dadurch entstehen kann, daß der Arbeitnehmer nach wenigen Tagen die Arbeitsstelle wieder verläßt, ohne die Schuhe zurückzugeben. Der einbehaltene Betrag ist dann eine Art Kaution. Sie muß zurückgezahlt werden, wenn ein Arbeitnehmer länger beschäftigt wird und Lohnforderungen entstanden sind, gegen die der Arbeitgeber mit Schadenersatzansprüchen aufrechnen könnte.
Schließlich ist es möglich, daß ein Arbeitnehmer die Sicherheitsschuhe auch selbst stellt, etwa weil er sie bei einer anderen Arbeitsstelle zu Eigentum erhalten hatte und nun weiter benutzen will. In einem solchen Fall könnte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Prämie für die Benutzung eigener Schuhe zahlen und so den Kostenaufwand begrenzen.
Diese Aufzählung möglicher Vereinbarungen ist nicht abschließend. Sie soll nur beispielhaft zeigen, in welchem Rahmen solche Vereinbarungen zulässig sind und wie der Kostenaufwand des Arbeitgebers durch sachgerechte Regelungen auf den notwendigen Umfang begrenzt werden kann.
III. Im vorliegenden Fall ist die Betriebsvereinbarung insoweit nichtig, wie sie eine Kostenbeteiligung aller Arbeitnehmer vorsieht, die vor Ablauf eines Jahres seit Begründung des Arbeitsverhältnisses wieder ausscheiden.
Die Betriebsvereinbarung sieht eine solche Kostenbeteiligung verbindlich für alle Arbeitnehmer vor. Das Berufungsgericht meint zwar, dem Arbeitnehmer sei es freigestellt, ob er die Schuhe zu Eigentum erwerben wolle oder nicht. Die Betriebsvereinbarung sehe nur "grundsätzlich", also im Regelfall, eine Eigentumsübertragung vor. Der Arbeitnehmer sei nicht verpflichtet, die Schuhe in sein Eigentum zu übernehmen.
Dieser Auslegung der Betriebsvereinbarung durch das Berufungsgericht kann der Senat jedoch nicht folgen. Sie ist mit dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung nicht zu vereinbaren (zur Auslegung einer Betriebsvereinbarung vgl. BAG 27, 187, 192 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung).
Wenn es in der Betriebsvereinbarung heißt, Sicherheitsschuhe würden "grundsätzlich" mit Eigentumsübertragungsschein ausgegeben, so folgt hieraus nicht, daß die Schuhe bei einem entgegenstehenden Willen auch ohne Eigentumsübertragungsschein ausgegeben werden. Aus dieser Formulierung kann der Arbeitnehmer nicht entnehmen, daß er die Schuhe auch dann erhält, wenn er nicht bereit ist, das Eigentum zu erwerben. Denn die Eigentumsübertragung ist für den Fall, daß der Arbeitnehmer im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit auf eigenen Wunsch wieder ausscheidet, an eine Kostenbeteiligung geknüpft. Ein Rückgaberecht der gebrauchten Schuhe ist ausdrücklich ausgeschlossen. Die im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit auf eigenen Wunsch ausscheidenden Arbeitnehmer sind also gezwungen, die Schuhe gegen Kostenbeteiligung zu behalten. Mit diesem Inhalt verstößt die Betriebsvereinbarung gegen § 619 BGB und ist daher nichtig.
Das gilt auch für die auf der nichtigen Betriebsvereinbarung beruhenden Verpflichtung des Klägers im "Eigentumsübertragungsschein". Insoweit haben die Parteien des Einzelarbeitsvertrages die Betriebsvereinbarung nur praktisch anwenden wollen. Ein selbständiger Verpflichtungswille des Klägers ist nicht feststellbar. Auch diese einzelvertragliche Vereinbarung ist insoweit wegen Verstoßes gegen §§ 618, 619 BGB nichtig.
Dr. Heither Michels-Holl Schneider Halberstadt Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 440211 |
BAGE 40, 50-56 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
BAGE, 50 |
BB 1983, 637-638 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
DB 1983, 234-235 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
AuB 1984, 29-29 (Gründe) |
BetrR 1983, 431-434 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
BetrR 1983, 598-601 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
ARST 1983, 40-41 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
BlStSozArbR 1983, 56-56 |
BlStSozArbR BlStSozArbR 1983, 197-198 Wolber, Kurt |
JR 1983, 528 |
AP § 618 BGB (Leitsatz 1-3 und Gründe), Nr 18 |
AP BGB § 618, Nr. 18 Lorenz |
AR-Blattei, ES 1610 Nr 3 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
AR-Blattei, Unfallverhütung Entsch 3 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
BArbBl 1983, 28-30 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |
EzA § 618 BGB, Nr 4 (Leitsatz 1-3 und Gründe) |