Entscheidungsstichwort (Thema)
ArbWeitBiG NW - Freistellungserklärung nach Urteil
Leitsatz (redaktionell)
Stellt ein Arbeitgeber nach Erlaß einer einstweiligen Verfügung den Arbeitnehmer von der Arbeit für die Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung frei, erfüllt er damit den Anspruch auf Freistellung nach dem ArbWeitBiG NW, wenn weder die Vollziehung der einstweiligen Verfügung bewirkt noch angedroht wird.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 21.02.1991; Aktenzeichen 4 Sa 1040/89) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 19.05.1989; Aktenzeichen 1 Ca 2538/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Lohnfortzahlungsanspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG) eines verstorbenen Arbeitnehmers.
Der am 29. Februar 1992 verstorbene Erblasser war seit 1982 bei der Beklagten als Busfahrer tätig. Nachdem die Beklagte ihn 1987 auf seinen Antrag für einen einwöchigen Intensivsprachkurs der Volkshochschule Gelsenkirchen von der Arbeit freigestellt hatte, lehnte sie es ab, ihn vom 5. bis 9. Dezember 1988 für den Besuch eines weiteren Intensivsprachkurses "Englisch im Beruf" der Volkshochschule Gelsenkirchen von der Arbeit zu befreien. Darauf erwirkte der Erblasser am 18. November 1988 beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung, durch die der Beklagten aufgegeben wurde, den Erblasser für die Zeit vom 5. Dezember bis 9. Dezember 1988 von der Arbeit freizustellen. Noch vor Zustellung dieses Urteils teilte die Beklagte dem Erblasser am 25. November 1988 mit:
"Teilnahme an der VHS-Veranstaltung Nr. 7241,
Gelsenkirchen - Englisch im Beruf - vom 5. bis
9. Dezember 1988
...
Bezug nehmend auf das vom Arbeitsgericht Bochum
im Verfahren der einstweiligen Verfügung am
18. November 1988 ergangene noch nicht rechts-
kräftige Urteil stellen wir Sie für die Zeit vom
05.12. - 09.12.1988 von der Arbeit frei, und zwar
ohne Lohnfortzahlung."
Der Erblasser hat mit der am 28. Dezember 1988 erhobenen Klage beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
624,40 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich
ergebenden Nettobetrag seit Klageerhebung zu zah-
len.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Erblasser habe als Busfahrer keine Gelegenheit gehabt, seine im VHS Kurs erworbenen Englischkenntnisse beruflich einzusetzen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung. Die Kläger, die als Erben in der Rechtsmittelinstanz nach dem Tod des Erblassers das Verfahren aufgenommen haben, bitten um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
1. Der Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes für die Zeit vom 5. bis 9. Dezember 1988 gehört zum Nachlaß, den der Erblasser den Klägern, seinen Erben, hinterlassen hat (§§ 1922, 2032 BGB). Die Beklagte ist nach § 2039 Satz 1 BGB verpflichtet, an die Kläger zu leisten.
2. Dem angefochtenen Berufungsurteil ist im Ergebnis zu folgen. Die Beklagte ist nach § 7 Satz 1 AWbG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 FLZG verpflichtet, den Lohn für die Freistellung von der Arbeit zum Zwecke des Besuchs des Intensivsprachkurs "Englisch im Beruf" vom 5. bis 9. Dezember 1988 nachzuzahlen.
a) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dem AWbG könne ein Selbstbeurlaubungsrecht entnommen werden, soweit die Anerkennungsvoraussetzungen einer Weiterbildungsveranstaltung nach § 9 Satz 1 AWbG vorliegen und der Arbeitnehmer ordnungsgemäß nach § 5 Abs. 1 AWbG die Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung seinem Arbeitgeber mitgeteilt habe.
Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats beruht der gesetzliche Lohnfortzahlungsanspruch auf der Freistellungserklärung des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 AWbG (Senatsurteile vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - EzA § 1 HBUG Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - EzA § 7 AWbG NW Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 65/90 - DB 1993, 2237, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen und vom 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 - BB 1993, 2531). Der Arbeitgeber kann diese Rechtswirkung nur vermeiden, wenn er die Freistellung verweigert oder mit dem Arbeitnehmer eine besondere Vereinbarung darüber schließt, ihm zunächst unbezahlten Sonderurlaub zu gewähren und nach einer gerichtlichen Klärung nachträglich die Fortzahlung des Entgelts nach dem AWbG zu leisten (Senatsurteil vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - EzA, aaO, zu A III 2 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Im Streitfall bestehen jedoch keine Anhaltspunkte für eine solche zwischen den Parteien geschlossene Sondervereinbarung.
b) Die Beklagte hat zur Erfüllung ihrer Verpflichtung aus dem AWbG den Erblasser für den fraglichen Zeitraum von der Arbeit in ihrem Schreiben vom 25. November 1988 freigestellt.
aa) Da das Landesarbeitsgericht in seinem Tatbestand den gesamten Akteninhalt in Bezug genommen hat, unterliegt auch das dort nicht ausdrücklich wiedergegebene Schreiben des Arbeitgebers vom 25. November 1988 gemäß § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO der revisionsgerichtlichen Beurteilung (vgl. BGH Urteil vom 9. Februar 1990 - V ZR 149/88 - NJW 1990, 2755). Der Senat ist selbst zur abschließenden Auslegung der Erklärung des Arbeitgebers in diesem Schreiben befugt, da besondere außerhalb der Urkunde liegende Umstände, die der Auslegung eine bestimmte Richtung geben könnten, von den Parteien nicht vorgebracht worden sind (BAG Urteil vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 418/55 - AP Nr. 6 zu § 550 ZPO; BAGE 21, 237, 244 = AP Nr. 8 zu § 75 b HGB, zu II 3 der Gründe). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht Anlaß zu neuem Tatsachenvortrag gibt, der nach dem bisherigen Verlauf des Rechtsstreits als unerheblich erscheinen durfte (BAG Urteil vom 31. Mai 1968 - 3 AZR 459/67 - AP Nr. 127 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Das trifft nicht zu.
bb) Für eine Freistellung aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, oder um sie abzuwenden, finden sich keine Anhaltspunkte in dem Parteivorbringen, das nach § 561 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind nicht angeordnet worden. Voraussetzung für die Freistellung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung wäre jedenfalls gewesen, daß das am 18. November 1988 in dem einstweiligen Verfügungsverfahren verkündete Urteil im Sinne von §§ 929, 936 ZPO vollzogen worden wäre. Zur Vollziehung einer einstweiligen Verfügung ist erforderlich, daß der Verfügungsberechtigte innerhalb der einmonatigen Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen den Verfügungsbeklagten beantragt und damit von der einstweiligen Verfügung Gebrauch macht (vgl. BGH Urteil vom 25. Oktober 1990 - IX ZR 211/89 - JZ 1991, 404). In den Fällen, in denen - wie hier - eine einstweilige Verfügung in einem Gebot an den Schuldner besteht, ist die Verfügung mit der Zustellung an den Schuldner im Parteibetrieb als vollzogen anzusehen (LAG Bremen Beschluß vom 13. August 1982 - 4 Ta 44/82 - AP Nr. 2 zu § 929 ZPO). Hier muß davon ausgegangen werden, daß weder ein Antrag auf Verhängung von Ordnungsmitteln, noch eine Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb erfolgt ist, weil weder dem Schreiben der Beklagten vom 25. November 1988 noch sonstigen Umständen zu entnehmen ist, daß diese Voraussetzungen vorliegen.
cc) Es liegt auch keine bloß "einstweilige" Erfüllung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vor. Leistet nämlich ein Schuldner, um erkennbar eine drohende Zwangsvollstreckung abzuwenden, so bleibt in diesem Fall die Tilgung der Schuld bis Rechtskraft des Titels in der Schwebe (BAGE 57, 120, 124 = AP Nr. 4 § 62 ArbGG 1979 MünchKomm-Heinrichs, BGB, 2. Aufl., § 362 Rz 22, Soergel/Zeiss, BGB, 12. Aufl., § 362 Rz 12). Im Schrifttum und in der Rechtsprechung wird übereinstimmend gefordert, daß der Schuldner gegenüber dem Gläubiger erkennbar zum Ausdruck bringt, daß er nicht zum Zwecke der Erfüllung sondern zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leisten will. Es ist Sache des Schuldners, durch einen ausdrücklichen Vorbehalt dem Gläubiger klarzumachen, daß er ausschließlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leistet (vgl. z. B. OLG Hamm Urteil vom 10. Juni 1975 - 9 U 55/75 - NJW 1975, 1843). Im Streitfall fehlte ein derartiger ausdrücklicher Vorbehalt des Arbeitgebers. Die Beklagte hat lediglich auf das am 18. November 1988 ergangene und von ihm ausdrücklich als noch nicht rechtskräftig bezeichnete Urteil Bezug genommen. Unter diesen Umständen mußte der Erblasser als Erklärungsempfänger davon ausgehen, die Beklagte beuge sich der Entscheidung des Gerichts und erfüllte mit ihrer Erklärung den Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht (§ 133 BGB). Dafür spricht im übrigen auch, daß die Beklagte im einstweiligen Verfügungsverfahren keinen Antrag nach §§ 936, 926 Abs. 1 ZPO auf Anordnung der Klageerhebung gestellt hat. Damit hätte die Beklagte die Fortdauer der im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Entscheidung an die Durchführung des Hauptsacheverfahrens binden und so das Verfügungsverfahren auf eine "einstweilige" Wirkung beschränken können.
dd) Die Beklagte konnte die Freistellung zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung nicht unter Ausschluß des Lohnanspruchs bewirken. Nach § 1 Abs. 1 AWbG und § 7 AWbG sind Freistellung und die gesetzliche Rechtsfolge der Lohnfortzahlung untrennbar miteinander verbunden. Erfüllt der Arbeitgeber den Freistellungsanspruch durch Abgabe der Freistellungserklärung und nimmt der Arbeitnehmer an der Bildungsveranstaltung teil, so tritt die gesetzliche Rechtsfolge unabhängig von einem Verpflichtungswillen des Arbeitgebers ein (Senatsurteile vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - und vom 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 -, jeweils aaO). Von daher steht den Klägern, ohne daß es auf die weiteren Anerkennungsvoraussetzungen des § 9 Satz 1 AWbG ankommt, die Fortzahlung des Lohnes für den Erblasser in der unstreitigen Höhe zu.
3. Die Beklagte hat die Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an mit dem gesetzlichen Zinsfuß zu verzinsen (§ 291, § 284 Abs. 1 BGB).
II. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Dr. Leinemann Dörner Düwell
Sperl Arntzen
Fundstellen
Haufe-Index 441803 |
BB 1993, 2158 |
BB 1994, 2074 |
BB 1994, 2074-2075 (LT1) |
BB 1994, 867 |
EzB AWbG Nordrhein-Westfalen § 7, Nr 54 (LT1) |
ARST 1994, 130-131 (LT1) |
NZA 1994, 791 |
NZA 1994, 791-792 (LT1) |
AP § 1 BildungsurlaubsG NRW (LT1), Nr 10 |
EzA § 7 AWbG Nordrhein-Westfalen, Nr 20 (LT1) |