Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 26.01.1993; Aktenzeichen 1 Sa 5/92) |
ArbG Chemnitz (Urteil vom 11.05.1992; Aktenzeichen 4 Ca 7853/91) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 26. Januar 1993 – 1 Sa 5/92 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Die 1943 geborene Klägerin arbeitete seit dem 1. August 1969 als Freundschaftspionierleiterin. Sie erwarb im Jahre 1974 die Lehrbefugnis für die Fächer Deutsch und Werken. Sie unterrichtete zudem in den Fächern Sport und Mathematik. Seit 1979 war sie Klassenleiterin. Von 1972 bis 1978 und von 1986 bis 1989 war sie ehrenamtlicher Parteisekretär an der Oberschule B. für die Grundorganisation von drei bzw. vier SED-Mitgliedern, 1986 bis 1990 war sie stellvertretende Direktorin für außerunterrichtliche Tätigkeit.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 1991 zum 31. Dezember 1991 unter Hinweis auf die frühere Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär wegen persönlicher Nichteignung und unter Hinweis auf die fehlende Lehrbefähigung im Fach Mathematik wegen mangelnder Qualifikation.
Mit der am 18. November 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Kündigung vom 28. Oktober 1991 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, die Klägerin habe als Parteisekretär die Ziele der SED und des Staates unterstützt und sei Bindeglied zwischen Partei und Schule gewesen. Sie sei ihren Pflichten nachgekommen und politisch tätig gewesen. Sie habe sich noch in einer Rede am 25. August 1989 ganz energisch für die Ziele des Staates eingesetzt.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 1991 nicht zum 31. Dezember 1991 aufgelöst worden ist.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Kündigung der Klägerin nicht wegen mangelnder Qualifikation und nicht wegen fehlender Eignung gerechtfertigt. Die Lehrbefugnis der Klägerin in den Fächern Deutsch und Werken reiche aus, um ihre berufliche Qualifikation im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV anzuerkennen. Die Klägerin habe zwar durch ihre Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär in den Jahren 1972 bis 1978 und von 1986 bis 1989 Zweifel geweckt, ob sie zukünftig die Grundwerte der Verfassung glaubwürdig vermitteln könne, zumal sie noch in einer Rede vor Parteisekretären, Schulleitern und Gewerkschaftsvertretern des Kreises B. am 25. August 1989 ihren Klassenstandpunkt deutlich gemacht hatte, doch habe sich aus der Beweisaufnahme ergeben, daß die Klägerin zwar eine Sozialistin war, die an ihre Ideale glaubte und an diesen festhielt, sie aber nie dazu benutzte, andere zu beeinflussen. Sie habe im Gegensatz zu anderen Lehrern nie versucht, die Schüler zur NVA zu überreden, für die FDJ geworben oder Nichtmitglieder der FDJ benachteiligt. Sie habe zwar ihren politischen Standpunkt gehabt, ihn auch vertreten, aber nie durchzudrücken versucht. Sie habe selbst keine Propaganda betrieben. Dies gelte auch für die Rede vom 25. August 1989. Sie sei eine ideale Lehrerin gewesen, die ihre eigenen Ideale nicht staatskonform, sondern als Lehrerin und nicht als Parteisekretär in die Praxis umgesetzt habe. Wer in so langer Zeit wie die Klägerin trotz ihrer Stellung als Parteisekretär den SED-Staat in der Schule und gegenüber den Eltern und Schülern weder unterstützt noch sich besonders mit ihm identifiziert habe, sei nicht ungeeignet als Lehrer.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.
a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, unter B III 1, 2 der Gründe).
Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.
b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die insgesamt ca. neun Jahre währende Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär an einer Schule Zweifel im vorstehend dargestellten Sinne begründet. Der Parteiapparat unterhalb der Ebene der SED-Kreisleitung umfaßte auch die ehrenamtlichen Parteisekretäre an Schulen. Sie waren immer Mitglied der Schulleitung, hatten Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen. Der Parteisekretär kontrollierte und überwachte den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele. Er leitete die Parteiversammlung. Er war verantwortlich für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer. Er hatte über das politische Klima der Schule an die SED-Kreisleitung zu berichten. Er war damit Repräsentant der staatstragenden Partei SED in der Schule. Wurde dieses wichtige Amt wiederholt ausgeübt, ist die besondere Identifikation des ehrenamtlichen Parteisekretärs mit den Zielen des SED-Staates indiziert.
c) Das Berufungsgericht hat aber weiter festgestellt, daß die Klägerin nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme die Indizwirkung des von ihr nicht nur kurzfristig ausgeübten Amtes erschüttert habe.
Das Revisionsgericht kann diese Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht nur insoweit nachprüfen, ob die Würdigung durch den Tatrichter vollständig und umfassend ist, ob sie den zu beurteilenden Rechtsbegriff verkannt hat, ob sie unter Verstoß gegen die Denkgesetze zustande gekommen ist und ob sie schließlich auf einem ordnungsgemäß gerügten Verfahrensverstoß beruht (vgl. BAGE 16, 228, 233 f. = AP Nr. 9 zu § 394 BGB, zu II der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 73 Rz 7. mit weiteren Nachweisen). Diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand.
Das Berufungsgericht hat den Rechtsbegriff der Eignung nicht verkannt, vielmehr hat nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats der Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dieser entlastende Sachvortrag kann sowohl die frühere Amtsführung als auch die Zeit nach Aufgabe des Parteiamtes betreffen. Hiervon ist auch das angefochtene Urteil ausgegangen.
Es hat im Rahmen der Beweisaufnahme ehemalige Schüler, Eltern von Schülern, die zum Teil auch Mitglieder des Elternaktivs waren, Kollegen und frühere Vorgesetzte der Klägerin als Zeugen gehört. Die aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts vorgenommene Würdigung, die mit der langjährigen Tätigkeit eines Parteisekretärs verbundene Indizwirkung sei im Falle der Klägerin erschüttert, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die diesbezüglichen Entscheidungsgründe des Berufungsurteils zeichnen sich zwar durch bündige Kürze aus und lassen nicht abschließend erkennen, welche einzelnen Gesichtspunkte das gefundene Ergebnis der Beweiswürdigung tragen, doch hat der Beklagte hiergegen keine durchgreifende Rüge erhoben. Die angefochtene Entscheidung ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht widersprüchlich und verletzt auch nicht die Denkgesetze. Das Berufungsurteil hat zwischen dem Amt des Parteisekretärs und der Weltanschauung der Klägerin differenziert. Deshalb enthält die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin sei eine überzeugte Sozialistin gewesen, keinen Widerspruch zu der Annahme, sie habe das Amt des Schulparteisekretärs in einer Weise geführt, daß keine Zweifel an ihrem Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung begründet werden. Soweit der Beklagte den Aussagen der vernommenen Zeugen nur unsubstantiierte pauschale Bewertungen, nicht aber die Bestätigung von Tatsachen entnehmen kann, unterläßt der Beklagte eine zulässige Verfahrensrüge und setzt seine Beurteilung an die Stelle der des Berufungsgerichts.
2. Auf den im Kündigungsschreiben angesprochenen Kündigungsgrund der mangelnden fachlichen Qualifikation geht die Revisionsbegründung nicht mehr ein. Insofern entspricht das angefochtene Urteil der ständigen Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteile vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 246/92 –, zur Veröffentlichung bestimmt, und vom 23. September 1993 – 8 AZR 678/92 –, n.v.), auf die verwiesen werden kann.
C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Schömburg, Schmitzberger
Fundstellen