Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung eines Sozialarbeiters
Leitsatz (redaktionell)
„Entsprechende Tätigkeit” eines staatlich anerkannten Sozialarbeiters. Überschneidungen der Berufsbilder eines Erziehers und eines Sozialarbeiters.
Normenkette
AVR § 12
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 14.12.1989; Aktenzeichen 4 Sa 510/86) |
ArbG Bocholt (Urteil vom 13.02.1986; Aktenzeichen 1 Ca 2171/85) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Dezember 1989 – 4 Sa 510/86 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 13. Februar 1986 – 1 Ca 2171/85 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin vom 1. September 1982 bis 30. Oktober 1990 Vergütung nach VergGr. 4 b der Anlage 2 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die 35jährige Klägerin ist Sozialarbeiterin mit staatlicher Anerkennung. Sie leistete ihr Anerkennungsjahr als Sozialarbeiterin vom 1. September 1977 bis 31. August 1978 bei der Beklagten. Am 27. November 1977 bewarb sie sich bei der Beklagten um eine Einstellung als Sozialarbeiterin zum 1. September 1978. Daraufhin kam es zur Einstellung der Klägerin durch die Beklagte am 1. September 1978 bei dem Berufsbildungswerk für körper- und mehrfach behinderte Jugendliche mit Internat im Rehabilitationszentrum M.
Unter dem Datum des 26. Juni 1980 schlossen die Parteien einen schriftlichen Dienstvertrag, in dem es u.a. heißt:
„§ 1
Fräulein Eva-Maria N. ist ab 01.09.1978 als heimpädagogische Mitarbeiterin eingestellt.
Der Mitarbeiter gehört zur Dienstgemeinschaft der oben genannten Einrichtung. Er verspricht, die ihm übertragenen Aufgaben treu und gewissenhaft zu erfüllen und die Anordnungen des Dienstgebers und die Haus- bzw. Heimordnung zu beachten.
Fräulein Eva-Maria N. übernimmt folgende dienstliche Aufgaben: heim- und freizeitpädagogische Betreuung der Jugendlichen im Internat.
Der Dienstgeber kann diese Aufgaben abändern, erweitern oder einschränken. Er entscheidet in Zweifelsfällen über den Umfang des dienstlichen Aufgabenbereichs.
…
§ 3
Für das Dienstverhältnis gelten die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (AVR) in der zur Zeit des Vertragsabschlusses gültigen Fassung. Die Zusatzversorgung regelt sich nach § 6 dieses Vertrages. Die AVR stehen dem Mitarbeiter zur Kenntnisnahme jederzeit zur Verfügung. Bei Änderungen der AVR gilt jeweils die neue Fassung, ohne daß es einer weiteren Vereinbarung bedarf. Änderungen sind jeweils an geeigneter Stelle bekanntzugeben.
…
§ 5
Der Mitarbeiter wird ab 01.09.78 in die Vergütungsgruppe 5 b Stufe 1 eingruppiert.
Der Ortszuschlag wird nach Tarifklasse I c gewahrt.
Die erste Steigerung der Grund/Gesamtvergütung erfolgt ab 01.11.1978.”
Die Klägerin hat mit ihrer Klage für die Zeit ab 1. September 1982 Vergütung nach VergGr. 4 b AVR, hilfsweise Schadenersatz wegen Verschuldens bei Vertragsabschluß, begehrt.
Sie hat vorgetragen, nach vierjähriger Tätigkeit als Sozialarbeiterin stehe ihr nach den AVR Vergütung nach VergGr. 4 b zu. Aufgrund ihrer Bewerbung als Sozialarbeiterin sei es zur Einstellung gekommen. Bei Abschluß des schriftlichen Vertrags habe sie nicht bemerkt, daß sie als heimpädagogische Mitarbeiterin eingestellt worden sei. Die Beklagte hätte sie auf diese Abweichung hinweisen müssen. Unter den Begriff „heimpädagogische Mitarbeiterin” fielen im übrigen auch Sozialarbeiterinnen. Ihr Aufgabengebiet habe sich seit ihrer Beschäftigung als Sozialarbeiterin im Anerkennungsjahr nicht geändert. Bereits ihr Studienschwerpunkt habe in der Rehabilitation gelegen. Im Vordergrund ihres Aufgabengebiets bei der Beklagten ständen äußerst vielschichtige sozialarbeiterische Tätigkeiten, die ganz überwiegend anfielen. Die körperliche Behinderung der Jugendlichen führe zu zahlreichen Schwierigkeiten mit der Umwelt. Sie wirkten sich aber auch auf das Leben in der Gruppe aus. Entscheidend für die Bewertung ihrer Aufgaben sei die Hilfe bei den täglich auftauchenden Problemen der jugendlichen Behinderten, die nicht von Erzieherinnen, jedenfalls nicht allein von diesen, bewältigt werden könnten, da diese im Bereich der Gesprächsführung und der Konfliktbewältigungen nicht ausgebildet seien. Bei Erzieherinnen stehe die Arbeit mit gesunden Kindern im Vordergrund. Die Arbeit mit behinderten Jugendlichen spiele in der Ausbildung von Erzieherinnen keine Rolle. Den monatlichen Differenzbetrag zwischen der VergGr. 5 b und 4 b hat die Klägerin mit 122,50 DM brutto beziffert.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Klägerin Vergütung nach VergGr. 4 b der Anlage 2 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) ab dem 1. September 1982 zu beanspruchen hat,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin, beginnend mit dem 1. Januar 1985, monatlich zusätzlich 122,50 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei nicht als Sozialarbeiterin, sondern als heimpädagogische Mitarbeiterin eingestellt worden. Ihre Aufgaben seien die einer Erzieherin. In dem Internat seien körperlich und mehrfach behinderte Jugendliche im Alter von etwa 18 Jahren untergebracht. Die Jugendlichen würden aber nicht primär wegen ihrer Behinderung, sondern wegen ihrer Berufsausbildung in das Internat aufgenommen, um Belastungen durch längere Anfahrtzeiten zu vermeiden. Die Erzieher, die – wie die Klägerin – die Gruppen betreuten, seien Bezugspersonen und eine Art Elternersatz. Bei besonderen Problemstellungen der nicht nur physisch, sondern auch psychisch Behinderten werde der psychosoziale Dienst mitbegleitend herangezogen. Im Internat des Berufsbildungswerks fielen zwar neben organisatorischen und verwaltungsmäßigen Aufgaben auch sozialpädagogisch/sozialarbeiterische Arbeiten bis hin zu psychologischen, handwerklichen und pflegerischen Tätigkeiten an, doch handele es sich, wenn auf das Arbeitsziel und die Bedürfnisse der jugendlichen Auszubildenden abgestellt werde, primär um einen Erziehungsauftrag.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihren Hilfsantrag erweitert und insoweit beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin, beginnend mit dem 1. September 1982, monatlich zusätzlich 122,50 DM brutto zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die weitergehende Klage abgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, an sie vom 1. September 1982 bis 30. Oktober 1990 Vergütung nach VergGr. 4 b der Anlage 2 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) zu zahlen. Sie hat hierzu vorgetragen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien am 30. Oktober 1990 endete. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zu dem von der Klägerin mit der Klage erstrebten Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. September 1982 bis 30. Oktober 1990 Vergütung nach VergGr. 4 b AVR zu zahlen. Denn die Klägerin ist staatlich anerkannte Sozialarbeiterin, die bei der Beklagten eine entsprechende Tätigkeit ausübte und am 1. September 1982 eine vierjährige Berufstätigkeit aufwies.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die AVR in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung. Zugleich haben die Parteien in § 5 des Dienstvertrags vereinbart, daß die Klägerin ab 1. September 1978 in die VergGr. 5 b Stufe 1 eingruppiert wird. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß die Klägerin unabhängig von den Eingruppierungsregelungen der AVR Vergütung nach VergGr. 5 b AVR erhalten sollte. Bei dem Dienstvertrag der Parteien handelt es sich um einen formularmäßigen Vertrag, so daß der Senat ihn selbständig auslegen darf (BAGE 24, 198, 202 = AP Nr. 2 zu § 111 BBiG, zu 2 a der Gründe). Werden – wie vorliegend – in einem Arbeitsvertrag die jeweiligen Arbeitsvertragsrichtlinien des Arbeitgebers in Bezug genommen, so ist davon auszugehen, daß die Eingruppierung eines Arbeitnehmers sich nach der zutreffenden Vergütungsgruppe richten soll. Dies gilt auch dann, wenn in einer folgenden Bestimmung des Arbeitsvertrags auf eine bestimmte Vergütungsgruppe verwiesen wird. Der Verweisung kommt nur die Bedeutung zu, welche Vergütungsgruppe die Parteien einmal als zutreffend angesehen haben (BAG Urteil vom 12. Dezember 1990 – 4 AZR 306/90 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Für die Vergütung der Klägerin sind daher die durch den Dienstvertrag vereinbarten Eingruppierungsregelungen der AVR maßgebend.
Nach § 12 AVR richten sich die Dienstbezüge der Mitarbeiter in erster Linie nach deren Tätigkeit und Vorbildung. Die Höhe der Dienstbezüge ergibt sich aus der diesen Richtlinien beigefügten Vergütungsordnung (Anlage 1 zu den AVR). In Anlage 1 zu den AVR heißt es in Abschnitt I:
- Die Eingruppierung des Mitarbeiters ist bei seiner Einstellung nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppeneinteilung nach Anlage 2 oder 2 b zu den AVR bzw. Anlage 2 a oder 2 c zu den AVR vorzunehmen.
- Für die Eingruppierung des Mitarbeiters ist die vorgesehene Tätigkeit maßgebend. Entspricht diese den Tätigkeitsmerkmalen mehrerer Vergütungsgruppen, so ist der Mitarbeiter in die Vergütungsgruppe einzugruppieren, die der überwiegenden Tätigkeit des Mitarbeiters entspricht.
- Im Dienstvertrag ist die für die vorgesehene Tätigkeit des Mitarbeiters zutreffende Vergütungsgruppe anzugeben.
Im Arbeitsvertrag ist die vorgesehene Tätigkeit der Klägerin mit „heim- und freizeitpädagogische Betreuung der Jugendlichen im Internat” angegeben. Damit ist auch die Tätigkeit umschrieben, die die Klägerin für ihren Aufgabenbereich angegeben und die die Beklagte nicht bestritten hat. Insoweit hat das Arbeitsgericht den Vortrag der Klägerin als unstreitig angesehen und das Landesarbeitsgericht durch die Verweisung auf den vorgetragenen Akteninhalt die entsprechende Feststellung getroffen. Danach obliegt der Klägerin:
- Leitung einer Gruppe von 15 Auszubildenden und Gestaltung des Lebens dieser Wohngruppe,
- Planung, Organisation, Durchführung von Bildungs- und Freizeitveranstaltungen,
- Kontaktaufnahme zu Organisationen, Verbänden u.ä. und Durchführung gemeinsamer Aktivitäten,
- Einkäufe, Besorgungen von Beschäftigungsmaterial,
- Führen von Anwesenheitslisten, Urlaubskarteien, Beobachtungsbögen,
- Teilnahme an regelmäßig stattfindenden Besprechungen (Berufsberatungskommission, Eingliederungskommission, Dienstbesprechungen für den Fachbereich Internate),
- Kontakte und Info-Austausch mit anderen Fachbereichen des Reha-Zentrums, nämlich mit den Bereichen Ausbildung, Verwaltung, Sozialdienst, psychologischer Dienst, therapeutischer Dienst,
- Versorgung kranker Auszubildender, teilweise pflegerische Arbeit,
- Mitwirkung bei Konzeptionsfragen und Fallbesprechungen,
- individuelle Hilfe bei täglich auftauchenden Problemen der Jugendlichen.
Für diese Tätigkeiten der Klägerin kommen folgende Tätigkeitsmerkmale der Anlage 2 zu den AVR in Betracht:
VergGr. 5 c
…
17 Erzieher(innen) öder Kindergärtnerinnen
…
e) in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig behinderten oder von gefährdeten schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen
VergGr. 5 b
…
68 Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit
…
VergGr. 4 b
…
49 Sozialarbeiter und Sozialpädagogen mit entsprechender Tätigkeit nach vierjähriger entsprechender Berufstätigkeit nach erlangter staatlicher Anerkennung.
…
Die Klägerin ist Sozialarbeiterin mit staatlicher Anerkennung. Ihr wurde auch eine entsprechende Tätigkeit übertragen, so daß sie das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. 5 b Fallgruppe 68 und nach vierjähriger Berufstätigkeit nach erlangter staatlicher Anerkennung, d.h. ab 1. September 1982, das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. 4 b Fallgruppe 49 erfüllte.
Der Vereinbarung im Arbeitsvertrag „heim- und freizeitpädagogische Betreuung der Jugendlichen im Internat” läßt sich allerdings nicht entnehmen, ob es sich insoweit um die Tätigkeit eines Sozialarbeiters oder um die Tätigkeit eines Erziehers handeln sollte. Aus dem Zusammenhang mit der unstreitigen Tätigkeitsbeschreibung ergibt sich aber, daß die Tätigkeit der Klägerin dem Berufsbild des Sozialarbeiters entspricht. „Der Berufsauftrag der sozialpädagogisch/sozialen Arbeit läßt sich innerhalb des Funktionssystems Gesellschaft am ehesten negativ abgrenzen. Er betrifft Funktionen der Daseinsvorsorge, des Erziehungs- und Bildungs-, des Sozial- und Gesundheitswesens, die von Familie und Schule und anderen gesellschaftlichen Agenturen nicht, nicht mehr oder noch nicht geleistet werden können. Positiv läßt sich diese Aufgabe definieren als Hilfe zur besseren Lebensbewältigung, weil sich hiernach Problemsituation und auslösender Lebenslage als Entwicklungs-, Erziehungs-, Reifungs- oder Bildungshilfe verstehen läßt. Durch psychosoziale Mittel und Methoden sollen die als Bedürftigkeit, Abhängigkeit oder Not bezeichneten Lebensumstände geändert werden” (Blätter zur Berufskunde, Bd. 2 – IV A 30, S. 2). „Die Tätigkeitsmerkmale sind wegen der außerordentlichen Vielfalt sozialpädagogisch/sozialarbeiterischer Tätigkeiten und der Heterogenität der Arbeits- und Berufsfelder nur sehr schwierig generell darzustellen” (Blätter zur Berufskunde, a.a.O., S. 7). Am ehesten läßt sich wohl ein Bild gewinnen aus der folgenden allgemeinen Charakterisierung sozialpädagogischer sozialer Berufstätigkeit und dem anschließenden Überblick über Ausübungs- und Aufstiegs formen. Die Arbeit der Sozialpädagogen/Sozialarbeiter ist im wesentlichen durch die folgende Merkmale zu kennzeichnen:
„1. Das Ziel aller sozialpädagogisch/sozialen Arbeit ist:
Menschen verschiedener Altersstufen in entwicklungs-, reife-, konflikt- oder notbedingten Situationen so zu helfen, daß sie möglichst zur vollen Entfaltung ihrer Persönlichkeit und all ihrer Kräfte und Möglichkeiten kommen, daß sie sich aus unnötiger Abhängigkeit lösen und Sozialisationsdefizite wie Benachteiligungen und Unterprivilegierungen überwinden können. Selbstbestimmung, Mündigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe und Ermöglichung eines der Würde des Menschen entsprechenden Lebens sind in Gesetzen und Richtlinien fixierte Zielformulierungen und Prinzipien solcher Arbeit.
2. Sozialpädagogisch/soziale Arbeit vollzieht sich immer im Umgang mit Menschen:
- mit einzelnen, mit Familien, mit Gruppen, mit Gemeinwesen,
- mit Menschen unterschiedlicher Altersstufen,
- mit Menschen verschiedener sozialer Herkunft, Berufszugehörigkeit sowie Klassen- und Schichtzugehörigkeit,
- meist direkt im unmittelbaren Kontakt mit den Menschen, denen die sozialpädagogischen Bemühungen gelten; aber auch indirekt, wo durch Planung, Organisation und Verwaltung soziale Dienste vorbereitet, bereitgestellt und zugänglich gemacht werden.
…
3. In diesem Rahmen läßt sich die Arbeit der Sozialpädagogen/Sozialarbeiter mit einer Vielzahl von Tätigkeitsbezeichnungen umschreiben, die aber alle eines gemeinsam haben:
Veränderung des Menschen, seiner Lebenslage und Lebensqualität und der sie bedingenden gesellschaftlichen Strukturen als Ziel des beruflichen Handelns.
Diese Tätigkeiten sind zu verstehen als Komponenten, als Funktionstypen seines beruflichen Handelns, die im Vollzug mehr oder weniger gemischt, nur schwerpunktmäßig akzentuiert sind:
- informieren, aufklären,
- erziehen, bilden, lehren,
- befähigen, aktivieren,
- mobilisieren, Teilnahme ermöglichen und fördern,
- beraten, behandeln, sozialtherapeutisch wirken,
- verwalten, organisieren, planen,
- materielle und finanzielle Hilfen bereitstellen, vermitteln und einsetzen.
4. Die sozialpädagogisch/soziale Arbeit ist vielseitig, vielschichtig und verantwortungsvoll. Deshalb muß sich beruflich geleistete sozialpädagogisch/soziale Arbeit auf umfassende wissenschaftlich fundierte Kenntnisse und Handlungskompetenzen stützen, die sich beziehen auf:
- den Menschen, seine körperliche, seelische und soziale Entwicklung, normales und auffälliges Verhalten,
- menschliche Gesellungen und Gruppierungen (Familie. Kleingruppe, weitere Sozialisationsagenturen in Schule, Arbeitswelt und Freizeit, Öffentlichkeit usw.),
- gesellschaftliche Strukturen und Prozesse, wirtschaftliche, rechtliche und politische Zusammenhänge als Grundlagen und Rahmenbedingungen sozialpädagogisch/sozialer Arbeit,
- Institutionen und Organisationen der sozialpädagogisch/sozialen Arbeit, soziale Dienste, pädagogische Hilfen und sozialpädagogische Einrichtungen und Veranstaltungen aller Art, die benutzt oder aufgebaut, organisiert und weiterentwickelt werden müssen, um den Bedürfnissen, Problemen und Notlagen der Betroffenen gerecht zu werden,
- Didaktik und Methodik der sozialpädagogisch/sozialen Arbeit, Arbeitsformen und -inhalte (Methoden der sozialen Fallarbeit), der sozialen Gruppenarbeit und der sozialen Gemeinwesenarbeit, der sozialen Verwaltung und Planung, der praxis- und berufsbezogenen Forschung, Medien und Inhalte von Erziehung und Bildung, curriculare und didaktische Entscheidungs- und Handlungsstrategien.”
(Blätter zur Berufskunde, a.a.O., S. 7 ff.).
„Die Erziehung von gehemmten, geistig oder körperlich behinderten, aber auch von kranken Kindern hat im Aufgabenbereich der Sozialpädagogen in den letzten Jahrzehnten einen immer breiteren Raum eingenommen. Da neben freien Organisationen und Jugendämtern die Schule sich solcher Kinder annimmt, ist die Arbeit der Sozialpädagogen gerade auf diesem Gebiet verschiedentlich auch der Schule eingeordnet.
…
In erzieherischen Sonderaufgaben mit besonderer Schwierigkeit rücken die Mittel stärker in den Vordergrund, die in jeder Beschäftigung mit den Kindern eine Rolle spielen: Pflege des Spiels, musische Betätigung: Malen, Musizieren, Rhythmik, Sport sowie Werkarbeit jeder Art. … Die Zusammenarbeit mit dem Arzt, die in allen Heimen wichtig ist, ist hier von besonderer Bedeutung. Der Rat des Psychotherapeuten oder des Psychologen muß nicht selten herangezogen werden.”
(Blätter zur Berufskunde, a.a.O., S. 14 f.).
Die Betreuung der Gruppe von körper- und mehrfach behinderten jugendlichen Auszubildenden durch die Klägerin diente letztlich dazu, die Jugendlichen möglichst zur vollen Entfaltung ihrer Persönlichkeit und all ihrer Kräfte und Möglichkeiten kommen zu lassen. Ohne die Behinderung der jugendlichen Auszubildenden wäre es kaum erforderlich gewesen, diese volljährigen Personen so zu betreuen, wie es von der Klägerin erwartet wurde, z.B. Gestaltung des Lebens der Wohngruppe, Planung, Organisation, Durchführung von Bildungs- und Freizeitveranstaltungen, Einkäufe, individuelle Hilfe bei täglich auftauchenden Problemen der Jugendlichen. Insoweit ergeben sich allerdings nach dem Berufsbild des Sozialarbeiters Überschneidungen mit den Aufgaben eines Erziehers. Aber die Erziehung von gehemmten, geistig oder körperlich behinderten Personen gehört auch zum Aufgabenbereich eines Sozialarbeiters. Allein daraus, daß dies gleichzeitig Aufgabe eines Erziehers sein kann, wie das Landesarbeitsgericht insoweit zutreffend herausstellt, kann jedoch nicht gefolgert werden, es handele sich dann nicht um eine der Ausbildung eines Sozialarbeiters entsprechende Tätigkeit.
Die Aufgaben von Erziehern unterscheiden sich in vielen Aufgabenstellungen nicht wesentlich von denen anderer pädagogischer, sozialpädagogischer und sozialer Berufe. So sind alle um Erziehung und Bildung des einzelnen in der Gemeinschaft bemüht (Blätter zur Berufskunde. Bd. 2 – IV A 20,: S. 2); dementsprechend nehmen Erzieher bedeutungsvolle Aufgaben auch in der Heimerziehung, etwa in Internaten und Einrichtungen der Erziehungshilfe und des Behindertenbereichs wahr (Blätter zur Berufskunde, a.a.O., S. 4). Daraus läßt sich jedoch nur der Schluß ziehen, daß bestimmte Tätigkeiten (hier: Erziehung von körperbehinderten Jugendlichen in Internaten) sowohl dem Berufsbild des Erziehers als auch dem Berufsbild des Sozialarbeiters zugeordnet werden können. Damit sind solche Tätigkeiten sowohl entsprechende Tätigkeiten eines Sozialarbeiters als auch entsprechende Tätigkeiten eines Erziehers.
Dies bedeutet nicht, daß man zwischen Tätigkeiten eines Sozialarbeiters und Tätigkeiten eines Erziehers nicht mehr unterscheiden kann. Vielmehr zeigt das Berufsbild der beiden Berufe, daß in einem Teil des Berufsbilds, also in bestimmten Bereichen, Überschneidungen vorliegen. Insoweit können dann bestimmte Tätigkeiten sowohl dem Beruf des Sozialarbeiters als auch dem Beruf des Erziehers zugeordnet werden. Sieht man aber das Berufsbild des Sozialarbeiters und des Erziehers als Ganzes, sind Unterschiede durchaus feststellbar. Aufgabe von Erziehern und Erzieherinnen ist es in erster Linie, Kinder und Jugendliche zu Selbsterfahrung und Selbstvertrauen, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu führen, zu gemeinschaftlichem oder sozialverantwortlichem Verhalten und Handeln anzuhalten, ihre Entscheidungsfreudigkeit, ihre Lernbereitschaft und ihr kindliches Urteilsvermögen zu stärken und sie zu geistiger Beweglichkeit und schöpferischem Tun anzuregen (Blätter zur Berufskunde, a.a.O., S. 2). Insoweit muß der Klägerin auch eingeräumt werden, daß bei Erzieherinnen die Arbeit mit gesunden Kindern im Vordergrund steht, es jedenfalls nicht darauf ankommt, ob es sich um Problemfälle handelt. Bei der Sozialarbeit geht es in erster Linie um die Betreuung sozial Benachteiligter, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend hervorhebt. Das ist insbesondere für körperbehinderte Jugendliche – wie im vorliegenden Fall – zu bejahen.
Die Betreuung dieses Personenkreises kann zwar auch zum Aufgabenbereich eines Erziehers gehören. So nehmen Erzieher nach ihrem Berufsbild häufig auch sozialpädagogische Aufgaben in Bereichen wahr, die sich nicht oder nicht ausschließlich an Kinder und Jugendliche wenden, z.B. in Freizeiteinrichtungen und teilpädagogischen Einrichtungen, die überwiegend mit Erwachsenen arbeiten (Blätter zur Berufskunde, a.a.O., S. 2). Damit haben sie sich mit Personen zu befassen, die soziale Defizite aufzuweisen haben. Gleichwohl gehört dies auch zum Aufgabenbereich eines Sozialarbeiters.
Es ist unschädlich, daß die Klägerin nur in einem Teilbereich des Berufs eines Sozialarbeiters tätig ist und dieser Teilbereich sich zudem mit dem Berufsbild des Erziehers überschneidet. Für eine dem Berufsbild entsprechende Tätigkeit kann mangels anderweitiger Anhaltspunkte in den AVR nicht gefordert werden, daß der betreffende Arbeitnehmer in allen Bereichen seines Berufsbilds tätig wird. Denn dies dürfte in der Praxis kaum jemals zutreffen, zumal wenn – wie vorliegend – der Beruf weit gefächert ist. Erforderlich ist für eine einem bestimmten Beruf „entsprechende Tätigkeit” im Sinne von Eingruppierungsmerkmalen vielmehr nur, daß die ausgeübte Tätigkeit zum Berufsbild des betreffenden Berufs gehört. Daher ist es unerheblich, wenn die entsprechende Tätigkeit sich im Einzelfall – wie vorliegend – mit dem Berufsbild eines anderen Berufs überschneidet und insoweit auch als entsprechende Tätigkeit des anderen Berufs (hier: Erzieher) qualifiziert werden kann.
Im übrigen räumt die Beklagte sogar selbst ein, daß die Klägerin Tätigkeiten ausübt, die zum Berufsbild des Sozialarbeiters gehören. Sie gesteht zu, daß es in einem von der Klägerin geschilderten Gespräch mit Sicherheit einige sozialarbeiterische Ansätze gegeben habe. Sie meint jedoch, die Klägerin gerate in den Kompetenzbereich des Sozialarbeiters, wenn es z.B. um eine Ausbildungsunterbrechung oder Kurmaßnahmen gehe. Denn dies dürfe die Klägerin nicht alleine besprechen und vorschlagen oder entscheiden, sondern müsse ihre Beobachtungen dem begleitenden Dienst mitteilen, der sodann die Angelegenheit in eigener fachlicher Kompetenz bearbeite und in diesem Rahmen auch Sozialarbeiter einsetze. Die Beklagte übersieht aber hierbei, daß allein die Beobachtungen der Klägerin und ihre Erkenntnis, den Sozialdienst einschalten zu müssen, zum Aufgabenbereich eines Sozialarbeiters zu zählen ist. Die Erkenntnis der Notwendigkeit einer sozialen Betreuung ist eine dem Beruf des Sozialarbeiters zuzuordnende Vorbereitungstätigkeit. Nur wer entsprechend ausgebildet ist, ist in der Lage, zuverlässig beurteilen zu können, ob eine soziale Betreuung erforderlich ist.
Die Beklagte räumt ferner ein, daß Elterngespräche zum Aufgabengebiet aller Internatsmitarbeiter gehören, weist aber darauf hin, daß selbst der Versuch einer Familientherapie im Internat nicht angestrebt oder angefangen werden dürfe. Dies ist aber so überhaupt nicht durchführbar. Wenn es zum Aufgabenbereich der Klägerin gehörte, auch Elterngespräche zu führen, ist es ausgeschlossen, daß die Klägerin ihr Vorhaltewissen als Sozialarbeiter nicht einbringt. Insoweit kommt es notwendig zum Versuch einer Familientherapie. Auch das gehört zum Berufsbild eines Sozialarbeiters.
Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts verlieren sich überwiegend in theoretischen Exkursen. Das Landesarbeitsgericht verkennt insbesondere, daß sich die Berufsbilder eines Erziehers und Sozialarbeiters überschneiden. Wenn es z.B. ausführt, die typische Tätigkeit eines Erziehers sei diejenige eines Gruppenerziehers, trifft dies zwar zu, gleichwohl gehört auch zum Berufsbild des Sozialarbeiters die Gruppenarbeit. Richtig ist ferner, daß bei jedem Kind und jedem Jugendlichen der Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls und das Aufarbeiten von Ängsten eine große Rolle spielt, womit sich in der familiären Erziehung immer wieder die Eltern befassen müssen, aber zumindest bei sozial benachteiligten Personen – wie körperbehinderten Jugendlichen – gehört die Betreuung und das Eingehen auf solche Personen nicht nur zum Berufsbild eines Erziehers, sondern auch zum Berufsbild des Sozialarbeiters. Das Landesarbeitsgericht räumt auch ein, daß die Behinderung mit ihren zum Teil erheblichen und belastenden Einschränkungen Gegenstand von Gesprächen der von der Klägerin betreuten Gruppenmitglieder mit ihr sind, meint jedoch, dies sei die typische Aufgabe eines Erziehers, die in der Familie von den Eltern wahrgenommen wird. Dies mag zutreffen. Gleichwohl gehört dies auch zum Aufgabenbereich eines Sozialarbeiters, der Menschen in den entwicklungsbedingten Situationen so zu helfen hat, daß sie möglichst zur vollen Entfaltung ihrer Persönlichkeit kommen.
Da es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um eine entsprechende Tätigkeit eines Sozialarbeiters handelt, kommt es nicht mehr darauf an, ob ihr auch aus anderen Rechtsgründen (vertragliche Vereinbarung, Schadenersatz wegen Verschuldens bei Vertragsabschluß) Anspruch auf Vergütung nach VergGr. 4 b zusteht.
Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Dr. Etzel, Wehner, Prof. Dr. Knapp
Fundstellen