Entscheidungsstichwort (Thema)
Zumutbare Ersatztätigkeit einer schwangeren Flugbegleiterin
Leitsatz (amtlich)
- Die Zuweisung einer Ersatztätigkeit an eine schwangere Arbeitnehmerin, die aufgrund eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen darf, kommt erst für die Zeit nach dem Beginn des gesetzlichen Verbots in Betracht.
- Die Zuweisung einer Ersatztätigkeit an einem auswärtigen Arbeitsort entspricht jedenfalls nach Beginn des sechsten Schwangerschaftsmonats im Regelfall nicht billigem Ermessen, wenn dieser Arbeitsort nur nach mehrstündiger Bahn- oder Flugreise erreicht werden kann (im Anschluß an Senatsurteil vom 22. April 1998 – 5 AZR 478/97 – AP Nr. 4 zu § 4 MuSchG 1968).
Normenkette
MuSchG § 4 Abs. 2 Nr. 7, § 11 Abs. 1, § 14 Abs. 1; BGB §§ 295, 315 Abs. 1, 3, § 615
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin für die Zeit vom 4. September 1995 bis 8. Juni 1996. Die Klägerin hat in diesem Zeitraum überwiegend aus mutterschutzrechtlichen Gründen nicht gearbeitet.
Die Beklagte betreibt eine Fluggesellschaft. Auf der Grundlage des von ihr dazu verwendeten “befristeten Anstellungsvertrags für Flugbegleiter” stellte sie die Klägerin für die Zeit vom 11. März 1995 bis 10. September 1996 als Flugbegleiterin ein.
§ 3 Satz 1 des Vertrags sah als sog. Haupteinsatzort Leipzig vor. Noch vor Aufnahme ihrer Tätigkeit verzog die Klägerin von Dresden nach München. Die Parteien vereinbarten daraufhin als Haupteinsatzort für die Zeit vom 11. März 1995 bis 15. November 1995 München, für die Zeit danach Nürnberg. Nach dem Vertrag war die Beklagte berechtigt, den Einsatzort mit einer Frist von drei Monaten jederzeit abzuändern.
Mitte August 1995 teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß sie in der sechsten Woche schwanger sei. Laut ärztlicher Bescheinigung war voraussichtlicher Geburtstermin der 11. April 1996. Am 16. August 1995 richtete die Beklagte an die Klägerin ein Schreiben folgenden Wortlauts:
“
- … aufgrund der eingetretenen Schwangerschaft … dürfen Sie nach Ablauf des dritten Monats der Schwangerschaft auf Beförderungsmitteln, d.h. auch auf Flugzeugen, nicht mehr beschäftigt werden. Eine Kündigung während Ihrer Probezeit … als Crew-Mitglied, die wir heute hätten aussprechen wollen, ist nach Bekanntwerden Ihrer Schwangerschaft … nicht mehr möglich. Wir bieten Ihnen daher … eine Tätigkeit in unserer Verwaltung in Berlin – Tegel – andere Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung bestehen nicht – bis sechs Wochen vor Ihrer Entbindung an zu folgenden Bedingungen, bei denen wir berücksichtigen, daß Sie zur Zeit in München wohnen:
- Dienstzeit montags 12.00 bis 17.00 Uhr, dienstags, mittwochs und donnerstags 8.00 bis 17.00 Uhr sowie freitags von 8.00 bis 12.00 Uhr in unseren Büros in Berlin-Tegel unter Zugrundelegung Ihres Grundgehalts (ohne Flugzulage).
- Wir stellen Ihnen Tickets für die Flüge … München – Tegel – München einmal wöchentlich zur Verfügung. Sollte Ihnen ärztlicherseits die Flugreise verboten werden, übernimmt (die Beklagte) die Kosten der Bahnfahrt.
- Wir werden Sie während Ihrer Tätigkeit in Tegel im Hotel … unterbringen und Ihnen die üblichen Spesen auszahlen.
- Wir bitten Sie, … nach Beendigung Ihres Urlaubs Ihren Bürodienst am 04. September 1995 aufzunehmen. Nehmen Sie Ihren Bürodienst nach dem Urlaub nicht auf, verlieren Sie mit diesem Datum Ihre Gehaltsansprüche.
”
Die Klägerin lehnte eine Tätigkeit in Berlin unter Hinweis auf ihre Schwangerschaft und die weite Entfernung zu ihrem Wohnort ab. Daraufhin stellte die Beklagte ab dem 4. September 1995 die Gehaltszahlungen ein.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin Ansprüche aus Annahmeverzug für die Zeit bis zum 7. Oktober 1995 – dem Ende des dritten Schwangerschaftsmonats – in Höhe von 2.960,54 DM brutto, Ansprüche auf Mutterschutzlohn für die Zeit bis zum Beginn der Mutterschutzfristen am 1. März 1996 in Höhe von 13.746,28 DM brutto und Ansprüche auf Zuschuß zum Mutterschaftsgeld für die Zeit bis zum 8. Juni 1996 in Höhe von 4.398,00 DM netto geltend.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, als Schwangere sei ihr die angebotene Tätigkeit in Berlin wegen der weiten Entfernung und wegen des damit verbundenen Hotelaufenthalts nicht zuzumuten gewesen. Auch hätte sie sich aus der Fürsorge ihres Ehemannes begeben müssen, und es wäre ihr nicht möglich gewesen, regelmäßige Untersuchungen durch den Arzt ihres Vertrauens durchführen zu lassen. Im übrigen habe die Beklagte die dreimonatige Ankündigungsfrist für den Wechsel des Einsatzortes nicht eingehalten.
Die Klägerin hat beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.706,82 DM nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus den einzelnen Monatsbeträgen jeweils ergebenden Nettobetrag ab dessen jeweiliger Fälligkeit und weitere 4.398,00 DM netto nebst 4 % Zinsen ab jeweiliger Fälligkeit der einzelnen Monatsbeträge zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeit in Berlin sei der Klägerin zumutbar gewesen. Soweit sie die Klägerin schon vor Beginn des Beschäftigungsverbots zur Tätigkeit in Berlin aufgefordert habe, habe dies ausschließlich deren Schutz gedient. Da die Klägerin vor Beginn der Mutterschutzfristen aus eigenem Verschulden nicht gearbeitet habe, stehe ihr auch kein Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zu.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben mit Ausnahme der für den vierten und fünften Schwangerschaftsmonat erhobenen Ansprüche auf Mutterschaftslohn. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Mit ihrer Anschlußrevision begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Gehaltszahlung auch für den vierten und fünften Schwangerschaftsmonat.
Entscheidungsgründe
Revision und Anschlußrevision haben keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Klage für den Zeitraum bis zum 7. Oktober 1995 und für die Zeit ab dem 8. Dezember 1995 stattgegeben.
Der Vergütungsanspruch der Klägerin für die Zeit vom 4. September bis zum 7. Oktober 1995 folgt aus § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 611 BGB.
Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer, kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug, für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Diese Voraussetzungen liegen vor.
- Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung des Schuldners nicht annimmt. § 294 BGB verlangt dafür, daß der Schuldner seine Leistung tatsächlich angeboten hat. Dies hat die Klägerin für die Zeit ab dem 4. September 1995 unstreitig nicht getan. Sie hat ihre Arbeitskraft weder für eine Bürotätigkeit in Berlin noch für eine Tätigkeit als Flugbegleiterin in München tatsächlich angeboten.
Nach § 295 BGB ist statt des tatsächlichen Angebots ein wörtliches Angebot des Schuldners ausreichend, wenn der Gläubiger erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen. Die entsprechende Ablehnungserklärung muß bestimmt und eindeutig sein (BGH NJW 1997, 581).
- Die Beklagte hat der Klägerin im Schreiben vom 16. August 1995 unter Hinweis auf das gesetzliche Verbot einer weiteren Beschäftigung als Flugbegleiterin eine Bürotätigkeit in Berlin angeboten und sie aufgefordert, dort am 4. September 1995 ihren Dienst aufzunehmen. Komme sie dem nicht nach, verliere sie mit diesem Datum ihre Gehaltsansprüche. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auf diese Weise habe die Beklagte die Annahme eines Arbeitsangebots der Klägerin als Flugbegleiterin klar und unmißverständlich abgelehnt. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie betrifft eine individuelle Erklärung und ist deshalb vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob sie allgemeine Auslegungsregeln, Erfahrungssätze oder Denkgesetze verletzt oder wesentliche Umstände nicht berücksichtigt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 27, 218, 227 = AP Nr. 1 zu § 105 BetrVG 1972). Einem solchen Maßstab hält sie ohne weiteres stand.
Mit dem Schreiben vom 16. August 1995 hat die Beklagte zugleich eine Versetzung der Klägerin nach Berlin zur Aufnahme von Büroarbeit ausgesprochen. Auf die Ablehnungserklärung vermag sich die Klägerin deshalb nur zu berufen, wenn die ausgesprochene Versetzung unwirksam ist. Anderenfalls hätte sie ihre Arbeitskraft in Berlin tatsächlich anbieten müssen.
Die Beklagte hat die Klägerin nicht wirksam versetzt. Vom allgemeinen Direktionsrecht des Arbeitgebers ist ihre Maßnahme nicht gedeckt. Die Klägerin wurde als Flugbegleiterin eingestellt. Eine Arbeit als Bürokraft ist von diesem Berufsbild nicht erfaßt. Die Versetzung ist auch nicht von einem mit Rücksicht auf die Verpflichtung aus § 11 Abs. 1 MuSchG erweiterten Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt. Zwar kann ein solches gegeben sein, wenn die Arbeitnehmerin auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz wegen eines mutterschutzrechtlichen Verbots nicht mehr beschäftigt werden darf. Ein gesetzliches Beschäftigungsverbot hat aber für die Klägerin im September 1995 noch nicht bestanden. Anders als die Beklagte in ihrem Schreiben ausgeführt hat, galt das Beschäftigungsverbot nach § 4 Abs. 2 Nr. 7 MuSchG für die Klägerin erst ab dem 8. Oktober 1995. Erst am 7. Oktober 1995 war der dritte Kalendermonat ihrer Schwangerschaft abgelaufen. Bis dahin hätte sie als Flugbegleiterin tätig sein dürfen und hätte die Beklagte sie als solche einsetzen müssen. Bis dahin brauchte die Klägerin darum ihre Arbeitskraft nicht für Bürotätigkeit in Berlin anzubieten.
Nach § 295 BGB ist trotz Ablehnungserklärung durch den Gläubiger ein anschließendes wörtliches Angebot des Schuldners erforderlich. Daß sie nach Erhalt des Schreibens vom 16. August 1995 ihre Tätigkeit als Flugbegleiterin der Beklagten jedenfalls wörtlich angeboten habe, hat die Klägerin nicht behauptet.
Auch des wörtlichen Angebots bedarf es allerdings nicht, wenn offenkundig ist, daß der Gläubiger auf seiner Ablehnung beharren wird. In einem solchen Fall wäre selbst ein wörtliches Angebot reine Förmelei. Auf sein Fehlen vermag der Gläubiger sich dann nicht zu berufen, § 242 BGB (BAG Urteil vom 20. März 1986 – 2 AZR 295/85 – EzA § 615 BGB Nr. 48; BAG Urteil vom 9. August 1984 – 2 AZR 374/83 – BAGE 46, 234 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB; Palandt-Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 295 Rz 4, m.w.N.).
Das Landesarbeitsgericht hat in dem Schreiben vom 16. August 1995 offensichtlich eine in diesem Sinne beharrliche und unumstößliche Weigerung der Beklagten erblickt, ein Arbeitsangebot der Klägerin als Flugbegleiterin anzunehmen. Auch darin ist ihm zu folgen. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Da die maßgeblichen Umstände aber feststehen, kann der Senat diese Bewertung selbst vornehmen. Die Unumstößlichkeit der Ablehnung wird daran erkennbar, daß die Beklagte zu Beginn ihres Schreibens ausgeführt hat, eigentlich habe sie gegenüber der Klägerin während der noch laufenden Probezeit eine “Kündigung als Crew-Mitglied” aussprechen wollen. Die Klägerin sei dem mit der Mitteilung von ihrer Schwangerschaft zuvorgekommen. Angesichts dieser Äußerung, verbunden mit der Aufforderung, in Berlin Bürotätigkeiten aufzunehmen, und der Androhung des Gehaltsverlustes für den Fall der Nichtbefolgung konnte die Klägerin das Schreiben vom 16. August 1995 so verstehen, daß die Beklagte sie in keinem Fall mehr als Flugbegleiterin einsetzen wolle. Sie durfte annehmen, daß auch ein entsprechendes wörtliches Arbeitsangebot die Beklagte nicht mehr würde umstimmen können. Die Beklagte ist deshalb trotz Fehlens eines solchen Angebots in Annahmeverzug geraten.
Der Klägerin steht für die Zeit vom 4. September bis zum 7. Oktober 1995 ein Gehaltsanspruch in rechnerisch unstreitiger Höhe von 2.960,54 DM brutto zu. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte offenbar versehentlich zur Zahlung eines gleichlautenden Nettobetrags verurteilt. Die Revision hat dies nicht angegriffen.
Die Klägerin hat ferner Anspruch auf Zahlung von Mutterschaftslohn für die Zeit vom 8. Dezember 1995 bis zum 29. Februar 1996 gem. § 11 Abs. 1 MuSchG. Nach dieser Vorschrift ist Arbeitnehmerinnen, die wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG oder nach § 4 MuSchG teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen, mindestens der Durchschnittsverdienst der letzten drei Monate vor Beginn des Monats, in welchem die Schwangerschaft eingetreten ist, weiter zu zahlen. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt.
- Die Klägerin unterlag ab dem 8. Oktober 1995 dem Beschäftigungsverbot nach § 4 Abs. 2 Nr. 7 MuSchG. Nach dieser Regelung dürfen werdende Mütter nach Ablauf des dritten Monats der Schwangerschaft auf “Beförderungsmitteln” nicht mehr beschäftigt werden. Mit diesem Begriff sind alle Arten von Fahrzeugen erfaßt, die zu Land, zu Wasser oder in der Luft der Beförderung von Personen oder Sachen dienen. Es kommt nicht darauf an, ob die Arbeitnehmerin das Fahrzeug selbst führt oder ob sie während der Beförderung einer anderen Tätigkeit nachgeht. Das Verbot gilt damit auch für Stewardessen (Senatsurteil vom 22. April 1998 – 5 AZR 478/97 – AP Nr. 4 zu § 4 MuSchG 1968, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, m.w.N.).
- Der Arbeitgeber darf allerdings der von einem Beschäftigungsverbot betroffenen schwangeren Arbeitnehmerin eine zumutbare Ersatztätigkeit zuweisen. Lehnt diese eine solche zumutbare Arbeit ab, geht sie ihres Anspruchs aus § 11 Abs. 1 MuSchG verlustig (Senatsurteil vom 22. April 1998, aaO, m.w.N.). Bei der Zuweisung einer Ersatztätigkeit hat der Arbeitgeber nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 315 BGB). Dabei ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Einerseits gebietet die vertragliche Treuepflicht der Arbeitnehmerin, daran mitzuwirken, die finanziell nicht unerheblichen Folgen eines Beschäftigungsverbots für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Sie muß deshalb für die absehbare Zeit bis zum Beginn der Mutterschutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG unter Umständen auch solche – mutterschutzrechtlich erlaubten und zumutbaren – Tätigkeiten ausüben, zu denen sie im Wege des Direktionsrechts nicht angewiesen werden könnte (BAG Urteil vom 31. März 1969 – 3 AZR 300/68 – BAGE 21, 370 = AP Nr. 2 zu § 11 MuSchG 1968). Andererseits muß die angebotene Ersatzarbeit auf den besonderen Zustand der Schwangeren und deren berechtigte persönliche Belange auch außerhalb der unmittelbaren Arbeitsbeziehung Rücksicht nehmen. Dies kann im Einzelfall bedeuten, daß sogar eine aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers an sich zulässige Zuweisung veränderter Arbeitsaufgaben für die schwangere Arbeitnehmerin unzumutbar ist (BAG Urteil vom 31. März 1969, aaO; BAG Urteil vom 14. April 1972 – 3 AZR 395/71 – AP Nr. 6 zu § 11 MuSchG 1968). Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die beiderseitigen Interessen unter Abwägung der wesentlichen Umstände des Falles angemessen berücksichtigt worden sind (Senatsurteil vom 16. September 1998 – 5 AZR 183/97 – NZA 1999, 384). Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht hat ein unbeschränktes Überprüfungsrecht. Allerdings ist die Billigkeitskontrolle zunächst und in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Ihnen obliegt es, die tatsächlichen Gegebenheiten eines Falles festzustellen und zu würdigen.
Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen.
Es hat angenommen, zwar ergäben sich Zumutbarkeitsbedenken aus der Art und dem Inhalt der von der Klägerin verlangten Ersatztätigkeit nicht. Vom Beginn des sechsten Schwangerschaftsmonats an sei der Klägerin aber die wöchentlich anfallende Fahrt von München nach Berlin und zurück, sei es per Bahn oder sei es per Flugzeug, nicht mehr zumutbar gewesen. Eine solche Reise sei in jedem Fall mit physischen und psychischen Belastungen und mit Risiken für die Gesundheit von Mutter und Kind verbunden. Sie widerspreche der Zielsetzung des § 4 Abs. 2 Nr. 7 MuSchG und sei einer Schwangeren in diesem fortgeschrittenen Zustand der Schwangerschaft nicht mehr zumutbar.
Der Senat schließt sich der Würdigung des Landesarbeitsgerichts an. Die Beklagte ist ihr mit Verfahrensrügen nicht entgegengetreten. Es widerspräche billigem Ermessen, von der Klägerin auch noch nach dem fünften Monat der Schwangerschaft Ersatztätigkeiten in Berlin zu verlangen. Der damit für die Beklagte verbundene Vorteil, soweit er nicht durch die anfallenden Mehraufwendungen ohnehin ausgeglichen wird, wiegt auch mit Blick auf die finanzielle Belastung aus § 11 Abs. 1 MuSchG die für die Klägerin damit verbundenen Beschwernisse nicht auf. Es ist Sache der Partei, der das Recht zur Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 1, Abs. 3 BGB zusteht, im Streitfall darzulegen und zu beweisen, daß ihre Bestimmung der Billigkeit entspricht (Senatsurteil vom 11. Oktober 1995 – 5 AZR 1009/94 – AP Nr. 45 zu § 611 BGB Direktionsrecht). Dies hat die Beklagte nicht vermocht.
Für die Zeit vom 8. Dezember 1995 bis zum 29. Februar 1996 – dem letzten Tag vor Beginn der Mutterschutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG – steht der Klägerin somit Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 MuSchG in Höhe von 7.855,04 DM brutto zu. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin statt dessen 5.173,68 DM netto zugesprochen. Die Beklagte hat auch dagegen nichts vorgebracht.
Die Klägerin hat ebenso Anspruch auf Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 1. März bis zum 8. Juni 1996. Der Anspruch folgt aus § 14 Abs. 1 MuSchG. Die Voraussetzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG liegt vor. Ferner hat die Klägerin seit Anfang Dezember 1995 Anspruch auf Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 MuSchG. Damit ist der Anspruch auf Zuschuß zum Mutterschaftsgeld entstanden. Seiner von der Klägerin vorgenommenen und vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten Berechnung mit 4.398,00 DM netto ist die Beklagte nicht entgegengetreten.
Die Revision der Beklagten ist insgesamt nicht begründet.
Die Anschlußrevision der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Für die Zeit vom 8. Oktober bis zum 7. Dezember 1995, d.h. für den vierten und fünften Schwangerschaftsmonat, stehen der Klägerin Ansprüche auf Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 MuSchG nicht zu. Sie hätte in dieser Zeit im Berliner Büro der Beklagten arbeiten müssen.
- Die schwangere Arbeitnehmerin muß aufgrund der vertraglichen Treuepflicht daran mitwirken, die Auswirkungen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Sie muß ggf. auch solche Tätigkeiten ausführen, zu denen sie im Wege des allgemeinen Direktionsrechts nicht angewiesen werden könnte. Danach ist die der Klägerin angesonnene Ersatztätigkeit als solche unbedenklich. Sie ist in ihrer sozialen Wertigkeit mit der einer Flugbegleiterin vergleichbar, sie ist weder maßregelnd noch kränkend. Auch die vorgesehenen Arbeitszeiten unterliegen keinem mutterschutzrechtlichen Verbot.
- Einer Versetzung der Klägerin aus Gründen des Mutterschutzes steht die dreimonatige Ankündigungsfrist in § 3 des Arbeitsvertrages nicht entgegen. Der Einsatzort nach § 3 Satz 1 des Vertrags betrifft lediglich die Tätigkeit als Flugbegleiterin. Er wird durch eine mutterschutzrechtlich bedingte Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz nicht berührt und nicht geändert. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 22. April 1998 (– 5 AZR 478/97 –, aaO), das einen wortgleichen Vertrag der Beklagten mit einer anderen Mitarbeiterin betraf, bereits entschieden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Frage, ob es der Klägerin jedenfalls im vierten und fünften Schwangerschaftsmonat zumutbar war, die angebotene Tätigkeit in Berlin aufzunehmen, bejaht. Es hat angenommen, die Klägerin sei es aufgrund ihres Berufs gewohnt zu reisen und in Hotels zu übernachten. Sie hätte ihren Lebensstil für die Arbeit in Berlin folglich nicht völlig ändern müssen. Im vierten und fünften Schwangerschaftsmonat stelle auch das Reisen als solches im Regelfall keine besondere Belastung und Gefährdung dar. Zu besonderen Risiken ihrer Schwangerschaft, die zu einer anderen Beurteilung hätten Anlaß geben können, habe die Klägerin nichts vorgetragen.
Der Senat folgt der Würdigung und Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts auch insoweit. Zwar hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen über die Dauer und die sonstigen tatsächlichen Umstände einer Flug- oder Bahnreise der Klägerin von München nach Berlin getroffen. Die tatsächlichen Grundlagen für eine Interessenbewertung im Rahmen des § 315 BGB sind daher möglicherweise nicht umfassend aufgeklärt. Verfahrensrügen hat die Klägerin aber nicht erhoben und schon die feststehenden Tatsachen lassen eine abschließende Bewertung zu.
Zur Benutzung der Bahn hat die Klägerin allerdings unwidersprochen vorgetragen, die Fahrtzeit für die einfache Strecke betrage etwa sieben Stunden. Ob ihr zweimal wöchentlich eine solche Bahnreise zwei Monate lang zumutbar war, erscheint zweifelhaft. Warum ihr aber auch die zeitlich wesentlich kürzere Flugreise unzumutbar gewesen sein sollte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Sie hat vorgebracht, dadurch werde das Beschäftigungsverbot des § 4 Abs. 2 Nr. 7 MuSchG umgangen. Im übrigen wäre sie gezwungen gewesen, schweres Gepäck zu tragen. Beides trifft nicht zu. Ein wöchentlich zweimaliger Flug von München nach Berlin als Passagier ist mit einer durchgehenden Arbeit als Flugbegleiterin nicht zu vergleichen. Die Belastung durch zu schweres Gepäck hätte sich unter Zuhilfenahme entsprechender Hilfsgeräte oder Dienstleistungen auf Kosten der Beklagten vermeiden lassen.
Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, in der Zeit vom 8. Oktober bis zum 7. Dezember 1995 sei der Klägerin die Arbeitsaufnahme in Berlin zumutbar gewesen, hält der rechtlichen Überprüfung stand. Die Anschlußrevision der Klägerin ist nicht begründet.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Kreft, Buschmann, Winterfeld
Fundstellen
Haufe-Index 871680 |
BB 1999, 1068 |
BB 1999, 1880 |
BB 1999, 1979 |
DB 1999, 1170 |
DB 1999, 1962 |
DStR 1999, 1578 |
NJW 2000, 896 |
NWB 1999, 1892 |
ARST 1999, 164 |
ARST 1999, 251 |
FA 1999, 202 |
FA 1999, 304 |
FA 1999, 336 |
NZA 1999, 1044 |
SAE 2000, 81 |
AP, 0 |
RdW 1999, 695 |