Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen fehlerhafter Auskünfte über Versorgungsansprüche. Versorgungsansprüche. fehlerhafte Auskünfte. Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitgeber, der einem Arbeitnehmer eine vergleichende Modellrechnung voraussichtlicher Versorgungsansprüche anbietet, um dessen tarifvertraglich eingeräumte Wahlentscheidung zu unterstützen, aus einer bestehenden Versorgungszusage in ein anderes Versorgungssystem zu wechseln, haftet für eine etwaige Unrichtigkeit dieser Modellrechnung. Ergibt sich aus einer unrichtigen Modellrechnung zu Unrecht, daß die Versorgungsalternative günstiger ist als die bestehende Zusage, und wechselt der Arbeitnehmer daraufhin in dieses Versorgungssystem, muß der Arbeitgeber ihn so stellen, wie er nach der ursprünglichen Versorgungszusage gestanden hätte.
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB §§ 119, 249, 254, 278, 666; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. November 1999 – 8 Sa 59/99 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger den finanziellen Nachteil auszugleichen hat, der ihm durch den Wechsel von der Altersversorgung nach dem Hamburgischen Ruhegeldgesetz (HRGG) zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) entstanden ist.
Die Beklagte ist ein in privater Rechtsform betriebenes Unternehmen der Freien und Hansestadt Hamburg. Der im August 1932 geborene Kläger ist von Beruf Malermeister. Er war von Juli 1981 bis Ende August 1995 bei der Beklagten als Ausbilder tätig. Seither bezieht er Altersrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und eine Zusatzversorgung von der VBL.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien war der Manteltarifvertrag für Angestellte im Bereich der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg (AVH) anwendbar. Für die bei der Beklagten beschäftigten Angestellten galten tarifliche Sonderregelungen. In der Sonderregelung Nr. 1 (zu § 46 zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung) heißt es:
„(1) Für die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Angestellten gilt an Stelle des § 46 der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungstarifvertrag) vom 4. November 1966 in seiner jeweils geltenden Fassung.
(2) Für Angestellte, deren Arbeitsverhältnis zur Berufsbildungswerk Hamburg GmbH am 31. März 1984 bestanden und am 1. April 1984 fortbestanden hat und denen eine Zusatzversorgung in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg (Ruhegeldgesetz) zugesagt worden ist, gilt weiterhin § 46, sofern diese Angestellten nicht bis zum 31. Dezember 1984 durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber die Zusatzversorgung nach Absatz 1 gewählt haben…„
Der Kläger hatte bei seiner Einstellung im Jahre 1981 eine tarifvertragliche Versorgungszusage nach dem HRGG erhalten. Durch schriftliche Erklärung vom 29. März 1984 wählte er die „Zusatzversorgung im Rahmen einer Versicherung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder”. Dies hatte die folgende Vorgeschichte:
Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 13. April 1983 ihren Arbeitnehmern mitgeteilt, daß eine Beteiligung an der VBL geprüft werden solle. Ua. hieß es wörtlich:
„Grund für diese Überlegung ist die Zugehörigkeit zu einer größeren „Versicherten-Gemeinschaft” bei gleichzeitiger Beachtung der Kostenrelation.”
Zugleich bat die Beklagte in dem Schreiben um Mitteilung der persönlichen Versicherungszeit des Klägers. Dazu hieß es weiter:
„Diese Angaben benötigen wir, da wir jeden Einzelfall prüfen wollen um, aufgrund dieser Kenntnis, ggf. Ausnahmen im Einzelfall festzulegen, die Übergangsregelung zu vereinbaren und letztendlich die Entscheidung über die Beteiligung vorzubereiten…
Bei der in Ihre Entscheidung gestellten Frage, ob Sie uns die erbetenen Angaben machen, sollten Sie bedenken, daß wir diese nur erbitten, um sicher zu stellen, daß die bisher aus der Beschäftigung beim BBW Hamburg erworbenen Ansprüche, einschließlich evtl. anzuerkennender Vorzeiten, nicht verloren gehen.”
Daneben informierte auch der Betriebsrat mit Schreiben vom 12. April 1983 über wesentliche Fragestellungen. Mit Schreiben vom 17. Februar 1984 legte die Beklagte dem Kläger eine auf seinen persönlichen Daten beruhende „persönliche Modellrechnung” vor, lud zu einer Belegschaftsversammlung am 20. Februar 1984 ein und bat um Entscheidung des Klägers bis zum 30. März 1984.
Aus der Modellrechnung ergab sich, daß der Kläger bei einem Rentenbeginn mit dem 65. Lebensjahr nach dem HRRG eine Gesamtversorgung in Höhe von 2.011,32 DM und von der VBL in Höhe von 2.145,00 DM zu erwarten habe. Diese Modellrechnung war insofern fehlerhaft, als sie von einer Versicherungszeit ab 1. Juli 1981 und nicht – wie es satzungsmäßig richtig gewesen wäre – von einer Versicherungszeit ab 1. April 1984 ausgegangen ist. Dadurch blieb unberücksichtigt, daß der Kläger am 1. April 1984 bereits das 50. Lebensjahr vollendet hatte, was zur Anwendung einer ungünstigeren Staffel und damit im Ergebnis zu einer niedrigeren VBL-Rente als angenommen führen mußte.
Im Sommer 1994 holte der Kläger bei der VBL eine Rentenauskunft ein und stellte fest, daß nach dieser Auskunft die VBL-Rente monatlich mehr als 600,00 DM niedriger war als nach der Modellberechnung der Beklagten. Die Gewerkschaft ÖTV errechnete nach weiterer Überprüfung unter Berücksichtigung der Jahreszuwendung einen Jahresdifferenzbetrag von 6.941,23 DM. Daraufhin focht der Kläger mit Schreiben vom 26. August 1994 seine Erklärung vom 29. März 1984 wegen Irrtums an. Die Besoldungs- und Versorgungsstelle der Freien und Hansestadt Hamburg kam in einer von der Beklagten eingeholten und von ihr im Rechtsstreit vorgelegten schriftlichen Stellungnahme vom 16. Januar 1995 zu dem Ergebnis, daß bei richtiger Berechnung die Modellberechnung eine Gesamtversorgung durch die VBL in Höhe von 1.914,00 DM hätte ausweisen müssen, also 97,32 DM weniger als nach dem HRGG. Weiter heißt es in der Stellungnahme:
„Auf Grund dieser Berechnung hätte sich Herr K sicherlich für eine Versorgung nach dem Ruhegeldgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg entschieden.”
Mit seiner im Dezember 1994 erhobenen Feststellungsklage hat der Kläger die Beklagte wegen des ihm entstandenen Versorgungsnachteils in Anspruch genommen. Er hat behauptet, maßgeblich für die Ausübung seines Wahlrechts sei die ihm von der Beklagten seinerzeit vorgelegte Modellrechnung gewesen. Entgegen der damaligen Annahme habe sich aber der Wechsel zur VBL nachteilig ausgewirkt. Wäre die Modellrechnung nicht fehlerhaft gewesen, hätte er sich gegen einen Wechsel entschieden. Wegen ihrer falschen Beratung sei die Beklagte zum Schadenersatz verpflichtet. Ihn treffe keine Mitschuld. Er habe alles Erforderliche getan, um sein Wahlrecht sachgerecht auszuüben. Nach Erhalt der von der Beklagten im Zusammenhang mit einer Einzelberatung am 27. Februar 1984 erstellten Modellrechnung sei er noch einmal allgemein durch einen Gewerkschaftssekretär über die Vor- und Nachteile des Wechsels beraten worden. Die in der Modellrechnung enthaltenen Fehler habe er nicht erkennen können.
Der Kläger hat beantragt
Die Beklagte hat beantragt die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, sie habe ihre Mitarbeiter hinreichend informiert und damit ihre Fürsorgepflicht erfüllt. Die Vorlage einer Modellrechnung, die auf nicht nachgeprüften Angaben des Klägers beruht habe und nicht verbindlich sei könne, könne keine Schadenersatzpflicht auslösen. Der Kläger hätte selbst erkennen können, daß es bei der Berechnung ua. auf das Lebensalter ankommen würde, was aber in der Modellrechnung versehentlich keine Berücksichtigung gefunden habe. Schließlich habe der Kläger sich durch seine Gewerkschaft beraten lassen. Die Beklagte sei mangels eigener Kenntnisse auf die Aussage kompetenter Berater angewiesen gewesen, so daß sie selbst allenfalls leichte Fahrlässigkeit treffe. Dem gegenüber sei dem Kläger auf jeden Fall ein überwiegendes Mitverschulden anzulasten. Im übrigen sei offengeblieben, inwieweit sich der Kläger bei einem Verbleib in der Altersversorgung nach dem HRGG besser gestanden hätte und ob die Modellrechnung bei Vermeidung der Fehler dies überhaupt ergeben hätte. Zudem habe man 1984 Schätzbeträge verwendet. Eine eindeutige Entscheidung zugunsten des HRGG wäre nach damaliger Sach- und Rechtslage deshalb überhaupt nicht möglich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage unter Abweisung im übrigen in Höhe von 75 % des vom Kläger begehrten Differenzbetrages stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers der Klage aus dem Hauptantrag in vollem Umfang stattgegeben. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat sie zu Recht als verpflichtet angesehen, dem Kläger den monatlichen Differenzbetrag zwischend der von der VBL gezahlten Versorgungsrente und dem sich jeweils ergebenden Ruhegeld nach dem Hamburger Ruhegeldgesetz in voller Höhe zu zahlen.
A. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig.
I. Der Kläger hat für seinen Feststellungsantrag das besondere Rechtsschutzinteresse nach § 256 ZPO. Er strebt die Feststellung des Bestandes eines Rechtsverhältnisses an, nämlich einer Schadenersatzverpflichtung der Beklagten ihm gegenüber. Er hat als Rentner ein schützenswertes Interesse daran, daß die Rechtslage insoweit alsbald festgestellt wird. Dabei ist es aus Gründen der Prozeßökonomie auch statthaft, zunächst eine Klärung herbeizuführen, ob der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach besteht. Solange die Parteien hierüber streiten, muß ihnen nicht zugemutet werden, den Anspruch der Höhe nach zu berechnen, was nach dem übereinstimmenden Vorbringen beider Parteien auf Grund der besonderen Kompliziertheit der Versorgungsregelungen im öffentlichen Dienst nur durch besonders fachkundige Personen durchgeführt werden kann(vgl. hierzu auch BAG 27. Januar 1998 – 3 AZR 415/96 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 45 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 7, zu A III 2 der Gründe mwN).
II. Der Klageantrag ist auch hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Es kommt nicht darauf an, wie hoch der vom Kläger geltend gemachte Differenzbetrag bei Eintritt in den Ruhestand war. Eine ziffernmäßige Festlegung würde ohnehin nur für einen kurzen Zeitraum Klarheit schaffen. Zukünftig eintretende Leistungsanspassungen führten und führen immer wieder zu einer Änderung der jeweiligen Unterschiedsbeträge. Eine wesentliche Klarstellung würde mit einer vorübergehend geltenden Bezifferung nicht gewonnen. Darüber hinaus reicht es zur Erfüllung des Bestimmtheitserfordernisses auch, daß die abstrakten Kriterien, die den Umfang der Leistungsverpflichtung der Beklagten festlegen, im Antrag benannt sind. Dies ist geschehen. Die Beklagte soll den Differenzbetrag zahlen, der sich zwischen der Jahresleistung der von der VBL gezahlten Rente und den Leistungen nach dem HRGG ergibt.
B. Die Klage ist auch begründet. Der Kläger kann von der Beklagten den geltend gemachten Differenzbetrag als Schadenersatzanspruch verlangen.
1. Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch allerdings nicht als Erfüllungsanspruch aus der ursprünglichen Versorgungszusage nach Maßgabe des Hamburger Ruhegeldgesetzes. Seine Wahl einer Versorgung durch die VBL mit der Erklärung vom 29. März 1984 ist wirksam geblieben.
a) Die Anfechtung dieser Erklärung durch den Kläger mit Schreiben vom 26. August 1994 ist rechtsunwirksam. Der Kläger hatte keinen Anfechtungsgrund.
Ein Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 zweite Alt. BGB) oder ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 Abs. 2 BGB) kommen von vornherein nicht in Betracht. Der Kläger ist bei der Wahl der VBL-Versorgung aber auch keinem Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 erste Alt. BGB) unterlegen. Ein solcher Irrtum liegt nur dann vor, wenn Wille und Erklärung des Erklärenden auseinander fallen und der Erklärende die Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte. Auf einen solchen Irrtum beruft sich der Kläger nicht. Er hat das erklärt, was er erklären wollte. Er hat die vermeintlich günstigere Versorgung durch die VBL gewählt. Der vom Kläger geltend gemachte Irrtum betrifft das Stadium seiner Willensbildung. Er meint, er sei zu seiner Erklärung durch einen Kalkulationsirrtum, also einen Motivirrtum veranlaßt worden. Auf einen solchen Irrtum kann eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 142, § 119 Abs. 1 BGB aber grundsätzlich nicht gestützt werden. Der Erklärende trägt im Recht der Willenserklärung durchgängig das Risiko dafür, daß die Kalkulation, die seiner Willensbildung zugrunde liegt, richtig ist(BGH 19. Dezember 1985 – VII ZR 188/84 – NJW-RR 1986, 569, 570). Dies gilt auch dann, wenn der Erklärungsempfänger den Kalkulationsirrtum des Erklärenden hätte erkennen können, wie dies vorliegend möglicherweise in Betracht kommt. Daß die Beklagte seinen Irrtum bei Entgegennahme seiner Wahlentscheidung erkannt hätte, behauptet der Kläger nicht. In einem solchen Fall mag etwas anderes gelten(vgl. BGH 13. Juli 1995 – VII ZR 142/94 – NJW-RR 1995, 1360; 7. Juli 1998 – X ZR 17/97 – BGHZ 139, 177 ff., zu IV 1 b und c der Gründe mwN).
b) Ein Rückgriff auf den ursprünglichen Versorgungsanspruch kommt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch unter dem Gesichtspunkt eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht. Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist von vornherein nicht anwendbar. Sie stellt ein Instrument zur außerordentlichen Anpassung von Verträgen dar. Die Parteien haben aber keinen Vertrag über den Wechsel des Versorgungsweges geschlossen. Der Kläger hat durch einseitige Erklärung ein ihm tarifvertraglich eingeräumtes Wahlrecht ausgeübt. Im übrigen ist es auch nicht möglich, das durch die Ausübung des Wahlrechts entstandene dreiseitige Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger, der Beklagten und der VBL allein im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu modifizieren.
2. Der klägerische Anspruch besteht jedoch als Schadenersatzanspruch wegen positiver Forderungsverletzung. Die Beklagte hat schuldhaft eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Hierdurch ist es zu einer Schädigung des Klägers gekommen, der hierfür nicht mitverantwortlich ist. Den Schaden des Klägers muß die Beklagte ausgleichen.
a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Anspruch allerdings nicht auf eine entsprechende Anwendung des § 666 BGB gestützt werden. Die dort festlegte Auskunftspflicht trifft den Beauftragten, bei analoger Anwendung auf das Arbeitsverhältnis (§ 675 BGB) also den Arbeitnehmer, nicht den Arbeitgeber(so auch ErfK/Preis § 611 BGB Nr. 32).
b) Der Anspruch des Klägers ergibt sich jedoch aus einer Verletzung der jedem Arbeitsverhältnis inne wohnenden Nebenpflicht des Arbeitgebers, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der seiner Belange und der des Betriebes und der Interessen der anderen Arbeitnehmer nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Diese Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers gilt auch für die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers(vgl. hierzu BAG 14. Oktober 1998 – 3 AZR 377/97 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 47 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 9, zu II 1 der Gründe; MünchArbR/Blomeyer 2. Aufl. § 94 Rn. 2, 14 ff. mwN; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 108 Rn. 9). Die Beklagte hat diese Pflicht verletzt, indem sie dem Kläger eine unrichtige Auskunft über die Höhe der aus einer Zusatzversorgung bei der VBL sich ergebenden Rentenansprüche gegeben hat.
aa) Es kann dahinstehen, ob eine unrichtige Auskunft, die ein Arbeitgeber auf Nachfrage einem Arbeitnehmer gibt, unter allen Umständen als zum Schadenersatz verpflichtende Vertragsverletzung zu bewerten ist. Die Beklagte hat die vom Kläger beanstandete Auskunft nicht auf dessen Nachfrage, sondern von sich aus gegeben. Sie war an dessen Wechsel aus dem bisherigen Zusatzversorgungssystem zur VBL interessiert und hat von sich aus die persönlichen Daten des Klägers erbeten, um für ihn eine Modellrechnung erstellen zu können. Diese sollte den Kläger in die Lage versetzen, eine seinen Versorgungsinteressen entsprechende Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich auf das neue Versorgungssystem einläßt oder nicht. Auf diese Weise hat die Beklagte mit ihrer Auskunft bewußt und gewollt auf eine wesentliche Vermögensinteressen des Klägers betreffende Entscheidung Einfluß genommen. Sie hatte deshalb auch die Pflicht, eine richtige Auskunft zu geben, welche eine der Sach- und Rechtslage entsprechende Entscheidung des Klägers ermöglichte.
bb) Die Beklagte hat eine sachlich unrichtige Auskunft erteilt. Sie hat mit dem 1. Juli 1981 einen unrichtigen Beginn der Versicherung des Klägers bei der VBL zugrunde gelegt. Dadurch wurde nicht berücksichtigt, daß der Kläger bei tatsächlichem Versicherungsbeginn bereits älter als 50 Jahre sein würde. Deshalb hätte an sich eine ungünstigere Versorgungsstaffel zugrunde gelegt werden müssen, als dies tatsächlich geschehen ist.
Die Beklagte hat sich zwar im Prozeß darauf berufen, ihre unrichtige Auskunft könne durch eine fehlerhafte Angabe des Klägers in dem von ihm ausgefüllten Erhebungsbogen verursacht worden sein. Sie hat dieses Vorbringen jedoch nicht näher substantiiert und insbesondere keine bestimmte Tatsachen betreffende Falschangabe des Klägers behauptet. Es reicht nicht aus, die von ihr nicht einmal vorgetragenen Angaben des Klägers im Erhebungsbogen nachträglich im Prozeß mit Nichtwissen zu bestreiten. Die Beklagte hätte darlegen können und müssen, welche Angaben des Klägers nicht zutreffen.
Auch der Einwand der Beklagten, eine gewisse Ungenauigkeit der von ihr ermittelten Zahlen liege in der Natur einer Modellberechnung, ändert an ihrer Vertragsverletzung nichts. Es geht nicht um eine rechnerische Abweichung in der Modellrechnung vom realen Versicherungsverlauf, sondern darum, daß die von der Beklagten eingeschaltete und ihr nach § 278 BGB zuzurechnende Stelle bei der Ermittlung der Prognosewerte selbst einen grundlegenden Fehler gemacht hat.
cc) Der Kläger hat einen Versorgungsschaden erlitten.
Zwischen den Parteien ist nicht streitig, daß der Anspruch auf Zusatzversorgung, den der Kläger gegenüber der VBL hat, niedriger ist als derjenige, den er nach Maßgabe des Hamburger Ruhegeldgesetzes haben würde. Es besteht zwar über die genaue Höhe des Differenzbetrages kein Einvernehmen. Hierauf kommt es aber nicht an, solange die Parteien nur darum streiten, ob ein Anspruch auf Ausgleich des Differenzbetrages dem Grunde nach besteht. Auf die Ausführungen des in erster Instanz gehörten Sachverständigen in diesem Zusammenhang kommt es deshalb ebensowenig an, wie auf die Rügen, welche die Beklagte im Hinblick auf die Verwertung des Gutachtens durch die Vorinstanzen erhebt.
dd) Der Versorgungsschaden des Klägers ist durch die fehlerhafte Auskunft der Beklagten verursacht worden.
Der Kläger hat zwar selbst die Entscheidung getroffen, anstelle der zunächst zugesagten Versorgung nach Maßgabe des Hamburger Ruhegeldgesetzes eine im Ergebnis ungünstigere Versorgung durch die VBL zu wählen. Dies schließt eine Schadensverursachung durch die Beklagte aber nicht aus. Auch bei einem eigenverantwortlichen Handeln des Geschädigten ist ein dadurch ausgelöster Schaden einem Dritten zuzurechnen, wenn sich die Handlung des Geschädigten als nicht ungewöhnliche Reaktion auf ein das Handeln herausforderndes vertragswidriges Verhalten des Dritten darstellt(BGH 4. Juli 1994 – II ZR 126/93 – NJW 1995, 126, 127; 20. Oktober 1994 – IX ZR 116/93 – NJW 1995, 449, 451). So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die Modellrechnung der Beklagten zielte ausweislich des Anschreibens vom 13. April 1983 darauf ab, den Willensentschluß des Klägers bei der Ausübung seines Wahlrechts maßgeblich zu beeinflussen.
Es steht fest, daß eine fehlerfreie Modellrechnung der Beklagten zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß die Versorgung nach Maßgabe des Hamburger Ruhegeldgesetzes voraussichtlich günstiger sein würde als ein Wechsel zur VBL. Die Parteien streiten zwar darum, welche genauen Zahlenwerte der beiden miteinander verglichenen voraussichtlichen Versorgungsleistungen richtigerweise hätten mitgeteilt werden müssen. Aber selbst wenn man das Vorbringen der Beklagten zugrunde legt, welche die Berechnung der Besoldungs- und Versorgungsstelle der Freien und Hansestadt Hamburg mit Schreiben vom 16. Januar 1995 vorgelegt hat, das sich der Kläger hilfsweise zu eigen gemacht hat, hätte die Beklagte dem Kläger nur eine voraussichtliche VBL-Rente in Höhe von 694,00 DM monatlich mitteilen dürfen, statt der von ihr errechneten 925,00 DM. Danach wäre die voraussichtliche Rente nach dem Hamburger Ruhegeldgesetz von 791,32 DM mithin nicht um mehr als 100,00 DM schlechter als die VBL-Versorgung, sondern um 97,32 DM günstiger gewesen. Auch nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten hätte eine zutreffende Modellrechnung ergeben, daß der Kläger bei einer Wahl der VBL-Rente auf mehr als 12 % der Rente verzichtete, die er bei Fortbestand der bisherigen Versorgungszusage voraussichtlich erhalten würde.
Diese Differenz ist derart hoch, daß zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden muß, daß er sich bei einer sachlich richtigen Modellrechnung der Beklagten gegen einen Wechsel zur VBL und für eine Aufrechterhaltung der bisherigen Versorgungsregelung entschieden hätte. Für den Kläger streitet insoweit die Vermutung des „aufklärungsrichtigen Verhaltens”; hat ein Arbeitnehmer die freie Wahl, ob er die bisherige Rechtslage beibehält oder etwas neues wählt, und wird ihm mitgeteilt, daß der Wechsel mit nicht unerheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden ist, entscheidet er sich typischerweise hiergegen. Es kann hier dahin stehen, ob sich daraus zugunsten des falsch informierten Arbeitnehmers eine Umkehr der Beweislast oder nur ein Beweis des ersten Anscheins ergibt (vgl. hierzu einerseits Senat 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116; BGH 16. November 1993 – XI ZR 214/92 – BGHZ 124, 151; andererseits BGH 30. September 1993 – IX ZR 73/93 – BGHZ 123, 311). In jedem Fall muß derjenige, der seine Aufklärungs- und Hinweispflichten verletzt hat, Tatsachen darlegen, die für ein atypisches Verhalten des Geschädigten sprechen. Die Beklagte hat jedoch nicht einmal behauptet, daß der Kläger sich auch bei Vorlage einer Modellrechnung, wie sie nach ihrer Auffassung richtig gewesen wäre, für einen Wechsel zur VBL entschieden hätte. Sie hat im Gegenteil die Stellungnahme der Besoldungs- und Versorgungsstelle der hinter ihr stehenden Freien und Hansestadt Hamburg vom 16. Januar 1995 vorgelegt, derzufolge es „sicherlich” zu einer gegenteiligen Reaktion des Klägers gekommen wäre.
ee) Die von der Beklagten zur Erstellung der Modellrechnung eingeschalteten Hilfspersonen von der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg haben jedenfalls einfach fahrlässig gehandelt, als sie einen unrichtigen Versicherungsbeginn zugrunde legten und den Zusammenhang mit dem zwischenzeitlich erreichten Lebensalter des Klägers übersahen. Dieses Verschulden hat die Beklagte wie eigenes Verschulden zu vertreten (§ 278 BGB).
ff) Entgegen der Auffassung der Beklagten trifft den Kläger auch kein Mitverschulden iSd. § 254 BGB an der Entstehung des Versorgungsschadens. Ihm kann nicht der Vorwurf gemacht werden, vor der Wahl des Wechsels zur VBL die Sorgfalt außer Acht gelassen zu haben, die nach Lage der Dinge im Eigeninteresse erforderlich war.
Die Initiative zum Wechsel des Versorgungsweges ging von der Beklagten aus. Sie hatte zugesagt, die individuellen Umstände sorgfältig zu prüfen, damit keine Ansprüche „verloren gingen”. Der Kläger durfte danach darauf vertrauen, daß die Modellrechnung sachkundig und auf der Grundlage seiner persönlichen Umstände zutreffend erstellt werden würde.
Der Kläger hatte auch keine Veranlassung, von sich aus noch einmal die sachliche Richtigkeit der Modellrechnung überprüfen zu lassen. Dies gilt auch angesichts des Umstandes, daß aus der dem Kläger ausgehändigten Berechnung erkennbar war, daß die Beklagte einen Versicherungsbeginn ab dem 1. Juli 1981 zugrunde gelegt hatte. Dies konnte der Kläger aber nicht als Fehler erkennen. Er hatte keine Kenntnis von der zwischen der Beklagten und der VBL getroffenen oder beabsichtigten Beteiligungsvereinbarung. Er mußte vielmehr auf Grund des Schreibens der Beklagten vom 13. April 1983 davon ausgehen, daß er bei der VBL rückwirkend ab Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses am 1. Juli 1981 versichert werden sollte. In diesem Schreiben war ihm mitgeteilt worden, die Beklagte wolle sicherstellen, daß „die bisher aus der Beschäftigung beim BBW Hamburg erworbenen Ansprüche, einschließlich evtl. anzuerkennender Vorzeiten, nicht verloren gehen.” Die von der Beklagten bei der Modellrechnung zugrundegelegte Versorgungsstaffel konnte der Mitteilung nicht entnommen werden.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Goebel, Ludwig
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.11.2000 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 637678 |
BB 2001, 1854 |
DB 2000, 2435 |
DB 2002, 227 |
NWB 2002, 2277 |
ARST 2001, 284 |
FA 2001, 25 |
FA 2002, 24 |
FA 2002, 53 |
JR 2001, 484 |
NZA 2002, 618 |
SAE 2001, 284 |
ZTR 2001, 526 |
AP, 0 |
AuA 2001, 37 |
AuA 2001, 525 |
EzA |
ZMV 2001, 42 |
ZfPR 2001, 150 |
AuS 2000, 58 |