Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltungsbereich der Bautarife bei Mischbetrieb
Leitsatz (redaktionell)
1. Werden in einem Betrieb unterschiedliche Betriebszwecke verfolgt (sog Mischbetrieb), richtet sich der Geltungsbereich des Rahmentarifvertrags für das Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 17.4.1950 (BauRTV) grundsätzlich nach der überwiegenden Arbeitszeit der Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr.
2. Eine selbständige Betriebsabteilung liegt nicht vor, wenn die personelle und organisatorische Abgrenzbarkeit fehlt, weil Arbeitnehmer je nach Auftragslage für beide unterschiedlichen Betriebszwecke eingesetzt werden.
Orientierungssatz
1. Abgrenzung des Geltungsbereichs des BauRTV bei einem Betrieb, der Baugrubenabsicherung und Herstellung von Geschenkartikeln betreibt.
2. Zu § 1 Abs 2 und § 2 Abschnitt I Nr 6 des Tarifvertrags über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 12. November 1960 (Verfahrenstarifvertrag) in der Fassung vom 17. November 1980.
Normenkette
BauRTV § 1 Abs. 2; TVG § 1 Fassung 1969-08-25, § 4 Abs. 2 Fassung 1969-08-25, Abs. 1 Fassung 1969-08-25, § 5 Abs. 4 Fassung 1969-08-25
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 03.06.1986; Aktenzeichen 5 Sa 1140/85) |
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 13.08.1985; Aktenzeichen 1 Ca 59/82) |
Tatbestand
Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes, die nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (Verfahrens-TV) die Beiträge für Zusatzversorgung, Lohnausgleich und Urlaub der Arbeitnehmer des Baugewerbes von den Arbeitgebern einzieht und Auskünfte zur Errechnung der Beiträge einholt. Sie verlangt von dem beklagten Arbeitgeber Auskünfte nach näherer tariflicher Regelung über die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer für die Monate Juni 1980 bis Februar 1982.
Der Beklagte ist Inhaber eines Betriebs, dessen Geschäftstätigkeit sich auf zwei Bereiche erstreckt. In dem einen Geschäftsbereich sichern Arbeitnehmer des Beklagten Baugruben gegen nachrutschendes Erdreich, insbesondere auf Großbaustellen, ab. Sie legen hierbei an den von anderen Firmen eingerammten Stahlträgern Kanthölzer ein und entfernen sie zum Teil nach Fertigstellung des Projekts wieder. In einem weiteren Geschäftsbereich stellen Arbeitnehmer des Beklagten Geschenkartikel her, z. B. Holzschnitzereien, Kuckucksuhren, rustikale Decken- und Wandlampen. Über eine feste Stammbelegschaft verfügt der Beklagte nicht. Vielmehr sind bei ihm außer seinem Vater, einem Holzschnitzer und einem technischen Zeichner überwiegend ausländische Arbeitnehmer für begrenzte Zeit - zum Teil nur für wenige Monate - beschäftigt. Der Beklagte ist Mitglied der Tiefbauberufsgenossenschaft. Das Landesarbeitsamt hat mit Bescheid vom 8. Dezember 1982 festgestellt, daß im Betrieb des Beklagten die Geschenkartikelherstellung überwiegt und den Beklagten daher rückwirkend ab 30. September 1981 von der Umlagepflicht zur Winterbau-Umlage nach § 186 a AFG freigestellt.
Mit der Klage hat die Klägerin den Beklagten nach Maßgabe des Verfahrens-TV zur Auskunftserteilung und für den Fall der Nichterfüllung auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von DM 134.400,-- in Anspruch genommen. Hierzu hat sie vorgetragen, arbeitszeitlich überwiegend befasse sich der Betrieb des Beklagten mit Grundbauarbeiten im Tiefbaubereich, die vom fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau erfaßt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen
Formular Auskunft darüber zu erteilen,
1.1. wieviel Arbeitnehmer, die eine
nach den Vorschriften der Reichs-
versicherungsordnung über die
Rentenversicherung der Arbeiter
(RVO) versicherungspflichtige Tä-
tigkeit ausüben, in den Monaten
Juni 1980 bis Februar 1982 in dem
Betrieb des Beklagten beschäftigt
wurden sowie in welcher Höhe die
lohnsteuerpflichtige Bruttolohn-
summe insgesamt für diese Arbeit-
nehmer und die Beiträge für die
Sozialkassen der Bauwirtschaft in
den genannten Monaten angefallen
sind.
2. Für den Fall, daß diese Verpflichtung
zur Auskunftserteilung innerhalb einer
Frist von zwei Wochen nach Urteilszu-
stellung nicht erfüllt wird, an die Klä-
gerin folgende Entschädigung zu zahlen:
134.400,-- DM.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, baugewerbliche Tätigkeiten seien in seinem Betrieb nicht überwiegend, sondern in der zweiten Hälfte 1980 nur zu 47,8 % und 1981 nur zu 37,7 % angefallen und würden in Zukunft wegen der schlechten Auftragslage voraussichtlich ganz eingestellt. Mitglied der Tiefbauberufsgenossenschaft sei schon der väterliche Betrieb gewesen, weil die Arbeitnehmer dort besser abgesichert seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge mit der Maßgabe weiter, daß die Frist zur Auskunftserteilung nach Ziff. 2 des Klageantrags einen Monat beträgt und als Entschädigung nur noch DM 107.520,-- gefordert werden. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht die begehrten Auskünfte nach dem Verfahrens-TV verlangen. Denn der Betrieb des Beklagten wird nicht vom Geltungsbereich des Verfahrens-TV umfaßt.
Nach § 2 Abschnitt I Ziff. 6 Verfahrens-TV, der im Klagezeitraum (Juni 1980 bis Februar 1982) allgemeinverbindlich war und deshalb nach § 5 Abs. 4, § 4 Abs. 2 TVG unmittelbar und zwingend galt, ist ein Arbeitgeber dazu verpflichtet, auf einem von der Einzugsstelle zur Verfügung gestellten Formblatt die von der Klägerin geltend gemachten Auskünfte zu erteilen, sofern der Betrieb unter den fachlichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV fällt. Der Verfahrens-TV in der Fassung vom 28. Dezember 1979 verweist hinsichtlich des fachlichen Geltungsbereichs in § 1 Abs. 2 auf den Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Baugewerbe vom 28. Dezember 1979, der wörtlich mit dem Geltungsbereich des BRTV-Bau übereinstimmt. Die mit dem Tarifvertrag vom 17. November 1980 in den Verfahrens-TV eingefügte eigenständige Regelung des fachlichen Geltungsbereichs (§ 1 Abs. 2 Verfahrens-TV), die am 1. Januar 1981 in Kraft trat, stimmt ebenfalls mit der Regelung des BRTV-Bau überein.
Nach dem auch im Bereich des Verfahrens-TV maßgebenden fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau fallen Betriebe, in denen bauliche Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschnitt I bis V BRTV-Bau überwiegend erbracht werden, grundsätzlich als Ganzes unter den Tarifvertrag (§ 1 Abs. 2 Abschnitt VI BRTV-Bau). Diese Voraussetzung erfüllt der Betrieb des Beklagten nicht. Denn die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerin (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 230/86 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) hat nach der Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts über die umfangreiche Beweisaufnahme nicht bewiesen, daß im Betrieb des Beklagten überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden und die Geschenkartikelherstellung, die unzweifelhaft keine bauliche Leistung darstellt, nicht überwiegt. Diese Beweiswürdigung wird von der Revision mit Revisionsrügen formeller Art nicht angegriffen. Rechtsverstöße sind insoweit nicht ersichtlich.
Nach den eigenen Angaben des Beklagten, die sich die Revision ersichtlich hilfsweise zu eigen macht, überwiegen im Betrieb des Beklagten nicht die baulichen Leistungen, sondern die Geschenkartikelherstellung. Insoweit ist die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Beklagten maßgebend (BAG Urteil vom 10. September 1975 - 4 AZR 456/74 -, AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau mit weiteren Nachweisen; vgl. auch BAGE 35, 133, 137 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Steinmetzgewerbe). Hierbei ist grundsätzlich von der überwiegenden Arbeitszeit innerhalb eines Kalenderjahres auszugehen, sofern sich die Tätigkeit des Betriebs mindestens über ein Kalenderjahr erstreckt und sich seine Zweckbestimmung innerhalb des maßgebenden Kalenderjahres nicht geändert hat. Da im Baugewerbe der Umfang der Tätigkeiten sehr stark von der Witterung abhängt und diese von Jahreszeit zu Jahreszeit unterschiedlich ist, erscheint es allein sachgerecht, für die Frage, ob ein Betrieb überwiegend bauliche Leistungen erbringt, einen Zeitraum von zwölf Monaten zugrunde zu legen. Andernfalls könnten saisonale Schwankungen zur zeitweisen Geltung oder Nichtgeltung der Bautarifverträge führen, was dem Sinn und Zweck des fachlichen Geltungsbereichs des BRTV-Bau, Betriebe grundsätzlich als Ganzes zu erfassen, widerspräche. Darüber hinaus gäbe es keinen sachlichen Anhaltspunkt dafür, welcher Zeitraum dann zugrunde zu legen wäre. Insoweit käme allenfalls ein monatlicher Vergleich in Betracht, da dies dem Lohnabrechnungszeitraum entspricht. Eine monatliche Betrachtungsweise könnte dann dazu führen, daß ein Betrieb von Monat zu Monat aus dem Geltungsbereich der Bautarifverträge herausfällt oder wechselweise wieder von ihm erfaßt wird. Dies wäre nicht nur unpraktikabel, sondern führte auch zu Rechtsunsicherheit und widerspräche dem angeführten Zweck des § 1 Abs. 2 Abschnitt VI BRTV- Bau, Betriebe als Ganzes zu erfassen. Daher ist grundsätzlich ein Zwölf-Monats-Zeitraum zugrunde zu legen. Hierbei ist auf das Kalenderjahr abzustellen, da nach dem Verfahrens-TV der 1. Januar der Stichtag ist, an dem der Arbeitgeber prüfen muß, ob sein Betrieb unter den fachlichen Geltungsbereich der Bautarife fällt, weil er dann für das laufende Kalenderjahr eine Lohnnachweiskarte für Urlaub, Lohnausgleich und Zusatzversorgung im Baugewerbe anlegen muß. Ein Kalenderjahr kann allerdings nur dann zugrunde gelegt werden, wenn der Arbeitgeber während des gesamten Kalenderjahres seinen Betrieb geführt hat und der Geschäftsgegenstand sich nicht geändert hat. Nur dann kann die Tätigkeit während eines Kalenderjahres repräsentativ sein und Indizwirkung für die Zukunft entfalten. Diese Auslegung entspricht dem Grundsatz, daß im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen).
Danach überwog im Betrieb des Beklagten nicht die Tätigkeit im Baugewerbe, sondern die Geschenkartikelherstellung. Nach der Aufstellung des Beklagten entfielen im Kalenderjahr 1981 nur 37,7 % der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer auf bauliche Leistungen. Auch im Klagezeitraum aus den Jahren 1980 und 1982 überwog im Betrieb des Beklagten die Arbeitszeit für Geschenkartikelherstellung die Arbeitszeit für bauliche Leistungen, wobei zugunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, daß die Absicherung von Baugruben gegen nachrutschendes Erdreich durch die Arbeitnehmer des Beklagten eine bauliche Leistung darstellt.
Die Geschäftstätigkeit des Beklagten bei der Absicherung von Baugruben stellt auch keine selbständige Betriebsabteilung dar, die insoweit vom fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe erfaßt werden könnte. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VI BRTV-Bau sind zwar auch selbständige Betriebsabteilungen Betriebe im Sinne des BRTV-Bau. Zur selbständigen Betriebsabteilung gehören aber eine personelle Einheit sowie organisatorische Abgrenzbarkeit, eigene technische Betriebsmittel und ein selbständiger, spezifischer Zweck (vgl. BAG Urteil vom 8. Oktober 1975 - 4 AZR 432/74 -, AP Nr. 25 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Der Betrieb des Beklagten verfolgt mit der Herstellung von Geschenkartikeln einerseits und der Absicherung von Baugruben durch Holzausfachung andererseits verschiedene Zwecke. Es liegt aber keine personelle Einheit und organisatorische Abgrenzung für jeden dieser beiden Betriebszwecke vor. Vielmehr sind Arbeitnehmer des Beklagten - je nach Auftragslage - sowohl im Baubereich als auch bei der Herstellung von Geschenkartikeln beschäftigt worden. Das ergibt sich aus den Zeugenaussagen und den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Insoweit ist es unerheblich, daß nur ein Teil der Arbeitnehmer des Beklagten in beiden Tätigkeitsbereichen des Beklagten tätig war. Denn dies allein genügt, um eine personelle Einheit oder organisatorische Abgrenzbarkeit der Betriebsteile "Baugrubenabsicherung" und "Geschenkartikelherstellung" zu verneinen. Deshalb kann offenbleiben, ob der Auffassung der Revision zu folgen ist, daß bei Kleinbetrieben mit zehn bis 15 Arbeitnehmern geringere Anforderungen an die einzelne Abteilung hinsichtlich einer besonderen Buchhaltung und technischen Leitung zu stellen sind. Personelle Einheit und organisatorische Abgrenzbarkeit hinsichtlich des speziellen Betriebszwecks sind aber für eine Betriebsabteilung unabdingbar.
Der Auffassung der Revision, wenn keine Betriebsabteilungen vorlägen, seien die Bautarife anzuwenden, da der Betrieb des Beklagten keinen konkurrierenden Tarifverträgen unterfalle, kann nicht gefolgt werden. Die Revision will damit offenbar an § 1 Abs. 2 Abschnitt VI Unterabs. 2 BRTV-Bau anknüpfen, in dem es heißt:
"Werden in Betrieben des Baugewerbes in selb-
ständigen Abteilungen andere Arbeiten ausge-
führt, so werden diese Abteilungen dann nicht
von diesem Tarifvertrag erfaßt, wenn sie von
einem spezielleren Tarifvertrag erfaßt werden."
Aus dieser Vorschrift kann im Umkehrschluß gefolgert werden, daß auch branchenfremde selbständige Betriebsabteilungen dann vom BRTV-Bau erfaßt werden, wenn für sie kein spezieller Tarifvertrag besteht. Voraussetzung hierfür ist aber, daß ein Betrieb des Baugewerbes vorliegt. Dies ist nur dann der Fall, wenn in ihm überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden oder wenn eine selbständige Betriebsabteilung überwiegend bauliche Leistungen erbringt (§ 1 Abschnitt VI BRTV-Bau). Beides ist vorliegend zu verneinen.
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel
H. Hauk Dr. Konow
Fundstellen
Haufe-Index 439382 |
BAGE 55, 223-228 (LT1-2) |
BAGE, 223 |
RdA 1987, 256 |
AP § 1 TVG Tarifverträge - Bau (LT1-2), Nr 82 |
AR-Blattei, Baugewerbe VIII Entsch 85 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 370.8 Nr 85 (LT1-2) |
EzAÜG, Nr 215 (LT1-2) |
EzA § 4 TVG Bauindustrie, Nr 36L |