Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage
Leitsatz (redaktionell)
Rechnet der Arbeitgeber die einen einzelnen Arbeitnehmer bei unveränderter Tätigkeit betreffende Tariflohnerhöhung infolge Wechsels der Tarifgruppe (hier nach Erreichen einer bestimmten Zahl von Berufsjahren) ganz oder teilweise auf eine übertarifliche Zulage an, besteht hinsichtlich dieser Anrechnung kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, weil für eine anderweitige Verteilung der Kürzung kein Raum ist.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 07.03.1990; Aktenzeichen 15 (17) Sa 1421/89) |
ArbG Siegen (Entscheidung vom 26.05.1989; Aktenzeichen 2 Ca 1644/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung infolge Änderung der Tarifgruppe auf eine übertarifliche Zulage.
Der Kläger ist seit dem 1. Juni 1981 bei dem beklagten Zeitungsverlag als Redakteur beschäftigt. Der Anstellung vorausgegangen war ein Bewerbungsschreiben vom 3. Mai 1981, in dem der Kläger unter Bezugnahme auf seine Eingruppierung in früheren Tätigkeiten seine finanziellen Vorstellungen mit 3.800,-- DM angegeben hatte. Die Parteien trafen in § 6 des am 1. Juni 1981 abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrags folgende Gehaltsregelung:
"§ 6
Gehalt
Der Redakteur wird in Gehaltsgruppe R III a des
Gehaltstarifs vom 1.5.1980 eingestuft.
Sein monatliches tarifliches/übertarifliches
Bruttogehalt beträgt 3.472,-- DM
+ AZ 328,-- DM
---------
3.800,-- DM"
===========
In § 17 des Arbeitsvertrages war festgehalten, daß zwischen den Parteien außerhalb dieses Vertrages keine arbeitsvertraglichen Vereinbarungen getroffen seien; Änderungen und Ergänzungen des Vertrages bedürften zu ihrer Rechtswirksamkeit der schriftlichen Form.
Die Parteien sind tarifgebunden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit. Die 1982, 1983 und 1984 eingetretenen Tariflohnerhöhungen gab die Beklagte an den Kläger voll weiter. In entsprechenden Begleitschreiben aus 1983 und 1984 wies die Beklagte darauf hin, daß sie dem Kläger die Erhöhung des Tarifentgelts voll zugute kommen lasse, ohne von der Möglichkeit der Anrechnung bestehender nichttariflicher Bestandteile Gebrauch zu machen.
Am 1. August 1984 begann für den Kläger sein 11. Berufsjahr, was seine Umgruppierung von VergGr. R III a nach VergGr. R III b zur Folge hatte. Anläßlich dieser Gehaltsänderung schrieb die Beklagte unter dem 7. August 1984 an den Kläger:
"Sehr geehrter Herr R ,
da am 1. August 1984 für Sie das 11. Berufsjahr
begann, setzen sich Ihre Bezüge ab gleichem Zeitpunkt
wie folgt zusammen:
Tarifgehalt DM 4.295,00
außertarifliche Zulage,
jederzeit widerrufbar DM 250,00
___________
DM 4.545,00
===========
...
Im übrigen gelten weiterhin die mit Ihnen getroffenen
anstellungsvertraglichen sowie betrieblichen
Regelungen."
Der Kläger erhob gegen die Kürzung der Zulage auf 250,-- DM keinen Widerspruch. 1984 kam es noch bei vier weiteren Mitarbeitern zu Änderungen bzw. Wegfall der Zulage, teils im Zusammenhang mit der Übertragung anderer Tätigkeiten, in einem Fall wegen von der Beklagten beanstandeten fehlenden Einsatzes.
Die Tariflohnerhöhungen in 1985, 1986 und 1987 wurden wiederum voll an den Kläger weitergegeben. Dies galt auch für die zum 1. Mai 1988 eingetretene allgemeine Erhöhung der Tariflöhne.
Am 1. August 1988 begann für den Kläger das 15. Berufsjahr, welches seinen Aufstieg von der Gehaltsgruppe R III b in die Gehaltsgruppe R III c zur Folge hatte. Mit Schreiben vom 4. August 1988 teilte die Beklagte dem Kläger die neue Höhe seiner Vergütung wie folgt mit:
"Sehr geehrter Herr R ,
da am 1. August 1988 für Sie das 15. Berufsjahr
begann, setzen sich Ihre Bezüge ab gleichem Zeit-
punkt wie folgt zusammen:
Tarifgehalt R III c DM 5.230,00
außertarifliche Zulage,
jederzeit widerrufbar DM 100,00
___________
DM 5.330,00
===========
...
Im übrigen gelten weiterhin die mit Ihnen getrof-
fenen anstellungsvertraglichen sowie betrieblichen Regelungen.
"Die Beklagte beschäftigte per 10. August 1988 250 Redakteure und drei gewerbliche Mitarbeiter. 65 Angestellte erhielten eine übertarifliche Zulage. Bei 62 Angestellten trat eine Veränderung der Zulage im Jahre 1988 nicht ein. Ein Mitarbeiter ist 1988 bei der Beklagten ausgeschieden. Bei einem Redakteur, der zum 1. Juni 1988 zum stellvertretenden Ressortleiter befördert und damit höhergruppiert wurde, fiel die ihm bis dahin gewährte übertarifliche Zulage von 450,-- DM ab dem Zeitpunkt seiner Höhergruppierung weg. Bei der unveränderten Weitergewährung der Zulagen anläßlich der Tariflohnerhöhung im Mai 1988 sowie bei der Kürzung der übertariflichen Zulage im Falle des Klägers und des beförderten Mitarbeiters im Jahre 1988 wurde der im Betrieb der Beklagten bestehende Betriebsrat nicht beteiligt.
Mit Schreiben vom 15. August, 4. September und 16. Oktober 1988 wandte sich der Kläger gegen die Kürzung und beantragte die Weiterzahlung der "bisherigen" Zulage. Die Beklagte widersprach mit Schreiben vom 17. August und 6. September 1988.
Mit seiner am 7. November 1988 erhobenen Klage hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Zulage von 328,-- DM, hilfsweise 250,-- DM, geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die anläßlich der Tariflohnerhöhung vorgenommene Anrechnung sei unzulässig. Bei der vereinbarten Zulage handele es sich um einen anrechnungsfesten Lohnbestandteil. Dies ergebe sich schon aus § 6 des Anstellungsvertrages, in dem die Zulage ausdrücklich ausgewiesen worden sei. Eine derartige Praxis sei bei der Beklagten sonst nicht üblich. Anlaß hierfür sei gewesen zum einen die Wahrung seines in den früheren Arbeitsverhältnissen erworbenen Besitzstandes. Zum anderen habe er für seine Tätigkeit als Lokalredakteur im Betrieb der Beklagten eine beträchtliche Erfahrung und ein breit gefächertes Fachwissen mitgebracht. Die vereinbarte Vergütung von 3.800,-- DM sei deshalb ein Kompromiß gewesen, der die Untergrenze dessen gewesen sei, was er seinerzeit zu akzeptieren bereit gewesen sei. Bei dieser Vergütungsvereinbarung habe die Beklagte nicht davon ausgehen können, sie könne bei nun folgenden Tarifgehaltserhöhungen die mit ihm vereinbarte Zulage abschmelzen. Dies habe die Beklagte in den ersten Beschäftigungsjahren im übrigen selbst nicht in Betracht gezogen. Erst als es einmal zu Unstimmigkeiten gekommen sei, habe die Beklagte gemeint, die Zulage reduzieren zu müssen. Als Gegenleistung für Wohlverhalten sei die Zulage allerdings nicht vorgesehen gewesen.
Im übrigen sei gem. § 17 des Anstellungsvertrages eine ausdrückliche Vereinbarung über die Anrechenbarkeit von Zulagen erforderlich, die der Schriftform bedurft hätte. Darüber hinaus bestimmten die jeweiligen Gehaltstarifverträge, daß alle bei Inkrafttreten des Tarifvertrages gezahlten höheren Gehälter weitergezahlt werden müßten. Die Kürzung in 1984 habe er hingenommen, um das Arbeitsverhältnis nicht zu belasten. Die Beklagte könne deshalb aber nicht ungehindert Anrechnungen auf die Zulage vornehmen.
Erstmals vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger weiter die Auffassung vertreten, die Anrechnung sei auch wegen fehlender Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Der Betriebsrat habe mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber eine Tariflohnerhöhung in unterschiedlicher Weise auf die im Betrieb gezahlten übertariflichen Zulagen anrechne. Bei der Anrechnung der Zulage in seinem - des Klägers - Fall handele es sich auch nicht um eine mitbestimmungsfreie Einzelmaßnahme. Die Beklagte habe selbst vorgetragen, seine Leistungen hätten es nicht erlaubt, ihm die Zulage ungekürzt zu belassen. Die Verknüpfung übertariflicher Zahlungen mit einer entsprechenden Leistungsbeurteilung eines Arbeitnehmers sei allgemein üblich. Wegen der unterschiedlichen Leistungsbeurteilung komme es in der Regel auch zur Zahlung unterschiedlich hoher Zulagen. Der von der Beklagten behauptete Kürzungsgrund verdeutliche, wie notwendig das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in diesem Falle sei, um ihn vor einer einseitig an den Interessen der Beklagten orientierten oder gar willkürlichen Lohngestaltung zu schützen.
Die Beklagte habe auch selbst darauf verwiesen, daß nach ihrer Auffassung kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich sei, die Zulage noch zu zahlen; seine Vergütung sei vielmehr der Vergütung der anderen Redakteure anzupassen. Damit aber erhalte die Zulagenkürzung typischerweise einen kollektiven Bezug.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
1.596,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem
sich aus 684,-- DM brutto ergebenden Nettobe-
trag seit 11. November 1988 sowie aus dem sich
aus 912,-- DM brutto ergebenden Nettobetrag
seit 7. März 1989 zu zahlen;
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an den
Kläger eine Zulage von 328,-- DM brutto monat-
lich an jedem 1. eines Monats, beginnend mit
dem 1. März 1989, zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat bestritten, daß mit der vereinbarten Zulage besondere Umstände hätten abgegolten werden sollen und sie deshalb als bestandsfest vereinbart worden sei. Die Zulage habe ursprünglich dazu gedient, den Kläger durch den Arbeitsplatzwechsel nicht vor unzumutbare Verdiensteinbußen zu stellen. Hingegen sei sie nicht im Hinblick auf besondere Erfahrungen und Kenntnisse des Klägers gezahlt worden. Die volle oder teilweise Verrechnung von Zulagen bei späteren Gehaltserhöhungen sei in ihrem Betrieb durchaus üblich.
Da bei ihr die Zahlung einer Zulage besondere Leistungen oder die Übernahme zusätzlicher Aufgaben voraussetze, sei es zur Kürzung der Zulage anläßlich der Höhergruppierung des Klägers in die VergGr. R III c gekommen, weil der Chef vom Dienst der Auffassung gewesen sei, daß der Kläger nicht solche Leistungen erbringe, die es erlaubt hätten, ihm die Zulage neben der Höhergruppierung ungekürzt zu belassen. Sie sei im übrigen zu der Auffassung gelangt, daß der Kläger nur Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten gehabt habe, wie sie bei Redakteuren im 14./15. Berufsjahr regelmäßig vorlägen und verlangt werden könnten. Ein Grund, die Zulage weiterhin noch auf das nunmehr wesentlich erhöhte Gehalt ungekürzt zu zahlen, habe nicht bestanden.
Die Kürzung der Zulage sei auch nicht aus kollektivrechtlichen Gründen unwirksam. Der Betriebsrat sei weder in 1984 noch in 1988 zu beteiligen gewesen, weil es sich um Einzelfallregelungen gehandelt habe. Ein Mitbestimmungsrecht entfalle aber auch wegen ihres Charakters als Tendenzbetrieb. Mit der Gewährung von Zulagen an Redakteure werte sie auch deren journalistische Leistungen, so daß dem Betriebsrat insoweit kein Mitbestimmungsrecht zustehe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben, soweit die Kürzung der Zulage von 250,-- DM auf 100,-- DM im Streit war; hinsichtlich der weiteren Klage (Kürzung von 328,-- DM auf 250,-- DM) hat es die Klage abgewiesen. Mit der nur von der Beklagten eingelegten Revision verfolgt diese ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des die Klage insgesamt abweisenden erstinstanzlichen Urteils.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anrechnung der infolge Tarifgruppenwechsels eingetretenen Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage des Klägers bejaht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, die Beklagte sei individualrechtlich zur Kürzung der übertariflichen Gehaltszulage des Klägers anläßlich seiner Tarifgehaltserhöhung berechtigt gewesen. Es hat insoweit gem. § 543 ZPO auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber individualrechtlich übertarifliche Zulagen im Falle einer Tariflohnerhöhung grundsätzlich auf den Tariflohn anrechnen, es sei denn, daß dem Arbeitnehmer aufgrund einer vertraglichen Abrede die Zulage als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn zustehen soll. Eine derartige Vereinbarung kann sich auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Zusage stillschweigend aus den besonderen Umständen bei den Vertragsverhandlungen ergeben, aus dem Zweck der Zulage - wenn z.B. mit ihr besondere Leistungen oder Erschwernisse abgegolten werden sollen - oder aus einer betrieblichen Übung.
In der tatsächlichen Zahlung einer übertariflichen Zulage allein ist allerdings noch nicht die vertragliche Abrede zu erblicken, die Zulage solle auch nach einer Tariflohnerhöhung als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn gezahlt werden.
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die tarifliche Zulage über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos gezahlt und nicht mit Tariflohnerhöhungen verrechnet wird. Ein solches tatsächliches Verhalten genügt nicht für die Annahme einer betrieblichen Übung, die übertarifliche Zulage anrechnungsfest zum jeweiligen Tariflohn zu gewähren (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BAG Urteil vom 8. Dezember 1982 - 4 AZR 481/80 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung; BAGE 55, 322, 325 = AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, beide m.w.N.).
2. Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht zutreffend bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien sei nicht zu entnehmen, daß die übertarifliche Zulage als selbständiger Lohnbestandteil zum jeweiligen Tariflohn zu zahlen sei.
Die damit vorgenommene Auslegung eines Einzelvertrages ist nur eingeschränkt revisionsrechtlich überprüfbar darauf, ob sie Verstöße gegen Denkgesetze, allgemeine Auslegungsregeln oder Erfahrungssätze enthält (vgl. etwa BAGE 55, 309, 314 = AP Nr. 13 zu § 74 c HGB, zu I der Gründe). Solche Fehler sind nicht erkennbar und werden vom Kläger auch nicht gerügt.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die übertarifliche Zulage habe zum Zeitpunkt der Einstellung des Klägers dazu gedient, das als zu niedrig angesehene tarifliche Gehalt aufzustocken. Aus diesen Motiven lasse sich eine Qualifikation der Zulage als selbständiger Lohnbestandteil auch gegenüber künftigen Tariflohnerhöhungen nicht entnehmen.
Diese Auslegung ist ohne weiteres nachvollziehbar und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Auslegungsregeln. Der Kläger hat die der Auslegung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Der Senat ist daher an die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß es sich hier nicht um eine Tariflohnerhöhung aufgrund einer allgemeinen Anhebung der Tariflöhne handelt, sondern um eine Erhöhung des Lohnes allein des Klägers durch Wechsel der Gehaltsgruppe bei unveränderter Tätigkeit nach Vollendung des 14. Berufsjahres. Zu Recht hat schon das Arbeitsgericht angenommen, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Anrechenbarkeit von Tariflohnerhöhungen seien auf Fallgestaltungen dieser Art in gleicher Weise anzuwenden. Dient die Zulage nicht der Abgeltung eines besonderen Erschwernisses oder besonderer Leistungen, sondern wird als allgemeine Zulage gewährt, spielt die Frage der Ursache des Ansteigens des Tariflohns keine Rolle im Hinblick auf den mit der Zulage verfolgten Zweck, dem Arbeitnehmer einen höheren Effektivlohn zu gewähren, weil der Tariflohn als zu niedrig angesehen wird. Bei unveränderter Fortzahlung dieses Effektivlohnes bleibt die Zweckerfüllung auch dann unberührt, wenn der Tariflohn sich - bei unveränderter Tätigkeit - aufgrund eines Gruppenwechsels ändert (vgl. auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. II/1, § 30 VIII; Sauerbier, AR-Blattei, Tariflohnerhöhung I, B I 1 a).
3. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend weiter festgestellt, daß der Anrechnung weder § 17 des Anstellungsvertrags noch § 3 Abs. 3 des Gehalts-TV entgegenstehen. Zur Anrechnung der Tariflohnerhöhung bedurfte es nicht des Abschlusses einer vom bisherigen Arbeitsvertrag abweichenden Vereinbarung - unabhängig von der Frage, ob die Anrechnung automatisch oder durch konstitutive Gestaltungserklärung der Beklagten erfolgte. Das Recht zur Anrechnung ergibt sich vielmehr ohne weiteres aus der Gehaltsregelung des Vertrages, wonach eine übertarifliche Zulage ohne - ausdrücklichen oder konkludenten - Ausschluß späterer Anrechenbarkeit vereinbart wurde. Dementsprechend kommt es auch nicht auf die Einhaltung einer einzelvertraglich oder tarifvertraglich für die Änderung von Vergütungsabreden einzuhaltenden Schriftform an. Im übrigen weist das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hin, daß die Anrechnungserklärungen der Beklagten jeweils schriftlich erfolgt sind, so daß die für eine einseitige Gestaltungserklärung eventuell einzuhaltende Form gewahrt wäre. Auch insoweit hat der Kläger keine Einreden erhoben.
Das Landesarbeitsgericht ist danach zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte individualrechtlich zur Anrechnung der Tariflohnerhöhung berechtigt war.
II. Dem angefochtenen Urteil ist hingegen nicht zu folgen, soweit es ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bejaht und wegen der fehlenden Beteiligung des Betriebsrats die Anrechnung für unwirksam befunden hat. Ein solches Mitbestimmungsrecht bestand hier nicht.
1. Die Frage, nach welchen Kriterien sich die Höhe übertariflicher oder außertariflicher Zulagen und deren Verhältnis zueinander bestimmen soll, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dieses Mitbestimmungsrecht soll den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges sichern (vgl. etwa BAGE 54, 79 und 57, 309 = AP Nr. 26 und Nr. 33 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAGE 46, 182 = AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang, jeweils m.w.N.).
Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) besteht dieses Mitbestimmungsrecht auch bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über-/außertarifliche Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe der Tariflohnerhöhung, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolgt oder sich automatisch vollzieht (Beschluß vom 3. Dezember 1991, aaO).
Das Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf generelle Regelungen und nicht auf die Regelung von Einzelfällen. Die individuelle Lohngestaltung, Regelungen mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers, bei denen ein innerer Zusammenhang zu ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht besteht, unterliegen also nicht der Mitbestimmung.
Ob ein derartiger kollektiver Tatbestand vorliegt, ist nicht allein quantitativ zu bestimmen. Es sind generelle Regelungsfragen vorstellbar, die vorübergehend nur einen Arbeitnehmer betreffen, andererseits können individuelle Sonderregelungen auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer gehäuft auftreten.
Beim Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richtet sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zu kollektiven Tatbeständen danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform geht oder nicht. Hierbei kann die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, ob ein kollektiver Tatbestand vorliegt oder nicht. Das ist deshalb von Bedeutung, weil es dem Zweck des Mitbestimmungsrechts widerspräche, wenn der Arbeitgeber es dadurch ausschließen könnte, daß er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils "individuelle" Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft und sich hierbei nicht selbst binden und keine allgemeine Regelung aufstellen will. Mit einer solchen Vorgabe, nur individuell entscheiden zu wollen, könnte sonst jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden. Bei der Änderung der Verteilungsgrundsätze für über-/außertarifliche Zulagen geht es stets um die Strukturformen des Entgelts. Deshalb liegt hier stets ein kollektiver Tatbestand vor (Beschluß vom 3. Dezember 1991, aaO, zu C III 3 b der Gründe, m.w.N.).
2. Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall ein kollektiver Tatbestand zunächst insoweit zu bejahen, als es um die Gewährung von übertariflichen Zulagen überhaupt geht. Die Beklagte zahlte 1988 übertarifliche Zulagen an 65 von 250 Angestellten, also einer erheblichen Anzahl von Arbeitnehmern. Bereits hieraus ergibt sich ein Indiz für einen kollektiven Bezug. Die Beklagte beruft sich darüber hinaus selbst darauf, daß die - ganz oder teilweise - Anrechnung von Zulagen üblich sei und daß die Zahlung von Zulagen besondere Leistungen oder die Übernahme zusätzlicher Aufgaben voraussetze, worin gleichfalls ein kollektiver Bezug zum Ausdruck kommt.
3. Ob dies auch für die hier allein als mitbestimmungspflichtiger Tatbestand in Betracht kommende Anrechnung der Tariflohnerhöhung des Klägers infolge dessen Tarifgruppenwechsel gilt, was das Landesarbeitsgericht mit beachtenswerten Hinweisen auf die von der Beklagten vorgetragenen Kürzungsgründe - Anpassung an die Vergütung der anderen Redakteure, Vermeidung einer Besserstellung des Klägers, Orientierung am allgemeinen Anforderungsprofil - bejaht hat, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Auch wenn man mit dem Landesarbeitsgericht davon ausgeht, daß es sich nicht um eine Einzelfallregelung handelt, scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats mangels anderweitiger Verteilungsmöglichkeit dennoch aus.
a) Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 3. Dezember 1991 (aaO) unterliegt die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung dann der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sich die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt.
Eine Änderung der Verteilungsgrundsätze ist hier zu bejahen. Zwar ändert sich nur die Zulage des Klägers. Damit ändert sich aber das Verhältnis der Zulagen untereinander. Die Zulage des Klägers verringert sich und steht damit in einem anderen Verhältnis als bisher zu den übrigen Zulagen. Der Umstand, daß es sich nur um diese eine Änderung handelt, kann der Annahme einer Änderung der Verteilungsgrundsätze nicht entgegenstehen, wenn man die Anrechnung überhaupt als kollektiven Tatbestand einordnet.
b) Ein Mitbestimmungsrecht scheidet aber deshalb aus, weil es an einem Regelungsspielraum für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung der Zulage fehlt. Da nur beim Kläger eine Änderung des Tariflohns eintrat, konnte auch nur bei ihm eine Anrechnung erfolgen. Die im Mai 1988 erfolgte Tariflohnerhöhung - die voll an alle Zulagenempfänger einschließlich des Klägers weitergegeben wurde - kann insoweit ebensowenig herangezogen werden wie der zum 1. Juni 1988 erfolgte Wegfall einer Zulage von 450,-- DM bei einem Arbeitnehmer, der im Zuge der Übertragung einer anderen Tätigkeit höhergruppiert wurde. Die zufällige zeitliche Nähe dieser Ereignisse rechtfertigt nicht die Annahme eines einheitlichen Anrechnungstatbestandes. Erst recht kommt dem Kalenderjahr insoweit keine die Anrechnungstatbestände zusammenfassende Funktion zu. Die Kürzung der Zulage des Klägers konnte also nicht dadurch abgefangen werden, daß die 150,-- DM auf andere Zulagen angerechnet wurden mit dem Ergebnis, daß dem Kläger eine Zulage von 250,-- DM verblieb.
Der einzelne Arbeitnehmer hat aufgrund der vertraglichen Vereinbarung einen Anspruch darauf, daß ihm - vorbehaltlich einer Anrechnung bei der nächsten Tariflohnerhöhung - die vereinbarte Zulage gezahlt wird. Dieser Anspruch könnte außerhalb einer den Zulageempfänger betreffenden Tariflohnerhöhung nur durch eine Änderungskündigung beseitigt werden. Für deren Wirksamkeit reicht allein der Wille, die Zulagen anders zu verteilen, regelmäßig aber nicht aus. Insofern ist auch bei einer Fallgestaltung der vorliegenden Art davon auszugehen, daß eine anderweitige Verteilung des gekürzten Zulagevolumens rechtlich nicht möglich ist. Damit scheidet aber ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus (vgl. auch Beschluß vom 3. Dezember 1991, aaO, zu C III 6 b der Gründe).
c) Nicht mitbestimmungspflichtig ist nämlich die Frage, ob die Kürzung der Zulage des Klägers in dieser oder einer anderen Höhe erfolgte. Hierbei handelt es sich um eine Frage des Dotierungsrahmens. Dessen Festlegung ist aber mitbestimmungsfrei. Das Mitbestimmungsrecht greift erst ein bei der Frage der Verteilung des Zulagenvolumens. Bleibt aber für eine anderweitige Verteilung des mitbestimmungsfrei gekürzten Volumens rechtlich kein Raum, entfällt trotz der damit verbundenen Änderung der Verteilungsgrundsätze ein Mitbestimmungsrecht.
Wollte man dies anders sehen, wäre Gegenstand des Mitbestimmungsrechts bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art letztlich allein die Bestimmung der Höhe der Zulage des betroffenen Arbeitnehmers. Die Höhe der Zulage im Einzelfall unterliegt aber grundsätzlich nicht der Mitbestimmung.
d) Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der streitbefangenen Anrechnung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, daß die Beklagte ihn bei der Einführung des Zulagensystems nicht eingeschaltet hat. Die Nichtbeteiligung bei der Schaffung der Zulagenordnung führt nicht zu einem Mitbestimmungsrecht bei deren Vollzug (vgl. Beschluß vom 3. Dezember 1991, aaO, zu C III 1 a der Gründe).
III. Die teilweise Anrechnung der Erhöhung des Tariflohns des Klägers auf dessen übertarifliche Zulage war danach mitbestimmungsfrei. Die unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats hat nicht zur Unwirksamkeit der Anrechnung geführt. Die Anrechnung war sowohl individualrechtlich wie kollektivrechtlich wirksam.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist daher aufzuheben, soweit es auf die Berufung des Klägers der Klage teilweise stattgegeben hat. Die Berufung ist auch insoweit zurückzuweisen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen, da er in vollem Umfang unterlegen ist, § 97 ZPO.
Dr. Weller Dr. Rost
zugleich für den wegen Arbeits-
unfähigkeit verhinderten Richter
Schliemann
Koerner Dr. Giese
Fundstellen
Haufe-Index 437203 |
BAGE 71, 164-176 (LT1) |
BAGE, 164 |
BB 1993, 137 |
BB 1993, 137 (LT1) |
DB 1993, 280-282 (LT1) |
BuW 1993, 136 (K) |
BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 10 (8) (LT1) |
NZA 1993, 232 |
NZA 1993, 232-234 (LT1) |
AP § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung (LT1), Nr 54 |
AR-Blattei, ES 1540 Nr 28 (LT1) |
EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr 33 (LT1) |
VersR 1993, 637-639 (LT1) |