Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehaltsüberzahlung;. Wegfall der Bereicherung
Leitsatz (amtlich)
Der Beweis des ersten Anscheins für den Wegfall einer durch Gehaltsüberzahlungen eingetretenen Bereicherung ist im Falle einer mehrere Monate betreffenden einmaligen Überzahlung, die das richtige Gehalt um ein Vielfaches übersteigt, regelmäßig nicht anzunehmen.
Normenkette
BGB § 812 Abs. 1 S. 1, § 818 Abs. 3; ZPO § 286; BAT § 70
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des klagenden Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 21. Januar 1999 – 7 Sa 123/97 – wird zurückgewiesen.
2. Das klagende Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Das klagende Land fordert von der Beklagten die Rückzahlung überzahlten Gehalts.
Die Beklagte trat am 1. März 1989 in die Dienste der damaligen Deutschen Volkspolizei. Im Oktober 1990 wurde ihr Arbeitsverhältnis auf das klagende Land überführt. In der Zeit vom 29. Juli 1990 bis zum 2. September 1991 war die Beklagte aus Mutterschaftsgründen nicht tätig. Vom 3. September 1991 an wurde sie im Westteil Berlins im sog. VB-Auskunftsdienst eingesetzt. Die Parteien hatten zuvor vereinbart, daß die Beklagte künftig in Teilzeit mit 20 Wochenarbeitsstunden tätig würde. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost (BAT-O) Anwendung. Die Beklagte war eingruppiert in VergGr. VIII der Anl. 1 a BAT-O. Die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit nach dem BAT-O betrug 40 Stunden.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1992 teilte das klagende Land der Beklagten mit, sie werde in Folge eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts aus dem Juli 1992 mit Wirkung vom 1. Februar 1992 dem „Tarifrechtskreis West” zugeordnet, weil sie auf nicht absehbare Zeit in einer im Westteil Berlins gelegenen Dienststelle tätig sei. Ab dem genannten Zeitpunkt stünden ihr deshalb Bezüge nach den Bestimmungen des BAT (West) zu.
Von Dezember 1992 – und rückwirkend von Februar 1992 – an zahlte das klagende Land an die Beklagte irrtümlich Monatsgehälter in Höhe der Vergütung einer Vollzeitbeschäftigten nach VergGr. VIII BAT (West). Noch für den Monat November 1992 hatte die Beklagte einen Vergütungsnachweis erhalten, der als Grundvergütung den Betrag von 770,57 DM und als Ortszuschlag Stufe 1 den Betrag von 295,22 DM auswies. Unter der Rubrik „Arbeitszeit vereinbart” war in ihm die Zahl 200.000, unter der Rubrik „Arbeitszeit tariflich” war die Zahl 400.000 aufgeführt. Der der Beklagten für Dezember 1992 erteilte Vergütungsnachweis wies als Grundvergütung den Betrag von 1.926,44 DM und als Ortszuschlag Stufe 1 den Betrag von 738,06 DM, als „Arbeitszeit vereinbart” die Zahl 385.000 und als „Arbeitszeit tariflich” ebenfalls die Zahl 385.000 aus. Außerdem war in ihm als „Zahlbetrag Ergebnis der Rückrechnung” ein Betrag von 10.173,71 DM ausgewiesen. Beigefügt war ihm ein „Rückrechnungsbeleg”, auf dem die Monatsgehälter der Beklagten für die Monate Februar 1992 bis November 1992 einzeln neu berechnet und die Sollbezüge den Istbezügen gegenübergestellt worden waren. Erstere lauteten auf Summen zwischen 2.316,78 DM und 5.823,00 DM, letztere auf solche zwischen 713,98 DM und 2.093,61 DM. Unter der Rubrik „Anlaß der Rückrechnung” war neben anderen Punkten aufgeführt: „Änderung der Arbeitszeit; Änderung des Tarifrechtskreises”. Die Vergütungsnachweise für die Monate Januar bis März 1993 wiesen bis auf geringfügige Betragsänderungen dieselben Grundvergütungen und Ortszuschläge aus wie der Nachweis für Dezember 1992.
Am 15. April 1993 schied die Beklagte auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis aus. Sie verzog mit ihrer Familie nach Arnstadt. Sie bezog bis zum 14. April 1994 Arbeitslosengeld, anschließend bis November 1995 Arbeitslosenhilfe.
Am 15. Mai 1995 bat das Arbeitsamt Erfurt das klagende Land um Auskunft über die korrekten Bezüge der Beklagten. Mit Schreiben vom 16. Mai 1995 teilte das Land mit, die Beklagte sei zuletzt mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt gewesen. Vom 1. Februar 1992 an sei die Vergütung „in Höhe von 100 % gemäß BAT” erfolgt. Durch einen Übermittlungsfehler seien dem Arbeitsamt falsche Bruttobeträge mitgeteilt worden. Diese seien dahin zu korrigieren, daß der Beklagten für Januar und Februar 1993 je 1.557,84 DM und für März 1993 1.581,56 DM als Bruttoarbeitsentgelt zugestanden hätten. Nachdem das Arbeitsamt das klagende Land mit Schreiben vom 8. September 1995 zur Erteilung einer neuen und korrekten Arbeitsbescheinigung aufgefordert hatte, machte es ihm gegenüber mit Bescheid vom 13. November 1995 Schadensersatzansprüche in Höhe von knapp 24.000,00 DM wegen ursprünglicher falscher Angaben und darauf beruhender überhöhter Leistungen an die Beklagte geltend. Daraufhin stellte das klagende Land Nachforschungen zur Ursache und zur Höhe der eigenen Überzahlung an die Beklagte an. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1995 verlangte es von der Beklagten die Rückzahlung von 4.974,09 DM. Einwendungen der Beklagten wies es mit Schreiben vom 16. Januar 1996 zurück. Mit Schreiben vom 26. März 1996 machte das klagende Land gegenüber der Beklagten erstmals den gesamten – rechnerisch unstreitigen – Überzahlungsbetrag von 10.521,36 DM – 9.484,09 DM überzahlte Nettovergütung zuzüglich 1.037,27 DM überzahlte Berlinzulage – geltend. Die Beklagte lehnte eine Rückzahlung ab.
Am 15. Mai 1997 erhob das Land die vorliegende Klage. Es hat vorgebracht, die Beklagte sei im Umfang des Überzahlungsbetrags bei Klageerhebung weiterhin bereichert gewesen. Durch den Verbrauch der Gelder habe sie anderweitige Aufwendung in gleicher Höhe erspart. Der Rückzahlungsanspruch sei auch nicht verfallen. Eine Berufung auf die sechsmonatige tarifliche Ausschlußfrist des § 70 BAT sei treuwidrig. Der Beklagten hätte die Überzahlung auffallen und sie hätte darüber Mitteilung machen müssen.
Das klagende Land hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an es 10.521,36 DM netto nebst 2 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz seit dem 15. Mai 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie habe nicht erkannt, daß sie überhöht vergütet worden sei. Die überzahlten Beträge habe sie in der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit für ihren Lebensunterhalt ausgegeben. Sie habe sich dabei bestimmten Einschränkungen nicht unterworfen, die sie sich sonst hätte auferlegen müssen. Seit Anfang des Jahres 1995 lebe sie von ihrem Ehemann getrennt, von dem sie später auch geschieden worden sei. Mangels Unterhaltszahlungen habe sie 1995 allein für ihre beiden Kinder aufkommen müssen. Sie habe keine Schulden gemacht, aber auch kein Vermögen angesammelt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt das klagende Land sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zwar trägt die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung das Berufungsurteil nicht. Das Landesarbeitsgericht hat gegenüber dem Rückzahlungsbegehren des klagenden Landes die Einwendung des Wegfalls der Bereicherung für begründet erachtet. Dafür reichen die festgestellten Tatsachen nicht hin. Das Berufungsurteil erweist sich jedoch aus einem anderen Grunde als richtig (§ 563 ZPO). Der Klageanspruch ist auf Grund der tariflichen Verfallfrist des § 70 BAT erloschen.
I. Der Anspruch des klagenden Landes ist gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB entstanden. Zwischen den Parteien steht außer Streit, daß die Beklagte in Höhe der Klageforderung von 10.521,36 DM (netto) ohne Rechtsgrund vergütet worden ist. Sie war mit 20 Wochenarbeitsstunden nur teilzeitbeschäftigt. Ihr standen deshalb die ungeschmälerten Bezüge einer Vollzeitkraft, die sie auf Grund eines Versehens tatsächlich erhalten hat, nicht zu.
II. Die Beklagte hat dem Rückzahlungsverlangen des klagenden Landes die Einwendung des Wegfalls der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB entgegengehalten. Ob diese Einwendung begründet ist, bedürfte entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts weiterer Feststellungen.
1. Gem. § 818 Abs. 3 BGB ist eine Verpflichtung zur Herausgabe des rechtsgrundlos Erlangten oder zum entsprechenden Wertersatz ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Das ist dann der Fall, wenn das Erlangte ersatzlos weggefallen ist und kein Überschuß mehr zwischen dem vorhandenen Vermögen und demjenigen Vermögen besteht, das auch ohne die ursprüngliche Bereicherung vorhanden wäre. § 818 Abs. 3 BGB dient dem Schutz des „gutgläubig” Bereicherten, der das rechtsgrundlos Empfangene im Vertrauen auf das (Fort-)Bestehen des Rechtsgrundes verbraucht hat und der nicht über den Betrag einer wirklichen (noch bestehenden) Bereicherung hinaus zur Herausgabe oder zum Wertersatz verpflichtet werden soll(BGH 17. Juni 1992 – XII ZR 119/91 – BGHZ 118, 383, 386 mwN).
Bei der Überzahlung von Gehalt kommt es daher darauf an, ob der Empfänger die Beträge restlos für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht oder sich damit noch in seinem Vermögen vorhandene Werte oder Vorteile verschafft hat. Letzteres ist anzunehmen, falls anderweitige Ersparnisse oder Anschaffungen vorliegen. Auch eine infolge Tilgung eigener Schulden mittels des rechtsgrundlos erlangten Geldes eingetretene Befreiung von Verbindlichkeiten zählt zu den weiterhin vorhandenen Vermögensvorteilen, die einem Wegfall der Bereicherung grundsätzlich entgegenstehen(BGH 17. Juni 1992 aaO mwN). Die rechtsgrundlose Zahlung muß für diesen Vermögensvorteil ursächlich gewesen sein(BGB-RGRK/Heimann-Trosien 12. Aufl. § 818 Rn. 40 mwN).
Der Bereicherte hat den Wegfall der Bereicherung zu beweisen, da es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt(BGH 17. Juni 1992 aaO). Will der Empfänger rechtsgrundlos erhaltener Gehaltsbezüge geltend machen, nicht mehr bereichert zu sein, so muß er deshalb im einzelnen die Tatsachen darlegen und ggfl. beweisen, aus denen sich ergibt, daß die Bereicherung weggefallen ist, er also weder Aufwendungen erspart hat, die er ohnehin gemacht hätte, noch Schulden getilgt und dadurch seinen Vermögensstand verbessert hat. Für die Überzahlung von Gehaltsbezügen hat die Rechtsprechung dabei Beweiserleichterungen geschaffen. Bei kleineren und mittleren Arbeitseinkommen und einer gleichbleibend geringen Überzahlung des laufenden Arbeitsentgelts besteht die Möglichkeit des Beweises des ersten Anscheins für den Wegfall der Bereicherung(BAG 18. Januar 1995 – 5 AZR 817/93 – BAGE 79, 115, 119). Ein konkreter Nachweis, um solche Überzahlungen nicht mehr bereichert zu sein, ist danach entbehrlich. Diese Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast kommt für den Arbeitnehmer aber nur dann in Betracht, wenn erfahrungsgemäß und typischerweise anzunehmen ist, daß die Zuvielzahlung für den laufenden Lebensunterhalt, insbesondere für konsumtive Ausgaben verbraucht wurde. Eine solche Annahme setzt voraus, daß es sich um Überzahlungen in relativ geringer Höhe handelt. Je höher die Überzahlung im Verhältnis zum Realeinkommen ist, um so weniger läßt sich annehmen, die zusätzlichen Mittel seien für den Lebensunterhalt verbraucht worden. Außerdem muß die Lebenssituation des Arbeitnehmers, insbesondere seine wirtschaftliche Lage so sein, daß die Verwendung der Überzahlung für die laufende Lebensführung naheliegt. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn Arbeitnehmer mit geringem oder mittlerem Einkommen über keine weiteren Einkünfte verfügen, so daß sie die Nettobezüge aus ihrem Arbeitsverhältnis verwenden, um den laufenden Lebensunterhalt für sich und evtl. ihre Familie zu bestreiten. Sind dagegen nennenswerte andere Einkünfte vorhanden, so kann auf eine typische Lebenssituation, die zum Verbrauch der zusätzlichen Mittel führt, nicht geschlossen werden(BAG 18. Januar 1995 aaO, 120, 121).
2. Nach diesen Grundsätzen kann sich die Beklagte nicht auf einen Anscheinsbeweis dafür berufen, daß sie die Überzahlungen für ihren laufenden Lebensunterhalt ohne Ersparung sonstiger Aufwendungen verbraucht hat.
a) Das Berufungsgericht hat gemeint, der Anscheinsbeweis für den Wegfall der Bereicherung greife jedenfalls bei einem Arbeitnehmer mit geringem Einkommen auch im Falle einer nicht mehr geringfügigen Überzahlung ein. Dabei ist es von einer Überzahlung der Beklagten im Umfang von etwas mehr als 40 % ausgegangen und hat angenommen, bei einem Geringverdienenden werde eine Überzahlung in dieser Höhe ebenfalls für den Lebensunterhalt verbraucht, sei jedenfalls von der Beklagten im vorliegenden Fall für ihren und ihrer beider Kinder Lebensunterhalt verbraucht worden.
b) Dem folgt der Senat nicht.
Das gilt zunächst für den Betrag, der als Überzahlung in dem einmaligen Nachzahlungsbetrag von rund 10.000,00 DM im Dezember 1992 enthalten war. Auch ohne daß er exakt errechnet werden müßte, ist erkennbar, daß er sich auf mehrere tausend D-Mark belief. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, wie die Beklagte mit ihm tatsächlich verfahren ist. Dennoch liegt auf der Hand, daß ein solcher Betrag nicht allein für den Lebensunterhalt im laufenden Abrechnungszeitraum ausgegeben wird. Das Landesarbeitsgericht hat die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins für eine Entreicherung auf diese Überzahlung zu Unrecht angewendet.
Dies gilt auch für die Überzahlung der Grundvergütung, des Ortszuschlags und der Berlinzulage in den Monaten Dezember 1992 bis April 1993. Die Beklagte hat in diesem Zeitraum statt 20/38,5 der Vergütung einer Vollzeitkraft nach VergGr. VIII BAT (West) die ungekürzte Vergütung einer Vollzeitkraft und damit eine um fast 90 % überhöhte Vergütung erhalten. Dies ist keine Überzahlung in geringfügiger Höhe. Für die Beklagte als Angestellte des öffentlichen Dienstes gelten die Richtlinien des klagenden Landes über die Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge aus Arbeitsverhältnissen vom 27. Juli 1981(Dienstblatt des Senats von Berlin Teil I S 91 ff.). Nach Nr. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinien kann der Wegfall der Bereicherung ohne nähere Prüfung nur unterstellt werden, wenn die zuviel gezahlten Bezüge 10 % der für den Zeitraum der Überzahlung richtigen Gesamtbezüge, höchstens jedoch 200,00 DM monatlich nicht übersteigen. Zwar sind die Gerichte an diese Begrenzungen für die Anwendbarkeit des Beweis des ersten Anscheins rechtlich nicht gebunden und hat der Senat bereits entschieden, daß eine absolute Obergrenze für das Maß der Überzahlung nicht besteht(BAG 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – zVv.). Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch bislang keinen Anlaß gesehen, den Arbeitnehmern auch über die Grenze von 10% der richtigen Bezüge hinaus Beweiserleichterungen unter Verzicht auf weitergehende Substantiierung zukommen zu lassen(BAG 18. Januar 1995 aaO, 121). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Sowohl mit Blick auf die einmalige überhöhte Nachzahlung als auch mit Blick auf die laufenden Überzahlungen in der Zeit von Dezember 1992 bis April 1993 hätte die Beklagte deshalb substantiiert vortragen müssen, wie sie die jeweiligen Beträge im einzelnen verwendet hat. Nur auf diese Weise ist eine gerichtliche Überprüfung daraufhin möglich, ob eine Entreicherung iSv. § 818 Abs. 3 BGB tatsächlich eingetreten ist. Eine entsprechende Auflage hatte das Landesarbeitsgericht der Beklagten auch erteilt. Dieser ist sie schriftsätzlich überhaupt nicht und in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nur unzureichend nachgekommen.
Für seine Entscheidung ist das Landesarbeitsgericht ohne nähere Begründung davon ausgegangen, daß die gesamte Überzahlungssumme gleichmäßig auf den Zeitraum zwischen April 1993 und November 1995 zu verteilen sei, in dem die Beklagte Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bezog. Damit ergebe sich ein Überzahlungsbetrag von 334,00 DM monatlich. Auf dieser Grundlage hat das Landesarbeitsgericht den Anscheinsbeweis für eine Entreicherung der Beklagten als geführt angesehen. Das ist nicht nur angesichts der Höhe der durchschnittlichen Überzahlung rechtsfehlerhaft. Es ist dies insbesondere deshalb, weil es keinen Erfahrungssatz dahin gibt, daß ein Arbeitnehmer einen sein reguläres Monatsgehalt um ein Vielfaches übersteigenden Auszahlungsbetrag dazu verwendet, ihn gleichmäßig auf einen mehr als zweieinhalbjährigen und ursprünglich in seiner Dauer gänzlich unbekannten Zeitraum zur Bestreitung seines Lebensunterhalts aufzuteilen. Hinzu kommt, daß jedenfalls seinerzeit die Beklagte noch verheiratet war und ihre Bezüge offensichtlich Teil des Familieneinkommens waren. Zu diesem dürfte ihr Ehemann ebenso beigetragen haben wie sie selbst.
Nach den getroffenen Feststellungen kann deshalb von einem Wegfall der Bereicherung der Beklagten nicht ausgegangen werden.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich im Ergebnis gleichwohl als richtig. Der Anspruch des klagenden Landes aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist gemäß § 70 BAT erloschen.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der BAT ohne Einschränkung Anwendung. Gem. § 70 BAT verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden.
Der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütung wird im Zeitpunkt der Überzahlung fällig, wenn die Vergütung fehlerhaft berechnet worden ist, obwohl ihm die maßgebenden Umstände bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es regelmäßig nicht an(BAG 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – BAGE 80, 144, 149). Der Anspruch auf Rückzahlung von Vergütungsbestandteilen ist ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, der von § 70 BAT erfaßt wird(st. Rspr. vgl. BAG 1. Juni 1995 aaO mwN). Danach war die Ausschlußfrist des § 70 BAT im Zeitpunkt der erstmaligen schriftlichen Zahlungsaufforderung von Seiten des klagenden Landes durch Schreiben vom 11. Dezember 1995 abgelaufen. Dem klagenden Land waren im Zeitpunkt der Überzahlung sämtliche Umstände bekannt, die für eine korrekte Berechnung der Vergütungsansprüche der Beklagten erforderlich waren. Daß es zu einer Überzahlung kam, hat nicht die Beklagte, sondern hat ausschließlich das klagende Land zu vertreten.
2. Der Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist führt nach § 242 BGB aber dann nicht zum Verfall des Rückzahlungsanspruchs, wenn der Arbeitnehmer es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Arbeitgeber Umstände mitzuteilen, die die Erhebung des Rückzahlungsanspruchs innerhalb der Ausschlußfrist ermöglicht hätten. Der Arbeitgeber kann dem Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist unter dieser Voraussetzung mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begegnen(BAG 1. Juni 1995 aaO, 150 mwN). Eine pflichtwidrige Unterlassung des Arbeitnehmers liegt regelmäßig dann vor, wenn er erkennt, daß seinem Arbeitgeber bei der Vergütungszahlung ein Irrtum unterlaufen ist, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat, und er die Überzahlung nicht anzeigt(BAG 19. Juni 1985 – 5 AZR 569/82 – nv.).
Das klagende Land hat eine entsprechende Kenntnis der Beklagten behauptet. Diese hat bestritten, die Rechtsgrundlosigkeit eines Teils der Zahlung erkannt zu haben. Das Landesarbeitsgericht hat Feststellungen in diesem Zusammenhang – nach seiner Rechtsauffassung konsequent – nicht getroffen. Inwieweit sich aus den unstreitigen Umständen ergibt, daß die Beklagte die Rechtsgrundlosigkeit von Teilen der an sie bewirkten Zahlungen erkannt haben muß, braucht nicht abschließend geklärt zu werden. Immerhin hat die Beklagte nicht bestritten, die Vergütungsnachweise und den Rückrechnungsbeleg vom Dezember 1992 überhaupt zur Kenntnis genommen zu haben. Schon beim ersten Blick mußte ihr dann auffallen, daß dort als Grundvergütung und Ortszuschlag Beträge eingesetzt waren, die die zu erwartende Anhebung ihres Gehalts als im Ostteil Berlins beschäftigte Halbtagskraft auf das Westniveau erheblich überstiegen. Bei einem Vergleich des Vergütungsnachweises für November 1992, dem noch die Vergütung nach BAT-O zugrunde gelegen hatte, mit den Vergütungsnachweisen ab Dezember 1992 konnte ihr auch der Grund für die Überzahlung ohne weiteres auffallen: War im November 1992 als vereinbarte Arbeitszeit noch „200.000”, also 20 Stunden, im Unterschied zur tariflichen Arbeitszeit von „400.000”, also 40 Stunden, ausgewiesen, so enthielten die anschließenden Vergütungsnachweise sowohl als tarifliche als auch als vereinbarte Arbeitszeit die Angabe „385.000”, also 38,5 Wochenstunden. Damit wurde augenfällig, daß das klagende Land die Beklagte wie eine Vollzeitkraft mit der regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit behandelte. Das gleiche war aus den Hinweisen auf dem Rückrechnungsbeleg selbst erkennbar, die als Anlaß für die Rückrechnung nicht nur die Änderung des Tarifrechtskreises, sondern auch die Änderung der Arbeitszeit angaben.
3. Zu Gunsten des klagenden Landes kann unterstellt werden, daß der Beklagten die Rechtsgrundlosigkeit von Teilen der erhaltenen Zahlung bekannt war. Es ist dennoch nicht treuwidrig, den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist zu berücksichtigen.
Der Vorwurf des Rechtsmißbrauchs in Fällen wie dem vorliegenden beruht darauf, daß der Arbeitnehmer in Kenntnis des Irrtums des Arbeitgebers diesem Informationen vorenthält, die ihn seinen Irrtum entdecken lassen und ihm bezüglich erfolgter Überzahlungen die Einhaltung der Ausschlußfrist ermöglichen würden. Ein solcher Rechtsmißbrauch durch den Arbeitnehmer liegt aber nur vor, wenn sein eigenes Unterlassen für das Untätigbleiben des Arbeitgebers kausal ist. Das ist nur solange der Fall, wie der Arbeitgeber nicht von anderer Seite Umstände erfährt, die den wirklichen Sachverhalt entweder unmittelbar aufklären oder ihm zumindest Anlaß dafür hätten sein müssen, möglichen Unstimmigkeiten nachzugehen und von sich aus den wahren Sachverhalt zu klären. Erhält der Arbeitgeber entsprechende Informationen noch innerhalb des Laufs der Ausschlußfrist, so führt ihr Ablauf zum Verfall seiner Ansprüche. Erhält der Arbeitgeber entsprechende Informationen erst nach Ablauf der Ausschlußfrist, so beginnt eine neue Frist. Wie deren Dauer zu bemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und Treu und Glauben. Regelmäßig beginnt nicht die volle tarifliche Ausschlußfrist von neuem zu laufen, sondern nur eine deutlich kürzere Frist zur alsbaldigen Anspruchserhebung(BAG 3. Dezember 1970 – 5 AZR 208/70 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 46). Ein Arbeitgeber, der trotz Kenntnis des Überzahlungstatbestandes oder von Umständen, die zu einer Überprüfung des Sachverhalts objektiv Anlaß geben, längere Zeit weiterhin untätig bleibt, ist nicht schützenswert. Die Einwendung des Rechtsmißbrauchs fällt weg.
So liegen die Dinge im Streitfall. Das klagende Land wurde vom Arbeitsamt Erfurt am 15. Mai 1995 telefonisch um Auskunft über die korrekten Bezüge der Beklagten gebeten. Als Grund wurde ihm mitgeteilt, es hätten sich Unstimmigkeiten bei der Leistungsberechnung ergeben. Mit Schreiben vom 16. Mai 1995 teilte das klagende Land dem Arbeitsamt mit, die Beklagte sei mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt gewesen. Von Februar 1992 an sei ihre Vergütung „in Höhe von 100 % gemäß BAT” erfolgt. Durch einen Übermittlungsfehler seien falsche Bruttobeträge mitgeteilt worden. Diese seien in der angegebenen Weise zu korrigieren. Damit hat das klagende Land in der Person des zuständigen Sachbearbeiters erfahren, daß offensichtlich die eigenen Angaben über die Höhe der Bezüge der Beklagten bei ihrem Ausscheiden gegenüber dem Arbeitsamt unzutreffend waren. Es hat offensichtlich zugleich erkannt, daß die Unrichtigkeit auf einer Bezahlung „in Höhe von 100 % gemäß BAT” beruhte, obwohl die wöchentliche Arbeitszeit nur bei 20 Stunden lag. Selbst wenn diese Passage im Schreiben des klagenden Landes nur dahin zu verstehen sein sollte, daß die Beklagte seit dem 1. Februar 1992 auf der Grundlage des vollen Westtarifs und nicht mehr zum abgesenkten Osttarif bezahlt worden sei, hat das Land erkannt, daß die Angaben über die Bezüge der Beklagten gegenüber dem Arbeitsamt unzutreffend hoch waren. Allein dies hätte Anlaß sein müssen, den Unstimmigkeiten nachzugehen und den Vorgang aufzuklären. Das klagende Land als Gläubiger muß sich das Verhalten und Wissen seiner Mitarbeiter zurechnen lassen(BAG 14. September 1995 – 5 AZR 407/93 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 127 im Zusammenhang mit dem Fälligwerden des Rückzahlungsanspruchs). Das klagende Land hat zeitnah nichts weiter unternommen und den Vorgang erst auf Grund weiterer Schreiben des Arbeitsamts im November 1995 wieder aufgegriffen. Gegenüber der Beklagten hat es die Überzahlung erstmals mit Schreiben vom 11. Dezember 1995 und dabei auch nur iHv. etwa 5.000,00 DM geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war sogar die volle Ausschlußfrist des § 70 BAT ein weiteres Mal abgelaufen. Damit scheidet die Berufung auf ein rechtsmißbräuchliches Verhalten der Beklagten aus.
Unterschriften
Müller-Glöge, Bepler, Kreft, Buschmann, Dr. Müller
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.05.2001 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 632865 |
BAGE, 25 |
BB 2001, 2008 |
DB 2001, 2251 |
BuW 2001, 880 |
ARST 2001, 284 |
FA 2001, 337 |
FA 2001, 346 |
JR 2003, 131 |
SAE 2002, 114 |
ZTR 2002, 84 |
AP, 0 |
EzA |
MDR 2001, 1356 |
NJ 2001, 667 |
PERSONAL 2002, 44 |
ZMV 2002, 91 |
AUR 2001, 358 |
RdW 2002, 22 |
BAGReport 2001, 30 |