Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 37, 20
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 24.11.1992; Aktenzeichen Sa 108/92 L.) |
KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 22.04.1992; Aktenzeichen 11 Ca 115/91) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 24. November 1992 – Sa 108/92 L. – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nummer 1 Absatz 4 Ziffer 1 und 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig Abs. 4 Ziff. 1 und 2 EV) ausgesprochen hat.
Die im Jahre 1958 geborene Klägerin hat in der ehemaligen DDR aufgrund einer staatlichen Abschlußprüfung die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiterin und die Lehrbefähigung in den Fächern Deutsch und Kunsterziehung für die unteren Klassen der allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule erworben. Ab dem 1. August 1979 wurde sie als Freundschaftspionierleiterin eingesetzt und erteilte in diesem Rahmen wöchentlich mindestens sechs Stunden Unterricht in den Fächern Deutsch, Kunsterziehung und Sport. Dabei war sie auch als Klassenleiterin sowohl in Unter- wie Oberstufenklassen vertretungsweise tätig. Von Oktober 1987 bis Ende 1989 unterrichtete sie Deutsch in einer sechsten und siebten Klasse. Seit August 1989 arbeitete sie nur noch als Lehrerin.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Oktober 1991 wegen mangelnder fachlicher Qualifikation der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 1991.
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei für ihre Tätigkeit als Lehrerin in den Unterklassen nach Vorbildung und jahrelanger erfolgreicher Praxis genügend qualifiziert. Der Einigungsvertrag verbiete es, westliche Anforderungsprofile als Maßstab anzulegen. Die Kündigung sei zudem sozialwidrig und wegen fehlender Beteiligung des Personalrats unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 24. Oktober 1991 nicht aufgelöst worden sei, sondern fortbestehe.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die Klägerin entspreche wegen mangelnder fachlicher Qualifikation nicht den Anforderungen. Bei der Festlegung der Anforderungen, die an eine Lehrkraft zu stellen seien, stehe ihm ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Organisationsermessen zu. Nach den Vorgaben über die erforderliche Ausbildung der künftigen Lehrer komme die Weiterbeschäftigung der Klägerin ohne Abschlüsse sowohl in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik wie in einem Wahlfach nicht in Betracht. Der Befähigungsnachweis als Freundschaftspionierleiter ohne die Fächerkombination Deutsch und Mathematik befähige auch nicht als Unterstufenlehrer, da der Schwerpunkt der Ausbildung nicht im Berufsbild des Lehrers gelegen habe.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben.
In der Berufungsinstanz hat der Beklagte zusätzlich vorgetragen, es bestehe kein Bedarf zur weiteren Verwendung der Klägerin. Es stünden genügend ausgebildete Grundschullehrer zur Verfügung, die in der Lage seien, nach dem Klassenleiterprinzip die gesamte Fächerpalette der Unterstufe qualifiziert abzudecken. Die Klägerin sei schließlich wegen der jahrelangen Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin ohne wesentliche Lehrtätigkeit und der dadurch bedingten herausgehobenen Position als FDJ-Funktionärin sowie aufgrund ihrer Mitgliedschaft in nahezu sämtlichen Parteiorganisationen eine exponierte Vertreterin des früheren Bildungssystems und daher persönlich ungeeignet. Dies folge auch aus der hervorragenden Stellung als stellvertretende Direktorin für außerunterrichtliche Tätigkeit seit Juni 1989. Nach der besonderen Zielrichtung des Einigungsvertrages stehe dem Beklagten bei der Annahme einer mangelnden persönlichen Eignung ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.
Die Klägerin hat erwidert, gegen einen mangelnden Bedarf spreche, daß sie mit Schreiben vom 3. Juli 1992 vom Staatlichen Schulamt B. als Lehrerin der Grundschule S. zugewiesen worden sei. Die von der Tätigkeit eines Freundschaftspionierleiters ausgehende Indoktrination der Schüler habe im übrigen nach § 25 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 (Gesetzblatt der DDR Teil I Nr. 6, S. 83) gleichermaßen für jeden Lehrer gegolten.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben.
I. Nach Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Beitritts Angehörige des öffentlichen Dienstes. Sie unterrichtete an einer Polytechnischen Oberschule.
II. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 25. Februar 1993 (– 8 AZR 246/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen) über eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung in dem Fall eines Freundschaftspionierleiters mit der Lehrbefähigung für Deutsch und Musik entschieden. Der vorliegende Rechtsstreit gibt keine Veranlassung, von diesem Urteil abzuweichen. Soweit die Kündigung mit mangelnder fachlicher Qualifikation der Klägerin begründet wird, ist demnach von folgenden Grundsätzen auszugehen:
1.a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation den Anforderungen nicht entspricht.
b) Abs. 4 Ziff. 1 EV wird ergänzt durch Art. 37 EV. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV gelten in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) weiter. Die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 EV, wonach im Beitrittsgebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleichstehen und die gleichen Berechtigungen verleihen, wenn sie gleichwertig sind, erfaßt den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht; denn es ist nicht darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im alten Bundesgebiet unterrichten könnte.
2. Es ist aber weiter zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber unter sachlichen Gesichtspunkten die Qualifikationsvoraussetzungen festlegen kann, indem er die Anforderungsprofile bestimmt, die er mit einem Arbeitsplatz verbindet. Eine Kündigung ist dann möglich, wenn unter Berücksichtigung der festgelegten Qualifikationsmerkmale eine Beschäftigung für den Arbeitnehmer, der diesen Anforderungen nicht genügt, nicht mehr vorhanden ist. Genau wie der Unternehmer durch freie Unternehmerentscheidung kann auch das Land in seinem Zuständigkeitsbereich die Qualifikationen festlegen, die es zur Ausfüllung des Arbeitsplatzes für erforderlich hält.
3. Bei Festlegung der Qualifikationsmerkmale hat der Arbeitgeber die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV zu beachten. Danach ist auf die einzelnen beruflichen Abschlüsse oder Befähigungen, nicht auf eine Berufsbezeichnung (hier „Lehrer”), abzustellen. Der Regelung liegt die Zielsetzung zugrunde, beruflich tätigen Arbeitnehmern jedenfalls im Beitrittsgebiet die Qualifikationen nicht abzuerkennen, die sie zur bisherigen Berufsausübung in der ehemaligen DDR befähigten. Erworbene Einzelabschlüsse müssen einem bestimmten Berufsbild zugeordnet werden können.
4.a) Die Klägerin hat Befähigungen in den Fächern Deutsch und Kunsterziehung erlangt, die dem Beruf eines Lehrers zuzuordnen sind. Die Freundschaftspionierleiter wurden an Pädagogischen Hochschulen, Instituten für Lehrerbildung und am Zentralinstitut für Aus- und Weiterbildung in Droyßig ausgebildet (vgl. Nr. 2 der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976, Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 5/1976, S. 23). Nach der Stundentafel hatten sie in einem Hauptfach und einem Wahlfach die gleiche Ausbildung wie die Unterstufenlehrer. Von einer absoluten Trennung der unterschiedlichen Abschlüsse im Hinblick auf die spätere berufliche Tätigkeit kann nicht ausgegangen werden. Das ergibt sich schon aus dem Abschlußzeugnis (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 246/92 –, zu II 5 der Gründe). Danach erhielt der Absolvent die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiter sowie die Lehrbefähigung für bestimmte Unterrichtsfächer. Das Zeugnis der Klägerin wies dementsprechend ausdrücklich zwei „Befähigungen” aus. Außerdem konnten die hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter nach Nr. 9.3. der genannten Richtlinie vom 5. April 1976 planmäßig mindestens zwei und höchstens sechs Stunden Unterricht in maximal zwei Klassen erteilen. Solchen Unterricht hat die Klägerin auch erteilt. In Nr. I. 6.10. der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freundschaftspionierleiter (Arbeitsrichtlinie) und Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 6/1984, S. 77) ist weiter bestimmt, der Freundschaftspionierleiter werde nach langjähriger und erfolgreicher Tätigkeit vorrangig in Leitungen des Jugendverbandes für leitende Tätigkeit im Bereich der Volksbildung, als Lehrer (im Original nicht unterstrichen) oder Erzieher bzw. in außerschulischen Einrichtungen eingesetzt. Danach war mit der Ausbildung zum Freundschaftspionierleiter in der ehemaligen DDR die Befähigung zu einer Tätigkeit als Lehrer verbunden.
b) Da die Klägerin seit 1979 wöchentlich mindestens sechs Stunden unterrichtet hat und seit 1989 nur noch als Lehrerin eingesetzt war, bestand nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV eine anzuerkennende fachliche Qualifikation als Lehrerin mit dem Hauptfach Deutsch und dem Wahlfach Kunsterziehung. Die Klägerin besitzt für den Unterricht in Deutsch und Kunsterziehung entsprechende arbeitsplatzbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten. Fachliche oder didaktische Mängel sind von dem Beklagten nicht vorgetragen worden. Die Qualifikation in diesen Fächern kann nicht mit der Begründung in Abrede gestellt werden, es fehle ein anzuerkennender Abschluß in einem dritten Fach (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1993, a.a.O.).
c) Die auf Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit beruhende Qualifikation der Klägerin für den Unterricht in den Fächern Deutsch und Kunsterziehung genügt für einen Einsatz als Lehrerin. Der Streitfall erfordert keine Stellungnahme zu der Frage, in welcher Form der öffentliche Arbeitgeber Qualifikationsvoraussetzungen festlegen kann, insbesondere, ob es einer Regelung durch Gesetz oder Rechtsverordnung bedarf. Auch wenn die formlose Festlegung von Qualifikationsvoraussetzungen genügte, muß diese sich – wie ausgeführt – im Rahmen von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV halten. Die Forderung, als Grundschullehrer seien nur solche Lehrkräfte fachlich qualifiziert, die in beiden Hauptfächern und zusätzlich in einem Wahlfach in der Grundschule unterrichten könnten, läßt sich mit Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV nicht vereinbaren. Es kommt nicht darauf an, ob es dem Beklagten möglich ist oder ob er gar verpflichtet ist, die Klägerin auch als Klassenleiterin einzusetzen. Jedenfalls scheitert ihr Einsatz als Lehrerin nicht an fehlender fachlicher Qualifikation.
III.1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, soweit der Beklagte die Kündigung auf mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV stütze, genüge sein Vortrag den zu stellenden Anforderungen nicht. Im Einzelfall könne zwar die Darstellung besonders eindeutiger Tätigkeiten genügen, wenn in hervorgehobener Art und Weise politische Ziele der ehemaligen DDR gefördert worden seien und deshalb eine Wahrnehmung der Aufgaben im Sinne des Grundgesetzes ohne vernünftige Zweifel nicht erwartet werden könne. Die Klägerin habe aber unwidersprochen darauf hingewiesen, daß die Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters mit der eines normalen Lehrers nach Ausbildung und Erziehungszielen vergleichbar sei, wenn auch in unterschiedlichen Unterrichtsbereichen. Die Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters sei im Einzelfall durchaus Ausgangspunkt für eine herausragende Karriere im Bildungswesen gewesen. Das erübrige jedoch nicht den einzelfallbezogenen substantiierten Vortrag zu Fehlverhaltensweisen der Klägerin, die den Schluß auf die mangelnde persönliche Eignung zuließen.
2. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob das Nachschieben des Kündigungsgrundes in II. Instanz zulässig war.
a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.
Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu B III 1, 2 der Gründe).
Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Deshalb zwingt die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, zur Veröffentlichung bestimmt, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe); denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.
b)aa) Soweit der Beklagte die mangelnde Eignung der Klägerin aus deren Mitgliedschaft „in nahezu sämtlichen Parteiorganisationen” herleitet, ist festzuhalten, daß die bloße Mitgliedschaft in Parteiorganisationen einen solchen Schluß noch nicht trägt. Die Klägerin hat sich in den Parteiorganisationen weder durch Ämter noch durch Tätigkeiten besonders hervorgetan. Auch die Kumulation der Mitgliedschaft in der SED, dem FDGB, der FDJ und der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft rechtfertigt nicht die Annahme einer besonderen Identifikation mit dem SED-Staat, wie sie insbesondere in hauptamtlicher Parteiarbeit zum Ausdruck kommt.
bb) Allein die Tatsache, daß die Klägerin jahrelang als Freundschaftspionierleiterin gearbeitet hat, macht sie ebenfalls nicht persönlich ungeeignet für den Beruf des Lehrers.
Der Freundschaftspionierleiter war zwar als hauptberuflicher Funktionär des sozialistischen Jugendverbandes und Pädagoge politischer Leiter der Pionierfreundschaft. Von ihm wurde „ein klarer Klassenstandpunkt und eine sozialistische Moral” verlangt (vgl. die Ausführungen unter „Berufsbild des Freundschaftspionierleiters” vor Nr. 1 der genannten Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter, a.a.O.). Doch kam dem Freundschaftspionierleiter damit noch keine hervorgehobene Funktion zu. Die an der Schule eingesetzten Pädagogen und Pionierleiter erfüllten einen als einheitlichen Prozeß verstandenen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dieser hatte, ausgehend von der angeblich erreichten Gesellschaftsform der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, einen Menschen vor Augen, der sich zur sozialistischen Persönlichkeit ausbildet. Diese Persönlichkeit hat in § 1 des Gesetzes über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik – Jugendgesetz der DDR – vom 28. Januar 1974 (Gesetzblatt der DDR Teil I Nr. 5, S. 45) seine verbindliche Definition erfahren. Dabei bestanden als einheitliches Ziel politisch-ideologische Ansprüche, auf den Erwerb vielfältiger Kenntnisse und Fähigkeiten gerichtete Pflichten und moralische Normen. Die politisch-ideologischen Ansprüche waren einseitig auf die Anerkennung und Übernahme des Marxismus-Leninismus sowie die Unterwerfung unter die SED ausgerichtet, beinhalteten also eine Indoktrinierung und schlossen jeden Pluralismus aus. Die Pflichten zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten reichten vom fachlichen und wissenschaftlichen Gebiet über die kulturell-ästhetische Bildung bis hin zu Körperkultur und Sport und waren als gesellschaftliche Normen auf eine sozialistische Leistungsgesellschaft ausgerichtet. Sie können vor allem nicht negativ bewertet werden, soweit sie auf die Aneignung eines hohen fachlichen Wissens und beruflicher Fähigkeiten abzielten. Die moralischen Normen standen ebenfalls weitgehend in keinem unvereinbaren Gegensatz zu humanistischen Wertvorstellungen. Die politisch-ideologischen Ansprüche hingegen erforderten von den Jugendlichen, sich in das System einzuordnen, das von dem SED-Staat vorgegeben war, und sich diesem unterzuordnen. Das beinhaltete die Aneignung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung, eine Ablehnung all dessen, was aus dem Westen (Imperialismus) kam, die Anerkennung der Führungsrolle der Sowjetunion und Verteidigungsbereitschaft einschließlich vormilitärischer und später militärischer Ausbildung. Hier stellte die SED totale Anforderungen. Erreicht werden sollte dies, wie sich aus dem Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 (a.a.O.) ergibt, durch Koordinierung und Übereinstimmung aller Maßnahmen der schulischen und außerschulischen Bildung und Erziehung.
Die Tätigkeit als Freundschaftspionierleiter ist danach ein Grund, die persönliche Eignung des Lehrers kritisch zu prüfen. Andererseits waren die Freundschaftspionierleiter wie Lehrer und Erzieher in den einheitlichen sozialistischen Bildungsauftrag eingebunden. Auch die jahrelange Wahrnehmung dieses Amtes begründet für sich genommen noch keine die Eignung als Lehrer ausschließenden Zweifel. Um anzunehmen, ein Freundschaftspionierleiter habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, bedarf es daher zusätzlicher Umstände. Es ist Sache des öffentlichen Arbeitgebers, solche Umstände, etwa zum Werdegang oder zur Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters, im Einzelfall vorzutragen. Der bloße Hinweis auf die Funktion des Freundschaftspionierleiters kann nicht genügen. Der Beklagte hat nicht behauptet, eine mangelnde Eignung der Klägerin folge aus ihrer individuellen Amtsführung als FDJ-Funktionärin.
cc) Ob die Stellung eines stellvertretenden Direktors für außerunterrichtliche Tätigkeit bereits eine hervorgehobene Position im Schulwesen im Sinne der Senatsrechtsprechung darstellt, kann dahinstehen. Der Beklagte hat nicht behauptet, die Klägerin habe in diesem Amt an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitgewirkt. Zudem hat die Klägerin diese Funktion bis zur sog. Wende nur ganz kurzfristig ausgeübt. Auch die Zusammenschau aller Gesichtspunkte läßt keine besondere Identifikation der Klägerin mit dem SED-Staat erkennen. Bei dieser Sachlage hätte es, worauf das Landesarbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat, eines zusätzlichen Vortrags des Beklagten zur mangelnden Eignung der Klägerin bedurft.
IV.1. Die Kündigung ist auch nicht gemäß Abs. 4 Ziff. 2 EV wirksam. Danach ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Dieser Kündigungsgrund setzt einen Überhang an Arbeitskräften voraus, infolgedessen der Arbeitsbereich des zu kündigenden Arbeitnehmers entfallen ist (BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 331/92 –, zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 3 der Gründe m.w.N.). Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts kann allerdings ein mangelnder Bedarf nicht schon dann ausgeschlossen werden, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich vertragsgemäß beschäftigt wird; ein bestimmter Beschäftigungsbedarf bleibt auch bei einem Überhang an Arbeitskräften bestehen.
2. Der Beklagte hat diese Voraussetzungen nicht dargelegt. Er hat weder vorgetragen, wieviele ausgebildete Grundschullehrer zur Verfügung stehen, noch, wieviele Grundschullehrer nach der Schulplanung benötigt werden. Nur ein Vergleich der vorhandenen Lehrkapazität mit der nach der planenden Einschätzung des Beklagten benötigten Lehrkapazität ließe den Schluß auf mangelnden Bedarf zu. Der bloße Vortrag, es stünden genügend ausgebildete Grundschullehrer zur Verfügung, erfüllt nicht die Anforderungen an die schlüssige Darlegung eines mangelnden Bedarfs; denn das Wort „genügend” enthält eine Wertung, die ohne konkrete Tatsachen nicht nachvollzogen werden kann. Daher kommt es nicht darauf an, ob die Kündigung wegen mangelnden Bedarfs gegenüber Lehrern mit der Lehrbefähigung in Deutsch und einem Wahlfach immer schon dann gerechtfertigt ist, wenn der Unterrichtsbedarf mit solchen Lehrern abgedeckt werden kann, die zusätzlich die Lehrbefähigung im Fach Mathematik besitzen. Wird ein Überhang an Lehrern insgesamt konkret dargelegt, so kann bei Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung nach Abs. 4 EV die mindere Lehrbefähigung jedenfalls mit berücksichtigt werden. Der Beklagte hat ferner nicht schlüssig vorgetragen, daß der Einsatz eines Lehrers in der Grundschule ohne die Lehrbefähigung im Fach Mathematik nicht möglich sei. Dazu hätte es der näheren Darstellung des abzudeckenden Unterrichtsbedarfs und der vorhandenen Lehrkräfte einschließlich ihrer Lehrbefähigung bedurft.
3. Bei dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob der Kündigungsgrund des Abs. 4 Ziff. 2 EV überhaupt wirksam nachgeschoben werden konnte.
V. Der Beklagte hat keine weiteren Kündigungsgründe geltend gemacht, die eine soziale Rechtfertigung der Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ergeben könnten. Da die Kündigung vom 24. Oktober 1991 gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam ist, kommt es nicht darauf an, ob etwa auch eine Unwirksamkeit nach personalvertretungsrechtlichen Regelungen vorliegt.
VI. Die Klägerin hat in der Revisionsverhandlung klargestellt, daß ihr Feststellungsantrag allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG umfaßt. Auf das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO für einen weitergehenden Antrag kommt es daher nicht an.
VII. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Rheinberger, Harnack
Fundstellen