Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung eines Nachrichtenredakteurs
Leitsatz (amtlich)
- Ein Redakteur kann nach den Haustarifverträgen für den bremischen Rundfunk sowohl dann von Vergütungsgruppe VIII bis X durchgestuft werden, wenn er die subjektiven Voraussetzungen erfüllt als auch dann, wenn er die redaktionelle Verantwortung übernehmen muß. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale und die redaktionelle Verantwortung brauchen nicht kumulativ nebeneinander gegeben zu sein.
- Bei einem Nachrichtenredakteur, der nach eigenem Ermessen Nachrichten zusammenstellt, aufbereitet und senden läßt, sind nebeneinander die subjektiven Voraussetzungen oder der Umfang der redaktionellen Verantwortung zu prüfen.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk; Gehaltstarifvertrag Radio Bremen, Gruppen VIII-X
Verfahrensgang
LAG Bremen (Urteil vom 26.09.1990; Aktenzeichen 2 Sa 303/88) |
ArbG Bremen (Urteil vom 22.06.1988; Aktenzeichen 7 Ca 7044/88) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird des Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 26. September 1990 – 2 Sa 303/88 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die beiderseitig kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebundenen Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers nach dem Gehaltstarifvertrag zwischen der Beklagten und der Rundfunk-Fernseh-Film-Union im DGB (RFFU).
Der Kläger ist seit dem 1. Juli 1982 als Nachrichtenredakteur im Hörfunk beschäftigt. Er ist in die Gehaltsgruppe IX des Gehaltstarifvertrages eingruppiert.
In der Nachrichtenredaktion der Beklagten arbeiten insgesamt zehn Redakteure. Hiervon sind acht in die Gehaltsgruppe IX und zwei in die Gehaltsgruppe X eingestuft. Letztere erhalten als Stellvertreter des in Gehaltsgruppe XI eingruppierten Abteilungsleiters zusätzlich eine Funktionszulage.
Die Nachrichtenredaktion ist eine Abteilung der Chefredaktion, die daneben in die Abteilungen Politik, Büro Bonn, Regionalprogramm und Sportfunk gegliedert ist. In dem gesamten Bereich der Chefredaktion Hörfunk gibt es die Funktion des “Chef vom Dienst”, der die redaktionelle Verantwortung trägt, nicht. Die jeweils diensttuenden Redakteure stellen die in ihrer Schicht anfallenden Nachrichtensendungen vielmehr eigenverantwortlich her und entscheiden auch selbst darüber, was gesendet wird. Ab 19.00 Uhr bis 12.00 Uhr des Folgetages ist lediglich ein Nachrichtenredakteur anwesend.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stellen die Nachrichtenredakteure aus dem aktuellen Quellenmaterial die Themen zusammen, die in den Nachrichten gesendet werden sollen. Der Nachrichtenredakteur legt fest, welche Themen zusammengefaßt werden können und gestaltet im Bedarfsfall Übergänge von einer Meldung zur anderen. Er entscheidet u.a. über den “Aufmacher” und das “Schlußlicht” der Sendung. Des weiteren trifft er Dispositionen für die nächste und die folgenden Sendungen. Nach diesen Vorarbeiten werden die Agenturtexte in rundfunkgerechte Formulierungen umgesetzt und in die Maschine diktiert. Diesem Arbeitsgang folgt die Redaktion der Einzelmeldung, d.h., die Meldungen werden redigiert und korrigiert. Die Übergänge zwischen den Meldungen werden ausgefeilt und oft werden neue Themen gegen andere ausgetauscht. Dies geschieht auch häufig noch während der laufenden Sendung. Daneben haben die Nachrichtenredakteure Aufgaben bezüglich des Verkehrsdienstes sowie in der Entscheidung über aktuelle Programmunterbrechungen, wobei in zweiter Instanz streitig geworden ist, ob für Unterbrechungen, die nicht dem Verkehrsfunk dienen, allgemeine Anweisungen existieren.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine überwiegende Tätigkeit erfülle die Tätigkeitsmerkmale der VergGr. X.
Er hat demgemäß nach erfolgloser Geltendmachung beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihn ab 1. September 1987 in die Gehaltsgruppe X des Eingruppierungskataloges des Rundfunktarifvertrages zwischen der Beklagten und der Rundfunk-Fernseh-Film-Union im DGB (RFFU), Verband Radio Bremen, in der derzeit gültigen Fassung einzugruppieren und die Vergütung nach dieser Gehaltsgruppe zu bemessen.
Die Beklagte hat die Aufassung vertreten, der Kläger sei zutreffend in die Gehaltsgruppe IX als Redakteur (gehoben) eingestuft. Abgesehen davon, daß der Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte für die von ihm begehrte Eingruppierung als 1. Redakteur (Gehaltsgruppe X) gebe, seien die in dieser Gruppe geforderten Tätigkeitsmerkmale der “besonderen Leistungen bei der Planung und Realisierung von Programmbeiträgen” sowie “redaktionelle Verantwortung für einen Teilbereich” nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht hat der Klageforderung entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
I.1. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge zwischen der Beklagten und der Rundfunk-Fernseh-Film-Union im DGB, Verband Bremen (RFFU), in der jeweils gültigen Fassung, mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Zur Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Höhergruppierung sind demgemäß folgende tarifliche Bestimmungen heranzuziehen:
Ziff. 512.1 Rundfunktarifvertrag
Die Grundvergütung richtet sich nach dem Vergütungstarif.
Für die Eingruppierung nach dem Vergütungstarif ist die überwiegend ausgeübte Tätigkeit, mindestens aber die im Arbeitsvertrag festgelegte Tätigkeit, maßgebend.
Allgemeine Bestimmungen Gehaltstarif
- Für die Eingruppierung ist die überwiegend ausgeübte Tätigkeit, mindestens aber die im Arbeitsvertrag festgelegte Tätigkeit unter Berücksichtigung der Tätigkeitsbezeichnungen und -beschreibungen des Eingruppierungskataloges maßgebend. Strittige Fälle werden vom Eingruppierungsausschuß nach Maßgabe der hierüber abgeschlossenen Betriebsvereinbarung behandelt.
Erläuterungen zum Gehaltstarif
- Der Eingruppierungskatalog beschreibt in den einzelnen Gehaltsgruppen die Eingruppierungsmerkmale, die den jeweiligen Berufsbildern bzw. Tätigkeiten das Gepräge geben. Für die Eingruppierung in eine bestimmte Gehaltsgruppe ist es erforderlich, daß die aufgeführten Eingruppierungsmerkmale nach Anzahl und Wertigkeit überwiegend ausgeübt werden. Die Vereinbarung von Tätigkeitskombinationen, wie z.B. “Redakteur und Reporter” ist möglich.
- “Mehrjährig” bedeutet mindestens zwei Jahre, “langjährig” mindestens drei Jahre, wobei davon ausgegangen wird, daß sich die Leistungen und Fähigkeiten des Mitarbeiters aus der vorherigen Gehaltsgruppe herausheben.
Gehaltstarif
Gruppe VIII
Redakteur/in
mit einer entsprechenden wissenschaftlichen oder berufsbezogenen Ausbildung (Volontariat) und mehrjähriger Berufserfahrung (hierzu gehören: Reportagen, Realisationen, Präsentationen, Moderationen, Tätigkeiten vor dem Mikrofon und im Bild, Kommentierung)
Gruppe IX
Redakteur/in (gehoben)
wie VIII, mit langjähriger, bewährter und eigenverantwortlicher Tätigkeit, der/die analysierend oder im journalistischen Bereich kommentierend arbeitet; langfristige oder aktuelle Planung und inhaltliche Gestaltung von einzelnen Sendungen, Produktionen oder Publikationen und Überwachung redaktioneller Abläufe bis zur Sendung bzw. Veröffentlichung
Gruppe X
1. Redakteur/in
wie IX, mit langjähriger Berufserfahrung, der/ die sich durch besondere Leistungen bei der Planung und Realisierung von Programmbeiträgen hervorhebt; redaktionelle Verantwortung für einen Teilbereich
Danach kommt es für die zutreffende Eingruppierung des Klägers auf dessen überwiegend ausgeübte Tätigkeit an, d.h., ob er während mehr als der Hälfte seiner Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausübt, die ein Tätigkeitsmerkmal der von ihm für sich beanspruchten VergGr. X erfüllen. Angesichts der Tätigkeit des Klägers als Nachrichtenredakteur ist dabei von einer einheitlich zu bewertenden Gesamttätigkeit auszugehen.
2. Die für die zutreffende Eingruppierung des Klägers in Betracht kommenden Vergütungsgruppen VIII bis X bauen aufeinander auf.
a) Nach Gruppe VIII als Eingangsgruppe werden eingruppiert Redakteure mit einer wissenschaftlichen oder berufsbezogenen Ausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung. Bei einer Eingruppierung nach Gruppe IX muß hinzutreten eine langjährige, bewährte und eigenverantwortliche Tätigkeit des Redakteurs, der analysierend oder im journalistischen Bereich kommentierend arbeitet; langfristige oder aktuelle Planung und inhaltliche Gestaltung von einzelnen Sendungen, Produktionen oder Publikationen redaktioneller Abläufe bis zur Sendung bzw. Veröffentlichung. Die darauf aufbauende Gruppe X (Erster Redakteur) verlangt weiterhin neben langjähriger Berufserfahrung besondere Leistungen bei Planung und Realisierung von Progammbeiträgen; redaktionelle Verantwortung für einen Teilbereich.
Dabei schließt sich die erste Alternative der VergGr. X, nämlich die besondere Leistung bei der Planung und Realisierung von Programmbeiträgen an die erste Alternative der VergGr. IX an, das gleiche gilt für die jeweils zweiten Alternativen der beiden Vergütungsgruppen.
b) Die VergGr. X verlangt demgemäß im ersten Halbsatz eine Heraushebung der Tätigkeit des Nachrichtenredakteurs durch besondere Leistungen bei der Planung und Realisierung von Programmbeiträgen.
Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger die beantragte Höhergruppierung versagt, weil es sich außerstande sah, die inhaltliche Bedeutung des als Heraushebungsmerkmal verwendeten Begriffs “der besonderen Leistungen bei der Planung und Realisierung von Programmbeiträgen” eindeutig zu interpretieren. Es meint in diesem Zusammenhang, einerseits könnten diese besonderen Leistungen zwar gesehen werden in den Erschwernissen, die sich für den Kläger aus der Materialfülle und dem permanenten Zeitdruck ergeben sowie den Erwartungen der Öffentlichkeit an die höhere Glaubwürdigkeit von Rundfunknachrichten gegenüber denen, die an die Boulevard- oder Tagespresse gestellt werden. Andererseits sei es mit Rücksicht darauf, daß es sich um einen Haustarifvertrag der Beklagten, also um einen Rundfunktarifvertrag handele, nicht einsichtig, warum die Tarifvertragsparteien diese Umstände der Arbeit eines Nachrichtenredakteurs nicht im Gehaltstarifvertrag als solche berücksichtigt hätten. Obwohl ihnen der Streit über die richtige Eingruppierung gerade der Nachrichtenredakteure seit langem bekannt gewesen sei, hätten sie insoweit auch keine Änderungen im Zusammenhang mit der Änderung anderer Tarifgruppen vorgenommen.
c) Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Wie er bereits in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BAGE 51, 59, 72 = AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.), wenn auch im Zusammenhang mit dem entsprechenden gleichen tariflichen Begriff in der VergGr. IVa BAT Fallgruppe 10 ausgeführt hat, bedeutet das Qualifikationsmerkmal “der besonderen Leistungen” eine erhöhte Qualität der Arbeit, die den Einsatz von gegenüber der Grundgruppe erhöhten Wissens und Könnens fordert. Von den gleichen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall auszugehen. Dies gilt um so mehr, als die Tarifvertragsparteien in den allgemeinen Erläuterungen zu dem Gehaltstarifvertrag unter Nr. 7b im Zusammenhang mit dem Stufenaufstieg innerhalb der Gehaltsgruppen ausdrücklich festgelegt haben:
Dabei kann entsprechend den Besonderheiten der Tätigkeit bei einem Rundfunksender die besondere Leistung in der Eindringlichkeit der Darstellung, der besonders vertieften Problemaufbereitung, der umfassenden Abklärung und Darstellung des Themas und in ähnlichen Besonderheiten liegen.
Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Die alleinige Berufung des Klägers auf die Besonderheiten einer Rundfunknachrichtenredaktion, also der besondere zeitliche Druck auf den Nachrichtenredakteur reicht zur Annahme besonderer Leistungen im Sinne der VergGr. X allerdings nicht aus. Diese Besonderheiten sind nämlich auch schon für einen in die Gruppe IX eingruppierten Nachrichtenredakteur gegeben. Das Landesarbeitsgericht wird daher nach der erneuten Verhandlung den Sachverhalt unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte erneut zu beurteilen haben.
d) Als Heraushebungsmerkmal verlangen die Tarifvertragsparteien im zweiten Halbsatz der VergGr. X “redaktionelle Verantwortung für einen Teilbereich”. Aus dem Umstand, daß sie bereits in der Gruppe IX eine eigenverantwortliche Tätigkeit verlangen, folgt zunächst, daß sie in der Gruppe X insoweit Alleinverantwortung für einen Teilbereich fordern.
Der Kläger meint, er erfülle dieses Qualifikationsmerkmal schon deshalb, weil es bei der Beklagten keinen sog. “Chef vom Dienst” gebe. Darüber hinaus sei in der Zeit von 19.00 Uhr bis 12.00 Uhr des Folgetages und an den Wochenenden lediglich ein Redakteur dienstbereit. Das Landesarbeitsgericht hat auch hierzu keine Feststellungen getroffen, insbesondere nicht dazu, ob der Kläger – gemessen an seiner Gesamtarbeitszeit – überwiegend allein tätig ist oder nicht. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, da eine redaktionelle Mitverantwortung nicht ausreichen würde und der Kläger selbst vorträgt, in den übrigen Zeiträumen seien jeweils zwei Nachrichtenredakteure tätig.
e) Die beiden von den Tarifvertragsparteien geforderten Heraushebungsmerkmale müssen nicht kumulativ erfüllt sein. Nach dem zur Auslegung von Tarifnormen heranzuziehenden tariflichen Gesamtzusammenhang (zur Auslegung von Tarifverträgen vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) fällt auf, daß die Tarifvertragsparteien beide Merkmale nicht mit einem “und” oder “sowie” verbunden haben, wie sie es bei den anderen unter diese Gruppe fallenden Berufszweigen getan haben. Daraus ist zu schließen, daß die Merkmale nicht kumulativ erfüllt sein müssen.
Offen bleiben kann im vorliegenden Fall allerdings, ob die Tarifvertragsparteien die beiden Merkmale alternativ fordern oder die redaktionelle Verantwortung für einen Teilbereich nur als Beispiel für das Qualifizierungsmerkmal des ersten Halbsatzes ansehen. Denn das Landesarbeitsgericht hat – von seinem Standpunkt aus zutreffend – auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob es sich bei der Nachrichtenredaktion um einen “Teilbereich” im Sinne des Tarifvertrages handelt. Mit Rücksicht darauf, daß die Tarifvertragsparteien bereits in der VergGr. IX eigenverantwortliche Tätigkeit bei der Planung und Gestaltung von “einzelnen Sendungen, Produktionen oder Publikationen und Überwachung redaktioneller Abläufe bis zur Sendung” verlangen, könnte es zumindest zweifelhaft sein, ob der Kläger redaktionelle Verantwortung für einen Teilbereich trägt. Da es sich hierbei jedoch um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, steht dem Landesarbeitsgericht insoweit ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, dessen Anwendung von dem Revisionsgericht nur in beschränktem Umfang nachprüfbar ist (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 11. März 1987 – 4 AZR 229/86 – AP Nr. 134 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.). Dies ist jedoch erst dann möglich, wenn das Landesarbeitsgericht insoweit eine eigene Beurteilung vorgenommen hat.
Unterschriften
Schaub, Dr. Etzel, Schneider, Lehmann, Kamm
Fundstellen
NZA 1992, 853 |
RdA 1992, 220 |
AfP 1992, 184 |