Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern in Sozialplan
Leitsatz (redaktionell)
Eine Sozialplanregelung, nach der die Erstattungsansprüche der Bundesanstalt für Arbeit gegen den Arbeitgeber nach § 128 AFG allein auf die Abfindungen der Arbeitnehmer angerechnet werden, für die der Arbeitgeber das Arbeitslosengeld zu erstatten hat, verstößt gegen § 75 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG.
Orientierungssatz
Es verstößt gegen den allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn eine Sozialplanregelung bestimmt, daß Rückforderungsansprüche der Arbeitsverwaltung zur Hälfte auf den Abfindungsbetrag angerechnet werden.
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 25.01.1988; Aktenzeichen 10 Sa 776/87) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 16.07.1987; Aktenzeichen 2 Ca 773/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung. Der am 1. November 1926 geborene Kläger war langjährig bei der P e.G., K, beschäftigt. Zur Durchführung der Verschmelzung der Molkereigenossenschaften P e.G. und E e.G. schloß der Betriebsrat der P e.G. mit der Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Unter Teil II ist dort unter anderem geregelt:
"Sozialplan
1. Betriebsangehörigen, denen im Zuge dieser Teil-
stillegungsmaßnahme gekündigt wird, erhalten
zur Linderung der Nachteile aus dem Verlust des
Arbeitsplatzes bzw. zur Minderung der Härten
aus zu erwartender Arbeitslosigkeit eine Abfin-
dung gem. § 112 BetrVG, die im Sinne der §§ 9
u. 10 KSchG gezahlt wird.
Die Abfindung errechnet sich unter Anwendung der
als Anlage II zu diesem Vertrage beigefügten
Punktetabellen für Alter, Betriebszugehörigkeit,
Kinderzahl und Schwerbehinderteneigenschaft.
Stichtag für die Regelung der individuellen
Punktezahl sind jeweils die Verhältnisse am
1.1.1986. Für je 18 Punkte, gerechnet 2 Stellen
nach dem Komma, wird ein effektiver Monats-
bruttoverdienst gezahlt.
...
2. Die Abfindung wird zum Zeitpunkt der Beendigung
des Arbeitsverhältnisses fällig. Die Fälligkeit
ist im Falle der Erhebung einer Kündigungsschutz-
klage bis zu deren rechtskräftigem Abschluß ge-
hemmt.
...
6. Rückforderungsansprüche durch die Arbeitsver-
waltung nach § 128 AFG werden auf den Abfin-
dungsbetrag aus dem Sozialplan zur Hälfte an-
gerechnet; das gleiche gilt für eine etwaige
Lohnzahlungsauflage gem. § 16 SchwbG.
...
9. Die Parteien sind sich einig, daß die bei der
P eG verbleibenden Beschäftigungsver-
hältnisse am Verschmelzungsstichtag 1.1.1986 auf
die neu zu gründende P GmbH,
Ka unter Wahrung des arbeitsrecht-
lichen Besitzstandes übergehen, es sei denn,
eine Weiterbeschäftigung erfolgt unmittelbar bei
der Molkerei Erbeskopf eG mit Dienstsitz in
K ."
Nach der Fusion der beiden Molkereigenossenschaften übernahm die Beklagte zum 1. Januar 1986 die Betriebsstätte der P e.G. in K. Der dort beschäftigte Kläger wurde von der Erwerberin zum 30. Juni 1986 entlassen. Der Kläger meldete sich am 28. Juni 1986 beim Arbeitsamt Ludwigshafen arbeitslos. Die Beklagte zahlte ihm beim Ausscheiden die Hälfte des ihm rechnerisch nach dem Sozialplan zustehenden Gesamtbetrages, d.h. 15.806,50 DM, als Abfindung aus. Die Auszahlung der zweiten Hälfte verweigerte sie unter Hinweis auf Ziffer II 6 der Betriebsvereinbarung, da sie mit einer Erstattungsforderung des Arbeitsamtes über die dem Kläger gewährten Unterstützungsleistungen rechnete. Einen Befreiungsantrag des Arbeitgebers von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG lehnte das Arbeitsamt ab. Der Widerspruch der Beklagten blieb erfolglos. Zur Zeit läuft ein sozialgerichtliches Verfahren. Mit Schreiben vom 15. April 1987 machte das Arbeitsamt für die Zeit bis zum 23. Januar 1988 einen Erstattungsanspruch nach § 128 AFG in voraussichtlicher Höhe von 54.000,-- DM geltend. Nach erfolgloser Mahnung zum 17. November 1986 hat der Kläger am 11. Juni 1987 vor dem Arbeitsgericht Zahlungsklage erhoben.
Er hat zur Begründung ausgeführt, die Anrechnungsklausel der Betriebsvereinbarung sei unwirksam. Es sei funktionswidrig, Sozialplanleistungen mit dem Bezug von Arbeitslosengeld zu verknüpfen. Es widerspreche der Zielvorstellung des Gesetzgebers, die nach § 128 AFG auf den Arbeitgeber entfallende Last auf den Arbeitnehmer abzuwälzen. Zudem sei kein sachlicher Grund dafür gegeben, den 58 Jahre alten Arbeitnehmern den vollen Abfindungsbetrag auszuzahlen, wenn sie das Glück hätten, noch einen Arbeitsplatz zu finden, während diejenigen, die arbeitslos würden, zusätzlich noch die Hälfte ihrer Abfindung verlören.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
15.806,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
18. November 1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, es sei üblich, die Abfindungsbeträge für ältere Arbeitnehmer wegen der finanziellen Auswirkungen des § 128 AFG von vornherein niedriger zu bemessen. Im vorliegenden Fall sei man von dieser Übung zugunsten der älteren Arbeitnehmer abgewichen, indem man ihnen die Chance eröffnet habe, bei Abwehr der Erstattungsansprüche eine höhere Abfindung zu erreichen. Solange nicht rechtskräftig festgestellt sei, daß dem Arbeitsamt der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zustünde, sei die Klage unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet.
I. Nr. II 6 der Betriebsvereinbarung, nach der Rückforderungsansprüche der Arbeitsverwaltung nach § 128 AFG auf den Abfindungsbetrag aus dem Sozialplan bis zur Hälfte angerechnet werden, verstößt nicht gegen zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht. Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird, besteht keine Vergleichbarkeit zu der Lohnzahlungsauflage nach § 16 SchwbG a.F. (= § 19 SchwbG n.F.), deren Anrechnung ebenfalls in II 6 geregelt ist. Während nämlich mit der Lohnzahlungsauflage für die Kündigung im Interesse des einzelnen Schwerbehinderten bezweckt wird, dem Arbeitnehmer für die betreffende Zeit den Lebensstandard zu sichern (LAG Hamm Urteil vom 23. November 1984 - 16 Sa 948/84 - DB 1985, 446, 447) liegt die Regelung des § 128 AFG im öffentlichen Interesse. Ziel des Gesetzgebers war es, durch § 128 AFG die Arbeitgeber mit dem finanziellen Risiko der Arbeitslosigkeit ihrer langjährig beschäftigten älteren Arbeitnehmer zu belasten, um zu verhindern, daß die im Interesse des sozialen Schutzes älterer Arbeitnehmer geschaffene gesetzliche Regelung über den Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld zu Lasten der Solidargemeinschaft "ausgenutzt" wird (BVerfG Beschluß vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 und 48/87 - EzA § 128 AFG Nr. 1; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, 2. Aufl., § 128 Rz 17). Nach § 1248 Abs. 2 RVO erhält nämlich ein Versicherter nach Vollendung des 60. Lebensjahres auf Antrag vorgezogenes Altersruhegeld, wenn er die versicherungsrechtliche Wartezeit erfüllt und nach einer Arbeitslosigkeit von mindestens 52 Wochen innerhalb der letzten eineinhalb Jahre arbeitslos ist. So soll den älteren Arbeitnehmern nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und der aller Erfahrung nach nicht mehr bestehenden Vermittlungsaussicht das Schicksal mehrjähriger Arbeitslosigkeit erspart werden (Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, 2. Aufl., § 128 Rz 4). In der Praxis wurde die Vorschrift über das vorgezogene Altersruhegeld jedoch von zahlreichen Unternehmen auch dazu genutzt, die Belegschaft auf Kosten der Versichertengemeinschaft zu verjüngen. Mit der Erstattungspflicht soll diese Praxis unterbunden werden, da sie zu einer erheblichen finanziellen Belastung der Arbeitslosen- und Rentenversicherung führte (BR-Drucks. 369/81, S. 33, 44; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, 2. Aufl., § 128 Rz 4, m.w.N.). Desselben Mittels hat sich der Gesetzgeber bedient, um ein "Leerlaufen" des Vorruhestandsgesetzes zu vermeiden. Durch das Gesetz zur Anpassung des Rechts der Arbeitsförderung und der gesetzlichen Rentenversicherung an die Einführung von Vorruhestandsleistungen vom 13. April 1984 (BGBl. I, S. 610) ist die Erstattungspflicht für das für einen Zeitraum bis zu vier Jahren in Anspruch genommene vorgezogene Altersruhegeld (§ 1395 b RVO) eingeführt worden (vgl. Hagemeier, Entlassungen im Rahmen herkömmlicher 59er-Regelungen außerhalb des Vorruhestandsgesetzes nach dem ab 1. Mai 1984 geltenden Recht, BB 1984, 1689, 1691).
Die gesetzliche Erstattungspflicht bewirkt also nur mittelbar einen Schutz der älteren Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber durch das Risiko hoher finanzieller Aufwendungen davor abgeschreckt werden soll, langjährig beschäftigte Arbeitnehmer nach Vollendung des 56. Lebensjahres zu entlassen. Sie verbietet weder die Entlassung älterer Arbeitnehmer noch die Berücksichtigung der durch § 128 AFG entstehenden zusätzlichen Kosten einer solchen Entlassung bei der Bemessung des Sozialplanvolumens.
II. Die Anrechnungsklausel von II 6 der Betriebsvereinbarung verstößt jedoch gegen den allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Innerhalb der Gruppe der älteren Arbeitnehmer haben die Betriebsparteien nämlich - gemessen am Überbrückungszweck einer Sozialplanabfindung - ohne sachlichen Grund danach differenziert, ob diese aufgrund ihrer Betriebszugehörigkeit unter den Anwendungsbereich des § 128 AFG fallen und ob gegebenenfalls der Entlassene wider alle Erfahrung einen neuen Arbeitsplatz findet oder bis zum Eintritt des Rentenalters arbeitslos bleibt. Die über 56-jährigen Arbeitnehmer, die keine Arbeit mehr finden, werden durch die Bestimmung, daß die Rückforderungsansprüche der Bundesanstalt für Arbeit zur Hälfte auf den Abfindungsbetrag angerechnet werden, in ganz besonderem Maße hart getroffen; denn sie sind wegen der Verringerung ihrer Einkünfte auf die Höhe des Arbeitslosengeldes bzw. der Arbeitslosenhilfe und wegen der Verringerung ihrer späteren Rentenhöhe bei Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes in besonderem Maße auf die Milderung der mit dem Arbeitsplatzverlust entstehenden wirtschaftlichen Nachteile angewiesen. Demgegenüber erhalten diejenigen, die durch den neuen Arbeitsplatz keine oder nur geringe Einkommenseinbußen erleiden und weiterhin noch spätere ruhegelderhöhende Versicherungszeiten in der Rentenversicherung erreichen, trotz ihrer objektiv geringeren Schutzbedürftigkeit eine Abfindung zumindest in doppelter Höhe. Daß ausgerechnet die Arbeitnehmer, auf die nur wegen ihrer kurzen Betriebszugehörigkeit § 128 AFG nicht anwendbar ist, im Gegensatz zu den Arbeitnehmern, für die eine Erstattungspflicht besteht, die volle Abfindung ungekürzt erhalten, ist besonders wenig einsichtig. Denn § 128 AFG begrenzt die Erstattungspflicht gerade auf die älteren Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit, weil der Arbeitgeber nur für diese Arbeitnehmer eine besondere Verantwortung trägt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 23. Januar 1990, aaO) angenommen, dieser Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung des Arbeitgebers stehe in einem vernünftigen Verhältnis zu dem gegebenen Anlaß und dem verfolgten Zweck, weil die durch lange Betriebszugehörigkeit unter Beweis gestellte Betriebstreue und die damit erweiterte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers es rechtfertigten, diesen für soziale Folgekosten, die sich aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern ergeben, in Anspruch zu nehmen.
Die so gerechtfertigte Erstattungspflicht gerade auf die arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer - zum Teil - abzuwälzen, dagegen den wegen der kurzen Betriebszugehörigkeit nicht unter § 128 AFG fallenden Arbeitnehmern die volle Abfindung zu gewähren, bedeutet einen durch nichts gerechtfertigten Wertungswiderspruch zur Überbrückungsfunktion des Sozialplans (vgl. dazu Weller, AR-Blattei Sozialplan I, Übersicht A 1) wie auch zu dem Gesetzeszweck von § 128 AFG. Eine derartige Regelung orientiert sich nicht mehr am Ziel eines Sozialplans, den bereits entstandenen und künftig drohenden wirtschaftlichen Nachteil des einzelnen Arbeitnehmers zu mildern, sondern diskriminiert gezielt diejenigen, die besonders schutzbedürftig sind.
III. Die von der Revision beanstandete Klausel verstößt auch gegen § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat darauf zu achten, daß die Arbeitnehmer nicht wegen der Überschreitung bestimmter Altersstufen benachteiligt werden.
1. Wie der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 26. Juli 1988 (- 1 AZR 156/87 - AP Nr. 45 zu § 112 BetrVG 1972) und 23. August 1988 (BAGE 59, 255 = AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972) ausgeführt hat, ist § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht dahin zu verstehen, daß innerhalb einer betrieblichen Regelung jede Differenzierung zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern unzulässig ist. Eine Differenzierung aufgrund bestehender tatsächlicher und für die jeweilige Regelung erheblicher Gesichtspunkte kann rechtlich unbedenklich sein. Aus diesem Grunde hat der Senat in seinem Urteil vom 14. Februar 1984 (- 1 AZR 574/82 - AP Nr. 21 zu § 112 BetrVG 1972) entschieden, in einem Sozialplan könne vorgesehen werden, daß Arbeitnehmer, die das vorgezogene Altersruhegeld in Anspruch nehmen können, geringere bzw. in seinem Urteil vom 26. Juli 1988 (aaO) überhaupt keine Abfindungen erhielten. Im vorliegenden Falle haben die Betriebsparteien jedoch hinsichtlich der Anrechnung der Erstattungsforderung nach § 128 AFG nicht nach bestimmten Altersstufen und deren Bedürftigkeit unterschieden, sondern allein danach, ob für die älteren Arbeitnehmer eine Erstattungspflicht von Arbeitslosengeld entsteht oder nicht.
2. So ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß die "gravierenden Sprünge" in der für die Bemessung der Abfindungshöhe maßgeblichen Punktwerttabelle 2 (Faktor Lebensalter) sachlich gerechtfertigt sind. Während die Punktwerttabelle 1 (Faktor Dauer der Betriebszugehörigkeit) linear steigt, springt die Punktwerttabelle 2 nach dem 48. Lebensjahr progressiv von 56 auf 82 Punkte, steigt dann stetig weiter bis zum 56. Lebensjahr auf 95 Punkte, um danach über 89, 82, 75, 67, 58, 48, 38, 24 bis auf 0 Punkte im 65. Lebensjahr zu fallen. Insoweit haben die Betriebsparteien sachgerecht die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer berücksichtigt. Es "entspricht dem nach objektiven Momenten zu erwartenden tatsächlichen Geschehensablauf", daß die Chancen für Arbeitnehmer nach Vollendung des 49. Lebensjahres mit wachsendem Alter sich ständig vermindern, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sind die vereinbarten progressiven Tendenzen für die Bemessung der Abfindungshöhe durchaus angebracht. Wenn trotz abnehmender Vermittlungschance der Punktwert für den Kreis der von der Regelung des § 128 AFG betroffenen Arbeitnehmer mit beginnendem 57. Lebensjahr sinkt, so berücksichtigt dies die Tatsache, daß diese Altersgruppe auf Arbeitgeberleistungen weniger angewiesen ist, weil die mit Hilfe der Abfindung zu überbrückende Zeit bis zum Eintritt der gesetzlichen Rentenversicherung kürzer und der Bedarf im Verhältnis zu jüngeren Arbeitnehmern geringer wird.
3. Die weitere Benachteiligung der Arbeitnehmer, die das 56. Lebensjahr überschritten haben und in den Geltungsbereich des § 128 AFG fallen, ist, gemessen am Zweck des Sozialplanes, mit einem begrenzten Volumen möglichst allen von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe bis zu einem neuen Arbeitsverhältnis oder längstens dem Bezug des gesetzlichen Altersruhegeldes zu ermöglichen (vgl. Senatsurteil vom 23. August 1988, BAGE 59, 255 = AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972), sachlich nicht gerechtfertigt.
a) Das Landesarbeitsgericht begründet nicht näher, warum es sachgerecht sein soll, dem einzelnen arbeitslos werdenden älteren Arbeitnehmer das Risiko einer Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Erstattung des Arbeitslosengeldes zur Hälfte aufzuerlegen. Wenn auch die Beklagte im Falle des Klägers der Erstattungsforderung der Arbeitsverwaltung für gewährtes Arbeitslosengeld in Höhe von mindestens 54.000,-- DM ausgesetzt ist, so folgt daraus noch nicht, daß der Arbeitgeber einen Teil der Schuld gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit auf den Arbeitslosen als "Verursacher" der Erstattungsforderung abwälzen darf.
b) Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein über 56 Jahre alter Arbeitnehmer es selbst in der Hand hätte, den Eintritt des in II 6 der Betriebsvereinbarung angesprochenen Rückforderungsfalles zu verhindern. Wie das Landesarbeitsgericht aber in seinen Entscheidungsgründen festgestellt hat, ist die Möglichkeit eines Arbeitnehmers dieses Alters, nach der Entlassung noch einen Arbeitsplatz zu finden, zwar theoretisch denkbar, aber mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit praktisch auszuschließen, daß die Betriebsparteien diese Möglichkeit getrost außer acht lassen durften. Es kann also mit der beanstandeten Klausel für den einzelnen Arbeitnehmer auch kein Anreiz geschaffen werden, seine Arbeitslosigkeit zu vermeiden, um so dem Arbeitgeber die Erstattungsforderung des Arbeitsamtes zu ersparen und sich selbst die volle Abfindung zu sichern.
Es fehlt somit ein sachlicher Grund, zusätzlich zu der mit zunehmendem Alter ab dem 57. Lebensjahr sinkenden Tendenz der für die Bemessung der Abfindungshöhe maßgeblichen Punktwerte für denselben Personenkreis auch noch durch die Sonderregelung in II 6 der Betriebsvereinbarung eine weitere Beschränkung der Abfindungsansprüche vorzusehen.
4. Damit ist nichts darüber gesagt, ob die Belastung des Arbeitgebers mit den Erstattungsansprüchen nach § 128 AFG bei der Ausgestaltung des Sozialplans berücksichtigt werden darf. Bei der Vereinbarung eines Sozialplans muß auf die finanzielle Belastbarkeit des Unternehmens Rücksicht genommen werden. Insoweit hätten die Betriebsparteien auch im vorliegenden Falle das bei der Entlassung älterer Arbeitnehmer drohende Erstattungsrisiko nach § 128 AFG bei dem Umfang des Sozialplanvolumens berücksichtigen können. Nur das Abwälzen des Erstattungsrisikos nach § 128 AFG allein auf die Gruppe der Arbeitnehmer mit einem Lebensalter von mehr als 56 Jahren verstößt gegen § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
IV. Die Unwirksamkeit der Anrechnungsklausel in II 6 der Betriebsvereinbarung hat nicht zur Folge, daß der gesamte Sozialplan rechtsunwirksam ist. Der Sozialplan kann auch ohne diese Sonderregelung sinnvoll durchgeführt werden (darauf stellt der Senatsbeschluß vom 27. Oktober 1987, BAGE 56, 270 = AP Nr. 41 zu § 112 BetrVG 1972 ab). Die Betriebsparteien haben das Höchstvolumen des Sozialplans durch die Summe der Abfindungsbeträge, die sich nach II 1 der Betriebsvereinbarung errechnen, festgelegt. Dazu gehören nach der Konstruktion des Sozialplanes auch die vollen Abfindungsbeträge der über 56-jährigen Arbeitnehmer. Dieses Volumen soll nach II 6 der Betriebsvereinbarung jedoch dann nicht in voller Höhe zur Auszahlung gelangen, wenn die entlassenen älteren Arbeitnehmer Unterstützungsleistungen des Arbeitsamtes in Anspruch nehmen, ohne daß ein Ausnahmetatbestand die Erstattungspflicht nach § 128 AFG entfallen läßt. Diese Sonderregelung stellt sich wie eine dem Arbeitgeber eingeräumte Ermächtigung zur Aufrechnung dar. Ist aber die Norm, die die Aufrechnung zuläßt, unwirksam, bleibt die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, davon unberührt.
Dadurch, daß im vorliegenden Individualprozeß der volle Abfindungsanspruch zuerkannt wird, wird auch nicht - was nach der Rechtsprechung des Senats unzulässig wäre (vgl. BAGE 35, 80 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; 37, 237 = AP Nr. 14 zu § 112 BetrVG 1972) - die finanzielle Gesamtausstattung des Sozialplanes erhöht. Es wird dem Arbeitgeber nur eine Anrechnungsmöglichkeit genommen. Und auch dies ist nur die Rechtsfolge des Rechtsfehlers, der den Betriebsparteien bei der Vereinbarung des Sozialplans unterlaufen ist. Es geht nur um die Korrektur an einer einzelnen Bestimmung des Sozialplans zur Vermeidung unbilliger Benachteiligungen einzelner Belegschaftsmitglieder. Die damit möglicherweise verbundene mittelbare Ausdehnung des vereinbarten Finanzrahmens ist hinzunehmen, solange - wie hier - nur einzelne Arbeitnehmer benachteiligt worden sind und die Mehrbelastung des Arbeitgebers durch die Korrektur im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Sozialplans nicht ins Gewicht fällt (BAGE 35, 80 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972).
Die Abfindung ist in voller Höhe nach II 2 der Betriebsvereinbarung mit dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis am 30. Juni 1986 fällig geworden. Die Beklagte ist nach § 284 Abs. 1 BGB durch die Mahnung des Klägers vom 31. Oktober 1986 in Verzug gesetzt worden. Nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB hat sie die Geldschuld nach Ablauf der vom Kläger gesetzten Frist, das war der 17. November 1986, mit 4 % zu verzinsen.
Dementsprechend war auf die Revision das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Breier Dr. Wohlgemuth
Fundstellen
Haufe-Index 437219 |
BAGE 65, 199-208 (LT1) |
BAGE, 199 |
BB 1991, 621 |
BB 1991, 621-623 (LT1) |
DB 1990, 2477-2479 (LT1) |
NJW 1991, 317 |
NJW 1991, 317-319 (LT1) |
BetrVG, (3) (LT1) |
EWiR 1991, 23 (L1) |
NZA 1991, 111-113 (LT1) |
RdA 1990, 319 |
SAE 1991, 172-176 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 916/90 (S) |
ZIP 1990, 1360 |
ZIP 1990, 1360-1363 (LT1) |
AP § 112 BetrVG 1972 (LT1), Nr 56 |
AR-Blattei, ES 1470 Nr 41 (LT1) |
AR-Blattei, Sozialplan Entsch 41 (LT1) |
EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 55 (LT1) |