Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Zusatzrente nach der Anordnung 54
Leitsatz (amtlich)
Nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages kann nach dem 31. Dezember 1991 ein Anspruch auf die Zusatzrente nach der Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (Anordnung 54) nicht mehr entstehen. Wer bis zu diesem Zeitpunkt einen Zusatzversorgungsanspruch erworben hat, behält ihn. Wer noch keinen Zusatzanspruch erworben hatte, kann ihn nicht mehr erwerben.
Normenkette
Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nrn. 4-5; Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III, Anl. I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 16; Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III, Anl. II Kap. VIII Sachgebiet E Abschn. III Nr. 5; Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 Art. 10 Abs. 5; Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (Anordnung 54) §§ 1, 3-4, 12
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger auch nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer betrieblichen Zusatzrente nach der “Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben” vom 9. März 1954 (Anordnung 54; GBl. DDR I 1954, S. 301) hat.
Der Kläger war seit dem Jahr 1951 im Betrieb der Beklagten, dem früheren VEB Chemiefaserwerk … P… beschäftigt. Er schied mit Vollendung seines 65. Lebensjahres am 5. März 1990 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten zahlte dem Kläger entsprechend der “Verordnung vom 9. März 1954” ab 1. März 1990 eine betriebliche Zusatzrente von 64,-- Mark (DDR) und ab 1. Juli 1990 von 64,-- DM monatlich.
Mit Ablauf des Jahres 1991 stellte die Beklagte die Rentenzahlung ein. Sie begründete dies im Schreiben vom 17. Februar 1992 damit, die Zahlungsverpflichtung sei nach den Regelungen des Einigungsvertrages entfallen. Eine Fortzahlung der bisher gewährten Renten als betriebliche Leistung sei aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Beklagten nicht möglich.
Der Kläger widersprach der Zahlungseinstellung mit Schreiben vom 11. Juli 1992 und berief sich dabei insbesondere auf einen bei der Beklagten am 1. Juli 1990 aufgestellten Sozialplan. In diesem Sozialplan wurden die Ansprüche auf die Zusatzrente nach der Anordnung 54 für solche Arbeitnehmer erhalten, die vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, um in den Vorruhestand zu gehen, wenn sie zumindest bis zum Erreichen des Rentenalters eine 20-jährige Betriebszugehörigkeit erreicht hätten. Diese Regelung ist am 1. Juni 1991 auch auf Arbeitnehmer erstreckt worden, die nach vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Altersübergangsgeld in Anspruch nahmen.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Weiterzahlung der Zusatzrente von 64,-- DM monatlich ab dem 1. Januar 1992 verlangt. Er hat den Standpunkt eingenommen, sein Anspruch ergebe sich bereits aus einem Schreiben der Beklagten vom 23. März 1990, das als Schuldanerkenntnis zu werten sei. Darüber hinaus ergebe sich sein Anspruch aus dem Sozialplan, der auf Betriebskollektivverträgen der früheren Jahre beruhe. In die durch kollektivrechtliche Regelungen entstandenen Rentenansprüche habe der Einigungsvertrag nicht eingreifen können. Im übrigen sei die Regelung des Einigungsvertrages so auszulegen, daß lediglich neue Ansprüche nach dem 31. Dezember 1991 nicht mehr entstehen sollten. In bereits erworbene Besitzstände habe nicht eingegriffen werden sollen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.472,-- DM brutto rückständige Betriebsrente für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1993 nebst 4 % Zinsen auf den sich aus 640,-- DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 25. November 1992 und den sich aus 832,-- DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 4. November 1994 zu zahlen;
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ab Januar 1994 weiterhin an ihn eine Betriebsrente in Höhe von 64,-- DM brutto monatlich zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung ist mit Ablauf des Jahres 1991 eine Zahlungsverpflichtung wegen des Wegfalls der gesetzlichen Grundlage für die Rentenzahlung durch die Regelung im Einigungsvertrag entfallen. Es gebe auch keine anderen Rechtsgründe für ihre Zahlungspflicht. Auch aus den vom Kläger genannten kollektivrechtlichen Vereinbarungen ergebe sich keine Zahlungspflicht über den 31. Dezember 1991 hinaus. Es sei zweifelhaft, ob die für Betriebsrenten geltenden Grundsätze auf Ansprüche aus der Anordnung 54 anzuwenden seien. Bei diesen Ansprüchen überwiege der Charakter einer gesetzlichen Rentenversicherung. Im übrigen sei die Beklagte auch unter Berücksichtigung der für den Widerruf von Versorgungszusagen maßgeblichen Grundsätze der Rechtsprechung zur Einstellung der Leistung am 1. Januar 1992 berechtigt gewesen. Aus dem handelsrechtlichen Jahresabschluß zum 31. Dezember 1991 werde die ernsthafte Gefährdung ihres Unternehmens aufgrund erheblicher Liquiditätsschwierigkeiten offenkundig. Die Einstellung der auf der Anordnung 54 beruhenden betrieblichen Rentenzahlung sei ein geeignetes Mittel, ihre Sanierungsbemühungen erfolgreich zu Unterstützen. Bei 1.045 Alters- und Invalidenrentnern ergebe sich eine wesentliche finanzielle Entlastung. Im Rahmen des Sanierungskonzeptes, welches u.a. einen Personalabbau auf rund ein Drittel des bisherigen Bestandes innerhalb von zwei Jahren zur Folge habe, werde den Rentnern auch kein unzumutbares Sonderopfer abverlangt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert und nach den Klageanträgen erkannt. Mit der Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageanträgen zu Recht und mit zutreffender Begründung entsprochen.
I. Der Kläger hat bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum 1. März 1990 einen Anspruch auf eine Zusatzrente nach § 3 der Anordnung 54 in Höhe von zunächst monatlich 64,-- Mark (DDR) und ab 1. Juli 1990 von 64,-- DM erworben.
1. Nach § 3 der Anordnung 54 besteht der Anspruch auf Zusatzrente u.a. dann, wenn ein Arbeiter oder Angestellter aus einem der unter die Anordnung 54 fallenden Betrieb ausgeschieden ist, dort eine ununterbrochene 20-jährige Betriebszugehörigkeit zurückgelegt hat und den Bezug von Altersrente nachweist.
Diese Voraussetzungen hat der Kläger erfüllt. Der Betrieb, in dem er beschäftigt war, gehörte zu den nach § 1 Abs. 2 der Anordnung 54 ausgewählten wichtigsten volkseigenen Betrieben der früheren DDR, deren Mitarbeiter einen Anspruch auf die Zusatzrente erwerben konnten. Aus diesem Betrieb ist der Kläger nach mehr als 20 Jahren ununterbrochener Betriebszugehörigkeit zum 1. März 1990 wegen Überschreitens der Altersgrenze mit Vollendung seines 65. Lebensjahres ausgeschieden. Er bezieht seither die gesetzliche Altersrente.
Mit dieser Erfüllung der in der Anordnung 54 genannten Anspruchsvoraussetzungen hat der Kläger den Anspruch auf eine Zusatzrente erworben. Die Anordnung 54 selbst ist ausreichende Grundlage für diesen Anspruch. Einer kollektiv- oder individualvertraglichen Umsetzung der Anordnung 54 im Betrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten bedurfte es nicht. Das Landesarbeitsgericht weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf § 12 der Anordnung 54 hin. Die dortige Bestimmung, wonach bei Streitigkeiten über den Anspruch auf Zusatzrente und deren Höhe die Konfliktkommission zu entscheiden hatte, zeigt, daß der Gesetzgeber der DDR davon ausging, bereits mit der Anordnung 54 selbst Rechte begründet zu haben, über die es zu Auseinandersetzungen kommen konnte.
2. Die monatliche Zusatzrente betrug nach § 4 der Anordnung 54 5 % des monatlichen Nettodurchschnittsverdienstes der letzten fünf Beschäftigungsjahre des betreffenden Arbeitnehmers. Dies waren im Falle des Klägers bei dessen Ausscheiden im März 1990 unstreitig 64,-- Mark. Nach Art. 10 Abs. 5 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537) und Art. 7 § 1 Abs. 2 Nr. 3 der Anl. I zu diesem Vertrag ist dieser Anspruch des Klägers auf wiederkehrende Leistungen zum 1. Juli 1990 im Verhältnis 1:1 auf 64,-- Deutsche Mark umgestellt worden.
II. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin seiner früheren Arbeitgeberin auf eine Zusatzrente von 64,-- DM monatlich ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aufgrund der Regelung im Einigungsvertrag mit dem 31. Dezember 1991 erloschen.
In der Anlage II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 4 zum Einigungsvertrag heißt es u.a.:
“
”
Die Auslegung dieser Bestimmung ergibt, daß die nach der Anordnung 54 bis zum 31. Dezember 1991 entstandenen Ansprüche auf Zahlung einer monatlichen Zusatzrente bestehen bleiben.
1. Der Wortlaut der Bestimmung des Einigungsvertrages ist nicht eindeutig. Immerhin wird aber nicht angeordnet, daß nach dem 31. Dezember 1991 keine Ansprüche auf eine monatliche Zusatzrente nach der Anordnung 54 mehr Bestehen, also auch einmal entstandene Ansprüche erlöschen sollen. Der Wortlaut läßt auch ein Verständnis der Regelung zu, wonach bis zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Anwendung der Anordnung 54 noch Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen entstehen können und in Zukunft zu erfüllen sind.
2. Für einen solchen Regelungsinhalt sprechen Grundsätze des Vertrauensschutzes, die auch bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, hier des Einigungsvertrages, zu beachten sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Parteien des völkerrechtlichen Vertrages den betrieblichen Charakter und damit den Entgeltcharakter der Leistungen betont haben.
Dabei verkennt der Senat nicht, daß es sich bei den Zusatzrenten nach der Anordnung 54 zwar um eine besondere Form betrieblicher Versorgungsleistungen handelt, die in einem anderen Wirtschaftssystem begründet wurden und für deren Verständnis das Betriebsrentenrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden kann (vgl. BAG Beschluß vom 29. April 1994 – 3 AZB 18/93 (A) – AP Nr. 26 zu § 2 ArbGG 1979, zu B II 3b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Parteien des Einigungsvertrages haben aber den betrieblichen Charakter der Leistungen aus der Anordnung 54 unterstrichen. Sie haben deren Regelungsbereich nicht nur der Rechtssetzung der Betriebspartner und Tarifvertragsparteien unterworien. Sie haben es darüber hinaus bei der durch die Anordnung 54 begründeten Leistungspflicht des Arbeitgebers belassen und damit eine grundsätzlich andere Regelung geschaffen als im Geltungsbereich der Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 (GBl. I Nr. 7 S. 42). Dort ist nach Anl. II Kap. VIII Sachgeb. E Abschn. III Nr. 5 mit Wirksamwerden des Beitritts an die Stelle des bis dahin zahlungspflichtigen Arbeitgebers die Bundesanstalt für Arbeit getreten (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 27. Juni 1995 – 9 AZR 351/94 – AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII, zu I 2 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Die Einordnung als betriebliche Leistung spricht dafür, daß die übrigen Rechtsbegriffe des Betriebsrentenrechts der Bundesrepublik Deutschland von den Parteien des Einigungsvertrages berücksichtigt wurden. Der Entgeltcharakter betrieblicher Leistungen steht einer Auslegung entgegen, nach der auch einmal entstandene Zusatzrentenansprüche beseitigt werden sollten. Das Recht der betrieblichen Altersversorgung in der Bundesrepublik Deutschland untersteht in besonderem Maße den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Die Vertragsparteien, die den Anspruch auf die Zusatzrente nach der Anordnung 54 grundsätzlich als arbeitsrechtlichen Anspruch gegen den Arbeitgeber bestehen ließen, hätten den Willen, einen durch Betriebstreue bereits vollständig erdienten Anspruch für die Zukunft zu beseitigen, eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck bringen müssen. Dies ist nicht geschehen.
3. Etwas anderes folgt auch nicht aus einem Vergleich mit der Bestimmung über die weitere Anwendung der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus und für deren Hinterbliebene vom 20. September 1976. In Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 5 ist zwar bestimmt, daß diese Verordnung nur bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden sei; die zu diesem Zeitpunkt laufenden Leistungen seien weiterzuzahlen. Daraus ergibt sich aber nicht, daß der Einigungsvertrag die Weiterzahlung der bis zum 31. Dezember 1991 laufenden Zusatzrenten nach der Anordnung 54 ausschließen wollte. Anders als bei der Zusatzrente handelt es sich bei den Ehrenpensionen nicht um betriebliche, sondern um staatliche Leistungen, die an die Begünstigten unabhängig von einer im Arbeitsverhältnis erbrachten Gegenleistung gezahlt wurden. Damit stellte sich in diesem Bereich die Regelungsaufgabe festzulegen, in welchem Verhältnis diese staatlichen Renten zu der allgemeinen gesetzlichen Altersversorgung standen. Ein solches Konkurrenzverhältnis bestand zwischen betrieblicher Zusatzrente und gesetzlicher Altersversorgung nicht.
III. Mit dieser Auslegung der Bestimmungen des Einigungsvertrages zur Anordnung 54 steht zugleich fest, daß Arbeitnehmer, die am 31. Dezember 1991 noch keinen Zusatzrentenanspruch erworben hatten, einen solchen Anspruch auch nicht mehr erwerben konnten. Der Übergang vom aktiven Arbeitsverhältnis in den gesetzlichen Ruhestand als Voraussetzung des Anspruchs auf eine Zusatzrente nach der Anordnung 54 kann nur solange erfüllt werden, wie diese Anspruchsgrundlage anwendbar ist. Dies ist nach der insoweit eindeutigen Bestimmung des Einigungsvertrages für die Zeit nach dem 31. Dezember 1991 ausgeschlossen.
Die Anordnung 54 kennt auch nicht die rechtliche Möglichkeit, eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zu erwerben. Deshalb konnten die in einem der ausgewählten wichtigsten volkseigenen Betrieben tätigen Arbeitnehmer auch keine auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 berechnete Teilrente erwerben. Nach den Bestimmungen der Anordnung 54 hatten die Arbeitnehmer bis zum Eintritt eines der in § 3 genannten Versorgungsfälle noch keine geschützte Rechtsposition, sondern nur die Aussicht auf eine Zusatzversorgung erworben. Diese Aussicht ist, soweit die Anspruchsvoraussetzungen am 31. Dezember 1991 noch nicht erfüllt waren, aufgrund der Bestimmung im Einigungsvertrag mit dem Ablauf dieses Tages erloschen.
Gegen die Anordnung dieser Rechtsfolgen im Einigungsvertrag bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 findet im Regelungsbereich der Anordnung 54 keine Anwendung. Nach Anl. I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 16 gelten die Unverfallbarkeitsbestimmungen des Betriebsrentengesetzes ebenso wie die Regelungen zum Insolvenzschutz erst für solche betrieblichen Versorgungsansprüche, die auf Versorgungszusagen beruhen, die nach dem 31. Dezember 1991 erteilt wurden. Aufgrund dieser eindeutigen Bestimmung im Einigungsvertrag ist es auch ausgeschlossen, über Art. 8 des Einigungsvertrages, die allgemeine Vorschrift zur Überleitung von Bundesrecht, die Rechtsgrundsätze zur Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften auf die Anordnung 54 anzuwenden, die das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10. März 1972 (– 3 AZR 278/71 – BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) rechtsfortbildend entwickelt hatte und die dann modifiziert in das Betriebsrentengesetz aufgenommen wurden.
Die Parteien des Einigungsvertrages waren auch nicht aus sonstigen Gründen gehalten, Versorgungsaussichten aus der Anordnung 54 rechtlich in einer Weise zu schützen, die der Gesetzgeber der DDR nicht vorgesehen hatte. Die grundlegenden Änderungen, die eine Privatisierung der Wirtschaft mit sich bringen mußte, die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen, die mit dieser Änderung des Wirtschaftssystems erkennbar verbunden sein würden, und die im Verhältnis zur Rechtslage der DDR um einiges günstigere gesetzliche Altersversorgung rechtfertigen den Eingriff des Einigungsvertrags in die Erwerbschancen aus der Anordnung 54.
IV. Der Anspruch auf eine Zusatzrente ist nicht durch einen Widerruf der Beklagten erloschen.
1. Der Anspruch aus der Anordnung 54 ist ein gesetzlicher Anspruch. Weder die Anordnung selbst, noch ein sonstiges Gesetz räumen dem Arbeitgeber das Recht ein, im Falle seiner wirtschaftlichen Notlage diesen gesetzlichen Anspruch zu widerrufen. Es kann unentschieden bleiben, ob gegenüber dem gesetzlichen Zusatzrentenanspruch einzel- oder kollektivvertraglich rechtswirksam ein Widerrufsvorbehalt begründet werden konnte. Eine solche Vereinbarung besteht nicht.
2. Die Beklagte hat auch kein Recht zum Widerruf wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitgeber unter engen Voraussetzungen die Zahlung eines vorbehaltslos zugesagten Ruhegeldes wegen seiner wirtschaftlichen Notlage verweigern, wenn und solange bei ungekürzter Weiterzahlung der Bestand des Unternehmens gefährdet ist (BAGE 24, 63, 71 = AP Nr. 154 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu III 2 der Gründe; BAGE 58, 167, 172 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage, zu II der Gründe; BAGE 72, 329, 336 = AP Nr. 18 zu § 7 BetrAVG Widerruf, zu B I der Gründe). Diese Rechtsprechung beruht auf den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Hiernach kann die Erfüllung einer vertraglich übernommenen Verpflichtung nicht verlangt werden, wenn bei Abschluß des Vertrages erkennbar gewordene und nicht beanstandete Vorstellungen einer Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände weggefallen sind, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (BAGE 65, 290, 301 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag, zu II 2a der Gründe; BGHZ 25, 390, 392; 89, 226, 231).
b) Diese Erwägungen können bei gesetzlich begründeten Ansprüchen ein Widerrufsrecht nicht rechtfertigen. Bei der Entstehung von Rechten aus der Anordnung 54 kam es auf die Vorstellungen der Arbeitsvertragsparteien über die künftige Leistungsfähigkeit der beklagten Arbeitgeberin ebensowenig an wie auf deren rechtsgeschäftlichen Willen. Veränderungen in der Wirtschaftlichen Situation der Beklagten können damit auch nicht rechtfertigender Anlaß für einen Eingriff in den Anspruch auf die Zusatzrente nach der Anordnung 54 sein.
V. Da der Kläger einen übe den 31. Dezember 1991 hinaus fortbestehenden gesetzlichen Anspruch auf eine Zusatzrente nach der Anordnung 54 hat, kommt es richt darauf an, ob ihm auch entsprechende einzel- oder kollektivvertragliche Rechte zustehen, was das Landesarbeitsgericht mit zutreffenden Erwägungen in Frage gestellt hat. Es kann deshalb auch unentschieden bleiben, ob gegenüber solchen Ansprüchen ein Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage in Betracht kommt.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Schoden, Kaiser
Fundstellen
Haufe-Index 873900 |
BAGE, 203 |
BB 1996, 1620 |
NZA 1996, 978 |
AP, 0 |
AuA 1996, 141 |