Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenausgleich mit Namensliste. Anhörung des Betriebsrats. Ordentliche betriebsbedingte Kündigung durch Insolvenzverwalter nach Abschluß einer umstrukturierenden Betriebsvereinbarung. Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG bei Kündigung durch Insolvenzverwalter gem. § 125 Abs. 1 InsO bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste. Umfang der Informationspflicht, Berücksichtigung von Vorkenntnissen des Betriebsrats. Voraussetzungen der Vermutung nach § 125 Abs. 1 InsO und § 128 Abs. 2 InsO. Kündigungsrecht in der Insolvenz. Betriebsratsanhörung
Leitsatz (amtlich)
Auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste iSd. § 125 Abs. 1 InsO unterliegt die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG grundsätzlich keinen erleichterten Anforderungen.
Orientierungssatz
- Auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste iSd. § 125 Abs. 1 InsO unterliegt die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG grundsätzlich keinen erleichterten Anforderungen.
- Die Substantiierungspflicht im Kündigungsschutzprozeß bildet nicht das Maß für die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 BetrVG.
- Der Umfang der Unterrichtungspflicht orientiert sich an dem – vom Zweck des Kündigungsschutzprozesses zu unterscheidenden – Zweck des Anhörungsverfahrens.
- Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zielt nicht darauf ab, die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit einer Kündigung zu gewährleisten. Der Betriebsrat ist kein “Gericht”, das über Anträge des Arbeitgebers entscheidet, sondern er soll Partner des Arbeitgebers in einem zwar gesetzlich institutionalisierten, aber vertrauensvoll zu führenden betrieblichen Gespräch sein.
- Es bedarf keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber nach § 102 BetrVG, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können. Hat der Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand, um sich über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe ein Bild zu machen oder eine Stellungnahme hierzu abgeben zu können, und weiß dies der Arbeitgeber oder kann er dies nach den gegebenen Umständen jedenfalls als sicher annehmen, so kann vom Arbeitgeber keine weitere detaillierte Begründung verlangt werden.
Normenkette
BetrVG § 102; InsO §§ 125, 128; BGB § 613a; KSchG § 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 07.12.2001; Aktenzeichen a18 (4) Sa 1255/01) |
ArbG Krefeld (Urteil vom 25.07.2001; Aktenzeichen 2 Ca 493/01) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 2001 – 18 (4) Sa 1255/01 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine ordentliche Kündigung des Beklagten.
Die 1949 geborene Klägerin stand von 1973 bis 1980 und dann wieder – unter Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit – seit 1988 in den Diensten der inzwischen insolventen m GmbH (if.: Schuldnerin), die sich mit der Herstellung von Maschinen für die Textilindustrie befaßte und zuletzt über 70 Arbeitnehmer beschäftigte. Die Klägerin war mit Sekretariatsarbeiten sowie mit Personalangelegenheiten betraut. Die Anteile der einzelnen Arbeitsgebiete an der Gesamtheit der Tätigkeiten sind streitig. Die monatliche Bruttovergütung der Klägerin betrug zuletzt 6.582,50 DM nebst Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Im Oktober 2000 eröffnete das Amtsgericht Mönchengladbach das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter.
Am 18. Dezember 2000 schlossen die Schuldnerin und der bei ihr bestehende Betriebsrat mit Zustimmung des Beklagten eine “Betriebsvereinbarung über die Schaffung von Auffangstrukturen”. Ziel war die Fortführung des Betriebes mit einer reduzierten Belegschaft von etwa 25 Arbeitnehmern durch eine “Investorenlösung”. Im einzelnen sah die Betriebsvereinbarung vor: Schließung der mechanischen Fertigung; Verlagerung oder Ausgliederung des Schaltschrankbaus; Auslagerung der Buchhaltung; Bereinigung der Produktpalette; Konzentration auf Entwicklung, Konstruktion, Verkauf und Montage. Sämtliche Arbeitnehmer sollten entlassen und in die “Personal- und Arbeitsmarktagentur” (if.: P) überführt werden. Die Arbeitnehmer – so auch die Klägerin – wurden in einer der Betriebsvereinbarung als Anlage beigefügten Liste namentlich benannt. Schuldnerin und P… boten ihnen den Abschluß eines Vertrages an, durch den das Arbeitsverhältnis zur Schuldnerin aufgelöst und ein Arbeitsverhältnis mit der P… begründet werden sollte. Die Klägerin und weitere 22 Arbeitnehmer lehnten das Angebot ab.
Am 1. Januar 2001 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Am 12. Januar 2001 schloß der Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich als Nachtrag zu der Betriebsvereinbarung vom 18. Dezember 2000. Darin heißt es ua.:
“…
2. Die Parteien sind sich einig, daß die Anstellungsverhältnisse der in der Anlage 1 aufgeführten Mitarbeiter, die das Angebot des Übergangs in die P… nicht angenommen haben bzw. denen der Übergang nicht ermöglicht werden konnte, wegen der durchzuführenden Betriebsänderung durch ordentliche Kündigung unter Beachtung der Kündigungsschutzbestimmungen bzw. den gem. § 113 InsO zu berücksichtigenden Kündigungsfristen beendet werden müssen.
3. Der Betriebsrat bestätigt, im Rahmen der Erörterung im Zusammenhang mit der Erstellung der Namensliste (Anlage 1) zu diesem Interessenausgleich zu allen Kündigungen ordnungsgemäß angehört worden zu sein und erteilte seine Zustimmung zu diesen unvermeidbaren Maßnahmen. Damit ist das gesetzliche Anhörungsverfahren abgeschlossen. Allen in der Anlage 1 aufgeführten Arbeitnehmern kann daher gekündigt werden.”
In der Namensliste ist auch die Klägerin aufgeführt.
Zuvor hatte der Beklagte mit Schreiben vom 9. Januar 2001 den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin angehört und mitgeteilt, die Kündigung werde durch die folgenden Restrukturierungsmaßnahmen erforderlich:
“
– |
Schließung der eigenen mechanischen Fertigung; |
– |
Verlagerung oder Ausgliederung des Schaltschrankbaus; |
– |
Auslagerung der Finanzbuchhaltung; |
– |
Bereinigung der zu umfangreichen Produktpalette; |
– |
Konzentration auf Entwicklung, Konstruktion, Verkauf und Montage der Maschinen. |
”
In der Anlage zum Anhörungsschreiben ist als Eintrittsdatum der Klägerin der 1. April 1988 angegeben, als gesetzliche Kündigungsfrist “7 Monate” und als Kündigungsfrist nach § 113 InsO “3 Monate”. Am 12. Januar 2001 erklärte sich der Betriebsratsvorsitzende mit der beabsichtigten Kündigung einverstanden. Mit Schreiben vom 17. Januar 2001 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. April 2001 und stellte sie ab Mitte März 2001 von der Arbeitsleistung frei.
Die Klägerin hält die Kündigung wegen fehlender sozialer Rechtfertigung sowie wegen Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 BGB und § 102 BetrVG für unwirksam. Der Betrieb werde, wenn auch verkleinert, am selben Ort mit dem bisherigen Geschäftsführer fortgeführt. Die von ihr ausgeführten Arbeiten (Sekretariat des Geschäftsführers – 60 vH – Personalsachbearbeitung – 40 vH) fielen großen Teils nach wie vor an. Von den dem Betriebsrat mitgeteilten Umständen sei ihr Arbeitsplatz nicht betroffen. Selbst wenn der Betriebsrat die Kündigungsgründe vor der Anhörung gekannt habe, seien diese Umstände dem Betriebsrat doch nicht als Kündigungsgründe bezeichnet und der Betriebsrat also falsch unterrichtet worden. Außerdem habe der Beklagte dem Betriebsrat die Vorbeschäftigungszeit verschwiegen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das zwischen ihr und der Gemeinschuldnerin bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 17. Januar 2001 nicht sein Ende gefunden hat.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hält die Kündigung für wirksam. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei entfallen. Die Klägerin habe zu 60 vH ihrer Arbeitszeit Personalangelegenheiten bearbeitet, sei zu 30 vH für den Chef der Finanzbuchhaltung tätig gewesen und habe im übrigen das Sekretariat des Geschäftsführers betreut. Finanzbuchhaltung und Personalangelegenheiten seien ausgelagert worden, die Sekretariatsarbeiten erledige der Geschäftsführer jetzt selbst. Ein Betriebsübergang liege nicht vor. Davon abgesehen streite die Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO iVm. § 128 Abs. 2 InsO für die soziale Rechtfertigung der Kündigung. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müsse dem Betriebsrat nicht mehr mitgeteilt werden, als der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozeß vorzutragen habe. Abgesehen davon sei dem Betriebsrat schon Ende 2000 gesagt worden, daß und inwiefern die von der Klägerin ausgeführten Arbeiten wegfielen.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Kündigung sei nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Zwar sei es unschädlich, daß dem Betriebsrat das Eintrittsdatum der Klägerin falsch mitgeteilt worden sei. Denn eine Sozialauswahl habe nicht stattfinden müssen und die Kündigungsfrist habe sich aus § 113 InsO ergeben. Über die betriebsbedingten Gründe sei der Betriebsrat jedoch nicht unterrichtet worden. Weder seien die Gründe im Anhörungsschreiben enthalten noch habe der Beklagte sie bei Übergabe des Anhörungsschreibens dem Betriebsrat mündlich mitgeteilt. Selbst wenn man die Kenntnis des Betriebsrates, auf die sich der Beklagte berufe, als gegeben unterstellen würde, reiche das nicht aus, um eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zu bejahen. Umstände, die dem Betriebsrat bereits vor der Anhörung bekannt gewesen seien, könnten hier deshalb nicht berücksichtigt werden, weil der Beklagte sich in der Anhörung nicht darauf bezogen, sondern andere, die Kündigung nicht tragende Gründe genannt habe. Darüber hinaus erscheine auch zweifelhaft, ob aus der Zeugenaussage des Betriebsratsvorsitzenden geschlossen werden könne, der Betriebsrat habe die Kündigungsgründe mit hinreichender Sicherheit gekannt.
B. Dem folgt der Senat nur zum Teil.
I. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte der Klage nicht stattgegeben werden. Auf der Grundlage der getroffenen Tatsachenfeststellungen ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG unwirksam, rechtsfehlerhaft.
1. Zutreffend ist allerdings entgegen der Auffassung der Revision die Annahme des Landesarbeitsgerichts, auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste iSd. § 125 Abs. 1 InsO unterliege die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG keinen erleichterten Anforderungen.
a) Dies hat der Senat für den gleichliegenden Fall des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung mehrfach entschieden (st. Rspr. 21. Februar 2002 – 2 AZR 581/00 – EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10; 20. Mai 1999 – 2 AZR 148/99 – AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 101; 20. Mai 1999 – 2 AZR 532/98 – BAGE 91, 341). Es entspricht auch der hM (Stahlhacke/Preiss/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 2169; KR-Weigand 6. Aufl. § 125 InsO Rn. 40; Kittner/Däubler/Zwanziger-Däubler KSchR 5. Aufl. § 125 InsO Rn. 24 alle mwN). Wie im Fall des § 1 Abs. 5 KSchG aF ergibt sich auch bei § 125 Abs. 1 InsO weder aus Wortlaut noch aus Sinn und Zweck des Gesetzes ein Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste die Anwendung des § 102 BetrVG auch nur einschränken wollte. Das Gegenteil zeigt vielmehr § 125 Abs. 2 InsO, der lediglich für die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG anordnet, sie werde durch den Interessenausgleich ersetzt (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG aF).
b) Zu Unrecht meint die Revision unter Bezugnahme auf das Landesarbeitsgericht Hamm (28. Mai 1998 – 8 Sa 76/98 – LAGE InsO § 125 Nr. 1), da den Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG nicht dieselben Mitteilungspflichten träfen wie im Kündigungsschutzprozeß (st. Rspr. BAG 21. Februar 2002 – 2 AZR 581/00 – EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10; 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 –; 8. September 1988 – 2 AZR 103/88 – BAGE 59, 295), brauche er in Fällen des § 125 Abs. 1 InsO dem Betriebsrat jedenfalls nicht mehr mitzuteilen, als er auch im Kündigungsschutzprozeß darlegen müsse. Er könne sich damit begnügen, dem Betriebsrat die Tatsache mitzuteilen, daß ein Interessenausgleich mit Namensliste geschlossen wurde und daß der Arbeitnehmer auf der Namensliste stehe.
aa) Diese Auffassung verkennt, daß der Maßstab “Substantiierungspflicht im Kündigungsschutzprozeß” zur Kennzeichnung der Unterrichtungspflicht nach § 102 BetrVG vom Senat stets im Sinne einer negativen Abgrenzung, also in dem Sinne angewandt worden ist, daß die Substantiierungspflicht im Kündigungsschutzprozeß gerade nicht das Maß für die Unterrichtungspflicht bilden soll. Eine positive Gleichsetzung liegt darin nicht. Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zielt nicht darauf ab, die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit einer Kündigung zu gewährleisten. Der Betriebsrat ist kein “Gericht”, das über Anträge des Arbeitgebers entscheidet, sondern er soll Partner des Arbeitgebers in einem zwar gesetzlich institutionalisierten, aber vertrauensvoll zu führenden betrieblichen Gespräch sein. Die Anhörung soll im Vorfeld der Kündigung eine erörternde Einflußnahme des Betriebsrates auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen.
bb) Aus diesem Grund, nämlich wegen der Unterschiede zwischen gerichtlichem Streitverfahren einerseits und gleichgeordnetem, nicht auf Entscheidung durch staatliche Stellen, sondern auf vertrauensvolle Verständigung gerichteten Gespräch der Betriebspartner hat der Senat ausgeführt, an die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Anhörungsschreiben seien nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozeß. Dienen aber die Unterrichtungspflicht in § 102 BetrVG und die prozessuale Darlegungslast des Arbeitgebers (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) unterschiedlichen Zwecken, so kann auch der von der Revision gezogene Schluß, der eine positive Gleichsetzung der Unterrichtungspflicht mit der Darlegungslast beinhaltet, nicht zutreffen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Minderung der Darlegungslast in Fällen des § 125 Abs. 1 InsO auf zivilprozessualen Vorschriften (§ 292 ZPO) beruht, die im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG nicht gelten, weil sie zu dem Gesprächscharakter des Verfahrens nach § 102 BetrVG nicht passen. Der Arbeitgeber muß dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren nichts im prozessualen Sinne “darlegen” oder “beweisen”, sondern er muß ihn so unterrichten, daß eine gleichberechtigte Erörterung begonnen werden kann.
2. Zutreffend ist auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Anhörung des Betriebsrates sei nicht schon deshalb als ordnungsgemäß anzusehen, weil der Betriebsrat in Ziff. 3 der Betriebsvereinbarung vom 12. Januar 2001 bestätige, er sei zu allen Kündigungen ordnungsgemäß angehört worden und das Anhörungsverfahren sei abgeschlossen. Zwar kann das Verfahren nach § 102 BetrVG mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbunden werden (BAG 20. Mai 1999 – 2 AZR 532/98 – BAGE 91, 341). Dies ist hier jedoch hinsichtlich der Klägerin nicht geschehen, wie das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend und ohne, daß die Revision dies gerügt hätte, festgestellt hat. Vielmehr hat der Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 9. Januar 2001 gesondert angehört. Die im Prozeß vorgetragenen Kündigungsgründe sind auch im Interessenausgleich nicht vollständig genannt.
3. Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Schreiben vom 9. Januar 2001 enthalte die Kündigungsgründe nicht vollständig. In der Tat ist der Arbeitsbereich der Klägerin nur zum Teil, nämlich soweit es um die Ausgliederung der Finanzbuchhaltung geht, von den im Anhörungsschreiben genannten Maßnahmen betroffen gewesen. Ebenso nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dem Betriebsrat seien am 9. Januar 2001 die weiteren Kündigungsgründe nicht mündlich mitgeteilt worden. Insoweit hat der Beklagte auch keine Rüge erhoben.
4. Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, soweit der Kündigungssachverhalt dem Betriebsrat schon aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich bekannt sei, brauche er ihm bei der Anhörung nach § 102 BetrVG nicht erneut mitgeteilt zu werden (BAG 20. Mai 1999 – 2 AZR 532/98 – BAGE 91, 341).
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bedarf es keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber nach § 102 BetrVG, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können (28. März 1974 – 2 AZR 472/73 – BAGE 26, 102; 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – BAGE 49, 136). Hat der Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand, um sich über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe ein Bild zu machen und eine Stellungnahme hierzu abgeben zu können, und weiß dies der Arbeitgeber oder kann er dies nach den gegebenen Umständen jedenfalls als sicher annehmen, so würde es dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG widersprechen und es wäre eine kaum verständliche Förmelei, vom Arbeitgeber dann gleichwohl noch eine detaillierte Begründung zu verlangen (27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – aaO mwN). Regelmäßig – und so war es auch hier – gehen dem Abschluß eines Interessenausgleichs, der mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer verbunden ist, längere Verhandlungen voran, auf Grund derer beim Betriebsrat erhebliche Vorkenntnisse über die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe und auch die vielleicht mit dem Betriebsrat zusammen vorgenommene Sozialauswahl vorhanden sein können. Die dem Betriebsrat aus diesen Verhandlungen bekannten Tatsachen muß der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nicht erneut vortragen. Daß der Betriebsrat derartige Vorkenntnisse hatte, muß der Arbeitgeber im Prozeß hinreichend konkret darlegen und ggf. beweisen (BAG 20. Mai 1999 – 2 AZR 532/98 – BAGE 91, 341).
b) Soweit das Landesarbeitsgericht jedoch meint, die Anhörung sei bei Anwendung dieser Maßstäbe selbst dann nicht ordnungsgemäß, wenn unterstellt werde, der Betriebsrat habe die vom Beklagten behauptete Kenntnis schon vor der Kündigung gehabt, wendet es die von ihm zitierte Rechtsprechung des Senats nicht richtig an. Es überspannt vielmehr die an den Inhalt der Unterrichtung zu stellenden Anforderungen.
aa) Das Landesarbeitsgericht geht bei seiner Würdigung in tatsächlicher Hinsicht davon aus, daß dem Betriebsrat die Auslagerung von Personalbuchhaltung und Finanzbuchhaltung im Zusammenhang mit den Verhandlungen im November und Dezember 2000 bekannt wurden. Gleiches gilt für die Übernahme der Sekretariatsarbeiten durch Herrn W.… Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts waren diese Kenntnisse – als gegeben unterstellt – ausreichend. Der Arbeitgeber muß im Anhörungsverfahren die Kündigungsgründe aus seiner Sicht so beschreiben, daß der Betriebsrat in die Lage versetzt wird, den Kündigungssachverhalt zu verstehen und Alternativen zur Kündigung aufzuzeigen. Dem ist hier Genüge getan, sofern der Betriebsrat die vom Beklagten behaupteten Vorkenntnisse hatte. Dem Betriebsrat war klar, daß mit den erwähnten Arbeitsbereichen aus Sicht des Beklagten die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten gemeint waren. Andere Tätigkeiten kamen ersichtlich nicht in Betracht. So hat es der Betriebsrat auch verstanden. Welche Bezeichnungen dabei von den Betriebspartnern gewählt wurden – Personalbuchhaltung oder Personalabteilung – und der Umstand, daß nicht jede einzelne Tätigkeit der Klägerin erwähnt worden sein mag, fällt nicht ins Gewicht. Der Betriebsrat war in der Lage, in ein sinnvolles Gespräch über die Kündigung mit dem Beklagten einzutreten. Er konnte sich etwa für die Beibehaltung der Personalabteilung insgesamt oder der Personalbuchhaltung aussprechen oder den Einsatz der Klägerin in einem anderen Bereich vorschlagen. Wenn dem Betriebsrat die Vorstellungen des Beklagten zweifelhaft gewesen wären, hätte er die Zweifel durch Nachfrage ausräumen können.
bb) Die Anhörung ist auch nicht – wie das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht aber angenommen hat – deshalb fehlerhaft, weil der Beklagte die von ihm dem Betriebsrat im November mitgeteilten und im Prozeß vorgetragenen Kündigungsgründe im Anhörungsschreiben und bei dessen Übergabe nicht vollständig erwähnt hat. Treffen die vom Landesarbeitsgericht als richtig unterstellten Behauptungen des Beklagten zu, so waren dem Betriebsrat die Kündigungsgründe bekannt. Demzufolge war ihm auch bekannt, daß die im Anhörungsschreiben – das ersichtlich auf Arbeitnehmer mit anderen Aufgaben zugeschnitten war – genannten Gründe die Klägerin nur zum Teil betrafen. Die vom Beklagten beabsichtigte Kündigung konnte daher nach Lage der Dinge allein durch die dem Betriebsrat schon länger bekannten Gründe veranlaßt sein, auch wenn sie – auf die Klägerin bezogen – falsch bezeichnet waren. Das hat auch der Betriebsratsvorsitzende so verstanden. Die Falschbezeichnung ist unschädlich, wenn Erklärender und Erklärungsempfänger sich über das in Wahrheit Gemeinte und Gewollte einig sind (“falsa demonstratio non nocet”). Dies gilt selbst bei der Auslegung formbedürftiger Willenserklärungen (notarielles Testament: BGH 9. April 1981 – IVa ZB 6/80 – BGHZ 80, 246; Auflassung: BGH 7. Dezember 2001 – V ZR 65/01 – MDR 2002, 510). Nichts anderes kann für die Unterrichtung des Betriebsrates durch den Arbeitgeber gelten. Da der Betriebsrat wußte, warum die Kündigung ausgesprochen wurde, geht die Erwägung des Landesarbeitsgerichts fehl, der Arbeitgeber dürfe es nicht dem Betriebsrat überlassen, sich die Kündigungsgründe auszuwählen.
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO).
1. Ob die Kündigung nach § 102 BetrVG unwirksam ist, kann noch nicht beurteilt werden. Das Landesarbeitsgericht hat offengelassen, in welchem Umfang der Betriebsrat Vorkenntnisse über den Kündigungsgrund hatte. Die entsprechenden Feststellungen müssen nunmehr getroffen werden. Dabei wird zu beachten sein, daß das Arbeitsgericht nach Beweisaufnahme festgestellt hat, dem Betriebsrat seien die Kündigungsgründe bekannt gewesen. Dies hat auch der Betriebsratsvorsitzende versichert.
2. Die Auffassung der Klägerin, die Anhörung des Betriebsrates sei deshalb nicht ordnungsgemäß, weil dem Betriebsrat ein falsches Eintrittsdatum mitgeteilt worden ist, trifft, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht zu. Das Eintrittsdatum konnte hier allein für die Kündigungsfrist Bedeutung haben, da eine Sozialauswahl nicht in Betracht kam. Die Kündigungsfrist ist dem Betriebsrat jedoch zutreffend mitgeteilt worden.
3. Ob die Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam ist, kann noch nicht beurteilt werden. Die Klägerin hat geltend gemacht, es liege ein Teilbetriebsübergang vor und ihr sei aus diesem Grunde gekündigt worden. Der Beklagte hat einen Betriebsübergang in Abrede gestellt und sich im übrigen darauf berufen, für ihn streite nach § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO iVm. § 128 Abs. 2 InsO eine Vermutung dahingehend, daß die Kündigung nicht wegen Betriebsübergangs ausgesprochen worden sei. Ob die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung vorliegen, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.
a) Die Vermutungswirkung erstreckt sich lediglich auf eine im Interessenausgleich geregelte Betriebsänderung (vgl. KR-Weigand 6. Aufl. § 125 InsO Rn. 17). Liegt keine Betriebsänderung vor, sondern handelt es sich in Wahrheit um einen (Teil-)Betriebsübergang, so greift § 125 InsO jedenfalls für die vom (Teil-)Betriebsübergang betroffenen Arbeitsverhältnisse nicht ein (BAG 16. Mai 2002 – 8 AZR 319/01 – AP BGB § 613a Nr. 237 = EzA BGB § 613a Nr. 210; ebenso: LAG Düsseldorf 23. Januar 2003 – 11 (12) Sa 1057/02 – EzA-SD 2003 Nr. 6 S. 14 – 15 – Revision anhängig unter – 2 AZR 102/03 –). Inwieweit die Klägerin von den im Interessenausgleich genannten Maßnahmen betroffen war, steht bisher nicht fest. Die Klägerin hatte hierzu vorgetragen, der Interessenausgleich erfasse nicht den Wegfall ihres Beschäftigungsbereiches. Der Beklagte hat gemeint, es komme wegen des Vorhandenseins von Interessenausgleich und Namensliste auf diese Fragen nicht an. Das trifft jedenfalls in der vom Beklagten angenommenen Allgemeinheit nicht zu. Indes hatte der Beklagte nach dem bisherigen Verlauf des Rechtsstreits auch keinen Anlaß, hierzu näher vorzutragen. Sollte es darauf ankommen, wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen gegeben werden müssen.
b) Soweit die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 InsO vorliegen, greift § 128 Abs. 2 InsO ein. Diese Vermutung kann widerlegt werden, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 292 ZPO. Dafür ist bisher von der Klägerin nichts vorgetragen worden.
4. Ob die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam ist, kann ebenfalls noch nicht beurteilt werden.
a) Ob die Voraussetzungen der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Von der Klägerin werden sie bestritten. Dem Beklagten müßte das Landesarbeitsgericht Gelegenheit zum Vortrag geben.
b) Sollte die Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO eingreifen, käme es darauf an, ob die Klägerin die Vermutung widerlegen kann. Sie hat unter Beweisantritt vorgetragen, ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen, die Aufgaben hätten sich sogar vermehrt. Dem müßte das Landesarbeitsgericht, falls die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen, nachgehen.
III. Da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, mußte er an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 3 ZPO aF).
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Bühler, Pitsch
Fundstellen
Haufe-Index 1115753 |
BAGE 2005, 221 |
BB 2004, 1056 |
DB 2004, 937 |
EBE/BAG 2004, 2 |
ARST 2004, 235 |
EWiR 2004, 419 |
FA 2004, 151 |
SAE 2005, 45 |
ZIP 2004, 525 |
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 12 |
EzA |
ZInsO 2004, 288 |
AUR 2004, 163 |
ArbRB 2004, 103 |
BAGReport 2004, 409 |
SPA 2004, 6 |