Leitsatz (redaktionell)
(Verfassungswidrigkeit von § 1 Abs 3 Nr 2 LFZG?)
Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 1 Abs 3 Nr 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes vom 27. Juli 1969 (BGBl I S 946) mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist.
Orientierungssatz
Der Vorlagebeschluß vom 5.8.1987 ist vom Bundesarbeitsgericht durch Beschluß vom 8.4.1992, 5 AZR 189/86 = EzA § 1 LohnFG Nr 87a aufgehoben worden.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; GewO § 133c; BVerfGG § 80; BeschFArbRG § 5; HGB § 63 Abs. 1; BGB § 616 Abs. 2 a.F.; GG Art. 100 Abs. 1 S. 1; LFZG § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2; BeschFG 1985 Art. 1 § 5 Abs. 3, 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.03.1986; Aktenzeichen 5 Sa 1883/85) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 21.10.1985; Aktenzeichen 5 Ca 2050/85) |
Gründe
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle schuldet.
Die am 11. April 1935 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, einem Unternehmen für Gebäudereinigung und Dienstleistungen, seit September 1984 als Arbeiterin (Spülhilfe) beschäftigt. Ihre Arbeitszeit ist in der Weise geregelt, daß die Klägerin jeweils sieben Tage je zweieinviertel Stunden arbeitet und anschließend sieben Tage frei hat. Entsprechend dieser Regelung hätte die Klägerin in der Woche vom 8. bis zum 14. April 1985 arbeiten müssen. Sie war während dieser Zeit jedoch arbeitsunfähig krank; eine ärztliche Bescheinigung darüber legte sie der Beklagten vor.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die verweigerte Lohnfortzahlung für sieben Arbeitstage in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 129,30 DM. Sie hat vorgetragen: Die Beklagte sei zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG liege nicht vor, da sie, die Klägerin, regelmäßig - wenn auch nur jeweils zwei Wochen - 15 3/4 Stunden, also im Durchschnitt mehr als zehn Stunden wöchentlich arbeite. Darüber hinaus verstoße § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil teilzeitbeschäftigte Angestellte nicht in gleicher Weise von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle ausgeschlossen seien.
Die Klägerin hat daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 129,30 DM netto nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und dazu vorgetragen: Sie sei zur Lohnfortzahlung nicht verpflichtet. Die Klägerin arbeite nicht regelmäßig wöchentlich mehr als zehn Stunden oder monatlich mehr als 45 Stunden. Im übrigen sei die Bestimmung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG verfassungsgemäß.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
B.
Das Verfahren war gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die Bestimmung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
I. Die Klägerin, eine Arbeiterin, war vom 8. bis zum 14. April 1985 durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ohne ihr Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert. Damit erfüllt sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 LohnFG zur Lohnfortzahlung. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG gilt diese Grundregel der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle jedoch nicht für Arbeiter in einem Arbeitsverhältnis, in dem die regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden nicht übersteigt. Das ist bei der Klägerin der Fall.
1. Mit den Begriffen "wöchentlich" und "monatlich" stellt § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG auf Kalenderwochen und Kalendermonate als die nach der allgemeinen Verkehrsanschauung üblichen Bezugszeiträume ab. Wie sich die Arbeitszeit im einzelnen auf die Woche bzw. auf den Monat verteilt, ist unerheblich (zutr. Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl. 1984, § 1 Rz 52). Wählen die Parteien - wie hier - einen zwischen einer Woche und einem Monat liegenden Bezugszeitraum, so ist die wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit durch Umrechnung zu ermitteln. Danach übersteigt die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin nicht wöchentlich zehn Stunden und nicht monatlich 45 Stunden. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß die Klägerin sich mit einer anderen Arbeiterin abwechselt und auf diese Weise den Arbeitsplatz teilt; denn das Gesetz ordnet den Ausschluß der Lohnfortzahlung für bestimmte Teilzeitarbeiter unabhängig davon an, ob diese sich einen Arbeitsplatz teilen oder nicht. Viele Teilzeitarbeitsverhältnisse beruhen darauf, daß Arbeiten, die von einem Arbeitnehmer in einem Vollzeitarbeitsverhältnis erbracht werden könnten, auf mehrere Arbeitnehmer verteilt werden.
2. Allerdings bestimmt § 2 Abs. 1 BeschFG, daß teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG ist aber trotz einer entsprechenden parlamentarischen Initiative (Fraktion der SPD, Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Teilzeitbeschäftigten, Art. 2 Nr. 1, vgl. BT-Drucks. 10/2559, S. 1, 13) bei Erlaß des Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht gestrichen worden. Auch § 5 BeschFG trifft insoweit keine ändernde Regelung. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG nach wie vor als geltendes Recht betrachtet. II. Der Senat hat Bedenken, daß § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG deshalb mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, weil der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfalle für Angestellte nicht entfällt, wenn ihre regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn oder monatlich 45 Stunden nicht übersteigt.
§ 616 Abs. 2 BGB, § 63 Abs. 1 HGB, § 133 c GewO kennen keine Einschränkung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung für teilzeitbeschäftigte Angestellte. Diese Angestellten haben bei noch so geringfügiger Beschäftigung einen unabdingbaren Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle. Eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG zu Lasten der Angestellten - wodurch eine verfassungskonforme Behandlung von teilzeitbeschäftigten Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfalle erreicht werden könnte - kommt nicht in Betracht. Das Lohnfortzahlungsgesetz wollte die Rechtslage der Arbeiter im Krankheitsfalle verbessern. Diese gesetzgeberische Absicht erlaubt es nicht, die Rechtslage der Angestellten in einem unterschiedlich geregelten Punkt zu verschlechtern (vgl. Kehrmann, AiB 1987, 55, 56; ferner - in ähnlichem Zusammenhang - BAG Urteil vom 25. März 1987 - 5 AZR 414/84 -, zu I 2 der Gründe, m.w.N., zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
1. In seinem Urteil vom 7. November 1984 (- 5 AZR 378/82 - BAGE 47, 160 = AP Nr. 59 zu § 1 LohnFG) ist der Senat noch von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG ausgegangen (ebenso die Kommentarliteratur, vgl. Kehrmann/Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 1 Rz 25 a; Kaiser/Dunkl, aaO, § 1 Rz 51 bis 53; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, Stand April 1987, § 1 LohnFG, C 148 c; Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, 6. Aufl. 1983, § 1 Rz 33). Auch das Landesarbeitsgericht hält § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG für verfassungsgemäß.
Demgegenüber wird § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG - ebenso wie andere Bestimmungen, nach denen Arbeiter und Angestellte wegen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle ungleich behandelt werden - in der neueren Literatur überwiegend für verfassungswidrig gehalten (vgl. Loddenkemper, Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten, 1984, passim, insbesondere S. 126 ff., 95 ff.; Friedemann Becker, DB 1987, 167, 171 ff.; Hanau, Anmerkung zu AP Nr. 59 zu § 1 LohnFG; Kehrmann, AiB 1987, 55; Bornemann, AuR 1981, 239; ähnlich Göge, BB 1986, 1772, 1776, der die Ungleichbehandlung als "verfassungsrechtlich bedenklich" bewertet). Zu den Vertretern dieser Auffassung sind auch diejenigen zu rechnen, welche die unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten allgemein als verfassungswidrig ansehen (so Fahrtmann, Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer - Gedanken zum Begriff des Arbeiters und des Angestellten im Arbeitsrecht, in Festschrift für Hilger/Stumpf, 1983, S. 177, 192; Lipke, DB 1983, 111, 117 f.).
2. Während zu Beginn des Jahrhunderts ungefähr 13,3 Millionen Arbeiter etwa 1,9 Millionen Angestellten gegenüberstanden und es Ende 1960 noch doppelt so viele Arbeiter wie Angestellte gab (13 Millionen Arbeiter; 6,5 Millionen Angestellte), sind beide Gruppen heute annähernd gleich stark. Nach dem Mikrozensus für April 1982 standen damals 9,945 Millionen Angestellte und 10,795 Millionen Arbeiter im Arbeitsverhältnis (Statistisches Jahrbuch 1986, S. 102).
Ab 1957 haben Gesetzgeber, Rechtsprechung und Tarifvertragsparteien die sozialversicherungsrechtliche und individualarbeitsrechtliche Rechtsstellung von Arbeitern und Angestellten einander immer stärker angeglichen (vgl. zur Rechtsentwicklung ausführlich Hromadka, Das Recht der leitenden Angestellten, 1979, S. 11 bis 90; sowie Lipke, DB 1983, 111).
a) Im Jahre 1957 wurden die Sozialversicherungsleistungen für Arbeiter und Angestellte weitgehend vereinheitlicht (ArVNG und AnVNG vom 23. Februar 1957). Auf dem Gebiet der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle gewährte das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 26. Juni 1957 (Arbeiterkrankheitsgesetz) dem Arbeiter ab dem dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit für die ersten sechs Wochen einen Anspruch auf Krankengeld in Höhe von 65% seines Lohnes sowie einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf einen Zuschuß in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Krankengeld und 90% des Nettoarbeitsentgelts. Voraussetzung war eine vierwöchige ununterbrochene Dauer des Arbeitsverhältnisses.
Durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 wurde der Zuschuß so weit erhöht, daß der Arbeiter zusammen mit dem Krankengeld das volle Nettoarbeitsentgelt erhielt, und zwar ab dem auf die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgenden Tag, bei einem Arbeitsunfall vom Tage der Feststellung an. Beide Gesetze enthielten keine Sonderregelungen für geringfügig beschäftigte Arbeiter. Gleichwohl hatte dieser Personenkreis in der Regel keinen Anspruch auf den Zuschuß, da dieser nur dann zu zahlen war, wenn ein Anspruch auf Krankengeld bestand. Dies war bei den geringfügig Beschäftigten regelmäßig nicht der Fall, da dieser Personenkreis wegen Vorliegens einer Nebenbeschäftigung nach § 168 RVO a.F. (zuletzt in der Fassung des Gesetzes vom 9. Juni 1965 BGBl.I S. 476) krankenversicherungsfrei war (vgl. Schelp/Trieschmann, Das Arbeitsverhältnis im Krankheitsfalle, 1958, S. 118 f.; Jäger, Das Arbeiterkrankheitsgesetz in der Praxis, 1961, § 1 Rz 27).
Das Lohnfortzahlungsgesetz vom 27. Juli 1969 gab den arbeitsunfähig erkrankten Arbeitern - ebenso wie den Angestellten - einen unabdingbaren Anspruch auf Fortzahlung des vollen Lohnes für die Dauer von sechs Wochen. Damit waren für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle die Hauptunterschiede zwischen Angestellten und Arbeitern beseitigt. Allerdings blieb in einigen Punkten die Rechtslage unterschiedlich, insbesondere bei Erkrankung vor Beginn der Beschäftigung (§ 1 Abs. 1 LohnFG) und für bestimmte befristet oder geringfügig beschäftigte Arbeiter (§ 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 LohnFG).
Das erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. August 1969 brachte eine Verlängerung der Kündigungsfristen für Arbeiter, so daß sich auch insoweit die Unterschiede zwischen den Arbeitnehmergruppen verminderten. Seither sind weitere die Unterschiede beseitigende Gesetze nicht ergangen. Allerdings wird das Bestreben des Gesetzgebers, Angestellte und Arbeiter gleich zu behandeln, auch darin erkennbar, daß er bei Normierung weiterer die Entgeltfortzahlung begründender Verhinderungsfälle wie der nichtrechtswidrigen Sterilisation und des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs die Regelungen für Angestellte und Arbeiter durch gleichlautende Vorschriften ergänzte (vgl. Gesetz vom 28. August 1975, BGBl. I, S. 2289, das gleichlautende Änderungen des § 1 LohnFG, des § 616 Abs. 2 BGB, des § 63 Abs. 1 HGB und des § 133 c GewO einführte).
b) Im Jahre 1959 hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts noch die Auffassung vertreten, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, die Entgeltfortzahlung für Arbeiter und Angestellte unterschiedlich zu regeln (BAGE 8, 314, 331 f. = AP Nr. 22 zu § 616 BGB, zu B III 2 der Gründe). Zur Begründung ist ausgeführt, es bestehe namentlich, was die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers betreffe, ein erheblicher Unterschied, ob die volle Entgeltfortzahlung nur den Angestellten oder auch den Arbeitern zu gewähren sei, die der Zahl nach ein Vielfaches der Angestellten ausmachten. In derselben Entscheidung hat der Große Senat dagegen eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Angestelltengruppen für gröblich willkürlich und durch keinerlei sachliche Erwägungen gerechtfertigt erklärt.
In der Folgezeit ist das Bundesarbeitsgericht jedoch mehrfach unter Hinweis auf das Schwinden der Unterschiede auch zwischen Arbeitern und Angestellten zu einer Gleichbehandlung beider Arbeitnehmergruppen gelangt. So hat es mit Urteil vom 13. September 1969 (- 3 AZR 138/68 - BAGE 22, 125 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel) die Wettbewerbsvorschriften für kaufmännische Angestellte (§§ 74 ff.HGB) auf andere Angestellte und Arbeiter für entsprechend anwendbar erklärt, unter anderem mit der Erwägung, es sei kein vernünftiger Grund dafür zu finden, daß bei kaufmännischen Angestellten die Einschränkung der Ausnutzung beruflicher Fähigkeiten aufgrund von Wettbewerbsverboten zwingend entgeltpflichtig sein solle, bei anderen Arbeitnehmern dagegen nicht.
In seinem Urteil vom 20. Juni 1979 (BAGE 32, 32 = AP Nr. 49 zu § 616 BGB) hat der erkennende Senat Entgeltfortzahlungsansprüche bei Arbeitsverhinderung wegen der Pflege eines erkrankten Kindes für alle Arbeitnehmer ausschließlich nach § 616 Abs. 1 BGB beurteilt und die bis dahin für maßgebend erachtete Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arbeitnehmergruppen (§ 63 HGB, § 133 c GewO für kaufmännische und technische Angestellte, § 616 Abs. 1 BGB für andere Angestellte und Arbeiter) aufgegeben. Er hat ausgeführt, auch für diese Fälle unverschuldeter Arbeitsverhinderung sei von einer dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden einheitlichen Regelung für alle Arbeitnehmer auszugehen. Für eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Arbeitnehmergruppen gebe es keinen sachlichen Grund. Sie könne durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden, so daß eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Betracht komme.
In diesem Zusammenhang ist ferner auf die nunmehr ständige Rechtsprechung des Senats zum Gleichbehandlungsgrundsatz zu verweisen. Danach kann der Arbeitgeber bei freiwilligen Leistungen Gruppen bilden und diese unterschiedlich behandeln, jedoch nur, wenn dies nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist. So rechtfertigt der Zweck einer Weihnachtsgratifikation es in der Regel nicht, hinsichtlich der Höhe zwischen Arbeitern und Angestellten zu differenzieren (Urteile vom 5. März 1980 und vom 25. Januar 1984: BAGE 33, 57; 45, 76, 86 = AP Nr. 44, 67, 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; vgl. ferner BAGE 37, 217, 226 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).
c) In neuerer Zeit sind auch die Tarifvertragsparteien zunehmend bemüht, die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten zu beseitigen. So bestehen inzwischen in mehreren Wirtschaftszweigen Manteltarifverträge für beide Gruppen. In einigen Tarifverträgen sind die Kündigungsfristen für ältere Arbeiter an die für ältere Angestellte angeglichen und der Monatslohn auch für Arbeiter eingeführt worden (vgl. Heisler, Die tarifvertragliche Angleichung der Rechtsstellung von Arbeitern und Angestellten, in: Säcker/Zander, Mitbestimmung und Effizienz, 1981, S. 341; Trieschmann, Ungleichbehandlung im gesetzlichen Arbeitsvertragsrecht, in: Festschrift für Herschel, 1982, S. 421, 435 ff.). Weiter sind in verschiedenen Bereichen bereits Tarifverträge zur einheitlichen Entgeltfindung für Arbeiter und Angestellte anzutreffen; in anderen Bereichen wird darüber noch verhandelt (vgl. Weyel, NZA 1986, 709).
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß einige - auch ältere - Tarifverträge, z. B. der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955, die geringfügig beschäftigten Arbeiter anders als das Lohnfortzahlungsgesetz nicht von der tarifvertraglich geregelten Lohnfortzahlungspflicht ausnehmen, im Ergebnis also auch diesem Personenkreis einen Anspruch auf Lohnfortzahlung zuerkennen.
3. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann verletzt, wenn eine Gruppe im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88; 58, 369, 373 f.; 60, 123, 133 f; 62, 256, 274; 63, 255, 261 f.; 66, 234, 242; 71, 39, 58 f.; 71, 364, 384). Bei der Anwendung des Gleichheitsgebotes ist der jeweilige Lebens- und Sachbereich zu berücksichtigen (BVerfGE 25, 269, 292; 60, 123, 134; 62, 256, 274; 63, 255, 262; 71, 39, 58; 71, 364, 384). Die Anknüpfung unterschiedlicher Rechtsfolgen an den Status des Arbeitnehmers als Arbeiter oder Angestellter hält das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf den Gleichheitssatz nur solange für unbedenklich, als die damit verbundene Unterscheidung auf sachgerechten Erwägungen beruht; die historisch gewachsene Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern allein kann die Verfassungsmäßigkeit differenzierender gesetzlicher Vorschriften nicht rechtfertigen (BVerfGE 62, 256, 275 ff.). Bei Anlegung dieser Maßstäbe spricht viel für die Verfassungswidrigkeit der hier erörterten Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten.
Das soziale Schutzbedürfnis der geringfügig beschäftigten Arbeiter ist gleich groß wie das der geringfügig beschäftigten Angestellten. Beide trifft die Krankheit gleich hart. Der Ausschluß der Lohnfortzahlung für die geringfügig beschäftigten Arbeiter läßt sich auch nicht mit der schwächer ausgeprägten Fürsorge- und Treuepflicht des Arbeitgebers oder mit geringerer Schutzbedürftigkeit im Vergleich zu den in größerem Umfang beschäftigten Arbeitnehmern begründen. Viele Arbeitnehmer finden heute keine Vollzeitarbeitsverhältnisse mehr, sondern nur noch - unter Umständen mehrere - Arbeitsverhältnisse mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden und weniger. Da ihre Zahl eher wächst als abnimmt und sie auf geringfügige Beschäftigungen zur Sicherung ihrer Existenz angewiesen sind, sind sie in gleicher Weise schutzbedürftig wie Vollzeitarbeitnehmer.
Die Differenzierung läßt sich auch nicht mit der Begründung halten, die Gruppe der geringfügig beschäftigten Arbeiter sei gegenüber den anspruchsberechtigten Arbeitern verhältnismäßig klein (vgl. für einen solchen Personenkreis BVerfGE 13, 331, 341; 17, 1, 24; 26, 265, 275 f.; 42, 176, 185; 45, 376, 390). In den letzten 20 Jahren hat sich die Nachfrage nach Teilzeitarbeitskräften ungefähr verdoppelt (vgl. Politik, Informationen aus Bonn, herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 1987, Nr. 2, S. 6). Der Bundestag ging bei Beratung des Beschäftigungsförderungsgesetzes davon aus, daß etwa 1,8 Millionen Teilzeitbeschäftigte krankenversicherungspflichtig und etwa 1,5 bis 2 Millionen nach § 8 SGB IV, § 168 RVO wegen geringfügiger Beschäftigung sozialversicherungsfrei seien. Ein großer Teil von ihnen ist nach § 1 Abs. 3 Nr.2 LohnFG auch von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausgeschlossen.
Nicht zu folgen ist der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, es stelle einen sachlichen Grund für die Differenzierung dar, daß allein für geringfügig beschäftigte Arbeiter ein Regelungsbedarf bestehe, weil vergleichbare Angestelltentätigkeiten allenfalls höchst selten vorkämen. Von einer Ungleichbehandlung der geringfügig beschäftigten Arbeiter und Angestellten könnte in der Tat dann nicht gesprochen werden, wenn es Angestellte dieser Art überhaupt nicht gäbe. Davon kann indessen nicht ausgegangen werden, denn es gibt zahlreiche teilzeitbeschäftigte Angestellte, insbesondere im Bürobereich und im Einzelhandel. Ihre Zahl nimmt zu. Viele von ihnen sind nur zehn Stunden die Woche oder weniger beschäftigt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG weiter mit folgender Erwägung bejaht: Selbst wenn eine Angleichung an das Recht der Angestellten verfassungsrechtlich geboten sein sollte, sei der Gesetzgeber nicht gehalten, eine Änderung bereits jetzt vorzunehmen. Die Komplexität einer gesetzlichen Gesamtregelung könne einen Grund dafür abgeben, daß der Gesetzgeber nicht gezwungen werden könne, alle für nach heutigem Verfassungsverständnis ungerechtfertigten Unterschiede in einem Zuge zu beseitigen. Vielmehr müsse es ihm überlassen bleiben, in welcher Zeitfolge er gebotene Änderungen und Verbesserungen auf den verschiedenen Einzelgebieten in Angriff nehmen wolle. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die Angleichung der Rechtsstellung mit dem Lohnfortzahlungsgesetz bereits in Angriff genommen und weitgehend verwirklicht habe.
Dem vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen. Es trifft zwar zu, daß vorhandene Ungleichheiten nicht in jedem Falle zur sofortigen Verfassungswidrigkeit der vorgefundenen Regelungen führen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind sachwidrige Ungleichbehandlungen unter anderem dann für eine Übergangszeit hinzunehmen, wenn sie in verschiedenen Rechtsgebieten ohne einheitlichen Plan historisch gewachsen sind und Reformen nur schrittweise vollzogen werden können (BVerfGE 40, 121, 140; 43, 13, 22; 62, 256, 279; vgl. auch BVerfGE 54, 11, 34). Sicher sind die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten historisch gewachsen. Die Ungleichbehandlung der geringfügig beschäftigten Angestellten und Arbeiter ist aber erst durch das Lohnfortzahlungsgesetz hervorgetreten. Zwar hatten nach dem Arbeiterkrankheitsgesetz bestimmte geringfügig beschäftigte Arbeiter keinen Anspruch auf Krankengeldzuschuß, nämlich diejenigen, die wegen des Vorliegens einer Nebenbeschäftigung nach § 168 RVO a. F. krankenversicherungsfrei waren. Das Lohnfortzahlungsgesetz hat aber diese alte Regelung nicht etwa aufrecht erhalten, sondern sie durch § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG ersetzt, der den nicht anspruchsberechtigten Personenkreis ohne Rück sicht auf die Höhe des Arbeitsentgelts allein nach der Arbeitszeit abgrenzt. Insofern handelt es sich um eine erst 1969 neu geschaffene Ungleichbehandlung, durch die der Kreis der nicht Anspruchsberechtigten nicht verkleinert, sondern nur anders abgegrenzt wurde. Jedenfalls aber fragt sich, nachdem der Gesetzgeber 1969 die Rechtsstellung der arbeitsunfähig erkrankten Arbeiter durch das Lohnfortzahlungsgesetz weitgehend an die der Angestellten angeglichen hat, ob die verbleibenden Unterschiede im Hinblick auch auf die Angleichung der Rechtsvorschriften in anderen Beziehungen und die dargestellten Entwicklungen der tatsächlichen Verhältnisse seither nicht längst hätten beseitigt werden müssen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Werner Dr. Schönherr
Fundstellen
Haufe-Index 439843 |
BAGE 54, 374-383 (LT1) |
BB 1987, 2453-2453 (LT) |
DB 1987, 2572-2573 (LT) |
EEK, I/913 (T) |
RdA 1988, 58 |
SAE 1988, 88-91 (LT1) |
AP § 1 LohnFG (LT1), Nr 72 |
EzA § 1 LohnFG, Nr 87 (LT1) |