Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Inanspruchnahme. Nichtvertragsarzt. Freizügigkeit. Gemeinschaftsrecht
Orientierungssatz
Der EGV und andere Regelungen des primären und sekundären Europarechts gebieten es nicht, die Leistungspflicht für ärztliche Behandlung in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung so auszugestalten, dass Versicherten regelmäßig die Kosten der Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt erstattet werden müssten.
Normenkette
SGB 5 § 13 Abs. 3, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 76; EGVtr Art. 48; EG Art. 39
Verfahrensgang
Tatbestand
Das klagende, in B. wohnende Ehepaar begehrt ua die Erstattung von Kosten für 20 Akupunkturbehandlungen, die der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger gegenüber der bei der beklagten Krankenkasse versicherten Klägerin vom 21. April 1997 an in B. erbracht hat, sowie Feststellungen im Zusammenhang damit. Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ab, weil Akupunktur nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden dürfe, der Kläger kein zugelassener Behandler sei und kein Notfall vorgelegen habe. Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem die Berufung zurückweisenden Beschluss ua ausgeführt, dass die Klägerin sich eine nicht unaufschiebbar gewesene Leistung selbst beschafft habe, ohne zunächst die Entscheidung der Beklagten abzuwarten; es habe sich zudem um keine vertragsärztliche Behandlung gehandelt. Die daneben vom Kläger erhobene Klage sei mangels Klagebefugnis - ebenso wie erstmals im Berufungsverfahren gestellte Feststellungsanträge - insgesamt unzulässig (Beschluss vom 9. September 2002).
Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Kläger kann keinen Erfolg haben.
1. Die Beschwerde der Klägerin ist überwiegend unzulässig, im Übrigen unbegründet.
a) Die Beschwerde entspricht nicht den gesetzlichen Erfordernissen, soweit die Klägerin vorträgt, dem LSG sei ein Verfahrensfehler unterlaufen, weil es gemäß § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verpflichtet gewesen sei, sie zum Vorliegen eines Notfalls (§ 13 Abs 3 SGB V) zu befragen; Gleiches gilt für die zugleich gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (fehlender richterlicher Hinweis auf die Entscheidungsgrundlage). Ein Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) wird damit nicht dargelegt. Den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt eine solche Rüge nur, wenn der Mangel "bezeichnet" und dargetan wird, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der Verfahrensmangel auf eine Verletzung der Amtsaufklärungspflicht nach § 103 SGG darüber hinaus nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Entsprechenden Vortrag zum Übergehen eines solchen Antrages enthält das Beschwerdevorbringen nicht. Das Vorbringen führt auch nicht dadurch zur Zulässigkeit der Beschwerde, dass es in die Rüge gekleidet wird, das LSG habe nicht auf sachgerechte Anträge hingewirkt (§ 106 SGG) bzw gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) verstoßen. Dass das LSG das Rechtsschutzbegehren der Klägerin nach den von der Beklagten und vom Sozialgericht (SG) getroffenen Entscheidungen im Berufungsverfahren in sachwidriger Weise zu ihrem Nachteil in falsche prozessuale Bahnen gelenkt oder eine Überraschungsentscheidung getroffen hätte, wird insoweit schon nicht hinreichend ausgeführt. Soweit die Klägerin meint, nach dem Sach- und Streitstand habe die Beklagte gleichwohl die begehrte Akupunkturbehandlung zu Unrecht abgelehnt, richtet sich dies im Kern nur gegen die Würdigung der vom LSG für seine Auffassung herangezogenen Umstände und hat eine abweichende Einschätzung der Rechtslage, nicht aber Revisionszulassungsgründe iS von § 160 Abs 2 SGG zum Gegenstand.
In Bezug auf die ferner beanstandete vermeintlich fehlende Auseinandersetzung des LSG mit der von der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung erörterten Verletzung von Europarecht und weiterem Vortrag (abgelehnte Feststellungsanträge zur Erstattung weiterer Akupunkturkosten bis Dezember 1998 und zur Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs 1 und 2 SGB V) reichen die Ausführungen ebenfalls nicht aus, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder des § 106 SGG darzulegen. Anhaltspunkte dafür, dass das LSG den Vortrag der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen oder besonderen Anlass zu einer Vorab-Erörterung gehabt hätte, finden sich nicht. Aus der Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, ergibt sich nicht, dass es sich in seiner schriftlich abgesetzten Entscheidung mit jeglichem Beteiligtenvorbringen ausdrücklich befassen muss (vgl BSGE 75, 92, 94 = SozR 3-4100 § 141b Nr 10 S 45 mwN; Danckwerts in Hennig, SGG, § 62 RdNr 18 mwN). Die Klägerin geht auch nicht ausreichend darauf ein, inwieweit die beanstandete Entscheidung auf der vermeintlichen Nichtberücksichtigung solchen Vortrags beruhen kann. Werden mit der Nichtzulassungsbeschwerde keine absoluten Revisionsgründe (§ 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung) geltend gemacht (bei denen die Ursächlichkeit zwischen Gesetzesverletzung und Entscheidungstenor unwiderleglich vermutet wird), muss regelmäßig dargelegt werden, zu welcher abweichenden Entscheidung das ordnungsgemäße Vorgehen des Gerichts voraussichtlich geführt hätte (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3 Aufl 2002, Kap IX RdNr 204 und 218 mwN). Es trifft im Übrigen nicht zu, dass das LSG auf den hier betroffenen Vortrag der Klägerin insgesamt nicht eingegangen wäre. Es hat sich in Bezug auf die begehrten weiteren Akupunkturbehandlungen auf das fehlende allgemeine Rechtsschutzbedürfnis und auf die Unzulässigkeit einer abstrakten Feststellungsklage gestützt; ferner findet sich auf Seite 7 der Entscheidungsgründe ua eine Verweisung auf den Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. März 1999 - B 1 KR 3/98 BH, der auch Erwägungen zum Behandlungsanspruch von Versicherten unter dem Blickwinkel des Europarechts enthält. Dass die Klägerin die Begründung des Berufungsgerichts inhaltlich nicht für überzeugend hält bzw weiteren Argumentationsbedarf sieht, ist keine Darlegung eines Verfahrensmangels.
b) Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist die Beschwerde teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.
Unter diesem Blickwinkel muss die Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14). Die Entscheidungserheblichkeit ist zur Frage, "ob ärztliche Leistungen, die grundsätzlich nicht als Sachleistungen von der Kasse erbracht, aber ausnahmsweise im Wege der Kostenerstattung von dieser erbracht werden, auf Kassenärzte beschränkt werden dürfen" nicht dargelegt worden. Auf diese Frage käme es in einem Revisionsverfahren nur an, wenn die Prämisse der Klägerin zuträfe, in ihrem Fall habe ein Notfall iS von § 13 Abs 3 2. Fall SGB V vorgelegen. Nach den für den Senat bindenden und nicht mit zulässigen Revisionszulassungsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dies jedoch gerade nicht der Fall.
Die Klägerin meint weiter, die Sache sei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen und formuliert dazu die (Ausgangs-) Frage "Ist die Beschränkung des Rechts auf freie Arztwahl auf Kassenärzte in § 76 SGB V mit dem Europarecht, insbesondere der passiven Dienstleistungsfreiheit der betroffenen Patienten vereinbar?". Soweit hiermit sinngemäß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird, ist die Beschwerde jedenfalls unbegründet, weil die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist. Die zutreffende Beantwortung der Frage kann nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw dazu vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegen (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). Die Antwort ergibt sich ohne Weiteres, nämlich auch ohne dass es dafür eines Revisionsverfahrens oder der Vorlage an den EuGH bedürfte, aus einschlägiger Rechtsprechung des EuGH. Danach ist die Frage zu bejahen, weil hier ein "rein deutscher" Sachverhalt ohne staatenübergreifenden Bezug vorliegt. Auf die gewährleisteten Freiheiten eines EU-Bürgers kann sich nur berufen, wer auch einen entsprechenden grenzüberschreitenden Sachverhalt aufweist; hat sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt demgegenüber ausschließlich im Inland vollzogen, kann ein Verstoß gegen die im EG-Vertrag (EGV, idF des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997, BGBl II 1998, 387) verbürgten Freiheitsrechte von vornherein nicht vorliegen (stRspr, vgl zB: EuGHE 1991, I-1979 = SozR 3-6030 Art 86 Nr 1 S 8 - Höfner/Elser; EuGHE 1992, I-341 - Steen; EuGHE 1995, I-301 - Aubertin, ua; EuGHE 1997, I-195 = SozR 3-6030 Art 48 Nr 12 S 39 - USSL). Der zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich insoweit in wesentlicher Hinsicht von demjenigen, der dem Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2002 - B 1 KR 28/01 R - (SGb 2003, 160) zugrunde lag und die in Deutschland begonnene und beim selben Arzt in Ö. fortgesetzte ambulante Behandlung eines Versicherten betrifft. Europarechtliche Vorgaben, das nationale Krankenversicherungsrecht für deutsche Versicherte, die sich in Deutschland in ärztliche Behandlung begeben, in bestimmter Weise auszugestalten, bestehen demgegenüber nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung des EuGH nicht, weil das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt (stRspr, vgl zB: EuGHE 2001, I-5473 RdNr 44 f = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6 S 6 mwN - Smits/Peerbooms). Demzufolge gebieten der EGV und andere Regelungen des primären und sekundären Europarechts nicht, die Leistungspflicht für ärztliche Behandlung in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung so auszugestalten, dass Versicherten regelmäßig die Kosten der Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt erstattet werden müssten. Inwieweit die Klägerin dabei durch die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit des EGV als Inländerin im Inland gegenüber der Behandlung gemeinschaftsangehörigen Ausländern in Deutschland ungerechtfertigt schlechter gestellt sein sollte, bleibt unklar; die Rechtmäßigkeit des Phänomens der sog "Inländerdiskriminierung" wäre im Übrigen nicht nach Europarecht, sondern allein nach nationalem Recht zu beurteilen (vgl schon: Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2002, aaO, S 9 des Umdrucks; Nicolaysen, Europarecht I, 2. Aufl 2002, S 134 f; Streinz, EUV/EGV, 2003, Art 12 EGV RdNr 6, 58 ff mwN).
2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig.
Da sich das LSG - gemäß § 153 Abs 2 SGG auf das Urteil des SG verweisend - darauf gestützt hat, dass seine (des Klägers) Klagebefugnis iS von § 54 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 SGG fehlt, er also schon nicht geltend machen kann, durch die mit Widerspruch und Klage angefochtenen Verwaltungsentscheidungen in "eigenen Rechten" betroffen und verletzt zu sein, hätte der Kläger mit Revisionszulassungsgründen iS von § 160 Abs 2 SGG dartun müssen, dass die Auffassung des LSG insoweit überprüfungsbedürftig ist. Die Beschwerde stützt sich dazu auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen zu klärender drittschützender Wirkung des § 13 Abs 3 SGB V und formuliert als grundsätzlich bedeutsam die Frage, ob diese Vorschrift "auch den individuellen Interessen der behandelnden Privatärzte zu dienen bestimmt" sei. Der Vortrag dazu genügt nicht den Darlegungserfordernissen iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, vielmehr hätte darauf eingegangen werden müssen, wieso diese Frage (noch) klärungsbedürftig sein sollte. Der Kläger selbst nimmt an, dass der Senat die Frage in seinem - ihn (den Kläger) betreffenden - Beschluss vom 17. März 1999 - B 1 KR 3/98 BH - bereits im gegenteiligen Sinne beantwortet hat. Sie ist damit geklärt. Dass die Beschwerde meint, das BSG sollte seine Rechtsauffassung noch einmal "kritisch überprüfen", reicht zur Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes angesichts des ausführlich begründeten Beschlusses nicht aus. Dazu hätte vielmehr deutlich gemacht werden müssen, dass trotz der schon vorliegenden Rechtsprechung die Frage - zB mit Blick auf einschlägige Kritik im jüngeren Schrifttum oder bei den Instanzgerichten - erneut erörterungsbedürftig geworden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Zudem bedürfte es dabei einer Auseinandersetzung mit den vorangegangenen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; Nr 23 S 42; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f). All dies ist nicht geschehen.
Fehlt es mithin bereits an der Klagebefugnis des Klägers, sind die weiter von ihm vorgetragenen Revisionszulassungsgründe (etwa: Versagung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wegen unzureichender Ermittlung des Streitgegenstandes; Nichtvorlage der Sache an den EuGH; fehlende Würdigung des europarechtlichen und kartellrechtlichen Vorbringens; grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen klärungsbedürftiger europa- und kartellrechtlich determinierter Auslegung des § 76 SGB V) nicht entscheidungserheblich.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen