Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anhörungsrüge. Einlegung. Frist. spätester Zeitpunkt der Kenntniserlangung. Begründungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Die Anhörungsrüge ist innerhalb der gesetzlichen Einlegungsfrist nicht nur bei Gericht anzubringen, sondern auch zu begründen.
Normenkette
SGG § 178a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Hs. 1, S. 5, § 62; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
BSG (Beschluss vom 10.02.2009; Aktenzeichen B 3 KR 14/08 B) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.02.2008; Aktenzeichen L 16 KR 39/05) |
SG Köln (Urteil vom 26.01.2005; Aktenzeichen S 5 KR 308/01) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Kostenerstattung für eine 2000/2001 vorgenommene Oberkiefer-Implantatversorgung. Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 26.1.2005; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21.2.2008) . Die gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 10.2.2009 als unzulässig verworfen (B 3 KR 14/08 B) . Gegen den am 24.2.2009 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer am 10.3.2009 eingelegten Anhörungsrüge, zu deren Begründung sie bis zur heutigen Beschlussfassung nichts vorgetragen hat. Zuletzt hatte sie lediglich angekündigt, eine Begründung bis zum 30.5.2009 vorlegen zu wollen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Anhörungsrüge ist als unzulässig zu verwerfen, weil es an der fristgerechten Darlegung einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung durch den Senat fehlt und dieser Mangel auch nicht mehr behoben werden kann.
1. Zulässig ist die Anhörungsrüge nur, wenn eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht dargelegt wird (§ 178a Abs 1 Satz 1 Nr 2, Abs 2 Satz 5 SGG in der ab dem 1.7.2008 geltenden Fassung von Art 12 Nr 8 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007, BGBl I 2840) . Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört es deshalb, dass die Umstände, aus denen sich die entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt, schlüssig aufgezeigt werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 2) . Dazu ist insbesondere darzulegen, zu welchen Sach- oder Rechtsfragen sich ein Beschwerdeführer im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren - hier: Beschwerdeverfahren B 3 KR 14/08 B - nicht habe äußern können oder welches entscheidungserhebliche Vorbringen des Beschwerdeführers das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen habe (vgl Bundesfinanzhof ≪BFH≫ BFH/NV 2007, 2143, 2144; Berchtold in: Hennig, SGG, Stand Oktober 2005, § 178a RdNr 127) . Weiter ist darzulegen, weshalb ohne den Gehörsverstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 178a RdNr 6b) .
2. Die Darlegungsanforderungen können nur innerhalb der Einlegungsfrist nach § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG wirksam erfüllt werden. Das folgt aus § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 178a Abs 2 Satz 5 SGG. Demgemäß ist "die Rüge" innerhalb der Frist nach § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG zu erheben und "muss" ua das "Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr 2 genannten Voraussetzungen darlegen". Danach ist die Angabe der maßgeblichen Gründe schon dem Wortlaut nach integraler Teil der Rüge selbst und deshalb mit ihr dem Fristenlauf nach § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG unterworfen. Dies wird auch durch die Regelungssystematik bestätigt, die für die Anhörungsrüge - anders als etwa § 160a Abs 2 Satz 1 SGG für die Nichtzulassungsbeschwerde - keine eigene Begründungsfrist vorsieht. Daraus wird deutlich, dass die Anhörungsrüge innerhalb der kurzen Frist des § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG nicht nur bei Gericht einzulegen, sondern auch zu begründen ist. Das belegt schließlich auch die Entstehungsgeschichte der mit dem Anhörungsrügengesetz vom 9.12.2004 (BGBl I 3220) eingeführten Norm, die an der ursprünglichen Fassung von § 321a ZPO orientiert war und trotz des leicht unterschiedlichen Wortlauts - "Rügeschrift" anstelle von "Die Rüge ist schriftlich … zu erheben" - insoweit nicht auf eine Änderung der Rechtslage abzielte (vgl § 321a Abs 2 Satz 1 ZPO in der am 1.1.2002 in Kraft getretenen Fassung des ZPO-Reformgesetzes vom 27.7.2001, BGBl I 1887 und BT-Drucks 15/3706 S 13, 16) . Bezweckt ist damit ein Ausgleich zwischen dem Interesse an der Durchbrechung der Rechtskraft zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 GG einerseits und dem Interesse der anderen Verfahrensbeteiligten an einem zügigen Eintritt der Rechtskraft andererseits (vgl BT-Drucks 15/3706 S 13) . Diesem Interessenausgleich wird durch Fristen und andere Anforderungen an die Gehörsrüge Rechnung getragen (vgl BVerfGE 107, 395, 412) . Ohne fristgerechte Darlegung der Rügegründe entspricht die Gehörsrüge den gesetzlichen Anforderungen des § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG deshalb nicht (ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer , aaO RdNr 7c; Berchtoldin: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009 § 7 RdNr 234; Zeihe, SGG, Stand: 1.11.2008, § 178a RdNr 31b; für die gleichlautende Bestimmung des § 152a Abs 2 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫ bereits: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4.7.2007, 8 PKH 5/07, 8 PKH 3/07 - juris - inzident Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand März 2008, § 152a RdNr 26 aE; für die entsprechende Bestimmung des § 133a Abs 2 Satz 5 Finanzgerichtsordnung vgl BFH, Beschluss vom 26.11.2008, BFH/NV 2009, 409; für § 321a ZPO nF mittelbar Vollkommer in: Zöller, ZPO, 27. Aufl 2009, § 321a RdNr 13 aE) .
3. Den vorstehend dargestellten Anforderungen genügt die Rüge hier nicht, weil die Klägerin nicht innerhalb der mit Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs beginnenden Zwei-Wochen-Frist des § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG substantiiert und nachvollziehbar dargelegt hat, wodurch der Senat ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 GG verletzt haben sollte. Dabei kann offenbleiben, zu welchem Zeitpunkt die Beschwerdeführerin iS von § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs erlangt hat; dazu ist im Übrigen weder etwas vorgetragen und noch glaubhaft gemacht worden. Jedenfalls bei Fertigung der Rügeschrift am 10.3.2009 muss die Klägerin Kenntnis von den für sie maßgeblichen Gehörverstößen gehabt haben. Selbst von diesem Zeitpunkt als letztem möglichen Moment der Kenntniserlangung ausgehend ist die Zwei-Wochen-Frist des § 178a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG hier verstrichen. Die Rüge war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 178a Abs 4 Satz 1 SGG) .
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
NJW 2010, 1694 |
FA 2009, 320 |
Breith. 2009, 953 |