Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Durcharbeitung des Prozeßstoffs durch den Bevollmächtigten

 

Leitsatz (amtlich)

Auch für die Nichtzulassungsbeschwerde gilt, daß mit der bloßen Vorlage eines von dem prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt unterzeichneten Schriftsatzes, den der Vertretene selbst entworfen hatte, im Regelfall dem Begründungserfordernis nicht genügt wird.

 

Orientierungssatz

Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 4.5.1992 - 1 BvR 394/92).

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 164 Abs. 2 S. 3, § 166 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.07.1991; Aktenzeichen L 12 Ar 91/89)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 08.03.1989; Aktenzeichen S 20 Ar 5/89)

 

Gründe

Prozeßkostenhilfe kann dem Kläger nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die für Prozeßkostenhilfe erforderlich hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, § 114 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung, hier durch Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG), hat keine Aussicht auf Erfolg. Die eingelegte Beschwerde ist nämlich als unzulässig zu verwerfen, da ihre Begründung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht.

Nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß sich ein Beteiligter wie der Kläger ebenso wie bei der Begründung einer Revision durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen (§ 166 SGG). Zwar ist innerhalb der Begründungsfrist ein von einem vor dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten, einem deutschen Rechtsanwalt (§ 166 Abs 2 Satz 2 SGG), unterzeichneter Schriftsatz vom 14. September 1989 dem Gericht vorgelegt worden. Gleichwohl ist im vorliegenden Falle die gesetzlich vorgeschriebene Form dadurch nicht gewahrt worden.

Das gesetzliche Erfordernis, eine Revision durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zu begründen, soll die Revisionsgerichte entlasten und im wohlverstandenen Interesse aller die sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens gewährleisten. Die ordnungsgemäße Revisionsbegründung soll - zB durch klare Angaben, welche Teile des Urteils der Vorinstanz angegriffen werden und mit welchen Gründen - die Vorarbeiten des Berichterstatters erleichtern; außerdem soll erreicht werden, daß der Prozeßbevollmächtigte die Rechtslage genau durchdenkt, bevor er durch seine Unterschrift die Verantwortung für die Revision übernimmt, und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (vgl BSG SozR Nr 27 zu § 164 SGG und BSGE 6, 269 f, jeweils mwN). Erwartet das Gesetz also, daß der Prozeßbevollmächtigte die Rechtslage genau durchdenkt und für die Begründung die volle Verantwortung übernimmt, muß die Begründung in jedem Falle die Prüfung und Durcharbeitung des Prozeßstoffs durch den Prozeßbevollmächtigten erkennen lassen (BSGE 7, 36, 39; BSG SozR Nr 49 zu § 164 SGG). Die bloße Vorlage eines von einem Rechtsanwalt unterzeichneten, sonst aber unveränderten Schriftsatzes des Beteiligten selbst genügt jedenfalls nicht, wenn der Rechtsanwalt den Streitstoff nicht selbst geprüft, gesichtet und rechtlich durchgearbeitet hat (BVerwGE 22, 38 = Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 21; BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 38; BFHE 136, 52, 53; BFH NV 1986, 175 f). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Prozeßbevollmächtigte ausdrücklich oder auf andere Weise - etwa durch Benennung des eigentlichen Verfassers des Schriftstücks - zu erkennen gibt, daß er die Unterschrift nicht aufgrund einer von ihm selbst vorgenommenen Prüfung geleistet hat (BGH LM Nr 16 zu § 519 ZPO = JR 1954, 463; BAGE 11, 130, 132 = NJW 1961, 1599; BSG SozR Nr 49 zu § 164 SGG). Revisionsbegründungen sind trotz Unterzeichnung durch Prozeßbevollmächtigte infolgedessen nicht als ordnungsgemäß angesehen worden, wenn der Prozeßbevollmächtigte gleichzeitig mitteilte, daß ihm selbst eine Durcharbeitung des Streitstoffes nicht möglich sei und er den vom Mandanten gefertigten Entwurf als Revisionsbegründung überreiche (BSG SozR Nr 49 zu § 164 SGG; BVerwG Buchholz 310 § 67 VwGO Nr 25) oder zusätzlich noch betonte, daß sein Mandant ihn deswegen ausdrücklich von der Haftung freigestellt habe (BFHE 136, 52).

Für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde gilt nichts anderes (BSG SozR 1500 § 160 Nr 44). Auch das Erfordernis der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten soll bewirken, daß dieser die Rechtslage im Hinblick auf die drei Gründe, auf die die Zulassung einer Revision allein gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 SGG), genau durchdenkt, ggf von der Durchführung aussichtsloser Beschwerden absieht und anderenfalls durch eine klare Darstellung, welcher Zulassungsgrund und aus welchen Gründen als vorliegend angesehen wird, die Entscheidungsfindung des Gerichts erleichtert. Auch die für nach § 160a Abs 2 SGG erforderliche Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß daher das Ergebnis der geistigen Arbeit des zugelassenen Prozeßbevollmächtigten sein, für die der Prozeßbevollmächtigte mit seiner Unterschrift die volle Verantwortung übernimmt, und dies aus sich heraus erkennen lassen. Die bloße Vorlage eines von dem prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt unterzeichneten, sonst aber unveränderten Schriftsatzes des Beteiligten selbst stellt daher keine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung dar, wenn der Rechtsanwalt die Durchsicht, Sichtung und Gliederung des Streitstoffes unterlassen hat. So liegt der Fall hier.

Der Kläger hat den achtseitigen Schriftsatz vom 14. September 1991, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und begründet worden ist, selbst entworfen und geschrieben. Sein Prozeßbevollmächtigter hat zwar die erste Seite mit dem Abdruck seines Kanzleistempels versehen und die letzte Seite unterschrieben, in einem Begleitschreiben vom 19. September 1991 indessen mitgeteilt, er habe - nachdem er als Prozeßpfleger die Klage genehmigt habe - nun nach Aufhebung der Pflegschaft aus Gründen der Kontinuität und um seinen Mandanten die Gelegenheit zu geben, alle ihm zustehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die von seinem Mandanten angefertigte Beschwerde unterschrieben. Daß der zugelassene Prozeßbevollmächtigte den Streitstoff in bezug auf die Nichtzulassungsbeschwerde geprüft hat, ergibt sich hieraus nicht. Im Gegenteil muß angesichts der beigefügten Erklärung des Prozeßbevollmächtigten davon ausgegangen werden, daß dieser in der Absicht, dem Mandanten die eigenständige Gelegenheit zu geben, alle Prozeßmöglichkeiten auszuschöpfen, die angefertigte Beschwerde ohne Durchsicht und irgendwie geartete Prüfungen unterschrieben hat, ohne hierfür Verantwortung übernehmen zu wollen. Mit der Weiterleitung der nicht weiter geprüften, vom Kläger entworfenen und geschriebenen Beschwerdebegründung in unveränderter Fassung hat der Prozeßbevollmächtigte es dem Gericht überlassen, das zur ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung Erforderliche herauszufiltern, was indessen gerade nicht Sache des Beschwerdegerichts, sondern der rechtskundigen Prozeßbevollmächtigten ist (BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 38). Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen eine durch einen rechtskundigen Mandanten entworfene Begründung inhaltlich den Erfordernissen genügt. Gelangt der Prozeßbevollmächtigte nach Prüfung des Streitstoffes zu einer solchen Beurteilung des ihm vorliegenden Entwurfs, mag es gerechtfertigt sein, wenn er diesen Entwurf unterzeichnet und als Begründung einreicht (BVerwG aaO). So liegt der Fall hier schon deshalb nicht, weil der Kläger nicht rechtskundig ist. Hinzu kommt, daß das umfangreiche, unübersichtliche und in großen Teilen beschwerderechtlich offensichtlich unerhebliche Vorbringen des Klägers angesichts der von beiden Vorinstanzen getroffenen Prozeßentscheidungen in ganz besonderem Maße eine sorgfältige eigene Bearbeitung, Gliederung und Straffung in bezug auf einen Revisionszulassungsgrund durch einen rechtskundigen Prozeßbevollmächtigten erheischte, sollte die Beschwerde Erfolg haben.

Entspricht die Beschwerdebegründung demnach nicht den Formerfordernissen der §§ 160a Abs 2, 166 SGG, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662338

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