Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Juli 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger von der Beklagten die Erstattung von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung verlangen kann.
Der Kläger ist Eigentümer eines ca 7.200 m2 umfassenden Grundstücks mit einem Wohngebäude, Stallungen, einem Hofraum, einem privat genutzten Garten sowie einem ca 1.100 m2 großen Reitplatz. Er hält zwei eigene Reitpferde. Dazu hat er ein weiteres Grundstück von ca 10.000 m2 Größe gepachtet, das er als Weide für seine Reitpferde benutzt. Eine Bodenbewirtschaftung wird vom Kläger nicht betrieben.
Die Beklagte erhob bis zum Jahre 1980 den Beitrag für die „Unternehmer mit Bodenwirtschaft” (§ 815 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF) von dem Grundstückseigentümer. Im Jahre 1980 stellte sie nach einer Satzungsänderung die Beitragserhebung dahingehend um, daß sie nunmehr die land- und forstwirtschaftlichen Unternehmer veranlagte, wobei sie auch reine Pachtbetriebe heranzog. Dazu erstellte sie ein Unternehmerverzeichnis, in das sie den Kläger eintrug. Diese Eintragung teilte sie dem Kläger mit den beiden ersten der im folgenden aufgeführten Beitragsbescheiden mit. Mit Bescheiden vom 14. Mai 1981, 21. Mai 1982, 20. Mai 1983, 22. Mai 1984, 15. Mai 1985 und 15. Mai 1986 setzte die Beklagte gegen den Kläger Beiträge für die Umlagen 1980 bis 1985 fest, wobei sie die Beiträge allein nach der zugepachteten landwirtschaftlichen Fläche von 10.000 m2 berechnete. Die ausgewiesenen Beiträge entrichtete der Kläger.
Gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 1987, mit dem die Umlage für das Beitragsjahr 1986 festgesetzt wurde, erhob der Kläger erfolglos Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 17. März 1988). Zur Begründung gab er an, er unterliege nicht der Versicherungspflicht, da er kein land- oder forstwirtschaftliches Unternehmen bewirtschafte. Er betreibe nur eine private Reittierhaltung, eine Pferdezucht unterhalte er ebenfalls nicht. Daraufhin erließ die Beklagte unter dem 29. Dezember 1987 einen weiteren Bescheid, mit dem sie die Veranlagung des Klägers von der Umlage für das Jahr 1987 ab aufhob. Darüber hinaus hob sie ihre Beitragsbescheide vom 20. Mai 1983, 22. Mai 1984, 15. Mai 1985, 15. Mai 1986 und 15. Mai 1987 betreffend die Umlagen für die Beitragsjahre 1982 bis 1986 auf. Zugleich erließ sie neue Beitragsbescheide für die Umlagen der Jahre 1982 bis 1986 unter Berücksichtigung der tatsächlich genutzten Fläche von ca 17.200 m2. Nach Verrechnung des neu errechneten Beitrages mit den bereits geleisteten Beiträgen ergab sich ein Differenzbetrag zugunsten der Beklagten von 31,60 DM (Beitragsbescheid vom 29. Dezember 1987). Auch gegen diese Bescheide erstreckte der Kläger seinen Widerspruch und verlangte nunmehr zusätzlich die Erstattung der von ihm geleisteten Beiträge für die Umlagen der Beitragsjahre 1982 bis 1986.
Im Laufe des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Münster erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid unter dem 2. Juli 1990, mit dem sie die Aufhebung aller Beitragsbescheide vom Umlagejahr 1980 bis zur Umlage für das Beitragsjahr 1986 und die Erstattung der Beiträge ablehnte. Sie bestätigte diese Entscheidung mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 1990. Eine Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses könne nicht erfolgen, da eine Formalversicherung bestanden habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Beklagte den Bescheid vom 29. Dezember 1987 und den Widerspruchsbescheid vom 17. März 1988 dahin geändert, daß sie den Mehrbetrag von 31,60 DM nicht mehr geltend mache, und zugleich die Beitragsberichtigungsbescheide für die Umlagen der Jahre 1982 bis 1986 aufgehoben. Mit Urteil vom 24. Januar 1992 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juli 1990 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. August 1990 verurteilt, die Beitragsbescheide über die Umlagen der Jahre 1980 bis 1986 zurückzunehmen und die vom Kläger für die Jahre 1983 bis 1986 gezahlten Beiträge zu erstatten.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1993). Die Beklagte sei nach § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) zur Rücknahme der Beitragsbescheide hinsichtlich der Umlagen für die Jahre 1980 bis 1986 verpflichtet und müsse die für die Jahre 1983 bis 1986 geleisteten Beiträge nach § 26 Abs 2 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) erstatten. Die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht des Klägers als Unternehmer in der landwirtschaftlichen Unternehmerversicherung hätten zu keiner Zeit vorgelegen. Durch die Heranziehung des Klägers zur Beitragszahlung und die Entrichtung der geforderten Beiträge bis zum Jahre 1986 durch den Kläger sei eine sogenannte Formalversicherung entstanden.
Ein solches formal-rechtliches Versicherungsverhältnis könne zwar grundsätzlich nicht rückwirkend enden, da der Versicherte regelmäßig darauf vertraue, in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert zu sein. Eine Ausnahme gelte jedoch dann, wenn noch kein Versicherungsfall eingetreten sei und es nur um die Aufhebung der aus der Beitragspflicht folgenden Belastung gehe. Die Beklagte sei daher zur Rücknahme der Beitragsbescheide verpflichtet und müsse die geleisteten Beiträge unter Berücksichtigung der Verjährungsfrist gemäß § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV von vier Jahren nach § 26 Abs 2 SGB IV erstatten.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 26 SGB IV und 44 SGB X. Das angefochtene Urteil beruhe auf unzutreffender Anwendung insbesondere dieser beiden Rechtsvorschriften. Bei Zugrundelegung der in Fällen vorliegender Art gebotenen teleologischen Rechtsanwendung wäre das LSG zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Rückabwicklung des formalen Versicherungsverhältnisses und eine damit verbundene Beitragserstattung nicht in Betracht kämen. Andernfalls müsse die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Formalversicherung im Sinne von Graßl (SdL 1983, 276, 283ff) geändert werden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht haben SG und LSG entschieden, daß die Beklagte ihre Beitragsbescheide für die Umlagen seit dem Beitragsjahr 1980 gemäß § 44 Abs 1 SGB X zurückzunehmen und dem Kläger die zu Unrecht entrichteten Beiträge für die Zeit vom Beitragsjahr 1983 ab gemäß § 26 Abs 2 SGB IV zu erstatten hat.
Das hat das LSG in dem angefochtenen Urteil zutreffend und umfassend begründet.
Das Rechtsverhältnis, das in der Vergangenheit zwischen der Beklagten und dem Kläger bestanden hat, steht den Klageansprüchen nicht entgegen.
Die Beklagte hat den Kläger, der nur eine private Reittierhaltung und kein land-oder forstwirtschaftliches Unternehmen betrieb, ohne dessen Verschulden auch vom Beitragsjahr 1980 ab zu Unrecht als landwirtschaftlichen Unternehmer in ihr neu erstelltes Unternehmerverzeichnis aufgenommen – wobei entgegen der Meinung des LSG in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung die Vorschrift des § 664 RVO nicht gilt, s § 795 RVO –, ihm die Aufnahme in dem Beitragsbescheid 1980 mitgeteilt und ihn auch von diesem Beitragsjahr ab regelmäßig zu Beiträgen veranlagt. Dadurch ist zwischen der Beklagten und dem Kläger ein sogenanntes formal-rechtliches Mitgliedschafts- und Versicherungsverhältnis entstanden (BSG SozR 2200 § 776 Nr 8). Dieses Rechtsinstitut der Formalversicherung in der vorliegenden Ausprägung beruht nach der auf die Entscheidungen des Reichsversicherungsamts (RVA) zurückgehenden (s BSG SozR 2200 § 776 Nr 8 mwN) Rechtsprechung des BSG im wesentlichen auf dem Vertrauensschutz desjenigen, der – wie der Kläger – wegen der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis als Mitglied und zugleich als Versicherter unbeanstandet Beiträge zur gesetzlichen, hier der landwirtschaftlichen Unfallversicherung entrichtet hat (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 126 mwN). Deswegen wird eine rückwirkende Beendigung der Formalversicherung grundsätzlich als unstatthaft angesehen (BSG Urteil vom 26. September 1986 – 2 RU 54/85 – mwN in HV-Info 1987, 33). Andererseits hat der Senat entschieden, daß dem Unfallversicherungsträger als anderem Subjekt und Partner des formal-rechtlichen Mitgliedschafts- und Versicherungsverhältnisses kein eigener Vertrauensschutz zusteht (BSG Urteil vom 28. Juni 1991 – 2 RU 65/90 – mwN in HV-Info 1991, 1839). Daraus folgt bereits nach der bisherigen Rechtsprechung zur Formalversicherung, daß jedenfalls dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – noch kein Versicherungs- und Leistungsfall eingetreten ist,
das formal-rechtliche Mitglied als zugleich Versicherter auf den ihm allein zustehenden Vertrauensschutz verzichten, damit dem formalen Rechtsverhältnis die sachliche Rechtfertigung entziehen und seine rückwirkende Aufhebung verlangen kann. Das stimmt mit der Regelung des § 44 Abs 1 SGB X überein, dessen tatbestandsmäßige Voraussetzungen entgegen der auf den begünstigenden Unfallversicherungsschutz hinweisenden Auffassung der Revision hier voll erfüllt sind, insbesondere diejenige Voraussetzung, daß wegen der zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führenden Unrichtigkeit Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung zur Formalversicherung ist deshalb insoweit nicht notwendig (s auch BSG SozR 2200 § 776 Nr 8).
Allgemeine Grundsätze im Beitragsrecht der Unfallversicherung schränken den Geltungsbereich des § 44 SGB X nicht ein. In diesem Rechtsbereich ist die Bedeutung des vor dem Inkrafttreten des § 26 SGB IV am 1. Juli 1977 und des § 44 SGB X am 1. Januar 1981 angewandten allgemeinen Grundsatzes, daß in schon begründete oder sogar zum Teil abgewickelte Versicherungsverhältnisse nicht rückwirkend ändernd oder aufhebend eingegriffen werden darf (s BSGE 63, 18, 21 mwN), seit jeher eingeschränkt gewesen, weil sich eine rückwirkende Neufestsetzung der von einem Unternehmer im Umlageverfahren zu entrichtenden Beiträge auf den Umfang der Leistungen, die den bei ihm beschäftigten Versicherten zu gewähren sind, nicht auswirkt. Ihre Leistungsansprüche bemessen sich nicht nach der Höhe der von ihren Arbeitgebern zu zahlenden Beiträgen (BSGE aaO).
Der Senat hat bereits entschieden, daß im Gegensatz zu der Meinung der Revision auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zu Unrecht entrichtete Beiträge nach § 26 Abs 2 SGB IV (idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 – BGBl I 2330 -früher Abs 1) zu erstatten sind (BSGE 63, 18, 24). Dessen Anspruchsvoraussetzungen sind hier erfüllt. Denn die Beklagte ist einerseits nach § 44 Abs 1 SGB X verpflichtet, die rechtswidrigen Beitragsbescheide aufzuheben, ohne daß andererseits die Voraussetzungen des § 26 Abs 2 Teilsatz 2 SGB IV für den Fall bereits erbrachter oder zu erbringender Leistungen vorliegen. Dazu hat der Senat ebenfalls bereits entschieden, daß gegen die uneingeschränkte Anwendbarkeit der letztgenannten Ausnahmeregelung, der sogenannten Verfallklausel des § 26 Abs 2 SGB IV, in der gesetzlichen Unfallversicherung erhebliche Bedenken bestehen. Der Senat hat offen gelassen, ob die Verfallklausel in der Unfallversicherung niemals anzuwenden ist, wenn zu Unrecht entrichtete Beiträge im Umlageverfahren (§§ 740ff RVO) erhoben worden sind (BSGE 63, 18, 24). Jedenfalls sind nach § 26 Abs 2 SGB IV zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, wenn Leistungen weder erbracht worden noch zu erbringen sind.
Eine Gefährdung des Finanzierungssystems ist in der Unfallversicherung deshalb nicht zu besorgen, weil die infolge nachträglicher Änderungen von Beitragsbescheiden vorzunehmenden Beitragsrückerstattungen an einzelne Mitglieder als Bedarf des abgelaufenen Geschäftsjahres durch entsprechend bemessene Beiträge abgedeckt werden (§ 802 iVm § 724 Abs 1 RVO). Von einer deswegen eventuell notwendig werdenden und in der Regel durch die geringe Zahl der Fälle und der kurzen Verjährung kaum nennenswerten Erhöhung der Beiträge werden alle Mitglieder gleichermaßen betroffen. Die Belastung der anderen Mitglieder mit höheren Beiträgen findet grundsätzlich einen ausreichenden Ausgleich (BSGE 63, 18, 22).
Schließlich trifft auch nicht die Ansicht der Revision zu, daß die Unfallversicherungsträger im Vergleich zu den anderen Sozialversicherungsträgern wegen ihrer Pflicht, Entschädigungsleistungen von Amts wegen zu erbringen, einer derart höheren Vielzahl an Wagnissen (Risiken aus der Sicht der Versicherten) ausgesetzt sind, daß dies einer Beitragserstattung entgegensteht. Vielmehr bemißt sich die Belastung der Versicherungsträger nach der Zahl der eingetretenen Versicherungs-und Leistungsfälle. Diese Belastung indessen trifft alle Versicherungszweige grundsätzlich gleichermaßen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen