Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenbeginn bei befristeten Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Erstattungsanspruch und bindende Verwaltungsentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Auch bei befristeten Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit rechnet die für den Rentenbeginn maßgebende Drei-Monats-Frist des § 99 Abs 1 SGB 6 vom Ablauf des Monats an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (Abgrenzung zu BSG vom 14.12.1966 – 12 RJ 56/63).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB VI § 99 Abs. 1 S. 1, § 101 Abs. 1; RVO § 1276 Abs. 1, § 1290 Abs. 1-2; SGB X § 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. April 1996 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Januar 1995 zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das gesamte Verfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen der klagenden Krankenkasse und dem beklagten Rentenversicherungsträger ist ein Erstattungsanspruch für den Monat August 1992 streitig.
Der Beigeladene, der bereits seit dem 3. Januar 1992 arbeitsunfähig erkrankt war und ab dem 11. Februar 1992 von der Klägerin Krankengeld (Krg) erhielt, stellte am 16. September 1992 bei der Beklagten Antrag auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) oder Berufsunfähigkeit (BU). Aufgrund des ärztlichen Untersuchungsergebnisses bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12. November 1992 eine bis zum 30. April 1993 befristete Rente wegen EU. Die Anspruchsvoraussetzungen seien bereits seit dem 3. Januar 1992 erfüllt. Die Rente (monatlicher Zahlbetrag: 2.038,50 DM) beginne gemäß § 99 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab 1. September 1992, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien. Auf einen Weiterzahlungsantrag des Beigeladenen gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 1993 Rente wegen EU ab 1. Mai 1993 auf Dauer.
Bereits zuvor hatte die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 5.436,– DM geltend gemacht, da der Beigeladene in der Zeit vom 1. September bis 20. November 1992 Krg erhalten habe. Dieser Erstattungsanspruch wurde von der Beklagten befriedigt und der restliche Rentennachzahlungsbetrag an den Beigeladenen ausgezahlt.
Im Mai 1994 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch auch für die Zeit vom 1. bis 31. August 1992 mit der Begründung an, daß die Rente in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dem Beigeladenen bereits ab dem 1. August 1992 hätte zugebilligt werden müssen. Die Beklagte wies das Erstattungsbegehren zurück und führte hierbei im wesentlichen aus: Gemäß § 99 Abs 1 iVm § 101 Abs 1 SGB VI sei ein Rentenantrag dann rechtzeitig gestellt, wenn er bis zum Ende des dritten Monats nach dem Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien, gestellt werde. Der Eintritt der Erwerbsminderung sei bei dem Beigeladenen am 3. Januar 1992 erfolgt. Die Drei-Monats-Frist zähle daher vom 1. Februar bis zum 30. April 1992. Der Rentenantrag sei jedoch erst am 16. September 1992 gestellt worden, so daß die Rente am 1. September 1992 beginne.
Mit ihrer im Juni 1994 beim Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage bezifferte die Klägerin den von ihr weiter geltend gemachten Erstattungsanspruch für den Monat August 1992 auf 2.038,50 DM. Durch Urteil vom 24. Januar 1995 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung durch Urteil vom 18. April 1996 aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin das von ihr an den Beigeladenen im August 1992 gezahlte Krg in Höhe einer vom 1. bis 31. August 1992 zu zahlenden Rente wegen EU zu erstatten. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt:
Der Anspruch des Beigeladenen auf das von der Klägerin gezahlte Krg sei nachträglich teilweise entfallen; insoweit sei die für die vorrangigen Rentenleistungen zuständige Beklagte der Klägerin erstattungspflichtig. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich nach § 103 Abs 1 und 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Beklagte habe den Zeitpunkt der Erfüllung aller Voraussetzungen für die Zeitrente nicht offensichtlich fehlerhaft und damit im Rahmen der Erstattungsstreitigkeiten zutreffend mit dem 3. Januar 1992 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit) festgesetzt. Die Bewilligung nur einer Zeitrente habe mit der damaligen Erwartung begründet werden können, daß sich der Zustand des Beigeladenen nach Gehirnoperation und Behandlung einer Wurzelreizsymptomatik der Wirbelsäule bessern werde. Die befristete Rente habe aber am 1. August 1992 beginnen müssen, da der vom Beigeladenen gestellte Antrag im Rahmen der für befristete Renten geltenden Antragsfrist (1. August bis 31. Oktober 1992) gelegen habe.
Die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung (Hinweis auf BSG, Urteil vom 14. Dezember 1966 – 12 RJ 56/63 –) habe die früheren Bestimmungen über den Rentenbeginn (§ 1290 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) dahingehend ausgelegt, daß die Antragsfrist bei Zeitrenten erst mit dem Entstehen des Zahlungsanspruchs beginne, dh erst mit dem Ablauf der 26. Woche ab Beginn der BU oder EU. Dasselbe gelte – hier bezogen auf den Beginn des siebten Kalendermonats – auch für befristete Renten nach dem SGB VI, denn es sei sinnwidrig, wenn ein im vierten bis siebten Kalendermonat gestellter und angeblich verspäteter Rentenantrag gleichwohl zum Regelbeginn der Zeitrente ab Beginn des siebten Kalendermonats führe. Regeln über eine Antragsfrist bezweckten einen späteren Rentenbeginn als den Regelbeginn. Es erscheine zudem unbillig, wenn von dem Versicherten die Antragstellung bereits zu einem Zeitpunkt verlangt werde, zu dem er die Leistung noch nicht beanspruchen könne. Gegen diese Auslegung spreche nicht die „Systematik” des neuen Gesetzes. Es sei nicht ersichtlich, daß der Rentenbeginn allein in § 99 Abs 1 SGB VI geregelt sei und § 101 Abs 1 SGB VI nur einen Leistungsausschluß für Ansprüche in den ersten sechs Monaten vorsehe.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 99 Abs 1, 101 Abs 1 SGB VI. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus: Die für den Rentenbeginn maßgebende Antragsfrist von drei Monaten (§ 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI) sei auch bei Zeitrenten von dem Eintritt der Erwerbsminderung ausgehend zu berechnen. Die Beginnsregelung des § 99 SGB VI sei auf Zeitrenten anwendbar und werde durch § 101 Abs 1 SGB VI ergänzt und modifiziert. Diese ergänzende Regelung bewirke, daß ein sich aus der Grundnorm des § 99 Abs 1 SGB VI ergebender früherer Rentenbeginn auf den siebten Kalendermonat nach Eintritt der Erwerbsminderung hinausgeschoben werde. Voraussetzung für diesen frühesten Rentenbeginn nach § 101 Abs 1 SGB VI sei, daß die Rente bis dahin beantragt worden sei. Werde der Antrag nach Ablauf des siebten Kalendermonats nach Eintritt der BU oder EU gestellt, beginne die befristete Rente mit dem ersten des Antragsmonats (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. April 1996 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Januar 1995 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung macht sie insbesondere geltend: Das SGB VI habe eine wesentliche Änderung gegenüber dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht nicht gebracht, so daß die Grundsätze, welche die Rechtsprechung zu den §§ 1276 und 1290 RVO entwickelt habe, weiter anzuwenden seien. Müßte auch bei befristeten Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit der Rentenantrag grundsätzlich innerhalb der ersten drei Monate nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit gestellt werden, wäre die Drei-Monats-Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI für einen rechtzeitigen Rentenantrag regelmäßig vor dem in § 101 Abs 1 SGB VI festgesetzten Rentenbeginn abgelaufen. Ein solches Ergebnis sei nicht sinnvoll. Im übrigen sei der Begründung im Urteil des LSG voll beizupflichten.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des LSG steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Erstattungsanspruch für den Monat August 1992 zu.
Zutreffend ist das LSG allerdings davon ausgegangen, daß als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch nur § 103 SGB X in Betracht kommt. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift gilt: Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Gemäß § 103 Abs 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Vom LSG ist nicht näher geprüft worden, ob die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch erfüllt sind. Dies kann vorliegend schon deshalb fraglich sein, weil die Beklagte für den Monat August 1992 keine Rente an den Beigeladenen geleistet hat und diesem gegenüber mit dem Rentenbescheid vom 12. November 1992 ihre Leistungspflicht erst ab 1. September 1992 bejaht hat. Dementsprechend hat die Beklagte auch nur Erstattungsansprüche der Klägerin wegen des für die Zeit ab dem 1. September 1992 gezahlten Krg befriedigt. Der Anspruch des Beigeladenen auf das von der Klägerin gezahlte Krg konnte aber nur dann gemäß § 50 Abs 1 Nr 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) bereits zum 1. August 1992 enden, wenn er schon ab diesem Zeitpunkt eine Rente wegen EU „bezogen” hätte. Der insoweit maßgebliche Rentenbeginn bestimmt sich grundsätzlich nicht nach dem Vorliegen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen, sondern nach dem Regelungsinhalt des entsprechenden Bewilligungsbescheides (vgl BSGE 76, 218, 220 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3 mwN; siehe hierzu auch Schroeder-Printzen in Schroeder-Printzen/Engelmann ua, SGB X, 3. Aufl, § 103 RdNr 6; Kater in Kasseler Komm, § 103 SGB X RdNr 21). Da die Beklagte einen Rentenanspruch des Beigeladenen erst ab 1. September 1992 festgestellt hat, kann der Krg-Anspruch des Beigeladenen für den Monat August 1992 demnach im Prinzip nicht entfallen sein.
Der grundsätzlichen Bindung der beteiligten Sozialleistungsträger an die Bescheide, mit denen der erstattungspflichtige Träger dem Sozialleistungsberechtigten gegenüber über Grund und Höhe des Leistungsanspruchs entschieden hat (BSGE 76, 218, 220 f = SozR 3-2500 § 50 Nr 3), steht nicht entgegen, daß ein derartiger Verwaltungsakt nur die Leistung, nicht aber die Erstattung regelt. Ebensowenig fällt insoweit ins Gewicht, daß die durch §§ 102 ff SGB X geregelten Erstattungsansprüche unabhängig von und selbständig neben dem Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den zur Erstattung herangezogenen Leistungsträger bestehen (BSG SozR 3-1300 § 112 Nr 2 mwN). Diese Eigenständigkeit des Erstattungsanspruchs führt nicht dazu, daß über Grund und Höhe der Leistung zum Zwecke der Erstattung noch einmal entschieden werden müßte; vielmehr bestimmt die Entscheidung über die Leistung zugleich den Umfang der Erstattung. Die Entscheidung des vorrangigen oder zuständigen Leistungsträgers hat der nachrangige oder unzuständige Leistungsträger bei der Geltendmachung der Erstattung zu beachten (BSG SozR 3-2200 § 310 Nr 1; vgl auch BSGE 57, 146, 149 = SozR 1300 § 103 Nr 2; BSGE 58, 119, 126 = SozR 1300 § 104 Nr 7; BSGE 72, 163, 166 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6). Der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger kann sich in der Regel auf die bindende Entscheidung einschließlich ihrer Tatbestandswirkung berufen (vgl Kater in Kasseler Komm, § 103 SGB X RdNr 56; Nofts in Hauck/Haines, SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, § 50 RdNr 56 – jeweils mwH auf die Rechtsprechung des BSG). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der die Leistung bewilligende oder auch ablehnende Verwaltungsakt fehlerhaft ist (BSGE 72, 163, 166 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6). Eine eventuelle Fehlerhaftigkeit des Bescheides berechtigt somit die Krankenkasse noch nicht dazu, diesen anzufechten; hierzu ist nur der Versicherte befugt (Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 50 SGB V RdNr 68).
Aufgrund der Pflicht zur engen Zusammenarbeit (vgl § 86 SGB X) ist ein Leistungsträger indes verpflichtet, die Belange des anderen Trägers zu berücksichtigen und auf dessen Beanstandung hin in eine nochmalige Überprüfung der Sachlage einzutreten (Kater in Kasseler Komm, § 103 SGB X RdNr 56 mwH auf die Rechtsprechung des BSG; siehe hierzu BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2; BSGE 72, 163 = SozR 2200 § 183 Nr 6; BSG SozR 4100 § 105b Nr 6). Ein Beharren auf der getroffenen Entscheidung ist dem in Anspruch genommenen Leistungsträger dann versagt, wenn sich die Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist und sich dies zum Nachteil des anderen Leistungsträgers auswirkt. In einem solchen Fall hat der Leistungsträger im Erstattungsstreit die Fehlentscheidung zu korrigieren (vgl BSGE 72, 281, 283 = SozR 3-1300 § 103 Nr 4; ebenso bereits BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2).
Wann eine derart offensichtliche Fehlerhaftigkeit zu bejahen ist, kann vorliegend offenbleiben; denn der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 12. November 1992 steht mit der Rechtslage in Einklang.
Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Rente des Beigeladenen erst mit dem 1. September 1992 beginnen konnte. Für einen früheren Rentenbeginn findet sich auf der Grundlage des vom LSG festgestellten Sachverhalts nach den Vorschriften des SGB VI keine Stütze. Die Bestimmungen des SGB VI sind im vorliegenden Fall anzuwenden, da es um einen Rentenanspruch für die Zeit nach dem 31. Dezember 1991 geht (vgl § 300 Abs 1 und 2 SGB VI).
Nach den von dem LSG getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen lagen beim Beigeladenen die Voraussetzungen für eine Rente wegen EU (vgl § 44 SGB VI) mit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 3. Januar 1992 vor. Auch konnte die Bewilligung einer nur befristeten Rente mit der damaligen Erwartung begründet werden, daß sich der Zustand des Beigeladenen wieder bessern werde (vgl § 102 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen spricht nicht, daß dem Beigeladenen ab 1. Mai 1993 eine EU-Rente auf Dauer gewährt wurde, nachdem sich die zunächst gestellte Prognose auf Besserung des Gesundheitszustandes nicht bestätigt hatte. Die Entscheidung über den Rentenanspruch verlangt eine Prognose spätestens bei Erteilung des Rentenbescheids (so zu der früheren Vorschrift des § 1276 RVO: BSG SozR 2200 § 1276 Nr 5; BSGE 53, 100, 102 = SozR 2200 § 1276 Nr 6). Erfüllt sich die Prognose nicht und besteht weiterhin EU ohne die begründete Aussicht auf Besserung, so führt dies nicht rückwirkend zur Aufhebung der anfänglich nur befristeten Rente wegen EU (so im Ergebnis auch BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 8), sondern zur Bewilligung einer Dauerrente im Anschluß an das Ende der nur befristeten Rente (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, DRV 1993, 493, 592 zum Rentenversicherungsrecht nach dem SGB VI; ders in DRV 1990, 201, 268 zum früheren Recht nach der RVO). Im Hinblick auf die Zuerkennung einer Dauerrente ändert sich auch nicht der Beginn der davor gewährten Zeitrente. Denn es handelt sich um zwei voneinander unabhängige Bewilligungen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 8).
Nach § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI beginnt die Rente aus eigener Versicherung – wozu die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zählt – von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Aufgrund dieser Vorschrift ist klargestellt, daß der Rentenbeginn nicht nur von der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, sondern auch vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängig ist (Kreikebohm, SGB VI, 1997, § 99 RdNr 6; Adami in Jahn, SGB VI, § 99 RdNr 2; Hauck in Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch VI – SGB VI – Gesetzliche Rentenversicherung, § 99 RdNr 5; Udsching in Gesamtkomm, Gesetzliche Rentenversicherung, § 99 SGB VI Anm 4). Für den frühestmöglichen Beginn der Rente reicht somit eine Antragstellung innerhalb der von § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI genannten Drei-Monats-Frist aus. Andererseits schränkt diese Vorschrift den Rentenanspruch des Versicherten insoweit ein, als die Rente aus eigener Versicherung nicht sofort, sondern nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen erst ab dem Beginn des Folgemonats geleistet wird.
In den Fällen, in denen ein Antrag später, dh erst nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI, gestellt worden ist, wird die Rente – unabhängig davon, wieviele Monate der Antrag nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen liegt – erst ab dem Beginn des Antragsmonats geleistet (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Dies kann bei erheblich „verspäteten” Rentenanträgen für den Versicherten zu beträchtlichen finanziellen Einbußen führen, weil für die Zeit bis zum Antragsmonat in diesen Fällen kein Rentenzahlungsanspruch besteht, auch wenn die Anspruchsvoraussetzungen schon seit langem erfüllt waren.
Gegenüber diesen allgemeinen, in § 99 Abs 1 SGB VI normierten Bestimmungen zum Rentenbeginn enthält § 101 Abs 1 SGB VI eine gesonderte Regelung über den Beginn befristeter Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Danach wird eine befristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.
Insoweit erscheint zunächst eine Klarstellung in dem Sinne angebracht, daß § 101 Abs 1 SGB VI, durch den eine Risikoverteilung zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung in den Fällen einer befristeten EU/BU-Rente erfolgt, im Ergebnis einen Rentenausschluß für die ersten sechs Monate nach dem Monat, in dem die Erwerbsminderung eingetreten ist, bewirkt (so auch Hase in Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 101 SGB VI RdNr 3; Hauck in Hauck/Haines, § 101 SGB VI RdNr 3; Niesel in Kasseler Komm, § 101 SGB VI RdNr 6; Maier/Barkmin in Berliner Kommentar, § 101 SGB VI RdNr 2; Stix, MittLVA Oberfr 1991, 45, 53).
Ferner ist hervorzuheben, daß § 101 Abs 1 SGB VI – anders als § 99 SGB VI – keine Bestimmung darüber trifft, bis wann der Antrag gestellt sein muß, sondern unabhängig vom Zeitpunkt der Rentenantragstellung und abweichend von den Grundregeln des § 99 Abs 1 SGB VI einen frühesten Zeitpunkt festsetzt, von dem ab eine befristete EU/BU-Rente zu gewähren ist. Diese Sechs-Monats-Frist gilt aufgrund der speziellen Vorschrift des § 101 Abs 1 SGB VI für befristete Renten auch dann, wenn der Rentenantrag (rechtzeitig) innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI gestellt worden ist. Gleichzeitig wirkt sich eine Antragstellung nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI für den Beginn der befristeten Rente wegen Erwerbsminderung solange nicht aus, als die Rente jedenfalls innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 101 Abs 1 SGB VI beantragt worden ist. Andererseits kann aus der Systematik des Gesetzes, wonach § 101 Abs 1 SGB VI als eine Ausnahmevorschrift zu der Grundnorm des § 99 SGB VI über den Rentenbeginn anzusehen ist, nicht angenommen werden, daß es für den Beginn der befristeten Rente wegen Erwerbsminderung überhaupt nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankommen und eine solche Rente auch dann entsprechend § 101 Abs 1 SGB VI vom Beginn des siebten Monats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu leisten sein soll, wenn der entsprechende Rentenantrag – uU lange – nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist gestellt wird. Für diesen Fall der „verspäteten” Rentenantragstellung kann und muß vielmehr auf die allgemeinen Vorschriften zum Rentenbeginn zurückgegriffen werden. Insoweit modifiziert bzw ergänzt § 101 Abs 1 SGB VI lediglich die Grundnorm des § 99 Abs 1 SGB VI, schließt deren Anwendung aber nur insoweit und nicht insgesamt aus (Hauck in Hauck/Haines, § 101 SGB VI RdNr 3).
Angesichts der dargestellten Systematik des Gesetzes sieht der erkennende Senat auch keine Möglichkeit, den eindeutigen Wortlaut des § 99 Abs 1 SGB VI in bezug auf befristete BU/EU-Renten dahingehend auszulegen, daß die Drei-Monats-Frist dann vom Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit an rechnet. Diese Auffassung wird weitgehend auch in der Literatur vertreten wird (vgl Hase in Wannagat, § 101 SGB VI RdNr 3; Jorks in Gemeinschaftskomm zum SGB VI, § 101 RdNr 11; Maier/Barkmin in Berliner Komm, § 101 SGB VI RdNr 4; Adami in Jahn, § 101 SGB VI RdNr 3; Stix, MittLVA Oberfr 1991, 45, 53; Zimmermann, MittLVA Württ 1992, 93, 95; Lee, NachrLVA HE 1991, 173, 174; Udsching in Gesamtkomm, § 101 SGB VI Anm 3; Eicher/Hase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, § 101 SGB VI Anm 2; Verbandskomm zur Rentenversicherung, § 101 SGB VI RdNr 5; aA Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung Teil 1 – SGB VI, 3. Aufl, § 101 RdNr 7). Die hiergegen vom LSG und von der Klägerin vorgebrachten Einwände vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen.
Soweit die Klägerin für ihre Auffassung auf die frühere Rechtsprechung des BSG verweist, so ist das betreffende Urteil vom 14. Dezember 1966 – 12 RJ 56/63 – (auszugsweise abgedruckt bzw referiert in SGb 1967, 64 und DRV 1967, 170 f) noch zu den damals geltenden Vorschriften der §§ 1276 und 1290 RVO ergangen. Die seinerzeit vom BSG zu den §§ 1276 und 1290 Abs 1 RVO vertretene Auslegung kann aufgrund des Wortlautes der §§ 99, 101 Abs 1 SGB VI und der im neuen Recht zum Ausdruck gekommenen Systematik nicht mehr zum Tragen kommen. In der RVO waren die Vorschriften über die Zeitrente in § 1276 RVO und den Rentenbeginn in § 1290 RVO jeweils in eigenen Unterabschnitten geregelt. Dagegen weist die Stellung des § 101 SGB VI mit der amtlichen Überschrift „Beginn und Änderung in Sonderfällen” in dem Unterabschnitt über den „Beginn, die Änderung und das Ende von Renten” deutlich darauf hin, daß nach dem SGB VI der Beginn der befristeten BU/EU-Rente lediglich als Sonderfall gegenüber den allgemeinen Regelungen über den Rentenbeginn anzusehen ist und daß demnach – soweit in § 101 SGB VI keine entgegenstehenden Bestimmungen getroffen sind – die allgemeinen Vorschriften über den Rentenbeginn heranzuziehen sind. Damit ist – anders als seinerzeit betreffend § 1276 und § 1290 RVO – das Verhältnis zwischen § 99 Abs 1 SGB VI als Grundnorm und § 101 Abs 1 SGB VI als Ausnahmevorschrift eindeutig geklärt. Dies schließt eine Auslegung iS der früher zum Recht der RVO ergangenen Rechtsprechung aus.
Das vom LSG für die gegenteilige Auffassung angeführte Argument, es sei nicht sinnvoll, wenn ein Rentenantrag vom Versicherten schon gestellt werden müsse, obwohl noch keine Rentenzahlung erfolgen könne (so auch Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der RV, § 101 SGB VI RdNr 7), kann angesichts der jetzigen klaren gesetzlichen Regelung nicht mehr durchgreifen. Diese Argumentation unterstellt indirekt, bei der Rentenantragstellung könne von dem Versicherten im Regelfall bereits zwischen einem Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Dauer und einem solchen Antrag auf befristete Rentenzahlung unterschieden werden. Eine solche Betrachtungsweise erscheint indes wenig praxisgerecht; denn die Versicherten stellen ihre Anträge dann, wenn sie meinen, daß sie berufs- oder erwerbsunfähig sind, und zwar ohne Rücksicht auf einen möglichen Dauer- oder Zeitrentenbezug (vgl etwa Tannen, DRV 1967, 170, 171; ebenfalls kritisch zu dem Urteil des BSG vom 14. Dezember 1966: Trolldenier, SozVers 1973, 289, 290). Darüber hinaus verpflichtet die Antragstellung den Rentenversicherungsträger – unabhängig von Dauer- oder Zeitrentengewährung – zunächst zu der Feststellung, ob und ggfs wann der Versicherungsfall der BU oder EU eingetreten ist. Erst wenn diese Entscheidung getroffen ist, kann eine Prognose gestellt werden, ob mit einer Behebung der Leistungsminderung zu rechnen ist. Insofern erscheint es auch für die Frage einer befristeten Rente durchaus sinnvoll, den Rentenantrag alsbald nach Eintritt der vermuteten Erwerbsminderung zu stellen. Schließlich kann schon aufgrund der in der Regel umfangreichen notwendigen Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Versicherten nicht in allen Fällen bereits innerhalb der ersten sechs Monate nach Rentenantragstellung über eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entschieden werden, so daß der Rentenbeginn – unabhängig von Dauer- oder Zeitrentengewährung – nicht selten auf einen früheren Zeitpunkt als den tatsächlichen Zahlungsbeginn der Rente festgesetzt wird.
Wenn das LSG betont, es bestehe kein zwingender Grund, in Fällen einer befristeten Rente einen im achten oder neunten Kalendermonat nach Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen gestellten Antrag als „nicht rechtzeitig” zu werten und die Rentenleistungen für ein oder zwei Monate ab Beginn des siebten Kalendermonats zu versagen, so ist auch dieses Argument nicht geeignet, das an Wortlaut und Systematik des Gesetzes orientierte Ergebnis in Frage zu stellen. Wie ausgeführt, kann dem Versicherten durchaus zugemutet werden, im Fall vermeintlicher wesentlicher Erwerbsminderung zeitgerecht einen Rentenantrag zu stellen. Außerdem erscheint es kaum sachgerecht, bei einer Antragstellung im achten oder neunten Monat nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen bei Gewährung einer Dauerrente für den Rentenbeginn auf den Antragsmonat abzustellen, bei Gewährung einer befristeten Rente jedoch eine Vorverlegung des Rentenbeginns um ggf mehrere Monaten zu ermöglichen.
Soweit sich das BSG in seinem Urteil vom 14. Dezember 1966 – 12 RJ 56/63 – bezüglich der von ihm vorgenommenen Auslegung der §§ 1276, 1290 RVO darauf gestützt hat, eine andere Auslegung führe zu einem unbilligen Ergebnis, weil der Versicherte uU für mehrere Tage um die Rente gebracht werde, wenn der Ablauf der 26. Woche in die letzten Tage eines Monats falle und der Rentenantrag nicht mehr im Laufe dieses Monats gestellt werde, so ist dieses Argument mit Inkrafttreten des SGB VI schon deshalb obsolet geworden, weil nach § 101 Abs 1 SGB VI die befristete Rente ohnehin frühestens zum Monatsbeginn (siebter Kalendermonat) zu erbringen ist (Stix, MittLVA Oberfr 1991, 45, 51; so auch Niesel in Kasseler Komm, § 101 SGB VI RdNr 6). Damit kann die vom BSG in dem Urteil vom 14. Dezember 1966, aaO, erwähnte und seinerzeit als unbillig beschriebene Konstellation nicht mehr eintreten.
Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet das vorstehend Ausgeführte: Da der Beigeladene den Rentenantrag nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt hatte, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren (also nicht bis zum 30. April 1992), sondern erst am 16. September 1992, war die Rente von der Beklagten – wie geschehen – erst ab 1. September 1992 zu leisten. Konsequenz hieraus ist, daß der Bewilligungsbescheid vom 12. November 1992 rechtmäßig ist und der Klägerin gegen die Beklagte für den Monat August 1992 ein Erstattungsanspruch nicht zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Hierbei ist vom Senat berücksichtigt worden, daß sich der Beigeladene an dem Rechtsstreit nicht beteiligt und insbesondere keine Anträge gestellt hat.
Fundstellen
BSGE 82, 226 |
BSGE, 226 |
NZS 1999, 191 |
SozR 3-2600 § 99, Nr.2 |
SozSi 1999, 228 |