Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 20.09.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 1989 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1924 geborene Kläger war nach dem Krieg als selbständiger Landwirt tätig. Seit 1956 war er bei der Deutschen Bundespost – zunächst neben dem Betrieb seiner Landwirtschaft – als Posthalter und Landzusteller beschäftigt. 1969 wurde er als vollzeitbeschäftigter Paket- und Landzusteller mit Führerschein Klasse 3 übernommen. Seine tägliche Fahrstrecke betrug zwischen 60 und 70 km. Er wurde nach der Lohngruppe II des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost entlohnt. Im April 1970 bestand er nach Teilnahme an einem sechswöchigen Lehrgang die Prüfung für den einfachen Postdienst. Im Jahre 1971 wurde der Kläger unter Beibehaltung seiner bisherigen Tätigkeit in das Beamtenverhältnis berufen. Er wurde zunächst nach der Besoldungsgruppe A 2 und seit 1973 nach seiner Beförderung zum Posthauptschaffner nach Besoldungsgruppe A 4 besoldet. Zum 31. Dezember 1980 wurde der Kläger nach vorangegangener postärztlicher Untersuchung in den Ruhestand versetzt.
Ein 1980 gestellter Rentenantrag war erfolglos. Am 8. Juni 1984 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Versichertenrente. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 4. September 1984). Die Klage und Berufung waren erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Darmstadt ≪SG≫ vom 22. Oktober 1986 und des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 20. September 1989). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, daß der Kläger noch vollschichtig leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten könne. Eine Erkrankung auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet liege nicht vor. Eine Leistungseinschränkung ergebe sich insoweit lediglich, als dem Kläger eine Tätigkeit, die die dienstliche Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr erfordert, nicht mehr zugemutet werden sollte. Eine Tätigkeit als Kraftfahrer komme nicht in Betracht. Der Kläger sei kein Facharbeiter, sondern angelernter Arbeiter. Zum Zeitpunkt seiner Übernahme in das Beamtenverhältnis habe der Kläger nicht in vollem Umfang die Kenntnisse und Fähigkeiten, die etwa einer Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb entsprechen würden, besessen. Zwar besitze der Kläger die rein postalischen Kenntnisse und Fähigkeiten einer solchen Dienstleistungsfachkraft. Dagegen fehle ihm das durch die Berufsschule vermittelte Wissen. Als Angelernter im oberen Bereich könne der Kläger angesehen werden, da er eine Tätigkeit ausgeübt habe, die das Bundessozialgericht (BSG) als solche eines Beamtendiensttuers umschrieben habe (Bezug auf BSG-Urteil vom 28. November 1985 – 4a RJ 51/84 –). Der Kläger könne – wie sich aus einer berufskundlichen Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 18. Juli 1989 ergebe – noch als Bürobote/Mitarbeiter in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde sowie als Registraturhilfskraft arbeiten. Er könne als Pförtner/Tagespförtner, Kontrolleur, Warenprüfer oder Endproduktprüfer in der Metallwaren- oder Elektroindustrie arbeiten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.
Der Kläger macht eine Verletzung des § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geltend. Er beruft sich darauf, daß der Senat wiederholt entschieden habe, daß ein in die Lohngruppe II eingestufter Bediensteter der Deutschen Bundespost hinsichtlich des von ihm ausgeübten bisherigen Berufs als Facharbeiter bewertet werden müsse. Das habe das LSG nicht beachtet. Das LSG habe auch keine einem Facharbeiter zumutbaren Verweisungstätigkeiten benannt.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Darmstadt vom 22. Oktober 1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. September 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Juni 1984 durch einen neuen Bescheid Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu bewilligen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, daß sie es für unbefriedigend halte, die Frage des Facharbeiterstatus von beruflichen Tätigkeiten, die keine anerkannten Ausbildungsberufe sind, starr aufgrund der tariflichen Einstufung zu beantworten. Der Postzusteller werde dadurch im Vergleich zu anerkannten Ausbildungsberufen, die wegen der Kürze ihrer Ausbildungsdauer lediglich als Anlernberufe qualifiziert werden, ohne überzeugende Rechtfertigung bevorzugt. Der Postzusteller sei aber auch seit Geltung der Verordnung über die Ausbildung zur Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb vom 28. Februar 1979 (BGBl I, 242) an diesem Beruf zu messen. Der Kläger sei aber auch dann, wenn man ihn als Facharbeiter ansehe, nicht berufsunfähig. Er habe die postalischen Kenntnisse einer Dienstleistungsfachkraft. Es sei nicht ersichtlich, warum er nicht im Innendienst der Post entsprechende Tätigkeiten verrichten könne. Die Tätigkeiten als Bürobote/ Mitarbeiter in der Poststelle einer Behörde oder als Registraturkraft seien in die Vergütungsgruppe VIII des BAT eingruppiert. Die Verweisungstätigkeiten nach BAT IXb bzw VIII entsprechen der Besoldungsgruppe A 4 bzw A 5. Diese Tätigkeiten seien damit höher eingestuft als die Tätigkeit, die der Kläger 1971 übernommen hatte.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS seines Hilfsantrages begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, und der Rechtsstreit muß an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das LSG hat bei seiner Entscheidung § 1246 RVO verletzt. Der Kläger ist als Postzusteller beschäftigt gewesen und als solcher in die Tarifgruppe 2 des Lohntarifvertrages der Deutschen Bundespost eingestuft gewesen. Dies ist eine Lohngruppe, in die im wesentlichen Facharbeiter eingruppiert sind. Der erkennende Senat hat deshalb zur Einstufung von Post(brief)zustellern im Rahmen des vom BSG in ständiger Rechtsprechung entwickelten und angewandten Mehrstufenschemas bereits in mehreren Urteilen entschieden, daß der Postzusteller wegen seiner tariflichen Einstufung in die Gruppe einzuordnen ist, die durch den Leitberuf des Facharbeiters charakterisiert ist (vgl Urteile vom 1. Dezember 1983 und 3. Oktober 1984 – 5b RJ 114/82; 5b RJ 20/84; 5 RJ 28/84 = SozR 2200 § 1246 Nrn 111, 122, 123). Er hat diese Rechtsprechung noch mit Urteil vom 27. Februar 1990 (5 RJ 12/88) bestätigt. Er sieht auch weiterhin keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der Senat hat seine Rechtsprechung zur Bedeutung der tarifvertraglichen Einstufung einer Berufstätigkeit mit Urteilen vom 14. Mai 1991 (5 RJ 82/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen – und 5 RJ 59/90) bestätigt. Die von der Beklagten gegen diese Rechtsprechung geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch. Es ist gerade der Sinn der vom Senat entwickelten Rechtsprechung, der Bewertung der Tarifvertragsparteien für die Bedeutung einer Berufstätigkeit den Vorrang gegenüber den allein an der Ausbildungsdauer für eine Berufstätigkeit orientierten Bewertung einzuräumen.
Das LSG hat bisher keine Feststellungen dazu getroffen, ob die dem Kläger nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbaren Berufstätigkeiten auch dann zumutbar wären, wenn er aufgrund seiner zuletzt verrichteten Berufstätigkeit in die Berufsgruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters einzuordnen ist. Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch zu prüfen haben, ob der Kläger nicht noch als Postzusteller ohne Fahrtätigkeit oder als Dienstleistungsfachkraft im Postinnendienst tätig sein kann, wie die Beklagte vorträgt. Es wird darüber hinaus auch zu prüfen haben, ob die von ihm genannten oder andere Berufstätigkeiten deshalb zumutbar sind, weil sie tarifvertraglich wie Anlerntätigkeiten eingestuft sind.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen