Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1989 abgeändert.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17. Dezember 1987 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Vormerkung von Kindererziehungszeiten.
Die 1924 geborene Klägerin ist Verfolgte iS von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie ist nach ihren Angaben 1939 aus Verfolgungsgründen aus Deutschland ausgewandert, ohne zuvor oder später in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein. Sie hat in Schweden in den Jahren 1945, 1950 und 1962 ihre drei Kinder geboren und dort erzogen. Ihren Antrag auf Vormerkung von Kindererziehungszeiten für die Erziehung dieser drei Kinder lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 3. September 1986). Den Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. März 1987). Die Klage, mit der die Klägerin geltend machte, daß jedenfalls bei ihr als Verfolgte auch für die im Ausland geborenen und erzogenen Kinder Kindererziehungszeiten anzurechnen seien, hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 17. Dezember 1987).
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, eine Kindererziehungszeit für das 1945 geborene Kind W. … anzuerkennen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen (Urteil vom 23. Mai 1989). Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß Zeiten der Kindererziehung im Ausland nicht als Kindererziehungszeiten anerkannt werden könnten, es sei denn, es läge einer der – hier nicht gegebenen – Ausnahmefälle des § 1251a der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 1227a Abs 5 RVO oder des § 28b des Fremdrentengesetzes (FRG) vor. Auch bei Verfolgten, deren Kinder nach dem 31. Dezember 1949 im Ausland erzogen worden seien, könne eine Kindererziehungszeit nicht anerkannt werden. Soweit Verfolgte aber vor dem 1. Januar 1950 Kinder im Ausland erzogen hätten, sei eine planwidrige Gesetzeslücke anzunehmen. Da der Gesetzgeber gem § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO die Verfolgungsbedingtheit eines Auslandsaufenthaltes erst mit dem 31. Dezember 1949 als beendet ansehe, hätte er die Verfolgten im Hinblick auf die Verfolgung für Zeiten bis zum 31. Dezember 1949 so stellen müssen, als hätten sie ihre Kinder im Inland erzogen.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten.
Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. März 1987 zu verurteilen, auch für die 1950 und 1962 geborenen Kinder I. … und J. … Kindererziehungszeiten vorzumerken und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1989 aufzuheben und die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Beklagte rügt die Verletzung des § 1251a RVO.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist jedenfalls unbegründet, die der Beklagten begründet.
Nicht nur für die 1950 und 1962 geborenen Kinder, sondern auch für das 1945 geborene Kind hat die Beklagte zu Recht die Vormerkung von Kindererziehungszeiten als Versicherungszeiten abgelehnt. Das Urteil des LSG kann, soweit es die Beklagte verurteilt hat, eine Kindererziehungszeit für das 1945 geborene Kind vorzumerken, keinen Bestand haben.
Nach § 1250 Abs 1 Nr 3 iVm § 1251a Abs 1 RVO sind Versicherungszeiten die ersten 12 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes, wenn das Kind im Geltungsbereich der RVO erzogen worden ist und die Mutter oder der Vater sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben (Kindererziehungszeiten). Diese Voraussetzungen sind auch für das im Jahre 1945 geborene und erzogene Kind W. … nicht erfüllt, denn die Klägerin hat dieses wie alle ihre Kinder in Schweden geboren und erzogen. Die Kindererziehungszeiten für dieses Kind können auch weder nach § 1251a Abs 1a RVO (idF des Art 6 Nr 18 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung -RRG 1992- vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261 –) noch nach dem gem § 1251a Abs 3 RVO entsprechend anzuwendenden § 1227a Abs 5 RVO noch nach § 28b FRG angerechnet werden. Die Klägerin hat ihre Kinder weder in den in § 1251a Abs 1a RVO noch in den in § 28b FRG genannten Gebieten erzogen noch war während der Erziehung ein Entsendungstatbestand iS des § 1227a Abs 5 RVO erfüllt.
Die Kindererziehungszeiten sind auch nicht nach den Vorschriften des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über Soziale Sicherheit (Deutsch-Schwedisches SozVersAbk) vom 27. Februar 1976 (BGBl II 1977 S 665) anzuerkennen. Das Abkommen enthält keine besonderen Regelungen über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten. In Art 4 Abs 2 des Abkommens ist lediglich die Gebietsgleichstellung für deutsche und schwedische Staatsangehörige vereinbart. Aus dieser Regelung ist eine Gleichstellung der Kindererziehungszeiten in Deutschland und Schweden nicht herzuleiten. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) auch bereits zu der entsprechenden Gebietsgleichstellungsvorschrift in Art 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über Soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976 (BGBl II S 1358) mit Urteil vom 12. Juli 1988 (4/11a RA 36/87, BSGE 63, 282 = BSG SozR 2200 § 1251a Nr 2) entschieden.
Weder für die bis 1949 noch nach 1949 von einer Verfolgten im Ausland geborenen und erzogenen Kinder liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor, soweit allein wegen der Auslandserziehung eine Kindererziehungszeit nicht angerechnet wird. Auch verstößt diese gesetzliche Regelung nicht gegen höherrangiges Recht. Bereits mit dem og Urteil vom 12. Juli 1988 hat das BSG entschieden, daß jedenfalls für Kinder, die von Verfolgten seit 1950 im Ausland erzogen worden sind, keine Kindererziehungszeiten anzurechnen sind und insoweit keine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Mit dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 30. Oktober 1990 (4 RA 44/89) hat der 4. Senat des BSG nunmehr auch entschieden, daß der Ausschluß der Anerkennung einer Leistung für Kindererziehung bei Auslandsgeburten nach Art 2 § 61a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) = Art 2 § 62 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) jeweils idF des Gesetzes über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 (KLG) vom 12. Juli 1987 (BGBl I S 1585) rechtmäßig ist und daß dies auch gilt, soweit davon Verfolgte betroffen sind, die ihr Kind bis 1949 während ihres gewöhnlichen Aufenthaltes im Ausland geboren haben. Der Senat schließt sich diesen Entscheidungen des BSG an. Die Gründe, mit denen das BSG den Ausschluß der Leistungen für Kindererziehung für dem Gesetz entsprechend und nicht gegen höherrangige Norm verstoßend erklärt hat, treffen nach Überzeugung des Senats auch für die Fälle zu, in denen Verfolgte, die nach 1920 geboren sind, ihre Kinder während ihres verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts vor dem Jahre 1950 im Ausland erzogen haben.
Eine unterschiedliche Auslegung von Art 2 § 62 ArVNG und § 1251a RVO ist insbesondere nicht etwa deshalb geboten, weil in der erstgenannten Vorschrift nur auf die Inlandsgeburt, in § 1251a RVO aber auf die Inlandserziehung abgestellt wird. Auch die Erziehung ist ein zusätzlich qualifizierendes Tatbestandsmerkmal neben dem Inlandsaufenthalt. Nur bezüglich des reinen Aufenthaltes kommt aber bei Verfolgten eine Gleichstellung von In- und Auslandsaufenthalt in Betracht.
Eine planwidrige, dem Gesetzgeber nicht bewußte Lücke, soweit Kindererziehungszeiten von Verfolgten während des Auslandsaufenthalts und der Auslandserziehung nicht angerechnet werden, muß dabei nunmehr nicht nur aus den in der Entscheidung des BSG vom 12. Juli 1988 aaO genannten Gründen verneint werden. Die Frage, ob bei Verfolgten, die ihr Kind im Ausland geboren und erzogen haben, Kindererziehungszeiten nicht anzuerkennen seien, ist bereits im Jahre 1987 Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage und Erörterung gewesen (vgl die bereits vom SG erwähnte BT-Drucks 11/758 S 9). Der Gesetzgeber hat gleichwohl anläßlich der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung durch das RRG 1992 nicht nur in § 56 des Sozialgesetzbuches – 6. Buch – (SGB VI) eine den §§ 1251a und 1227a RVO genau entsprechende Regelung wiederum getroffen, sondern auch § 1251a RVO geändert, ohne die von der Klägerin und vom LSG angenommene planwidrige Gesetzeslüke zu schließen.
§ 1251a RVO verstößt in dieser Auslegung auch nicht gegen höherrangiges Recht. Es sind keine Rechtsvorschriften erkennbar, die den Gesetzgeber zwingen würden, bei Verfolgten die Zeiten der Kindererziehung im Ausland den Zeiten der Kindererziehung im Inland oder in den in § 1251a Abs 1a RVO oder § 28b FRG genannten Gebieten gleichzustellen. Die Anerkennung einer Kindererziehungszeit soll, wie die Beklagte zu Recht vorträgt, die Einbuße ausgleichen, die Mütter und Väter während der Zeit der Kindererziehung in der Sozialversicherung haben können. Dies geschieht durch Anerkennung von einer zur Zeit einjährigen Versicherungszeit. Die Schäden, die Verfolgte wegen der Verfolgung in der Sozialversicherung haben, werden dagegen einerseits durch die Regelungen des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S 1846) und andererseits, soweit ein Auslandsaufenthalt verfolgungsbedingt ist, durch die Anerkennung von Ersatzzeiten in § 1251 Abs 1 RVO entschädigt. Ersatzzeiten können bei der Klägerin allerdings nicht angerechnet werden, weil sie die für die Anrechnung nach § 1251 Abs 2 RVO erforderlichen Versicherungszeiten vor oder nach der Ersatzzeit nicht zurückgelegt hat. Die Vorschrift ist auch verfassungsgemäß, soweit sie die Anrechnung der Ersatzzeit des Auslandsaufenthaltes bei Verfolgten von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig macht, wie das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 17. Januar 1979 (1 BvR 446/77, 1174/77 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8) entschieden hat.
Eine Verpflichtung zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Ausland für Verfolgte ergibt sich auch nicht aus dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) vom 26. Mai 1952 (BGBl II 1954 S 157 ff und 1955 S 405 ff). Im 4. Teil dieses Vertrages hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, Verfolgte wie die Klägerin angemessen zu entschädigen. Eine Verpflichtung zur Gleichstellung von Tatbeständen, die im Inland anspruchserfüllend sind, mit solchen Tatbeständen, die bei Verfolgten während eines verfolgungsbedingten Aufenthaltes im Ausland dort eingetreten sind, ergibt sich aber aus diesem Vertrag nicht. Eine solche Verpflichtung ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Protokoll Nr 1, aufgesetzt von Vertretern der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Conference on Jewish Material Claims against Germany (Haager Protokoll) vom 10. September 1952. In Nr 18 dieses Protokolls ist festgehalten, daß innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik lebende Berechtigte entschädigungsrechtlich gleichbehandelt werden. Diese Gleichbehandlung kann sich aber nur auf den bloßen Aufenthalt beziehen. Wenn neben dem Aufenthalt ein zusätzliches qualifizierendes Merkmal wie die Erziehung eines Kindes zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung gehört, so widerspricht eine Differenzierung danach, ob dies im Inland oder Ausland geschehen ist, nicht dem Haager Protokoll. Ob und in welchem Umfang dieses Protokoll überhaupt für den Gesetzgeber unmittelbar verbindlich ist, kann dabei offenbleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen