Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblicher Sachverhalt bei der Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten
Leitsatz (amtlich)
Für die Entscheidung über den Widerspruch gegen die Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten ist der der Kündigung zugrundeliegende historische Sachverhalt maßgebend.
Orientierungssatz
1. Dies schließt es aus, Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, die erst nach der Kündigung eingetreten sind und nicht zu dem dieser zugrundeliegenden Sachverhalt gehören (so auch OVG Berlin, Urteil vom 6. Juni 1968 - VI B 8.67 - (FEVS 16, 368)). Anderenfalls würde die Widerspruchsbehörde die Zustimmung zu einer Kündigung bestätigen oder versagen, die so nicht ausgesprochen worden ist.
2. Der Rechtsschutz des Schwerbehinderten wird nicht geschmälert, wenn für die Widerspruchsentscheidung über die gem SchwbG §§ 12, 14 erteilte Zustimmung nur der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt bedeutsam ist. Für alle Schwerbehinderte gilt das in gleicher Weise.
Verfahrensgang
Gründe
Der Beigeladene ist Schwerbehinderter und seit dem Jahr 1977 bei der Klägerin beschäftigt. Die Hauptfürsorgestelle erteilte die von der Klägerin beantragte Zustimmung zu seiner Kündigung, welche die Klägerin daraufhin aussprach. Der beklagte Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle gab dem Widerspruch des Beigeladenen statt und versagte die Zustimmung. Das Verwaltungsgericht hat den Widerspruchsbescheid aufgehoben; die Berufung des Beigeladenen ist ohne Erfolg geblieben.
Die Beschwerde des B e i g e l a d e n e n gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Die Sache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeschrift ergibt sich nicht, daß ein künftiges Revisionsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen mit über den Einzelfall hinausreichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts höchstrichterlicher Klärung bedürfen (vgl. u.a. BVerwGE 13, 90 (91 f.)).
Die dem Beschwerdevorbringen zu entnehmende Frage, ob für die Entscheidung des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle über die von der Hauptfürsorgestelle erteilte Zustimmung zu – inzwischen ausgesprochenen – Kündigung eines Schwerbehinderten die Sachlage im Zeitpunkt der Kündigung maßgebend ist oder nicht vielmehr jene zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides, erfordert die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht. Aus dem Prozeßrecht ergibt sich kein Grundsatz des Inhalts, daß es im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt – wie im vorliegenden Fall – stets auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt. Der maßgebliche Zeitpunkt richtet sich vielmehr nach dem dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden materiellen Recht (vgl. u.a. Urteile vom 14. Februar 1975 - BVerwG 4 C 21.74 - (DVBl. 1975, 713 (714)), vom 25. November 1981 - BVerwG 8 C 14.81 - (Buchholz 406.11 § 132 BBauG Nr. 35), vom 15. Februar 1985 - BVerwG 4 C 42.81 - (Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 65) und vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 87.88 - (Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 218); Beschluß vom 21. Dezember 1989 - BVerwG 7 B 21.89 - (Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 214)). Hiernach ist der der Kündigung zugrundeliegende historische Sachverhalt für die Entscheidung über den Widerspruch gegen die Zustimmungsentscheidung der Hauptfürsorgestelle maßgebend.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch Kündigung des Arbeitgebers allein von diesem bewirkt. Die gemäß § 12 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz – SchwbG –) in der hier noch anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I S. 1649; vgl. nunmehr § 15 SchwbG in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421)) erforderliche vorherige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung eines Schwerbehinderten ist eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für diese rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung, erschöpft sich aber auch darin. Die Hauptfürsorgestelle – und ggf. auch der Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle – haben (Sonder-)Kündigungsschutz zu gewähren (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 SchwbG), d.h. die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe mit den Schutzinteressen des behinderten Arbeitnehmers abzuwägen (vgl. u.a. BVerwGE 48, 264 (266 f.); 81, 84 (92 f.)). Dies schließt es aus, Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, die erst nach der Kündigung eingetreten sind und nicht zu dem dieser zugrundeliegenden Sachverhalt gehören (so auch OVG Berlin, Urteil vom 6. Juni 1968 - VI B 8.67 - (FEVS 16, 368)). Anderenfalls würde die Widerspruchsbehörde die Zustimmung zu einer Kündigung bestätigen oder versagen, die so nicht ausgesprochen worden ist.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht daraus, „daß es vorliegend um eine Verknüpfung verwaltungsrechtlicher Prinzipien mit arbeitsrechtlichen Grundsätzen geht” und ein Widerspruch zu arbeitsrechtlichen Grundsätzen und zur Rechtsprechung der Arbeitsgerichte besteht. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung ihr Zugang beim Gekündigten. Erst nach dem Zugang der Kündigung eingetretene weitere Umstände, die sich auf die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes auswirken können, dürfen nicht berücksichtigt werden (vgl. u.a. BAG, Urteile vom 15. August 1984 - 76 AZR 536/82 - (NJW 1985, 2783), vom 19. Mai 1988 - 2 AZR 596/87 - (NZA 1989, 461 (463)) und vom 6. September 1989 - 2 AZR 118/89 - (NJW 1990, 2341)). Die Frage, ob entgegen der Auffassung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 15. August 1984 - 7 AZR 536/82 - (a.a.O.)) die spätere tatsächliche Entwicklung einer Krankheit – ohne einen erst nach dem Zugang der Kündigung in Gang gesetzten neuen Kausalverlauf – zur Bestätigung oder Korrektur einer mehr oder weniger unsicheren Prognose herangezogen werden darf (offengelassen vom 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts u.a. im Urteil vom 6. September 1989 - 2 AZR 118/89 - (a.a.O.)), stellt sich aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen, das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) nicht.
Die Beschwerde des B e k l a g t e n kann ebenfalls keinen Erfolg haben. Die von ihm formulierte Frage, ob „die Entscheidung des Widerspruchsausschusses der Hauptfürsorgestelle im Verfahren gemäß § 40 SchwbG über den Widerspruch gegen eine Zustimmung zu einer Kündigung auf Tatsachen gestützt werden” darf, „die zeitlich nach dem Ausspruch der Kündigung im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens entstanden sind” ist aus den angeführten Gründen nicht rechtsgrundsätzlicher Art. Der geltend gemachte Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich. Der Rechtsschutz des Schwerbehinderten wird nicht geschmälert, wenn für die Widerspruchsentscheidung über die gemäß §§ 12, 14 SchwbG erteilte Zustimmung nur der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt bedeutsam ist. Für alle Schwerbehinderte gilt das in gleicher Weise.
Fundstellen
BB 1991, 1121-1122 (LT) |
Buchholz 436.61 § 12 SchwbG, Nr 3 (S,LT) |
NZA 1991, 511-512 (LT) |
RzK IV 8a, Nr 22 (LT) |
AuA 1991, 346 (LT) |
EzA § 15 SchwbG 1986, Nr 4 (LT) |
ZfSH/SGB 1991, 311-312 (LT) |
ZfS 1991, 243-244 (LT) |
br 1991, 113-114 (LT) |