Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufenthaltsrecht der Studenten. Nationale Gesetzgebung, die nur Inländern, den nach der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Berechtigten, Staatenlosen und Flüchtlingen die Gewährung des Existenzminimums (‚Minimex’) garantiert. Ausländischer Student, der während der ersten Studienjahre für seinen Unterhalt selbst aufgekommen ist
Normenkette
EG Art. 12, 17-18; Richtlinie 93/96/EWG
Beteiligte
Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve |
Tenor
Mit den Artikeln 6 und 8 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 17 EG) ist es nicht vereinbar, dass die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung wie des Existenzminimums nach Artikel 1 des belgischen Gesetzes vom 7. August 1974 bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten, von der Voraussetzung abhängt, dass sie in den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft fallen, während für die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats eine derartige Voraussetzung nicht gilt.
Tatbestand
In der Rechtssache C-184/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunal du travail Nivelles (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Rudy Grzelczyk
gegen
Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 6, 8 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 17 EG und 18 EG) sowie der Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten (ABl. L 317, S. 59)
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann, M. Wathelet und V. Skouris sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter), P. Jann, L. Sevón, R. Schintgen und der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: S. Alber
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Abteilungsleiterin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- des Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve, vertreten durch B. Liétar, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigte im Beistand von C. Doutrelepont und M. Uyttendaele, avocats,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger und C. Bergeot als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und A. C. Pedroso als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von P. Sales und J. Coppel, Barristers,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch E. Karlsson und F. Anton als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. van Nuffel als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der belgischen Regierung, vertreten durch C. Doutrelepont, der französischen Regierung, vertreten durch C. Bergeot, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Parker, QC, des Rates, vertreten durch E. Karlsson, und der Kommission, vertreten durch M. Wolfcarius und D. Martin als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 20. Juni 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. September 2000,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Das Tribunal du travail Nivelles hat mit Urteil vom 7. Mai 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 1999, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 6, 8 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 17 EG und 18 EG) sowie der Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten (ABl. L 317, S. 59) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Grzelczyk und dem Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve (im Folgenden: CPAS) über die Entscheidung des CPAS, ihm nicht mehr das Existenzminimum (Minimex) zu gewähren.
Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag bestimmt:
Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
4.
Artikel 8 EG-Vertrag sieht vor:
(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt.
Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.
(2) Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten.
5.
Artikel 8a EG-Vertrag lautet:
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) Der Rat kann Vorschriften erlassen, mit denen die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 erleichtert wird; sofern in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, beschließt er einstimmig ...