Verfahrensgang

ArbG Reutlingen (Urteil vom 30.10.1995; Aktenzeichen 6 Ca 175/95)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 30. Oktober 1995 – Az.: 6 Ca 175/95 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der aus betriebsbedingten Gründen mit Schreiben vom 07. April zum 31. Mai 1995 erklärten Kündigung.

Die am 27. Oktober 1964 geborene Klägerin ist Mutter eines Kindes, welches sie allein erzieht. Sie lebt in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 21. Januar 1991 (Bl. 4 d. A.) ist sie ab diesem Tag als Näherin für eine Beschäftigung in der Filiale … in die Dienste der Beklagten, die in ihrem Hauptbetrieb in … 117 Näherinnen und in der Filiale … 127 Näherinnen beschäftigt, getreten. Die Klägerin arbeitete in der Regel im Ackord und wurde als Springerin an vier verschiedenen Maschinen eingesetzt. Zuletzt erzielte sie eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von DM 3.500,–. Gemeinsam für den Hauptbetrieb und die Filiale … ist ein Betriebsrat gebildet worden.

Bei der Tochtergesellschaft der Beklagten in Portugal werden 195 Näherinnen beschäftigt. Eine weitere Tochtergesellschaft ist im Jahre 1994 in Rumänien errichtet worden. Dort waren bis zum Ende des Jahres 1994 50 Näherinnen beschäftigt. Im Verlaufe des Jahres 1995 sollte dieser Betrieb auf 120 Näherinnen erweitert werden. In den in- wie in den ausländischen Betrieben wird Damen- und Kinderwäsche hergestellt. Bevor die Klägerin in die Dienste der Beklagten getreten ist, war sie in der Zeit vom 13. Juni 1988 bis 18. Januar 1991 als Besetzerin und Spitzennäherin bei einer anderen Arbeitgeberin beschäftigt.

Im Monat März 1995 faßte die Beklagte den Entschluß, die gesamte Produktion Schritt für Schritt in die ausländischen Betriebsstätten zu verlagern. In Deutschland sollen nur noch Muster, Mustervervielfältigungen und solche modische Ware konfektioniert werden, die entweder vom Schwierigkeitsgrad her oder aufgrund der gesetzten Liefertermine nicht im Ausland produziert werden können. Während bislang in Deutschland rund 40 % und im Ausland rund 60 % der von der Beklagten hergestellten und vertriebenen Teile konfektioniert wurden, sollen schon im Jahre 1995 nur 16 % aller Teile in Deutschland hergestellt werden.

Am 05. April 1995 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Wegen weiterer Produktionsverlagerungen ins Ausland sollten Nähkapazitäten abgebaut und die Produktionskapazität auf die verbleibenden Arbeitsplätze verteilt werden. Die Betriebseinschränkung, von der 55 Personen betroffen sein sollten, sollte bis zum 31. März 1996 abgeschlossen sein. 35 Personen sollten unter Einhaltung der maßgebenden Kündigungsfristen sofort entlassen werden. Weitere 20 Personen sollten spätestens zum 31. Dezember 1995 gekündigt oder womöglich durch Arbeitszeitmodelle reduziert werden. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde im Rahmen des Personalabbaus am 07. April zum 31. Mai 1995 gekündigt. Ihr steht nach dem Sozialplan eine Abfindung in Höhe von DM 1.740,– zu.

Mit ihrer am 20. April 1995 zum Arbeitsgericht Reutlingen erhobenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Die wirtschaftlichen Verhältnisse würden einen weiteren Personalabbau nicht erzwingen. Ihr konkreter Arbeitsplatz falle nicht weg. Die Sozialauswahl sei nach ihrer Kenntnis nur dahin getroffen worden, daß möglichst wenig an Sozialabfindung gezahlt werden müsse. Wenn nötig, könnten Kolleginnen angegeben werden, die ledig bzw. verheiratet seien, deren Ehemänner aber ebenfalls arbeiteten. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats werde bestritten.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 07. April zum 31. Mai 1995 beendet worden ist.

Die Beklagte hat um die Abweisung der Klage gebeten und geltend gemacht, schwerpunktmäßig erfasse die Kapazitätsreduzierung aufgrund von Entlassungen die Arbeitsgänge Börtchen- und Spitzenannähen. Mit diesen sei die Klägerin beschäftigt gewesen. Wesentlich mehr würden für die modischen Artikel die Arbeitsgänge Unterschneiden, Besetzen, Pullern und Rohnähen benötigt. Die Gesamtkapazität für alle Arbeitsgänge habe sich im Jahre 1994 auf 13,2 Mio. Konfektionsminuten belaufen. Im Jahre 1995 werde die monatliche Gesamtkapazität 830.000 Konfektionsminuten betragen. Der Anteil der Arbeitsgänge Börtchen- und Spitzenannähen verringere sich von bislang 25 % auf 23 %, weil Standardartikel ins Ausland verlagert würden.

Für die Arbeitsgänge Spitzen- und Börtchenannähen verfüge sie, die Beklagte, über 29 Arbeitsplätze. Im Jahre 1994 habe sich deren Kapazität auf 3,3 Mio. Minuten entsprechend 55.000 Arbeitsstunden belaufen. Für das Jahr 1995 sei eine Kapaz...

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