Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsvereinbarung über Gleitzeitarbeit. Ansprüche von Betriebsrat und im Betrieb vertretener Gewerkschaft gegen den Arbeitgeber, die Leistung von Arbeitsstunden, die wegen Überschreitung des zulässigen Gleitzeitguthabens nicht zu vergüten sind, nicht zu dulden
Leitsatz (amtlich)
1. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Durchführung der getroffenen Vereinbarungen und die Unterlassung von betriebsvereinbarungswidrigen Maßnahmen verlangen.
2. Wird in einer Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit vereinbart, dass Vorgesetzter und Mitarbeiter die Arbeitszeit so zu planen und umzusetzen haben, dass am Ende des Ausgleichszeitraums ein bestimmter Höchstwert nicht überschritten wird, so begründet dies eine Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat, den Verfall von Arbeitszeitguthaben abzuwenden.
3. Wird in einer Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit ein täglicher Arbeitszeitrahmen vereinbart, so ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, Arbeiten außerhalb des Arbeitszeitrahmens zu unterbinden.
4. Werden maximal übertragbare Gleitzeitguthaben vereinbart, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber grundsätzlich verlangen, dass er keine Arbeitsleistungen entgegennimmt, die über die Gleitzeithöchstgrenze hinausgehen.
Normenkette
ArbZG § 3; BetrVG § 77 Abs. 1 S. 1, § 87 Abs. 1 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und der Gewerkschaft wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.07.01 – 6 BV 167/00 – teilweise wie folgt abgeändert:
1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, spätestens am 01. September eines jeden Jahres mit solchen Beschäftigten, für die das Arbeitszeitmodell „NEZE” gilt und deren Stundensaldo spätestens am 30. Juni des Ausgleichszeitraums mehr als 100 Stunden ausweist, den Zeitausgleich so zu planen und umzusetzen, dass am 30. September des entsprechenden Jahres ein Guthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird.
2. Der Arbeitgeberin wird untersagt, es zu dulden, dass Beschäftigte
- morgens vor 6:00 Uhr oder abends nach 19:00 Uhr arbeiten oder
ein Gleitzeitguthaben überschreiten
- im Rahmen des Arbeitszeitmodells „Classic” von 30 Stunden am Ende eines jeden Kalendermonats,
- im Rahmen des Arbeitszeitmodells „NEZE” von 100 Stunden am 30. September eines jeden Jahres, ohne dass der Betriebsrat der abweichenden Arbeitszeit vorher zugestimmt hat oder ohne dass seine Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
3. Verstößt die Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen aus Antrag Ziffer 2 wird ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht
- auf Antrag des Betriebsrats ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin,
- auf Antrag der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 EUR.
II. Im Übrigen werden die Beschwerden des Betriebsrats und der Gewerkschaft zurückgewiesen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird für alle Beteiligten zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um Ansprüche des Betriebsrats und der Gewerkschaft, die auf Betriebsvereinbarungen über gleitende Arbeitszeit gestützt werden.
Die Arbeitgeberin, ein führendes Unternehmen der Automobilindustrie, ist Mitglied in Südwestmetall, Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. Sie beschäftigt in ihrem Stuttgarter Betrieb Zentrale ca. 12.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (im Folgenden: Arbeitnehmer), darunter ca. 1.000 leitende Angestellte, die überwiegend administrative Aufgaben für die deutsche Unternehmensspitze der Arbeitgeberin erfüllen. Der antragstellende Betriebsrat ist der örtlich zuständige Betriebsrat für die Zentrale Stuttgart. Die antragstellende Gewerkschaft ist im Stuttgarter Betrieb der Arbeitgeberin vertreten.
Neben den tariflichen Arbeitszeitbestimmungen, die insbesondere im Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden enthalten sind, gelten im Betrieb die „Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit für die Zentrale Stuttgart der D. AG” (sogenannte Betriebsvereinbarung Classic, im Folgenden: BV Classic) und die ergänzende „Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Gleitenden Arbeitszeit (NEZE) in der Zentrale Stuttgart der D. AG” (sogenannte Betriebsvereinbarung NEZE, im Folgenden: BV NEZE) nebst Protokollnotiz, jeweils vom 01.10.1999. Diese Betriebsvereinbarungen enthalten folgende für das vorliegende Verfahren wesentliche Bestimmungen:
Betriebsvereinbarung Classic
Präambel
Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (nachfolgend „Mitarbeiter”) soll durch die gleitende Arbeitszeit die Möglichkeit gegeben werden, in dem vereinbarten Rahmen Beginn und Ende der Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Damit soll ein Beitrag zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit und zur besseren Abstimmung von betrieblichen und persönlichen Belangen geleistet werden.
…
2. Arbeitszeitdauer
Die individue...