Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßfähigkeit einer natürlichen Person
Orientierungssatz
Zweifel an der Prozeßfähigkeit wegen paranoider Psychose.
Normenkette
ZPO § 56
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 30.09.1987; Aktenzeichen 5 Sa 345/87) |
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 18.03.1987; Aktenzeichen 4b Ca 3053/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten mit deren Schreiben vom 9. Dezember 1986 ausgesprochene außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.
Die Beklagte betreibt eine Innungskrankenkasse und beschäftigt regelmäßig etwa 17 Arbeitnehmer. Die 1941 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit 1958 beschäftigt. Zuletzt war die Klägerin als Leiterin der Finanzbuchhaltung gegen ein Gehalt von 3.585,84 DM brutto im Monat bei der Beklagten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) anzuwenden.
Bereits im Jahre 1983 hatte die Beklagte der Klägerin außerordentlich gekündigt. Die Kündigung ist im wesentlichen darauf gestützt worden, die Klägerin habe Vorgesetzte und Kollegen mehrfach, z. T. massiv, beleidigt. Der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Lübeck stattgegeben (Urteil vom 29. August 1984 - 4b Ca 2608/83 -); die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 2. April 1985 - 6 Sa 553/84 -). Nach den in jenem Prozeß getroffenen gerichtlichen Feststellungen hatte die Klägerin zwar Kollegen und Vorgesetzte beleidigt, und zwar zum Teil massiv. Gleichwohl ist die Kündigung für unwirksam erachtet worden mit der zusammengefaßten Begründung, die Beleidigungen seien nach dem Gutachten und dem sachverständigen Zeugnis der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Lieselotte S darauf zurückzuführen gewesen, daß die Klägerin bei der Abgabe der Äußerungen an einer paranoiden Psychose erkrankt gewesen sei; es sei der Beklagten zuzumuten abzuwarten, ob sich derartige Störungen künftig wiederholten oder ob sie angesichts einer damaligen, mit vergleichsweise raschem Erfolg durchgeführten nervenärztlichen Behandlung der Klägerin unterblieben.
Gut sechs Monate nach Verkündung des Berufungsurteils im vorangegangenen Rechtsstreit äußerte die Klägerin ohne greifbare Veranlassung im Betrieb der Beklagten, sie werde gegen deren Geschäftsführer G Strafantrag stellen bzw. sie trage sich mit entsprechenden Gedanken. Die Beklagte erteilte der Klägerin deswegen eine schriftliche Abmahnung. Als der Klägerin die Abmahnung am 15. Oktober 1985 übergeben wurde, machte sie wirre und unverständliche Äußerungen. Am 29. Oktober 1985 sagte die Klägerin u.a.:
"... wenn im Fernsehen immer wieder Äußerungen
gemacht werden, die ich in W von mir
gegeben habe, und fremde Leute aus dem Rheinland
mich ansprechen "das ist sie" und von mir Auto-
gramme verlangen und auch Re bereits zu-
gegeben hat, daß ihr da alle mitmischt, dann
braucht ihr gar nicht so zu tun, als wenn ihr
von nichts wißt ..."
Seit dem 3. September 1986 war die Klägerin wegen eines Rückenleidens arbeitsunfähig krank. Am 17. November 1986 fragte die Beklagte bei der Klägerin telefonisch an, ob damit zu rechnen sei, daß jene krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit noch länger andauern werde. Am nächsten Vormittag (18. November 1986) erschien die Klägerin - nach Darstellung der Beklagten aufgebracht - in deren Geschäftsräumen. Sie soll dort - von der Klägerin bestritten - geäußert haben, sie wolle den Geschäftsführer der Beklagten vernichten und alle anderen Arbeitnehmer der Beklagten anzeigen. Über weitere Äußerungen der Klägerin bei dieser Gelegenheit fertigte ein anwesender Mitarbeiter der Beklagten folgendes schriftliches Gesprächsprotokoll, das auszugsweise lautet:
"Frau B fordert, wir mögen endlich dafür
sorgen, daß die Einladungen zur Verleihung des
Bundesverdienstkreuzes nachgeholt werden. Laufend
werden solche Dinger verliehen, nur sie erhält
nichts.
Frau B wird G vernichten. Er wird
seinen Posten bei der IKK verlieren. C
hat sich im Fernsehen schon für seine Äußerungen
entschuldigt. Frau B fordert ihre Rechte
und will die IKK-Mitarbeiter alle anzeigen. Sie
will endlich ihr Geld. Alle haben sie fürs Fern-
sehen aufgenommen bzw. für die Auskünfte Geld
erhalten, nur sie nicht.
Im Fernsehen stand auch, jeder Spitzel erhält
5.000,-- DM. Rene Kollo hat gesagt, wir sanieren die
Krankenkasse. Wir ist wir] Ich, ich habe indirekt
in 297 Filmen mitgespielt. Ich habe das sowieso
schon allen meinen alten Bekannten erzählt. Wahr-
scheinlich seid ihr schon angezeigt. Im Fernsehen
kam auch, daß vier Kommissare von Derrick ange-
zeigt worden sind. Da ist wohl auch G bei.
Ihr könnt mich nicht verkohlen, die im Fernsehen
stehen schon zu mir. Den Heiratsantrag hat mir
Richard C gemacht. Als Datum wurde der
02.09.1986 eingeblendet. Der Schmetterling am
Fenster von Herrn H war nur ein Intelligenz-
test. Das Spinnennetz und der Schmetterling waren
gestellt und sollten eine Anspielung sein.
C hat nämlich in Shogun auch der Madame
"Butterfly" einen Heiratsantrag gemacht.
Renate = "Blue Spanish Eyes" läßt sich so lange
krankschreiben, bis "Richard" mich gefunden hat.
Dann komme ich sowieso nicht wieder, weil er mich
dann heiratet. Eheversprechen ist Eheversprechen.
Wenn er mich nicht heiratet, dann kann ich auch
nichts machen. Ich habe aber noch mein Geld vom
Fernsehen zu kriegen, damit kann ich dann wohl
leben, das hat Fräulein N auch gesagt. Wenn
Geld nicht kommt, werde ich erst Euch alle ver-
klagen, da ihr sowieso die Finger dazwischen habt,
zusätzlich noch das Fernsehen. Das gibt den
Skandal des Jahrhunderts.
.....
In der Schwarzwaldklinik haben die alle meine
Krankheiten gezeigt.
In den "Dornenvögeln" wurde mein Leben verfilmt.
Am 31.08.1986 wurde im "NDR" gesagt, die Dornen-
vögel umkreisen uns. Da haben mich alle veräppelt,
daß er jetzt kommt.
.....
Sie Herr H haben beim Fernsehen angerufen und
darauf hingewiesen, daß Richard und ich die Spinne
und das Netz sind. Dann hat Freddy die Nachricht
übermittelt "Blue Spanish Eyes ist Waiting for
you"."
Die Beklagte versuchte bei dieser Gelegenheit vergebens, von der Klägerin die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu erfahren. Sie forderte die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 20. November 1986 auf, sich am Montag, dem 24. November 1986, zu einer amtsärztlichen Untersuchung im Gesundheitsamt einzufinden. Die Klägerin rief am 21. November 1986 bei der Beklagten an und äußerte, "die Vorladung zum Amtsarzt sei ja wohl der Gipfel; sie habe etwas mit dem Rücken und sonst nichts". Als ihr ihr Gesprächspartner am Telefon sagte, bei der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung handele es sich um eine Entscheidung der Selbstverwaltung, deren Nichtbeachtung für die Klägerin dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte, entgegnete die Klägerin, wie die Beklagte behauptet, in ungehaltenem Ton:
"Ich muß da nicht hin. Das sind dieselben
Machenschaften wie damals. Ich werde mich bei
der Gewerkschaft erkundigen und Euch dann alle
anzeigen ..."
sowie - ebenfalls von der Klägerin bestritten - "Typisch G und sein Vorstand; die gehören alle weg".
Unter Bezugnahme darauf, daß die Klägerin am Vortage nicht zur amtsärztlichen Untersuchung erschienen sei, forderte die Beklagte die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 25. November 1986 auf, nunmehr am 1. Dezember 1986 zur amtsärztlichen Untersuchung zu erscheinen. In jener Aufforderung wird auf verschiedene, aus der Sicht der Beklagten ungebührliche Äußerungen der Klägerin hingewiesen, aus denen sich der Verdacht ergebe, daß zusätzlich zu der Rückenerkrankung dieselben Symptome wie im Jahre 1983 vorlägen; die der Beklagten obliegende Sorgfaltspflicht gebiete es deshalb, feststellen zu lassen, ob die Klägerin in absehbarer Zeit körperlich und seelisch in der Lage sein werde, die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen oder ob gegebenenfalls weitere Behandlungsmaßnahmen erforderlich seien; darüber hinaus habe die Beklagte auch gegenüber den Arbeitskollegen der Klägerin die Verpflichtung, rechtzeitig für ordnungsgemäße Dienstabläufe zu sorgen.
Die Klägerin kam auch dieser Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung nicht nach. Die Beklagte forderte die Klägerin vergeblich auf, ihr bis zum 5. Dezember 1986 die Gründe für die Weigerung der Klägerin, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, mitzuteilen.
Nach vorheriger Anhörung des Personalobmannes kündigte die Beklagte der Klägerin mit ihrem Schreiben vom 9. Dezember 1986 fristlos.
Nachdem der Klägerin das Schreiben der Beklagten vom 9. Dezember 1986 am 11. Dezember 1986 zugestellt worden war, unterzog sich die Klägerin am 15. Dezember 1986 auf Anraten ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der amtsärztlichen Untersuchung beim Gesundheitsamt in O durch Dr. R. Am 18. Dezember 1986 ließ sie durch ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten die vorliegende Klage einreichen.
Die Klägerin hat bestritten, am 18. November 1986 geäußert zu haben, sie wolle den Geschäftsführer G vernichten und alle übrigen Mitarbeiter anzeigen. Auch die anderen in jenem Gesprächsprotokoll vom selben Tag festgehaltenen Äußerungen seien zum Teil gar nicht, zu einem weiteren Teil, insbesondere die hinsichtlich des Bundesverdienstkreuzes, in anderem Zusammenhang gefallen. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe sie auch nicht am 21. November 1986 erklärt, alle Mitarbeiter anzeigen zu wollen, oder geäußert "Typisch G und sein Vorstand, die gehören alle weg".
Von den ihr als ungebührlich vorgeworfenen Äußerungen dürften ohnehin nur diejenigen berücksichtigt werden, die der Beklagten innerhalb von zwei Wochen vor Zugang der streitbefangenen Kündigung bekanntgeworden seien. Die wenigen Äußerungen innerhalb jenes Zeitraumes könnten jedoch die Kündigung schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die im November 1986 geführten Gespräche allesamt lediglich privaten Charakter getragen und den Arbeitsfrieden in keiner Weise beeinträchtigt hätten. Nicht ihre Weigerung, sich der amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sei rechtswidrig gewesen, sondern die Aufforderung der Beklagten hierzu sei durch § 7 Abs. 2 BAT nicht gedeckt und deswegen rechtswidrig. Auf eine angeblich nicht wieder behebbare Dienstunfähigkeit könne sich die Beklagte nicht berufen. Vielmehr hätte die Beklagte im Rahmen der ihr obliegenden Fürsorgepflicht auf die in § 59 BAT vorgesehene Möglichkeit des vorzeitigen Bezuges von Rente hinweisen müssen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung vom 9. Dezember 1986
nicht aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und hat behauptet: Die Klägerin habe sehr wohl die von ihr, der Beklagten, behaupteten Äußerungen am 18. und 21. November 1986 gemacht. Alle jene Äußerungen seien dem allein kündigungsberechtigten Vorstand der Beklagten erst am 9. Dezember 1986 bekanntgeworden. Für eine Entschuldigung der aufgezeigten Verhaltensweisen der Klägerin bleibe kein Raum. Vielmehr habe die Klägerin sowohl aus den Gründen des Urteils des Landesarbeitsgerichts im vorangegangenen Verfahren (vom 2. April 1985) als auch aus der am 15. Oktober 1985 übergebenen Abmahnung klar ersehen können, daß weitere einschlägige Zwischenfälle zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen würden. Wegen der Entgleisungen der Klägerin im November 1986 sei die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung rechtens gewesen. Die Klägerin habe mit ihrer Weigerung, auf die Aufforderungen hin beim Amtsarzt vorstellig zu werden, in schwerer Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Die Beklagte sei auch keineswegs im Hinblick auf § 59 BAT gehalten gewesen, die Klägerin auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Verrentung hinzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Akten des vorangegangenen Kündigungsschutzrechtsstreits der Parteien beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht, den Amtsarzt Dr. R als sachverständigen Zeugen vernommen und sodann die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war aufzuheben, der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Das Landesarbeitsgericht hat vorrangig die Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin zu prüfen. Da ungeklärt ist, ob die Klägerin prozeßfähig ist, enthält sich der Senat einer revisionsrechtlichen Prüfung der materiell-rechtlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil.
I. Es bestehen Bedenken, ob die Klägerin prozeßfähig ist. Das in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführte, im vorangegangenen Prozeß der Parteien erstellte Gutachten der Sachverständigen Dr. Lieselotte S, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, und die Erklärungen des sachverständigen Zeugen Dr. R, die dieser aufgrund einer am 15. Dezember 1986 durchgeführten Untersuchung im Laufe des vorliegenden Verfahrens abgegeben hat, geben zu derartigen Bedenken Anlaß. Die Klage ist drei Tage später, nämlich am 18. Dezember 1986, eingereicht worden; die Klägerin hat den Amtsarzt Dr. R erst auf Anraten ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten aufgesucht. In diesem Zeitpunkt kann die Erteilung der Prozeßvollmacht bereits vollzogen gewesen sein. Ob die Klägerin dagegen im maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der Prozeßvollmacht an ihren erstinstanzlichen Bevollmächtigten für den vorliegenden Rechtsstreit prozeßfähig gewesen ist, kann erst aufgrund weiterer Tatsachenfeststellungen geklärt werden. Aus diesem Grund war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
1. Gemäß § 56 Abs. 1 ZPO hat das Gericht eventuelle Mängel der Prozeßfähigkeit einer Partei von Amts wegen zu beachten. Dementsprechend ist Zweifeln an der Prozeßfähigkeit einer Partei in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen nachzugehen, und zwar auch dann, wenn sie erstmals im Revisionsrechtszug angesprochen werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs, vgl. BAGE 6, 76, 78 = AP Nr. 1 zu § 56 ZPO, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 28. Februar 1974 - 2 AZR 191/73 - AP Nr. 4 zu § 56 ZPO; BAG Urteil vom 15. September 1977 - 3 AZR 410/76 - AP Nr. 5 zu § 56 ZPO; Senatsurteile vom 12. Dezember 1984 - 7 AZR 541/83 - sowie vom 24. September 1986 - 7 AZR 46/85 -, beide nicht zur Veröffentlichung bestimmt, zu I 1 der Gründe; BGHZ 31, 279 = NJW 1960, 523; BGH NJW 1969, 1574).
Der Mangel der Prozeßfähigkeit ist zwar von Amts wegen zu beachten. Gleichwohl ist der Sachverhalt nicht von Amts wegen aufzuklären, sondern es ist wie bei den übrigen, die Parteien betreffenden Voraussetzungen Sache der Parteien, die erforderlichen Tatsachen in den Prozeß einzuführen und entsprechenden Beweis anzubieten (vgl. statt vieler: BAGE 6, 76, 78 = AP Nr. 1 zu § 56 ZPO, zu 1 der Gründe; Senatsurteil vom 24. September 1986, aaO, unter I 1 der Gründe). Zwar spricht bei einer erwachsenen Person grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Prozeßfähigkeit wie auch die Geschäftsfähigkeit vorliegt (vgl. BAGE 6, 76, 78 = AP Nr. 1 zu § 56 ZPO; Senatsurteil vom 24. September 1986, aaO; BGHZ 18, 184, 189). Bestehen indessen auf Tatsachen begründete Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit einer Partei, so hat sie die Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen folgt, daß sie prozeßfähig ist (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1986, aaO).
2. Der Senat wäre rechtlich befugt, die Prüfung, ob die Klägerin prozeßfähig ist oder nicht, selbst vorzunehmen. Denn es geht um die Anwendung von Verfahrensrecht, das für alle Instanzen gleichermaßen gilt und bei dem auch noch in der Revisionsinstanz geklärt werden muß, ob die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen. Das bedeutet andererseits jedoch nicht, daß dem Revisionsgericht eine entsprechende Verpflichtung auferlegt ist. Vielmehr hat das Revisionsgericht einen Ermessensspielraum, ob es den Sachverhalt selbst aufklären will oder ob es die hierzu erforderlichen Feststellungen dem Tatrichter überlassen will (vgl. BAG Urteile vom 28. Februar 1974 - 2 AZR 191/73 - und vom 15. September 1977 - 3 AZR 410/76 - AP Nr. 4 und 5 zu § 56 ZPO; Senatsurteile vom 12. Dezember 1984 - 7 AZR 541/83 -, zu I 2 a der Gründe sowie vom 24. September 1986 - 7 AZR 46/85 -, zu II 1 der Gründe, beide nicht zur Veröffentlichung bestimmt). Eine eigene abschließende Klärung durch das Revisionsgericht ist allerdings nur dann angezeigt, wenn lediglich bereits vorhandene Aussagen, Gutachten oder Urkunden zu würdigen sind.
II. Diese Voraussetzungen für eine Sachaufklärung hinsichtlich der Frage, ob die Klägerin prozeßfähig ist, liegen im Streitfall nicht vor. Zwar führt das im vorangegangenen Prozeß der Parteien erstellte, in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführte Gutachten der Sachverständigen Dr. Lieselotte S ohne jeden Zweifel zu dem Ergebnis, daß die Klägerin bei Abgabe der damals zum Kündigungsgrund erhobenen Äußerungen an einer paranoiden Psychose gelitten hat. Auch läßt sich der Aussage des sachverständigen Zeugen Dr. R im vorliegenden Verfahren entnehmen, daß die Klägerin an einer entsprechenden Erkrankung am 15. Dezember 1986 gelitten hat. Ob es sich hierbei allerdings um einen gleichbleibenden Zustand gehandelt hat und ob vor allem die Prozeßfähigkeit der Klägerin nicht vorgelegen hat, weil deren Geschäftsfähigkeit hinreichend eingeschränkt bzw. entfallen ist, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Insoweit wird es, soweit entsprechender Beweis angeboten wird, noch der Einholung weiterer gutachtlicher Stellungnahmen bedürfen. Außerdem muß geklärt werden, wann genau die Klägerin Prozeßvollmacht erteilt hat und ob sie zu diesem Zeitpunkt prozeßfähig war. Diese Klärungen haben zweckmäßigerweise nicht durch das Revisionsgericht, sondern durch das Landesarbeitsgericht als Tatsacheninstanz zu erfolgen.
III. Bei der hiernach gebotenen Sachaufklärung genügt es nicht, die Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin im Zeitpunkt der noch durchzuführenden eventuellen Beweisaufnahme zu klären. Vielmehr muß festgestellt werden, ob und gegebenenfalls wann die Klägerin prozeßunfähig geworden ist.
1. Sollte das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin bereits im Zeitpunkt der Erteilung der Prozeßvollmacht an ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten prozeßunfähig gewesen ist, so wäre die Klage als unzulässig abzuweisen. Dasselbe gilt für den Fall, daß von der Klägerin nicht bewiesen wird, prozeßfähig (gewesen) zu sein.
2. Der Mangel der fehlenden Prozeßfähigkeit kann allerdings geheilt werden, sofern für die Klägerin ein zu bestellender Vormund oder Pfleger (§ 1910 BGB) dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Vollmacht erteilt und deren bisherige Prozeßführung genehmigt. Für denkbar hält der Senat auch, daß sich die Klägerin möglicherweise bei Erteilung der Vollmacht oder Erhebung der Klage in einem ihre Prozeßfähigkeit ausschließenden Zustand befunden hat, hiervon aber inzwischen - zu einem festzustellenden Zeitpunkt - genesen ist und sie sodann selbst die bisherige Prozeßführung durch ihre Prozeßbevollmächtigten genehmigt und entsprechende Prozeßvollmacht erteilt.
IV. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin prozeßfähig war und ist bzw. daß etwaige Mängel der Prozeßfähigkeit durch Genehmigung und Vollmachterteilung durch einen Pfleger oder durch die Klägerin, sofern sie inzwischen wieder prozeßfähig geworden ist, geheilt sind, so hat es erneut in der Sache zu entscheiden.
Dr. Seidensticker Dr. Becker Schliemann
Dr. Scholz Straub
Fundstellen