Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Fristwahrung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Verantwortlichkeit des Prozessbevollmächtigten für richtige Adressierung des Gerichts
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit der beim LSG eingegangenen Rechtsmittelschrift wird die Revisionsnichtzulassungsbeschwerdefrist nicht gewahrt, weil das Gesetz eine Fristwahrung durch Zugang der Rechtsmittelschrift bei dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, nicht vorsieht.
2. Wiedereinsetzungsgründe liegen bei einer fehlerhaften Adressierung der Beschwerdeschrift an das LSG durch einen Anwalt nicht vor. Es ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, dass der Bevollmächtigte verpflichtet ist, die Adressierung der Rechtsmittelschrift bei der Unterzeichnung selbst zumindest insoweit zu überprüfen, als das richtige Gericht genannt wird.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 2, § 67
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Beklagten, ihr Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. Dezember 2001 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 160a Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt worden ist. Das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts (LSG) wurde der Beklagten am 19. März 2002 zugestellt; das Rechtsmittel musste deshalb bis zum Ablauf des 19. April 2002 beim BSG eingehen. Darüber ist die Beklagte ordnungsgemäß belehrt worden. Mit der am 18. April 2002 beim LSG eingegangenen Rechtsmittelschrift wurde die Beschwerdefrist nicht gewahrt, weil das Gesetz eine Fristwahrung durch Zugang der Rechtsmittelschrift bei dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, nicht vorsieht. Die am 10. Mai 2002 beim BSG eingegangene Beschwerdeschrift war verspätet.
Die von der Beklagten gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zu versagen. Nach § 67 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Prozessbeteiligter ohne sein Verschulden gehindert war, die gesetzliche Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels einzuhalten. Im vorliegenden Fall beruhte die Fristversäumnis nach dem Vorbringen der Beklagten darauf, dass eine Angestellte der bevollmächtigten Anwälte der Beklagten die Beschwerdeschrift nicht ordnungsgemäß adressiert hat und diese deshalb an das für die Einlegung des Rechtsmittels nicht zuständige LSG versandt wurde. Die Übermittlung erfolgte allerdings vorab per Telefax ebenfalls an die Faxnummer des LSG, was den Schluss zulässt, dass es sich nicht nur um eine bloße Verwechslung bei der Adressierung der Beschwerdeschrift handelte, sondern um einen Irrtum über das zuständige Gericht.
Zwar hat die Beklagte nur für das Verschulden ihrer Bevollmächtigten und nicht für das Verschulden von Kanzleiangestellten einzustehen (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 67 RdNr 3f mwN). Der zur Fristversäumung führende Fehler fällt jedoch nicht allein in den Verantwortungsbereich der mit der Fertigung der Rechtsmittelschrift beauftragten Angestellten; denn maßgebend ist, dass der Bevollmächtigte verpflichtet ist, die Adressierung der Rechtsmittelschrift bei der Unterzeichnung selbst zumindest insoweit zu überprüfen, als das richtige Gericht genannt wird. Dass den Anwalt eine derartige Kontrollpflicht trifft, ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt (BGH VersR 1986, 1209; BGH NJW 1990, 990; BGH NJW-RR 1987, 319; 1993, 254; Zöller, ZPO, 21. Aufl 1999, § 233 ZPO RdNr 23, Stichwort „Ausgangskontrolle”). Hiervon wird er auch nicht dadurch entbunden, dass er seiner Kanzleiangestellten vor der Fertigung der Rechtsmittelschrift die eindeutige Weisung erteilt, den Schriftsatz an ein bestimmtes Gericht, hier das BSG, zu senden. Für den wesentlichen Inhalt einer Rechtsmittelschrift, wozu die Bezeichnung des zuständigen Gerichts gehört, übernimmt der Rechtsanwalt mit seiner Unterschrift die Verantwortung.
Die Beklagte kann zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags auch nicht geltend machen, das unzuständige LSG habe die Beschwerdeschrift nicht rechtzeitig weiter geleitet. Zwar schließt eigenes Verschulden die Wiedereinsetzung dann nicht aus, wenn es für die Versäumung der Frist nicht allein ursächlich geworden ist, sondern die Fristversäumung auch durch nachfolgendes pflichtwidriges Verhalten einer Behörde oder eines Gerichts eingetreten ist (Meyer-Ladewig, aaO, § 67 RdNr 4). Das setzt aber voraus, dass der Schriftsatz bei der unzuständigen Stelle so früh eingegangen ist, dass bei üblichem Geschäftsgang eine rechtzeitige Weiterleitung zu erwarten gewesen wäre (so auch: BVerfG, NJW 1995, 3173). Dies war vorliegend nicht der Fall, denn das Telefax ist beim LSG erst am späten Nachmittag des 18. April 2002 eingegangen und konnte auch bei ordentlichem Geschäftsgang dort erst am 19. April 2002, dem letzten Tag der Rechtsmittelfrist, bearbeitet werden. Zu außergewöhnlichen Maßnahmen, wie sofortiger Prüfung der Zuständigkeit und Benachrichtigung der Beklagten über die Unzuständigkeit durch Ferngespräch oder Telefax, war das Gericht nicht verpflichtet (BVerfG, NJW 2001, 1343). Dass das LSG die Prozessbevollmächtigten der Beklagten erst mit erheblicher Verspätung auf die fehlende Zuständigkeit hingewiesen hat, ist unerheblich, weil dieses Verhalten für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen