Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherungsrecht. Inhalte der elektronischen Gesundheitskarte. Verfassungsmäßigkeit. sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
Orientierungssatz
1. Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur eGK beruft, darf sich nicht auf die Benennung der angeblich verletzten Rechte - hier die informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG) - beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu muss er den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des GG darlegen (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - Juris RdNr 6 mwN).
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 26.3.2018 - 1 BvR 334/18).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 5 §§ 291, 291a; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, ihm die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch ein für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes anderes Nachweisdokument als eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) zu ermöglichen, bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des erkennenden Senats (BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1) und Rspr des BVerfG einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verneint. Allerdings dürfe die eGK - entgegen der zwischen dem Spitzenverband Bund und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) geschlossen "Vereinbarung zum Inhalt und zur Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte" iVm der Technischen Anlage zu Anlage 4a (BMV-Ä) der KÄBV - keine DMP(Disease Management Programm)-Kennzeichnungen als statusergänzende Merkmale enthalten. Hiervon sei der Kläger aber derzeit nicht konkret betroffen (Urteil vom 21.6.2016).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.
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Der Kläger formuliert folgenden "Rechtssatz": |
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"Die Rechte eines Patienten auf Schutz seines Arztgeheimnisses und informationelle Selbstbestimmung werden bereits dann verletzt, wenn sicher ist, dass eine gesundheitliche Information, die der Patient seinem Arzt geben kann, rechtswidrig weitergegeben würde. Seine Rechte werden nicht erst dann verletzt, wenn der Patient solche gesundheitlichen Informationen dem Arzt tatsächlich gibt, und er eine zwingend folgende rechtswidrige Datenübertragung tatsächlich auslöst." |
Der Kläger formuliert bereits keine Rechtsfrage. Aber selbst wenn man den ersten Aussagesatz in einen Fragesatz umwandelt, zeigt der Kläger den Klärungsbedarf der von ihm aufgeworfenen Frage nicht auf. Er macht nicht deutlich, warum die Antwort auf die Frage, ob eine - vom Kläger vorausgesetzte - sicher zu erwartende rechtswidrige Weitergabe gerade von medizinischen Daten "Rechte eines Patienten auf Schutz seines Arztgeheimnisses und informationelle Selbstbestimmung" verletzt, einer revisionsgerichtlichen Klärung bedarf. Im Übrigen legt er nicht hinreichend dar, wieso mit Blick auf die Rspr des erkennenden Senats zur eGK (BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1) noch Klärungsbedarf bestehen soll. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rspr entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Daran fehlt es. Der Kläger behauptet nicht, dass der Entscheidung des erkennenden Senats zur eGK in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird, sondern kritisiert diese lediglich, indem er die Ausführungen des sich dem Urteil des erkennenden Senats anschließenden LSG angreift.
Wer sich - wie der Kläger - auf die Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur eGK beruft, darf sich im Übrigen nicht auf die Benennung der angeblich verletzten Rechte - hier die informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG) - beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rspr des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu muss er den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des GG darlegen (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Der Kläger trägt nur vor, die Regelungen der §§ 291, 291a, 291b SGB V stünden mit Blick auf Datensicherheit und unabhängige Kontrolle im Widerspruch zu konkreten Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung einer vorsorglichen Telekommunikationsverkehrsdatenspeicherung (BVerfGE 125, 260, 325 ff = Juris RdNr 220 bis 226). Soweit der Kläger geltend macht, die von den an der praktischen Umsetzung der eGK beteiligten Stellen vorgesehene obligatorische DMP-Kennzeichnung auf der eGK verstoße gegen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, setzt er sich nicht damit auseinander, dass das LSG in einer solchen Vorgehensweise bereits einen einfachrechtlichen Verstoß gegen § 291 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB V erblickt hat. Vielmehr verweist er selbst darauf, dass nach der Rspr des BSG und des LSG die Speicherung des DMP-Kennzeichens auf der eGK rechtswidrig sei.
2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - Juris RdNr 6) und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - Juris RdNr 9). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Er bezeichnet schon keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz im Urteil des Berufungsgerichts.
3. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es. Der Kläger legt den von ihm geltend gemachten Gehörsverstoß nach § 128 Abs 2 SGG nicht hinreichend dar.
Nach § 128 Abs 2 SGG darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten haben äußern können. Die Regelung erfasst einen Teilbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention, § 62 SGG; vgl auch BSG Beschluss vom 15.3.2017 - B 5 R 366/16 B - Juris RdNr 15). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Das Gericht muss danach die Beteiligten über die für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen und Beweisergebnisse vorher unterrichten, ihnen insbesondere auch Gelegenheit geben, sich zu äußern (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unter dem Blickwinkel des § 128 Abs 2 SGG rügt, muss hierzu ausführen, zu welchen vom Gericht zugrunde gelegten Tatsachen und Beweisergebnissen sich der Rechtsuchende nicht hat äußern können, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl allgemein zu den Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 3.11.2014 - B 12 KR 48/14 B - Juris RdNr 13).
Der Kläger trägt vor, das LSG habe sich darauf gestützt, dass er - wie von ihm dem LSG mitgeteilt - in kein DMP eingeschrieben sei, um bei ihm eine Beschwer durch die DMP-Kennzeichnung auf der eGK als Bestandteil des Versichertenstatus auszuschließen. Dabei habe das LSG nicht beachtet, dass er schon in der Berufungsbegründung weiteren Sachvortrag dafür angeboten habe, dass die Beschwer sich für ihn auch aus der Information über die Nichtzugehörigkeit zu einer DMP ergeben könne.Der Kläger behauptet damit nicht, dass das LSG von einer Tatsache ausgegangen ist, zu der er sich nicht habe äußern können. Im Übrigen legt der Kläger auch nicht hinreichend dar, was er im Falle eines erteilten Hinweises ergänzend konkret vorgetragen hätte.
Soweit der Kläger den Gehörsverstoß auf eine Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 106 Abs 1, Abs 2 iVm Abs 3 Nr 3 SGG oder gemäß § 112 Abs 2 S 2 SGG iVm § 153 Abs 1 SGG stützen will, bezieht sich der aus den genannten Vorschriften ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör und die dementsprechenden Hinweispflichten des Gerichts nur auf entscheidungserhebliche Tatsachen, die dem Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte (BSG Beschluss vom 27.7.1989 - 2 BU 191/88 - Juris RdNr 6). Es gibt aber keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN; BSG SozR 4-2500 § 5 Nr 21 RdNr 15). Der Kläger legt nicht dar, dass das LSG im vorliegenden Fall ihm unbekannte Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte in das Verfahren eingebracht hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen