Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorruhestand. Weigerungsgründe des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 2 Abs 5 des Tarifvertrags zur Einführung einer Vorruhestandsregelung für die Brauwirtschaft vom 14. Juni 1984 kann der Arbeitgeber die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum Zweck des Eintritts in den Vorruhestand "aus betrieblichen Gründen" ablehnen.
2. Zu den betrieblichen Gründen im Sinne dieser Tarifbestimmung gehören auch wirtschaftliche Gründe.
3. Die wirtschaftlichen Gründe, die den beabsichtigten Eintritt in den Vorruhestand hindern können, müssen gewichtig sein. Im Regelfall ist dem Arbeitgeber eine finanzielle Belastung bis zum - branchenbezogenen - tariflich vereinbarten Überforderungsschutz (5%-Klausel gemäß § 2 Abs 2 des Tarifvertrags) zuzumuten. Nur in Ausnahmefällen kann eine wirtschaftliche Belastung mit Vorruhestandsleistungen unzumutbar sein.
4. Das ist etwa der Fall, wenn das Unternehmen angesichts seiner gegenwärtigen und voraussehbaren künftigen wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage ist, das Vorruhestandsgeld zu zahlen, ohne seine Existenz zu gefährden.
Normenkette
TVG § 1; VRG § 2 Abs. 1 Nr. 4; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; ZPO § 128 Abs. 2 S. 1, § 91a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 31.07.1986; Aktenzeichen 4 (5) Sa 179/86) |
ArbG München (Entscheidung vom 12.12.1985; Aktenzeichen 24 Ca 6420/85 H) |
Gründe
A. Die Parteien haben darum gestritten, ob der Kläger vom beklagten Arbeitgeber verlangen konnte, das Arbeitsverhältnis aufzuheben und ihm Vorruhestandsgeld zu zahlen. Sie haben in der Revisionsinstanz übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, über die Kosten zu entscheiden (§ 91 a Abs. 1 ZPO).
Der am 15. Juni 1926 geborene Kläger war bei der Beklagten, einer Brauerei mit 22 Arbeitnehmern, vom 27. August 1962 bis zum 3. August 1987 als Arbeiter beschäftigt. Beide Parteien waren tarifgebunden; auf ihr Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag zur Einführung einer Vorruhestandsregelung, abgeschlossen zwischen dem Deutschen Brauerbund e.V., Bonn, und der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten, Hamburg, vom 14. Juni 1984 (VR-TV) Anwendung.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 24. Februar 1985 die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses und die Gewährung von Vorruhestandsgeld ab 1. April 1985. Die Beklagte lehnte dies im Schreiben vom 18. März 1985 mit der Begründung ab, sie sei zur Zahlung eines Vorruhestandsgeldes aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage. Im Rechtsstreit hatte der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, das Angebot
auf Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zur
Inanspruchnahme von Vorruhestandsgeld anzunehmen.
Die Beklagte hatte beantragt, diese Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Tarifvertrag gewähre dem Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch. Im übrigen sei sie berechtigt, den Antrag abzulehnen. Dazu hat sie Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ihre schwierige wirtschaftliche und finanzielle Situation ergeben soll. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der Revision hat der Kläger zunächst seinen Sachantrag weiterverfolgt. Am 3. August 1987 ist er jedoch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Er hat dieses Arbeitsverhältnis gekündigt, da er erwerbsunfähig krank war. Er hat die Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Beklagte hat sich dieser Erledigungserklärung angeschlossen; sie hat ihrerseits beantragt, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
B. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZP0 zu tragen. Diese Kostenentscheidung entspricht dem bisherigen Sach- und Streitstand. Der Senat hätte die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.
I. Der Senat kann die beantragte Kostenentscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen; die Parteien haben dem schriftlichen Verfahren zugestimmt (§ 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
II. Der Anspruch des Klägers auf Aufhebung seines Arbeitsvertrags, verbunden mit der Verpflichtung der Beklagten, Vorruhestandsgeld zu zahlen, war unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Revision des Klägers hätte keinen Erfolg gehabt. Der Anspruch des Klägers auf Inanspruchnahme des tariflichen Vorruhestandsgeldes scheitert an § 2 Abs. 5 VR-TV:
"Die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses kann
zeitlich ausgesetzt oder aus betrieblichen
Gründen abgelehnt werden."
Wirtschaftliche Gründe, auf die sich die Beklagte berufen hat, gehören zu den "betrieblichen Gründen" im Sinne von § 2 Abs. 5 VR-TV. Der Arbeitgeber kann den Abschluß eines Vorruhestandsvertrags nicht nur dann ablehnen, wenn der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG entgegenstehen, wenn also die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers aus technischen oder organisatorischen Gründen dringend erforderlich wäre. "Betriebliche Gründe" sind ein weiter und unbestimmter Rechtsbegriff. Für eine Einschränkung auf betriebstechnische oder organisatorische Gründe gibt es keinen Anhalt. Da der Arbeitgeber sich an den Aufwendungen für den Vorruhestand des Arbeitnehmers finanziell beteiligen muß, liegt es nahe, dem Arbeitgeber die Berufung auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zu gestatten.
Dem steht nicht entgegen, daß der Arbeitgeber bereits nach § 2 Abs. 2 des VR-TV wirtschaftliche Gründe in Form eines "Überforderungsschutzes" geltend machen kann, wenn mehr als 5 % der Arbeitnehmer den Vorruhestand in Anspruch nehmen wollen. Der VR-TV verweist auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Förderung von Vorruhestandsleistungen (Vorruhestandsgesetz-VRG) vom 13. April 1984 (BGBl. I, 601). Der Tarifvertrag mutet den Arbeitgebern der Brauwirtschaft keine höhere Quote zu. Er ist bezogen auf die Branche und auf einen leistungsfähigen Betrieb. Das schließt nicht aus, daß sich ein Arbeitgeber im Einzelfall auf "betriebliche Gründe" im Sinne wirtschaftlicher Gründe berufen kann. Beide Bestimmungen des Tarifvertrags gelten nebeneinander.
Andererseits müssen die wirtschaftlichen Gründe von einigem Gewicht sein. Im Regelfall ist dem Arbeitgeber eine finanzielle Belastung unterhalb der 5 %- Quote zuzumuten. Im Ausnahmefall darf er sich jedoch auf eine wirtschaftlich unzumutbare Belastung berufen. Dabei kann der Senat im vorliegenden Fall offenlassen, wo diese "Opfergrenze" (eine Formulierung des Berufungsgerichts) liegt. Sie ist jedenfalls dann überschritten, wenn das Unternehmen bei betriebswirtschaftlicher Betrachtung angesichts seiner gegenwärtigen und voraussehbaren künftigen wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage ist, das Vorruhestandsgeld zu zahlen, ohne seine Existenz zu gefährden.
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Arbeitgeber mehrere Jahre lang nur Verluste erwirtschaftet hatte, daß kein nennenswertes Betriebsvermögen oder Rücklagen vorhanden waren und daß in absehbarer Zukunft nicht mit einer wirtschaftlichen Besserung zu rechnen war. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Aus diesen Tatsachen hat das Berufungsgericht mit Recht den Schluß gezogen, daß die finanzielle Belastung mit Vorruhestandsgeld im vorliegenden Fall die Existenz des Betriebs und dessen Arbeitsplätze gefährden würde.
Entgegen der Auffassung des Klägers brauchte die Beklagte, als sie den Antrag auf Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum Zweck des Eintritts in den Vorruhestand ablehnte, keine weitere betriebswirtschaftliche Analyse oder einen Sanierungsplan zu erarbeiten. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die finanzielle Belastung mit Vorruhestandsgeld die Existenz des Betriebs und dessen Arbeitsplätze gefährden würde.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Lichtenstein Dr. Schmidt
Fundstellen
DB 1988, 1660-1660 (LT1-4) |
ARST 1988, 133-134 (LT1-3) |
EWiR 1988, 823-823 (L1-4) |
NZA 1988, 587-587 (LT1-4) |
AP § 2 VRG (LT1-4), Nr 2 |
AR-Blattei, ES 1750 Nr 4 (LT1-4) |
AR-Blattei, Vorruhestand Entsch 4 (LT1-4) |
EzA § 2 VRG VRTV-Brauwirtschaft, Nr 1 (LT1-4) |
VersR 1988, 1196 (L) |