Entscheidungsstichwort (Thema)
Einblick des Betriebsrats in Lohnlisten
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 80 Abs 2 Satz 2 BetrVG hat der Betriebsrat Anspruch auf Einblick in die vollständige Liste aller Bruttolöhne und -gehälter. Die Lohnlisten müssen alle Lohnbestandteile enthalten einschließlich übertariflicher Zulagen und solcher Zahlungen, die individuell unter Berücksichtigung verschiedener Umstände ausgehandelt und gezahlt werden (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats im Beschluß vom 30. Juni 1981 - 1 ABR 26/79 = BAGE 35, 342 = AP Nr 15 zu § 80 BetrVG 1972).
Normenkette
BetrVG § 2 Abs. 1, § 80 Abs. 1, § 27 Abs. 4, § 77 Abs. 3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nrn. 10-11, § 80 Abs. 2 S. 2, § 75 Abs. 1 S. 1, § 80 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.05.1984; Aktenzeichen 13 TaBV 1/84) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 14.12.1983; Aktenzeichen 2 BV 17/83) |
Gründe
A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten über den Umfang des Einblicksrechts des Betriebsrats in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter.
Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen der Elektroindustrie. Er beschäftigte 1983 in Baden-Württemberg etwa 450 Arbeitnehmer. Im Betrieb Stuttgart waren etwa 280 Arbeitnehmer tätig. Der Betriebsrat bestand aus sieben Mitgliedern.
Der Arbeitgeber leistete in der Vergangenheit an einzelne Arbeitnehmer Sonderzahlungen. Er wollte damit überdurchschnittliche Leistungen der Mitarbeiter anerkennen. Im Jahre 1982 erhielten 15 Arbeitnehmer aus dem Unternehmen eine solche Sonderzahlung. Sie betrug im Durchschnitt etwa 400,-- DM. Diese Sonderzahlungen sind nicht in Listen über die Bruttolöhne und -gehälter enthalten.
Der Betriebsrat will erreichen, daß der Arbeitgeber ihm Einblick auch in die Listen gewährt, die über die ausgezahlten Sonderleistungen und Prämien geführt werden. Er hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber müsse ihm Einblick in diese Listen gewähren. Er wolle feststellen, nach welchen Grundsätzen der Arbeitgeber diese Sonderzahlungen leiste. Er müsse prüfen, ob ein Mitbestimmungsrecht bestehe und ob der Arbeitgeber die Grundsätze von Recht und Billigkeit, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz, beachtet habe. Einem Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung stehe nicht entgegen, daß der Arbeitgeber keine allgemeine Regelung wolle.
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, dem Vorsitzen-
den des Betriebsrats Einsicht in die Brut-
tolohn- und -gehaltslisten zu gewähren auch
hinsichtlich der ausgezahlten Sonderlei-
stungen und Prämien, die der Arbeitgeber
von Fall zu Fall oder regelmäßig an Arbeit-
nehmer im Sinne des Betriebsverfassungsge-
setzes erbringe.
Der Arbeitgeber hat beantragt, diesen Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der Antrag sei nicht bestimmt genug und daher unzulässig. Im übrigen stehe dem Betriebsrat das Einblicksrecht nicht zu, da es zur Durchführung seiner Aufgaben nicht erforderlich sei. Es bestehe insoweit weder ein Überwachungs- noch ein Mitbestimmungsrecht. Es gebe keine kollektiven oder kollektiv-ähnlichen Regelungen; die Zahlungen würden nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls (z. B. Vertretung im Mutterschaftsurlaub, erhöhte Arbeitsbelastung bei Umstellung der Organisation und der Arbeitsverfahren) festgelegt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung abgeändert; es hat dem Antrag stattgegeben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Arbeitgeber erreichen, daß die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt wird.
B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats zu Recht stattgegeben.
I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Er ist bestimmt genug im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der auf das Beschlußverfahren entsprechend anzuwenden ist. Der Betriebsrat hat die Listen, in die er Einblick nehmen will, ausreichend bezeichnet. Es sind die Listen, in denen Sonderleistungen an Arbeitnehmer erfaßt werden. Das sind solche Zahlungen, mit denen der Arbeitgeber überdurchschnittliche Leistungen der Arbeitnehmer anerkennt. Damit ist die Liste, in die der Betriebsrat Einblick nehmen will, hinreichend bestimmt. Eine weitere inhaltliche Beschreibung ist nicht erforderlich. Dem Betriebsrat ist sie auch nicht möglich, da er Einzelheiten über Grund und Höhe der Zahlungen nicht kennt.
II. Der Antrag des Betriebsrats ist auch begründet. Das folgt aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Nach dieser Bestimmung sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Unter den gleichen Voraussetzungen ist der Betriebsausschuß oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuß berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen.
1. Das Einblicksrecht steht im vorliegenden Fall dem Betriebsratsvorsitzenden zu. Nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist zwar der Betriebsausschuß berechtigt, Einblick in die Lohnlisten zu nehmen. In kleineren Betrieben, in denen ein Betriebsausschuß nicht gebildet werden kann, steht das Einblicksrecht aber den Personen zu, die in § 27 Abs. 4 BetrVG erwähnt sind. Das ist der Vorsitzende des Betriebsrats oder ein anderes Mitglied des Betriebsrats, dem die laufenden Geschäfte übertragen wurden. Die Beschränkung des Einblicksrechts auf Mitglieder des Betriebsausschusses hat nur einen praktischen Grund. Sie soll den reibungslosen Betriebsablauf sichern. Kleinere Betriebe sollen von der Information nicht ausgeschlossen werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Beschluß vom 18. September 1973 - 1 ABR 17/73 - BAGE 25, 301 = AP Nr. 4 zu § 80 BetrVG 1972 mit weiteren Nachweisen).
2. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG hat der Betriebsrat Anspruch auf Einblick in die vollständigen Listen aller Bruttolöhne und -gehälter. Die Lohnlisten müssen alle Lohnbestandteile enthalten einschließlich übertariflicher Zulagen und solcher Zahlungen, die individuell unter Berücksichtigung verschiedener Umstände ausgehandelt und gezahlt werden. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
a) Sonderzahlungen und Prämien aus besonderem Anlaß als Vergütung für überdurchschnittliche Leistungen sind Bestandteil der Vergütung. Sie gehören zu den Bruttolöhnen und -gehältern im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. In der Praxis werden deshalb diese Lohnbestandteile in die Listen über die vollständigen Bruttolöhne und -gehälter aufgenommen. Dem Gesetz läßt sich nicht entnehmen, daß bestimmte Lohnbestandteile generell vom Einblicksrecht des Betriebsrats ausgenommen sind. Das gilt auch für übertarifliche Vergütungen, die nicht auf einer kollektiven Regelung aufbauen, sondern individuell vereinbart sind (BAG Beschluß vom 12. Februar 1980 - 6 ABR 2/78 - AP Nr. 12 zu § 80 BetrVG 1972; Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981 - 1 ABR 26/79 - BAGE 35, 342 = AP Nr. 15 zu § 80 BetrVG 1972).
b) Das Einblicksrecht wird allerdings nur insoweit gewährt, wie es zur Durchführung der Aufgaben eines Betriebsrats erforderlich ist. Das Einblicksrecht ist beschränkt auf den Rahmen, in dem der Betriebsrat Anspruch auf Unterrichtung und Vorlage von Unterlagen hat. § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG nimmt insoweit Bezug auf die Voraussetzungen, die in § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannt werden (vgl. auch insoweit Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981, aaO, zu B III 1 der Gründe).
Danach besteht das Einblicksrecht in Listen über die Bruttolöhne und -gehälter immer dann, aber auch nur dann, wenn der Betriebsrat Aufgaben "nach diesem Gesetz", das ist das Betriebsverfassungsgesetz, wahrzunehmen hat. Zu diesen Aufgaben gehören nicht nur die in § 80 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Aufgaben. Zu den dem Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz übertragenen Aufgaben gehört auch die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte. Das ist im vorliegenden Fall das Recht des Betriebsrats, in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Im Rahmen der dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG übertragenen Aufgaben benötigt der Betriebsrat die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob eine innerbetriebliche Lohngerechtigkeit erreicht ist oder durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann oder soll (vgl. wiederum Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981, aaO, zu B III 2 der Gründe). Ein Einblicksrecht besteht deshalb auch dann, wenn der Betriebsrat durch Einblick erst feststellen will, welche Arbeitnehmer Sonderzahlungen erhalten haben und wie hoch diese Sonderzahlungen waren. Er kann erst durch das Einblicksrecht feststellen, ob diesen Zahlungen eine generelle Regelung zugrunde liegt, unter welchen Voraussetzungen Sonderzahlungen geleistet werden, ob ein Mitbestimmungsrecht bei der näheren Ausgestaltung dieser Sonderzahlungen und ein Bedürfnis für die Ausübung von Mitbestimmungsrechten besteht. Auf diesen Standpunkt hat sich auch das Landesarbeitsgericht zu Recht gestellt. Es folgt insoweit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der Einwand des Arbeitgebers, das Landesarbeitsgericht habe das Einblicksrecht dem Betriebsrat unabhängig davon zugebilligt, ob es zur Durchführung der Aufgaben eines Betriebsrats erforderlich ist, ist danach nicht berechtigt.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sind nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich um Zahlungen des Arbeitgebers handelt, die dieser ohne voraufgegangene rechtliche Bindung erbringen will. Bei solchen freiwilligen Leistungen ist zwar das Mitbestimmungsrecht eingeschränkt. Der Arbeitgeber entscheidet darüber, welchen Zweck er mit der Leistung verfolgen und welchen Personenkreis er deshalb begünstigen will. Im übrigen hat der Betriebsrat jedoch bei der Ausgestaltung der Bezugsbedingungen mitzubestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Beschluß vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 65/84 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Weiter wird das Mitbestimmungsrecht nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber sich nicht selbst binden und keine generelle Regelung will. Eine solche Vorgabe, keine allgemeine Regelung zu wollen, kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht ausschließen (Beschluß des Senats vom 17. Dezember 1985 - 1 ABR 6/84 -, zu B II 5 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).
c) Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers kann der Betriebsrat bei der Geltendmachung seines Einblicksrechts nicht darauf verwiesen werden, er könne, falls ein kollektiver Tatbestand gegeben sei, von seinem Initiativrecht im Rahmen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Gebrauch machen (vgl. in diesem Sinne Kraft, Anm. zum Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981, AP Nr. 15 zu § 80 BetrVG 1972, Abschnitt II 1 b). Wenn nur wenige Arbeitnehmer eine Sonderzahlung erhalten, muß der Betriebsrat zunächst entscheiden, ob er von seinem Initiativrecht Gebrauch machen und eine andere betriebliche Lohngestaltung erreichen will. Er kann dies nur, wenn er entsprechend unterrichtet ist. Deshalb muß er im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) die Möglichkeit haben, Streitfragen über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts mit dem Arbeitgeber zu klären und sich die erforderliche Kenntnis durch Einblick in die Lohnlisten zu verschaffen. Insoweit dient auch die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung dem innerbetrieblichen Rechtsfrieden und der Vermeidung von Verfahren (vgl. von Hoyningen-Huene, Anm. zum Beschluß des Senats vom 17. Mai 1983, AP Nr. 19 zu § 80 BetrVG 1972, Abschnitt 3).
d) Der Tarifvorrang nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG kann das Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung von Sonderzahlungen ebenfalls nicht ausschließen. Der Betriebsrat hat immer dann mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber zum tariflich geregelten Entgelt allgemein eine betriebliche Zulage gewährt, deren Höhe von ihm aufgrund einer individuellen Entscheidung festgelegt wird (vgl. den bereits erwähnten Beschluß des Senats vom 17. Dezember 1985 - 1 ABR 6/84 -, zu B II 3 der Gründe). Von einer tariflichen Regelung kann keine Rede sein, wenn der Tarifvertrag lediglich das Entgelt für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung regelt. Entsprechendes gilt auch für § 77 Abs. 3 BetrVG.
e) Darauf, ob der Betriebsrat einen begründeten Anlaß hatte, die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes oder die Einhaltung von Recht und Billigkeit zu überwachen (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG), kommt es danach nicht an. Diese Überwachungsaufgaben können das Einblicksrecht in die Lohnlisten rechtfertigen; das Einblicksrecht ist aber nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der Betriebsrat eine Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 BetrVG wahrnehmen will (vgl. oben Abschnitt B II 2 b).
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Dr. Federlin Lappe
Fundstellen
Haufe-Index 436906 |
BB 1987, 1177 |
BB 1987, 1177-1178 (LT) |
DB 1987, 1152-1152 (LT) |
NJW 1987, 2038 |
AuB 1987, 367-367 (T) |
BetrR 1988, Nr 2, 12-14 (LT1) |
NZA 1987, 385-386 (LT) |
RdA 1987, 192 |
AP § 80 BetrVG 1972, Nr 27 |
EzA § 80 BetrVG 1972, Nr 28 (LT) |
PERSONAL 1987, 354-354 (T) |