Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der prozessualen Kostenerstattungspflicht. Klage am Gerichtsstand des Erfüllungsorts. hypothetische Reisekosten der obsiegenden Partei
Orientierungssatz
1. Jede Prozesspartei ist verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle eines Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Diese Verpflichtung beherrscht als Ausdruck von Treu und Glauben das gesamte Kostenrecht.
2. Erscheint die Partei nicht selbst zum Termin, sondern entsendet sie erstinstanzlich einen Prozessbevollmächtigten, sind die durch diesen entstehenden Kosten im Rahmen hypothetisch berechneter Reisekosten, die der Partei sonst entstanden wären, grundsätzlich erstattungsfähig.
3. Hypothetische Reisekosten der Partei vom Sitz des Unternehmens zum Gerichtsort können auch dann notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO sein, wenn der Rechtsstreit am Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses geführt wird. Maßgeblich ist, ob eine ordnungsgemäße Prozessführung durch Mitarbeiter der Partei am Ort des Prozessgerichts möglich wäre. Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1; ArbGG § 12a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27. April 2015 – 1 Ta 88/15 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.066,48 Euro festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Erstattung von Reisekosten.
Die Beklagte vertreibt an ihrem Sitz in A bei Augsburg Alarmanlagen und Videoüberwachungsanlagen an Händler. Sie beschäftigt nach eigenen Angaben 80, nach Angaben des Klägers etwa 150 bis 160 Mitarbeiter. In der einzigen weiteren Betriebsstätte der Beklagten in K bei Kiel wird ausschließlich Software entwickelt. Dort beschäftigt die Beklagte insgesamt fünf bis sechs Arbeitnehmer, darunter einen Teamleiter sowie – bis zu seinem Ausscheiden – den Kläger.
Die Parteien stritten zunächst über die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte und einigten sich im Vergleichswege auf dessen Beendigung. In der Folgezeit klagte der Kläger einen Betrag von mehr als 57.000,00 Euro als Differenzvergütung für den Zeitraum Dezember 2009 bis Juni 2011 ein mit der Begründung, die mit ihm getroffene Vergütungsvereinbarung sei wegen Sittenwidrigkeit unwirksam. Dabei stritten die Parteien unter anderem um die Frage, welchem Wirtschaftszweig das Unternehmen der Beklagten zuzurechnen sei und in welche Gehaltsgruppe des betreffenden Rahmentarifvertrags der Kläger einzugruppieren wäre.
Der Kläger erhob seine Klage vor dem Arbeitsgericht Kiel, welches drei Termine durchführte. Zu diesen Terminen erschien jeweils der anwaltliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten als deren einziger Vertreter. Er reiste zu den Terminen vom Sitz seiner Kanzlei in Augsburg an.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab und verurteilte den Kläger, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wies das Landesarbeitsgericht rechtskräftig zurück.
Das Arbeitsgericht hat die vom Kläger der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 6.024,33 Euro festgesetzt. Davon entfallen 2.066,48 Euro auf hypothetische Reisekosten der Beklagten für die drei erstinstanzlichen Gerichtstermine.
Gegen die Festsetzung dieser hypothetischen Reisekosten hat sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde gewandt und geltend gemacht, die Beklagte habe den Rechtsstreit von K aus mit dem dortigen Teamleiter führen können, der auch Vertragsänderungen mitverhandelt und ein Zwischenzeugnis unterzeichnet habe. Im Übrigen bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung für die Terminswahrnehmung, wenn der Arbeitgeber am Gerichtsstand des Erfüllungsorts verklagt werde.
Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe durch keinen der in K beschäftigten Mitarbeiter einen arbeitsgerichtlichen Prozess führen können. Es handele sich um eine Niederlassung ohne eigene Personalverwaltung, in der die Mitarbeiter mit Tätigkeiten aus dem Bereich Technik und EDV beschäftigt würden.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht hat sie zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist unbegründet.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die Beklagte kann vom Kläger Erstattung ihrer hypothetischen Reisekosten von A nach Kiel für die drei erstinstanzlichen Termine vor dem Arbeitsgericht verlangen.
I. Die Beklagte hat gegen den Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO Anspruch auf Erstattung der erstinstanzlichen Anwaltskosten in Höhe ihrer ersparten Reisekosten.
1. Reisekosten sind notwendige Kosten iSv. § 91 Abs. 1 ZPO, wenn eine Partei in der konkreten Lage die die Kosten verursachende Reise vernünftigerweise als sachdienlich ansehen darf (vgl. BAG 21. Januar 2004 – 5 AZB 43/03 – zu II 1 der Gründe). Dabei ist jede Prozesspartei verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle eines Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Diese Verpflichtung beherrscht als Ausdruck von Treu und Glauben das gesamte Kostenrecht (vgl. BAG 14. November 2007 – 3 AZB 36/07 – Rn. 11; BGH 2. Mai 2007 – XII ZB 156/06 – Rn. 12 f.).
2. Erscheint die Partei nicht selbst, sondern entsendet sie einen Prozessbevollmächtigten, sind die durch diesen entstehenden Kosten im Rahmen hypothetisch berechneter Reisekosten, die der Partei sonst entstanden wären, grundsätzlich erstattungsfähig (vgl. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 12a Rn. 22; GK-ArbGG/Schleusener Stand Juni 2015 2013 § 12a Rn. 46; Schwab/Weth/ Vollstädt ArbGG 4. Aufl. § 12a Rn. 25). Zwar sind nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Kosten für die Beiziehung eines Prozessbevollmächtigten erstinstanzlich nicht erstattungsfähig. Durch diese Regelung soll das Kostenrisiko der Partei begrenzt werden. Sie soll aber nicht dadurch begünstigt werden, dass die erstattungsberechtigte Gegenpartei nicht selbst erscheint, sondern einen Prozessbevollmächtigten entsendet. Das folgt aus dem vom Gesetz verfolgten Zweck, die durch einen Prozessbevollmächtigten eintretende Verteuerung des Prozesses zu verhindern, nicht jedoch Kostenerstattungsansprüche schlechthin auszuschließen (vgl. Schaub Arbeitsgerichtsverfahren 7. Aufl. § 49 Rn. 12). Alle außergerichtlichen Kosten der Partei, die nicht in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG genannt sind, bleiben erstattungsfähig (vgl. Schwab/Weth/Vollstädt ArbGG § 12a Rn. 19).
3. (Hypothetische) Reisekosten der Partei vom Sitz des Unternehmens zum Gerichtsort können auch dann notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO sein, wenn der Rechtsstreit am Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses geführt wird.
a) Die prozessuale Möglichkeit, Klagen gemäß § 29 Abs. 1 ZPO am Erfüllungsort oder in arbeitsrechtlichen Verfahren am gewöhnlichen Arbeitsort gemäß § 48 Abs. 1a ArbGG erheben zu können, besagt noch nichts über den Umfang der Kostentragungspflicht nach § 91 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Gerichtsstandsregelungen haben keinen kostenrechtlichen Bezug. Auch aus § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, der diesen kostenrechtlichen Bezug hat, folgt für die vorliegende Konstellation keine Besonderheit. Diese Norm schließt im ersten Rechtszug nur einen Entschädigungsanspruch der obsiegenden Partei wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten aus. (Hypothetische) Reisekosten der obsiegenden Partei werden von dieser Regelung nicht berührt. Insoweit bleibt es bei dem oben geschilderten Grundsatz eines Kostenerstattungsanspruchs der obsiegenden Partei in Verbindung mit dem Erfordernis eines möglichst kostenschonenden Vorgehens.
b) Danach wird die Notwendigkeit von Reisekosten der Partei zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts häufig ausgeschlossen sein. Dies ist aber nicht zwingend der Fall. Für die Frage der Notwendigkeit der Reisekosten im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO kommt es darauf an, ob eine ordnungsgemäße Prozessführung durch Mitarbeiter der Partei am Ort des Prozessgerichts möglich wäre (vgl. Zöller/Herget ZPO 30. Aufl. § 91 Rn. 13 Arbeitsgerichtsverfahren; ErfK/ Koch 15. Aufl. § 12a ArbGG Rn. 4). Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen (vgl. BAG 21. Januar 2004 – 5 AZB 43/03 – zu II 1 der Gründe).
4. Die (hypothetischen) Reisekosten der Beklagten von A nach Kiel waren im vorliegenden Fall notwendig. Ihr war es nicht möglich, den Rechtsstreit durch einen ihrer Mitarbeiter aus der Betriebsstätte K zu führen. Dort werden nur wenige Arbeitnehmer und diese ausschließlich im technischen Bereich beschäftigt. Auch der dort beschäftigte Teamleiter kam nicht als Prozessvertreter der Beklagten in Betracht. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im angegriffenen Beschluss war dieser angesichts der im Rechtsstreit inhaltlich zu behandelnden Rechtsfragen und dessen Bedeutung nicht ausreichend kompetent, diesen zu führen. Das Landesarbeitsgericht hat seine Feststellung, auch unter angemessener Berücksichtigung der Vorgesetztenstellung des Teamleiters, näher begründet. Ein Rechtsfehler ist dabei nicht zu erkennen. Der Kläger hat insoweit auch keine konkrete Verfahrensrüge erhoben, sondern nur seine Ansicht gegen die des Landesarbeitsgerichts gesetzt.
II. Die Höhe der hypothetischen Reisekosten der Beklagten für die Wahrnehmung der drei Termine vor dem Arbeitsgericht von 2.066,48 Euro ist zwischen den Parteien unstreitig.
III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Linck, Brune, Schlünder
Fundstellen
Haufe-Index 8391161 |
BB 2015, 2292 |
DB 2015, 2340 |