Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenfestsetzung. Anwaltskosten. zweckentsprechende Rechtsverfolgung
Leitsatz (amtlich)
Der obsiegenden Partei sind im Berufungsverfahren die Anwaltskosten auch dann zu ersetzen, wenn eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern iSv. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 ArbGG bereit gewesen wäre, die Vertretung unentgeltlich zu übernehmen.
Orientierungssatz
1. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO bildet insofern eine Ausnahme zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, als er für seinen Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet.
2. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO hindert andererseits nicht zu überprüfen, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Ferner kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ausnahmsweise dann nicht als zweckentsprechend angesehen werden, wenn sie offensichtlich nutzlos ist.
3. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts gelten unabhängig von den konkreten Umständen stets als zweckentsprechend verursachte Kosten.
4. Die Mandatierung eines Rechtsanwalts als solche – auch für den Fall, dass ein gerichtliches Verfahren ohne ihn hätte geführt werden können – kann nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 1, §§ 104, 577 Abs. 2 S. 4, §§ 559, 717 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 12. Februar 2015 – 4 Ta 184/14 (2) – in der Fassung des Beschlusses vom 24. Juni 2015 – 4 Ta 39/15 (2) – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen.
3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 9.258,10 Euro festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Beklagte wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts.
Die Klägerin machte im Ausgangsverfahren gegen die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin einen Anspruch auf Zahlung einer Sozialplanabfindung in Höhe von 203.000,00 Euro geltend. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Im zweiten Rechtszug einigten sich die Parteien vor dem Landesarbeitsgericht nach Begründung und Erwiderung der Berufung in einem gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO geschlossenen Vergleich auf einen Abfindungsbetrag von 178.000,00 Euro. Der Vergleich enthält hinsichtlich der Kosten folgende Regelung: „Die Kosten des Rechtsstreits und dieses Vergleichs hat die Beklagte zu 9/10, die Klägerin zu 1/10 zu tragen.”
Die Klägerin ist Mitglied im Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie e. V. (VAA). Der VAA, der nach § 2 Abs. 3 Satz 1 seiner Satzung seinen Mitgliedern Rechtsschutz in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten gewährt, vertrat die Klägerin handelnd durch Herrn Assessor L im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht. Dieser verfügt auch über eine Zulassung als Rechtsanwalt. Nachdem die anwaltlich vertretene Beklagte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hatte, zeigte Herr L die zweitinstanzliche Vertretung der Klägerin in seiner Funktion als Rechtsanwalt an.
Nach Abschluss des Rechtsstreits durch den Vergleich beantragten beide Parteien Kostenfestsetzung. Mit Beschluss vom 4. April 2014 setzte das Arbeitsgericht im Wege der Kostenausgleichung nach § 106 Abs. 1 ZPO die der Klägerin von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 7.570,46 Euro zuzüglich Zinsen und damit auf insgesamt 8.071,65 Euro fest. Dabei legte das Arbeitsgericht die von den Parteien geltend gemachten Beträge zugrunde und berücksichtigte unter anderem die der Klägerin im Berufungsverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Beklagten hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht hat sie zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Nachdem die Klägerin die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts angedroht hatte, zahlte die Beklagte nach Zustellung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts unter Vorbehalt sowohl die festgesetzten Kosten nebst Zinsen als auch die von Herrn Rechtsanwalt L außergerichtlich geltend gemachten Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von weiteren 1.086,23 Euro. Später setzte Herr Rechtsanwalt L seine Gebührenrechnung für das Beschwerdeverfahren auf 355,81 Euro herab und zahlte 730,42 Euro an die Beklagte zurück. In dieser Höhe erklärte die Beklagte sodann das Rechtsbeschwerdeverfahren für erledigt.
Die Beklagte hat gemeint, Rechtsanwaltskosten für Herrn L seien nicht erstattungsfähig, da dessen Beauftragung als Rechtsanwalt nicht notwendig gewesen sei. Sie hat des Weiteren bestritten, dass Herr L einen Anspruch auf Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren gegen die Klägerin habe und von dieser oder vom VAA eine Zahlung an ihn erfolgt sei. Nach der im Vergleich getroffenen Kostenverteilung seien nur die der Beklagten entstandenen Kosten im Umfang der vereinbarten Quote erstattungsfähig.
Die Beklagte hat zuletzt beantragt
- die erstinstanzlich von der Klägerin an sie zu erstattenden Kosten auf 38,00 Euro und die zweitinstanzlich von der Klägerin an sie zu erstattenden Kosten auf 62,22 Euro festzusetzen;
- die Klägerin zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 8.427,46 Euro (8.071,65 Euro Rechtsanwaltskosten des Berufungsverfahrens und 355,81 Euro Rechtsanwaltskosten des Beschwerdeverfahrens) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. März 2015 zu zahlen.
Die Klägerin hat zur Begründung ihres Abweisungsantrags ausgeführt, vom VAA seien die ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten übernommen worden. Sie sei berechtigt gewesen, sich zweitinstanzlich vor dem Landesarbeitsgericht durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.
Entscheidungsgründe
B. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist hinsichtlich der an Herrn L für das Beschwerdeverfahren gezahlten Rechtsanwaltsgebühren unzulässig und im Übrigen unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten für das Berufungsverfahren verlangen.
I. Soweit die Beklagte die Rückerstattung der unter Vorbehalt gezahlten Rechtsanwaltsgebühren für das Beschwerdeverfahren begehrt, ist die Rechtsbeschwerde unzulässig. Deshalb kommt auch keine einseitige Teilerledigungserklärung des hierauf bezogenen Rechtsbeschwerdeantrags in Betracht (vgl. BAG 5. September 1995 – 9 AZR 718/93 – zu A I 2 der Gründe, BAGE 80, 380; zur Erledigterklärung eines Rechtsmittels vgl. BGH 30. September 2009– VIII ZR 29/09 – Rn. 10).
1. Der Beurteilung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegt grundsätzlich nur dasjenige Parteivorbringen, welches auch Gegenstand der Entscheidung des Beschwerdegerichts war.
a) Gemäß § 577 Abs. 2 Satz 4 iVm. § 559 ZPO ist das Rechtsbeschwerdegericht bei der Überprüfung des Beschlusses des Beschwerdegerichts an dessen tatsächliche Feststellungen gebunden (Musielak/Voit/Ball ZPO 12. Aufl. § 577 Rn. 3). In der Rechtsbeschwerdeinstanz können grundsätzlich weder neue Ansprüche oder Antragserweiterung angebracht (vgl. BAG 16. April 2015– 6 AZR 352/14 – Rn. 20; BGH 23. Juni 1988 – IX ZR 172/87 – zu I der Gründe, BGHZ 105, 34) noch neue Tatsachen und Beweise vorgebracht werden (vgl. BGH 18. September 2003 – IX ZB 40/03 – zu III 1 der Gründe, BGHZ 156, 165).
b) Die vom Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten mit einem außergerichtlichen Schreiben vom 4. März 2015 und einer berichtigten Fassung vom 19. August 2015 geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren für das Verfahren der sofortigen Beschwerde, welche von der Beklagten in der Folgezeit gezahlt und ihr teilweise rückerstattet wurden, betreffen neue Tatsachen und einen neuen Antrag, der nicht Gegenstand des angegriffenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts ist. Sie sind deshalb nicht berücksichtigungsfähig.
2. Der Nichtberücksichtigung der im Verfahren der sofortigen Beschwerde angefallenen Rechtsanwaltsgebühren der Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren steht nicht entgegen, dass es auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zulässig ist, nach Maßgabe von § 717 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO neue Ansprüche geltend zu machen (vgl. Thomas/Putzo/Reichold ZPO 36. Aufl. § 559 Rn. 6; BAG 5. April 1962 – 5 AZR 486/60 – zu 2 der Gründe).
a) Die Regelungen in § 717 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO gelten zwar nicht allein für aufgehobene oder abgeänderte Urteile, sondern in entsprechender Anwendung auch für Kostenfestsetzungsbeschlüsse nach § 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. MüKoZPO/Götz 4. Aufl. § 717 Rn. 11; Thomas/Putzo/Seiler ZPO § 717 Rn. 6). Erforderlich ist aber, dass die mit dem Antrag zurückgeforderte Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckungsfähigen Titel erfolgt ist (vgl. BAG 4. April 1989 – 8 AZR 427/87 – zu II 3 b der Gründe, BAGE 61, 243).
b) Diese Anforderung ist hier indes nicht erfüllt. Die Zahlung der Beklagten erfolgte weder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung noch aufgrund eines vollstreckbaren Titels. Die Klägerin hat hinsichtlich des Verfahrens der sofortigen Beschwerde keine Kostenfestsetzung beantragt, so dass kein vollstreckbarer Titel in Form eines Kostenfestsetzungsbeschlusses vorlag. Die Beklagte hat die Rechtsanwaltsgebühren vielmehr allein aufgrund einer Rechnung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gezahlt. Dies ist kein Fall des § 717 Abs. 2 ZPO, der Gegenstand eines in der Rechtsbeschwerde neu erhobenen Anspruchs sein könnte.
II. Der Beklagten steht kein Schadensersatzanspruch analog § 717 Abs. 2 ZPO auf Rückerstattung der aufgrund des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Arbeitsgerichts an die Klägerin erfolgten Zahlung zu. Die vom Arbeitsgericht mit Beschluss vom 4. April 2014 vorgenommene Kostenausgleichung ist zu Recht erfolgt, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten im Berufungsverfahren. Dies folgt allerdings nicht – wie von der Klägerin angenommen – bereits aus dem Vergleich der Parteien. Dieser regelt die Kostentragungspflicht nur dem Grunde nach und trifft keine Aussage über die Erstattungsfähigkeit einzelner Kosten. Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich aber aus der gesetzlichen Regelung in § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO.
1. Der obsiegenden Partei sind nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO in allen Prozessen die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts zu erstatten. Die Norm bildet insofern eine Ausnahme zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet (BGH 20. Mai 2014 – VI ZB 9/13 – Rn. 9; 4. Februar 2003 – XI ZB 21/02 – zu II 2 a der Gründe).
2. Allerdings unterliegt die Rechtsausübung im Zivilverfahren und damit auch die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot.
a) Nach diesem Grundsatz trifft jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BAG 17. August 2015 – 10 AZB 27/15 – Rn. 13). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind (vgl.BGH 20. Mai 2014 – VI ZB 9/13 – Rn. 6). Gesetzlich eingeräumte Wahlmöglichkeiten bleiben jedoch unberührt (vgl. Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann ZPO 4. Aufl. § 91 Rn. 8; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 91 Rn. 55).
b) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts gelten unabhängig von den konkreten Umständen stets als zweckentsprechend verursachte Kosten (vgl. BGH 20. Mai 2014 – VI ZB 9/13 – Rn. 9 mwN; 4. Februar 2003 – XI ZB 21/02 – zu II 2 a der Gründe mwN aus der Entstehungsgeschichte der Norm). Ohne Bedeutung ist deshalb, ob für das einzelne Verfahren Anwaltszwang besteht; eine Partei soll sich im Prozess grundsätzlich anwaltlicher Hilfe bedienen können, ohne Kostennachteile befürchten zu müssen (vgl. BGH 4. Februar 2003 – XI ZB 21/02 – zu II 2 d der Gründe; Musielak/Voit/Lackmann ZPO § 91 Rn. 11). Das gilt auch für die rechtskundige Partei und für diejenige, die über eine eigene Rechtsabteilung verfügt (vgl. BGH 19. September 2013 – IX ZB 160/11 – Rn. 8). Die Partei ist auch nicht verpflichtet, eine kostenlose rechtliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, die ihr aufgrund einer Verbandsmitgliedschaft zusteht (vgl. Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann ZPO § 91 Rn. 82). Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO ist daher grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Partei für das Verfahren einen Rechtsanwalt beauftragen durfte und dies objektiv notwendig war (vgl. BGH 17. Dezember 2002 – X ZB 9/02 – zu II 3 c der Gründe; Stein/Jonas/Bork ZPO § 91 Rn. 133; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO § 91 Rn. 19). Maßgeblich ist allein die Frage, ob eine verständige Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Anwalt beauftragt hätte, was für einen Rechtsmittelgegner der Regelfall ist (vgl. BGH 17. Dezember 2002 – X ZB 9/02 – aaO; BAG 14. November 2007 – 3 AZB 36/07 – Rn. 12).
c) § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO hindert andererseits nicht zu überprüfen, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war (vgl. OLG Karlsruhe 22. August 1994 – 11 W 105/94 – zu II 2 der Gründe; Stein/ Jonas/Bork ZPO § 91 Rn. 133). Ferner kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ausnahmsweise dann nicht als zweckentsprechend angesehen werden, wenn sie offensichtlich nutzlos ist (vgl. MüKoZPO/Schulz § 91 Rn. 57). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn dem Rechtsmittelgegner gleichzeitig mit der Zustellung der Rechtsmittelschrift vom Rechtsmittelgericht mitgeteilt wird, dass aus formalen Gründen eine Verwerfung des Rechtsmittels ohne mündliche Verhandlung beabsichtigt sei und deshalb für ihn keine als risikohaft empfundene Situation besteht (vgl. BAG 14. November 2007 – 3 AZB 36/07 – Rn. 12; BGH 10. November 2009 – VIII ZB 60/09 – Rn. 10). Soweit der Beschluss des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 14. November 2007 (– 3 AZB 36/07 – Rn. 12) dahin verstanden werden könnte, dass hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten nicht auf das Merkmal der „zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung”, sondern auf das Merkmal der „Notwendigkeit” im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzustellen ist (zur Differenzierung beider Begriffe vgl. Zöller/Herget ZPO 30. Aufl. § 91 Rn. 12), hält der nunmehr für Rechtsbeschwerden allein zuständige Zehnte Senat daran nicht fest.
3. Die vorstehend genannten Grundsätze gelten auch für die Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz. Im Berufungs- und Revisionsrechtszug gilt § 91 ZPO uneingeschränkt, da es insoweit an einer Bezugnahme in § 64 Abs. 7, § 72 Abs. 6 auf § 12a ArbGG fehlt (vgl. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 12a Rn. 39; GWBG/Waas ArbGG 8. Aufl. § 12a Rn. 20).
a) Der obsiegenden Partei sind im Berufungsverfahren die Anwaltskosten auch dann zu ersetzen, wenn eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern iSv. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 ArbGG bereit gewesen wäre, die Vertretung unentgeltlich zu übernehmen (vgl. Düwell/Lipke/Dreher ArbGG 3. Aufl. § 12a Rn. 10). Anders als im Verfahren der Prozesskostenhilfebewilligung, bei der die Möglichkeit der Inanspruchnahme gewerkschaftlichen Rechtsschutzes zu berücksichtigen ist (vgl. hierzu BAG 18. November 2013 – 10 AZB 38/13 –), kommt es bei der Frage der Kostenerstattung nicht darauf an, ob die erstattungsberechtigte Partei über zumutbar einzusetzendes Vermögen verfügt. Maßgeblich ist insoweit allein die Frage, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als zweckentsprechende Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung anzusehen ist. Das ist für ein Rechtsmittelverfahren wie oben geschildert grundsätzlich zu bejahen.
b) Ist der Verbandsvertreter Rechtsanwalt und tritt er in dieser Eigenschaft für das vertretene Verbandsmitglied auf, sind die dadurch entstehenden Kosten zu erstatten (vgl. GWBG/Waas ArbGG § 12a Rn. 20). Das gilt selbst dann, wenn der Verband im Unterliegensfall die Kosten des Rechtsanwalts tragen würde (vgl. Düwell/Lipke/Dreher ArbGG § 12a Rn. 10). Insoweit folgt die Rechtsschutzgewährung ähnlichen Grundsätzen, wie dies bei einer Rechtsschutzversicherung der Fall wäre. Etwas anderes gilt dann, wenn der Rechtsanwalt nicht in dieser Funktion, sondern lediglich als Verbandsvertreter vor Gericht auftritt. In diesem Falle kann er keine Gebühren liquidieren.
c) Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf instanzgerichtliche Rechtsprechung, die Fallgestaltungen betrifft, in denen während des Berufungsverfahrens eine Partei dem Verband das Mandat entzogen und einen Rechtsanwalt beauftragt hat (vgl. LAG Schleswig-Holstein 5. September 2012 – 5 Ta 134/12 –; LAG Berlin-Brandenburg 3. Januar 2013 – 17 Ta (Kost) 6118/12 –). Diese Entscheidungen vermengen unzutreffend die Begriffe der Zweckentsprechung und der Notwendigkeit. Sie berücksichtigen nicht, dass im Rahmen des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO keine Notwendigkeitsprüfung stattzufinden hat. Nur wenn ein Verbandsvertreter das gerichtliche Verfahren in einer Instanz bereits betrieben hat, ist zu prüfen, ob die nachträgliche Mandatierung eines Rechtsanwalts in der konkreten Prozesssituation und angesichts des bereits erfolgten Prozessfortschritts noch zweckentsprechend war.
d) Im Übrigen weichen die den genannten Entscheidungen (vgl. LAG Schleswig-Holstein 5. September 2012 – 5 Ta 134/12 –; LAG Berlin-Brandenburg 3. Januar 2013 – 17 Ta (Kost) 6118/12 –) zugrunde liegenden Sachverhalte von dem vorliegenden insoweit ab, als die Klägerin schon zu Beginn des Berufungsverfahrens Herrn L als Rechtsanwalt mandatiert hatte. Dass er ebenso als Verbandsvertreter hätte auftreten und die Klägerin sich in dieser Weise vor dem Landesarbeitsgericht hätte vertreten lassen können, spielt nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen keine Rolle. Es liegt auch kein Sonderfall vor, in welchem die Mandatierung eines Rechtsanwalts durch die Klägerin nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigung anzusehen wäre. Die Beklagte hat das Rechtsmittel der Berufung eingelegt, so dass die Klägerin als Rechtsmittelgegnerin eine risikobehaftete Situation annehmen durfte. Dies gilt umso mehr, als die Berufung der selbst anwaltlich vertretenen Beklagten nicht schon aus formalen Gründen offenkundig unzulässig war oder von dieser lediglich fristwahrend eingelegt, sondern auch umfangreich begründet wurde.
III. Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ist auch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen.
1. Die Beklagte wendet zu Unrecht ein, der Klägerin seien für die Mandatierung von Herrn Rechtsanwalt L keine Kosten entstanden.
a) Allerdings müssen die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemachten Kosten tatsächlich erwachsen sein. Es ist aber nicht erforderlich, dass sie bereits bezahlt wurden. Es genügt, dass der Kostengläubiger für die Kosten haftet und eine Rechtspflicht zur Zahlung besteht (vgl. MüKoZPO/Schulz § 104 Rn. 29; Zöller/Herget ZPO § 104 Rn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO § 104 Rn. 9), wie auch § 105 Abs. 2 ZPO voraussetzt (vgl. Wieczorek/Schütze/ Smid/Hartmann ZPO § 104 Rn. 9; Stein/Jonas/Bork ZPO § 104 Rn. 11).
b) Vorliegend schuldet die Klägerin Herrn L als ihren mandatierten Rechtsanwalt nach § 675 Abs. 1, § 611 Abs. 1 BGB iVm. den Vorschriften des RVG Anwaltshonorar. Herr L ist unstreitig Rechtsanwalt und in dieser Funktion für die Klägerin im Berufungsrechtszug aufgetreten. Nach § 49b Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BRAO ist es grundsätzlich unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das RVG vorsieht. Ein Ausnahmefall im Sinne von § 49b Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BRAO ist nicht ersichtlich. Eine Vereinbarung, die bei gerichtlicher Vertretung durch einen Rechtsanwalt von vornherein auf einen Vergütungsverzicht hinausliefe, wäre unzulässig, wie schon § 4 Abs. 1 Satz 1 RVG zeigt (vgl. Mayer/Kroiß RVG 6. Aufl. § 2 Rn. 7) und gemäß § 134 BGB nichtig. Einwendungen aus dem Innenverhältnis zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Anwalt – zB nachträglicher Verzicht auf das Anwaltshonorar oder Unwirksamkeit des Anwaltsvertrags – spielen für das vorliegende Verfahren keine Rolle, da es sich insoweit um materiell-rechtliche Einwendungen handeln würde (vgl. Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann ZPO § 104 Rn. 12; Stein/Jonas/Bork ZPO § 104 Rn. 14; MüKoZPO/Schulz § 104 Rn. 50; Zöller/Herget ZPO § 104 Rn. 21 „Verzicht”). Derartige Einwendungen gegen einen Kostenerstattungsanspruch sind im Kostenfestsetzungsverfahren, das auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten ist, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu ausführlich BAG 30. Juni 2015 – 10 AZB 17/15 –). Ein Ausnahmefall, in dem dies doch möglich wäre, liegt offenkundig nicht vor.
2. Ob die der Klägerin durch die Mandatierung eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten zwischenzeitlich vom VAA beglichen wurden, spielt für die Frage der Kostenfestsetzung keine Rolle. Insbesondere kann die Beklagte insoweit nicht eine mangelnde Aktivlegitimierung der Klägerin im Kostenfestsetzungsverfahren einwenden. Dass ein Dritter die erstattungsberechtigte Partei von der Zahlungspflicht freistellt, berührt den Erstattungsanspruch nicht (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO § 104 Rn. 9). Der Erstattungspflichtige soll nicht von einer „zufälligen Verlagerung” der Kosten profitieren (vgl. MüKoZPO/Schulz § 104 Rn. 26). Eine Rechtsgrundlage für einen Übergang des Kostenerstattungsanspruchs auf den VAA ist nicht ersichtlich. Die Bezugnahme der Beklagten auf § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG ist schon deswegen unzutreffend, da es sich beim VAA nicht um ein Versicherungsunternehmen handelt.
3. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin wegen Rechtsmissbrauchs abzulehnen.
a) Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist zwar auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen (vgl. BGH 11. September 2012 – VI ZB 59/11 – Rn. 9). Er kommt beispielsweise in Betracht, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen einheitlichen Lebenssachverhalt willkürlich in mehrere Prozessmandate aufgespalten hat oder mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen denselben Antragsgegner vorgegangen sind. Gleiches würde gelten, wenn die von demselben Prozessbevollmächtigten vertretenen Antragsteller die gleichartigen oder in innerem Zusammenhang zueinander stehenden und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsenen Ansprüche vor unterschiedlichen Gerichten verfolgt haben, obwohl eine subjektive Klagehäufung auf der Aktiv- oder Passivseite für die Antragsteller nicht mit Nachteilen verbunden gewesen wäre (vgl. BGH 20. November 2012 – VI ZB 3/12 – Rn. 10).
b) Die Mandatierung eines Rechtsanwalts als solche – auch für den Fall, dass ein gerichtliches Verfahren ohne ihn hätte geführt werden können – kann nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Die gegenteilige Sicht wäre nicht mit dem Recht auf anwaltliche Vertretung gemäß § 3 Abs. 3 BRAO in Einklang zu bringen. Die Regelung der Erstattungspflicht von Anwaltskosten in allen Prozessen – also auch in solchen, in denen kein Anwaltszwang besteht – gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO zeigt ferner, dass der Gesetzgeber es nicht als rechtsmissbräuchlich ansieht, wenn eine Partei in einer gerichtlichen Auseinandersetzung einen Rechtsanwalt beauftragt, auch wenn sie das Verfahren ohne ihn hätte führen können. Das von der Beklagten behauptete überschießende Motiv der Klägerin, die Mandatierung von Herrn L als Rechtsanwalt diene nur dazu, die Beklagte mit Kosten zu belasten, ist im Übrigen nicht zu erkennen. Dies gilt umso mehr als es die Beklagte selbst war, die das Rechtsmittel eingelegt hat. Angesichts der Ungewissheit des Ausgangs des Berufungsverfahrens kann nicht angenommen werden, die maßgebliche Motivation der Klägerin, sich im Rechtsmittelverfahren wie die Beklagte anwaltlich vertreten zu lassen, sei aus bloßer Schädigungsabsicht erfolgt.
IV. Die Beklagte hat im Rahmen der Kostenausgleichung keinen Anspruch auf anteilige Festsetzung im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren zu erstattender Reisekosten. Im Rahmen der Kostenausgleichung nach § 106 Abs. 1 ZPO durch das Arbeitsgericht, welche die von der Beklagten geltend gemachten Reisekosten berücksichtigt hat, besteht allein ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten. Im Übrigen hätte die Beklagte unter Zugrundelegung der im Vergleich vereinbarten Kostenquote von 1/10 (Klägerin) zu 9/10 (Beklagte) im Rahmen der Kostenausgleichung selbst dann keinen Erstattungsanspruch gegen die Klägerin, wenn diese sich im Berufungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt, sondern vom VAA hätte vertreten lassen. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht wird in Bezug auf Erstattungsansprüche der Gegenseite nach § 12a Abs. 2 Satz 1 ArbGG fingiert, dass auch der verbandsmäßig vertretenen Partei Anwaltskosten entstanden sind (vgl. GMP/Germelmann § 12a Rn. 43).
V. Gegen die Höhe der vom Arbeitsgericht bei der Kostenausgleichung berücksichtigten Beträge und die Berechnung im Übrigen hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben.
C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG und legt die von der Beklagten im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend gemachten Beträge zugrunde.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Schlünder
Fundstellen
Haufe-Index 8899268 |
BAGE 2016, 261 |
BB 2016, 179 |