Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtliches Gehör. Präklusion
Orientierungssatz
1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann damit begründet werden, das Landesarbeitsgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es Parteivortrag übergangen habe. Ob das übergangene Vorbringen entscheidungserheblich ist, richtet sich nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen und seinen rechtlichen Ausführungen.
2. Unterlaufen den Gerichten Rechtsfehler, ist nicht schon aus diesem Grund der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Übergeht das Gericht Vortrag, auf den es aus seiner Sicht nicht ankommt, verstößt es grundsätzlich nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, auch wenn seine Auffassung unrichtig ist.
3. Das Gericht braucht nicht jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu behandeln. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte dazu, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und sie in Erwägung zu ziehen. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht genügt.
4. Der im Rahmen des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu berücksichtigende allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien des Zivilprozesses vor dem Richter und verlangt Gleichheit der Rechtsanwendung im Interesse materieller Gerechtigkeit. Diese verfassungsrechtliche Verpflichtung gilt auch für das Verfahrensrecht. Nicht jeder Rechtsanwendungsfehler verletzt jedoch den allgemeinen Gleichheitssatz. Hinzukommen muss, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der Gedanken des Grundgesetzes nicht mehr verständlich ist und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur anzunehmen, wenn sie sich aus den besonderen Umständen des Falls ergibt.
5. Solche besonderen Umstände liegen grundsätzlich nicht vor, wenn das Landesarbeitsgericht verspäteten Vortrag nicht zurückweist und einen neuen Termin bestimmt. Die Revision kann schon deshalb nicht zugelassen werden, weil auch eine zugelassene Revision in der Regel nicht erfolgreich darauf gestützt werden kann, das Berufungsgericht habe verspäteten Vortrag zugelassen. Die Präklusionsvorschriften dienen der Beschleunigung, nicht der Sanktion. Ihrem Zweck widerspräche es, wenn die Zulassung verspäteten Vorbringens durch das Revisionsgericht nachträglich beseitigt werden könnte. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz kommt nur in Betracht, wenn dem Prozessverlauf eine zielgerichtete, auf sachfremden Überlegungen beruhende Ungleichbehandlung der Parteien bei der Anwendung der Präklusionsvorschriften zu entnehmen ist.
Normenkette
GG Art. 3, 103; ArbGG §§ 67, 72, 72a; ZPO § 313
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 10.05.2007; Aktenzeichen 11 Sa 1460/06) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 13.07.2006; Aktenzeichen 6 Ca 676/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. Mai 2007 – 11 Sa 1460/06 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 37.400,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer fristloser und ordentlicher Kündigungen der beklagten Arbeitgeberin sowie einen Auflösungsantrag des Klägers.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst wurde. Den Auflösungsantrag hat es zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat die erste fristlose Kündigung auf Grund der in der Berufungsinstanz nachgeschobenen Kündigungsgründe, die es als Verletzungen der vertraglichen Loyalitätspflicht gewertet hat, für wirksam gehalten. Um die tatsächlichen Voraussetzungen der nachgeschobenen Kündigungsgründe aufzuklären, hat das Landesarbeitsgericht die Berufungsverhandlung einmal vertagt. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör stützt.
Entscheidungsgründe
B. Die Beschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.
I. Nach § 72a Abs. 1 iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, das Landesarbeitsgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und darauf beruhe die anzufechtende Entscheidung. Ob das übergangene Vorbringen entscheidungserheblich ist, richtet sich nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen und seinen rechtlichen Ausführungen. Es genügt, wenn der Schluss gerechtfertigt ist, dass das Berufungsgericht bei richtigem Verfahren möglicherweise anders entschieden hätte (Senat 10. Mai 2005 – 9 AZN 195/05 – BAGE 114, 295, zu II 2 der Gründe).
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht einer Partei zuzustimmen. Unterlaufen den Gerichten Rechtsfehler, ist nicht schon aus diesem Grund der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Übergeht das Gericht Vortrag, auf den es aus seiner Sicht nicht ankommt, verstößt es daher grundsätzlich nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, auch wenn seine Auffassung unrichtig ist (vgl. BVerfG 26. Juli 2005 – 1 BvR 85/04 – NJW 2005, 3345, zu II 2b aa, bb (1) der Gründe).
Das Gericht braucht nicht jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu behandeln. Nach § 313 Abs. 3 ZPO enthalten die Entscheidungsgründe eine kurze Zusammenfassung der Überlegungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten einen Anspruch darauf, sich vor der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und sie in Erwägung zu ziehen. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht genügt. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nur anzunehmen, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falls ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht nicht nachgekommen ist (st. Rspr. vgl. BVerfG 26. Juli 2005 – 1 BvR 85/04 – NJW 2005, 3345, zu II 2b aa, bb der Gründe; 8. Oktober 2003 – 2 BvR 949/02 – EzA GG Art. 103 Nr. 5, zu II 1a der Gründe).
II. Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor.
1. Der Kläger beanstandet, das Berufungsgericht habe den in zweiter Instanz gehaltenen Vortrag der Beklagten zu den nachgeschobenen Kündigungsgründen entgegen seiner Rüge nicht als verspätet zurückgewiesen. Dadurch sei die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden, weil ein neuer Termin nötig geworden sei. Dieser Umstand erlaubt selbst dann nicht die Zulassung der Revision, wenn ein Fall verspäteten Vorbringens nach § 67 Abs. 3 oder 4 ArbGG unterstellt wird.
a) Der im Rahmen des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu berücksichtigende allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien des Zivilprozesses vor dem Richter und verlangt die Gleichheit der Rechtsanwendung im Interesse materieller Gerechtigkeit. Diese verfassungsrechtliche Verpflichtung gilt auch für das Verfahrensrecht. Nicht jeder Rechtsanwendungsfehler verletzt jedoch den allgemeinen Gleichheitssatz. Hinzukommen muss, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der Gedanken des Grundgesetzes nicht mehr verständlich ist und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG 24. April 1985 – 2 BvR 1248/82 – BVerfGE 69, 248, zu III 2b der Gründe).
b) Solche besonderen Umstände liegen grundsätzlich nicht vor, wenn das Landesarbeitsgericht verspäteten Vortrag nicht zurückweist und einen neuen Termin bestimmt.
aa) Die Vorgehensweise des Landesarbeitsgerichts verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör schon deshalb nicht, weil auch eine zugelassene Revision in der Regel nicht erfolgreich darauf gestützt werden kann, dass das Berufungsgericht verspäteten Vortrag zugelassen hat. Die Präklusionsvorschriften dienen der Beschleunigung, nicht der Sanktion (vgl. BAG 23. November 1988 – 4 AZR 393/88 – juris Rn. 24, BAGE 60, 174, 182). Ihrem Zweck widerspräche es, wenn die Zulassung verspäteten Vorbringens durch das Revisionsgericht nachträglich beseitigt werden könnte. Die Beschleunigungswirkungen, die die Verspätungsvorschriften sichern sollen, können nicht mehr erzielt werden, sobald das Berufungsgericht dem Vortrag nachgegangen ist. Stattdessen würde die Feststellung des wahren Sachverhalts ohne zwingenden Grund eingeschränkt (vgl. zu der Konstellation eines vom Berufungsgericht zugelassenen, erstinstanzlich als verspätet behandelten Tatsachenvortrags BGH 26. Februar 1991 – XI ZR 163/90 – NJW 1991, 1896, zu 1 der Gründe).
bb) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz kommt nur in Betracht, wenn dem Prozessverlauf eine zielgerichtete, auf sachfremden Überlegungen beruhende Ungleichbehandlung der Parteien bei der Anwendung der Präklusionsvorschriften zu entnehmen ist. Für eine solche über einen bloßen Rechtsanwendungsfehler hinausgehende Benachteiligung des Klägers bestehen hier keine Anhaltspunkte.
2. Die Beschwerde rügt ferner, dass der in zweiter Instanz geltend gemachte Einwand der Verwirkung der nachgeschobenen Kündigungsgründe übergangen worden sei. Unberücksichtigt geblieben sei der Vortrag, es sei treuwidrig und unredlich, über Monate in Kaufabsicht mit einem anderen Unternehmen zu verhandeln, dann die eigene Unternehmensgruppe überraschend zu verkaufen und zehn Monate später angebliche Kündigungsgründe “zusammenzubasteln”.
Mit diesem Einwand nimmt der Kläger lediglich eine andere rechtliche Würdigung vor als das Landesarbeitsgericht, beruft sich jedoch nicht auf einen übergangenen Sachvortrag. Die Beschwerde macht nicht geltend, der Kläger habe in der Berufungsinstanz tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger zum Ausdruck gebracht habe, ihre Kündigung nicht auf den nachgeschobenen Loyalitätsverstoß stützen zu wollen. Das von der Beschwerde zitierte Vorbringen behandelt die Verhaltensweisen und Erklärungen der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht. Damit führt die Beschwerde keine in zweiter Instanz vorgetragenen Umstände an, die zu einem berechtigten Vertrauen des Klägers hätten führen dürfen.
3. Soweit die Beschwerde rügt, der Kündigungsgrund sei in zweiter Instanz ausgetauscht worden und die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt, nimmt sie Rechtsanwendungsfehler des Landesarbeitsgerichts an. Eine solche Rechtsfehlerkontrolle ist dem Beschwerdegericht verwehrt. Sie ist einer zugelassenen Revision vorbehalten.
C. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Beschwerde zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Düwell, Krasshöfer, Gallner, Hintloglou, Pfelzer
Fundstellen