Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Rechtsbeschwerde. Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. auch nach Neugestaltung des Beschwerderechts durch das Zivilprozeßreformgesetz keine Rechtsbeschwerde gegen Beschluß des Landesarbeitsgerichts nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG. keine Statthaftigkeit des gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsmittels trotz Zulassung durch das Landesarbeitsgericht. Kündigungsschutzverfahren. Prozeßrecht
Leitsatz (amtlich)
Auch nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung des Beschwerderechts (§§ 567 ff. ZPO nF; § 78 ArbGG nF) ist die Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Verfahren der nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG nicht statthaft.
Orientierungssatz
Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG ist im Verfahren der nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage nur die sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht zulässig und gesetzlich vorgesehen. Eine weitere Beschwerde bzw. Rechtsbeschwerde kennt das zweistufige Klagezulassungsverfahren nicht.
Hieran hat sich auch durch die Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozeßreformgesetz nichts geändert. § 78 Satz 2 ArbGG nF iVm. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF eröffnet keine Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht im Verfahren nach § 5 KSchG.
Die Zulassung der gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht führt nicht zu ihrer Statthaftigkeit.
Normenkette
KSchG § 5 Abs. 4; ArbGG n.F. § 78; ZPO n.F. § 574
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 12. März 2002 – 5 Ta 177/01 – wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über einen Antrag auf nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.
Der Kläger war seit 1. März 1999 bei der Beklagten, die mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, tätig. Mit Schreiben vom 17. Juli 2001, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 14. August 2001 und bot dem Kläger gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu einem reduzierten Stundenlohn von 21,02 DM (vorher 25,30 DM brutto) an.
Am 19. Juli 2001 erteilte der Kläger dem Gewerkschaftssekretär S. der IG Metall Vollmacht vor dem Arbeitsgericht “mit allen sich aus §§ 81, 82 ZPO ergebenden Befugnissen”. Dieser nahm mit Schreiben vom 25. Juli 2001 unter Beifügung der erteilten Vollmacht im Namen des Klägers die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt an, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt sei.
Mit Schriftsatz vom 15. August 2001, beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangen, hat die DGB Rechtsschutz GmbH für den Kläger Kündigungsschutzklage erhoben, verbunden mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage. In der beigefügten eidesstattlichen Versicherung führte der Gewerkschaftssekretär aus, er habe den Vorgang auf Wiedervorlage für den 7. August 2001 gelegt, die Wiedervorlage an diesem Tag jedoch aus dringenden außerbetrieblichen Gründen nicht beachtet. Erst am 10. August 2001 sei er wieder im Büro gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Klage nachträglich zuzulassen.
Die Beklagte hat zu ihrem Antrag auf Zurückweisung des Begehrens die Auffassung vertreten, der Gewerkschaftssekretär habe die verspätete Klageeinreichung verschuldet und dem Kläger sei dieses Verschulden zuzurechnen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Klägers hiergegen hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf § 78 Abs. 2 ArbGG iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 1, 2 ArbGG zugelassen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist bereits unzulässig, da für ihre Zulassung durch das Landesarbeitsgericht keine gesetzliche Grundlage besteht.
Auch nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung des Beschwerderechts (§§ 567 ff. ZPO nF; § 78 Satz 1 und 2 ArbGG nF) ist die Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Verfahren der nachträglichen Klagezulassung, § 5 KSchG, nicht statthaft.
- Gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF ist gegen einen Beschluß des Beschwerdegerichts die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht sie in dem Beschluß zugelassen hat. Unter welchen Voraussetzungen die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, läßt sich der Regelung in § 78 Satz 2 ArbGG mit dem Verweis auf die für die Zulassung der Revision geltenden Vorschrift des § 72 Abs. 2 ArbGG entnehmen. Danach ist das Rechtsmittel zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder eine Divergenz zu der Entscheidung bestimmter anderer Gerichte vorliegt.
Die Neuregelung des § 78 Satz 2 ArbGG nF iVm. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF eröffnet keine Rechtsbeschwerde im Verfahren der nachträglichen Klagezulassung (so auch Hess. LAG 17. Mai 2002 – 15 Ta 77/02 – nv.; GK-ArbGG/Wenzel § 78 Stand: Juli 2002 Rn. 121; aA Münch-Komm. InsO-Löwisch/Caspers § 113 Rn. 75; Holthaus/Koch RdA 2002, 140, 158).
Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG ist nur die sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht zulässig und gesetzlich vorgesehen. Das Landesarbeitsgericht entscheidet endgültig. Eine weitere Beschwerde bzw. Rechtsbeschwerde kennt das zweistufige Klagezulassungsverfahren nicht (st. Rspr. des BAG, vgl. nur 25. Oktober 2001 – 2 AZR 340/00 – nv., zu II der Gründe; 14. Oktober 1982 – 2 AZR 570/80 – BAGE 41, 67, 71; KR-Friedrich 6. Aufl. § 5 KSchG Rn. 151).
Die Norm hat im Rahmen der Reform keine Änderung erfahren und läßt sich daher nicht so verstehen, daß auf das Recht der sofortigen Beschwerde auch insoweit verwiesen wäre, daß damit die bisher unbekannte und erst jetzt neu geschaffene Rechtsbeschwerde gemäß §§ 574 ff. ZPO nF mit umfaßt wäre. Die Neueröffnung einer dritten Instanz im Verfahren der nachträglichen Zulassung gemäß § 5 KSchG, die in der gesetzgeberischen Konzeption des § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG nicht enthalten war, müßte in § 5 Abs. 4 KSchG selbst angeordnet sein (so auch Hess. LAG 17. Mai 2002 – 15 Ta 77/02 – nv.; GK-ArbGG/Wenzel § 78 Rn. 121).
- Die §§ 567 ff. ZPO einschließlich der §§ 574 ff. ZPO nF gelten zunächst nur für Beschwerden, die dem Recht der Zivilprozeßordnung unterliegen (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S 68; BT-Drucks. 14/3750 S. 45). Der Gesetzgeber beabsichtigte, den Rechtsmittelzug in Nebenentscheidungen dem Hauptsacherechtsmittelzug im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anzupassen (BT-Drucks. 14/3750 S 45; BR-Drucks. 536/00 S 173). Gedacht wurde an in der Regel weniger bedeutsame Nebenentscheidungen, zB auf dem Gebiet des Kostenrechts (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S 116; BR-Drucks. 536/00 S 176). Gerade im Hinblick auf die geringere Bedeutung dieser Nebenentscheidungen sieht das ZPO-Reformgesetz auch keine Nichtzulassungsbeschwerde vor.
Die Nichtanwendbarkeit des § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF läßt sich allerdings nicht schon damit begründen, daß es an einer entsprechenden Verweisung auf diese Norm im arbeitsgerichtlichen Verfahren fehlt.
- Zwar erstreckt sich die Verweisung des § 78 Satz 1 ArbGG nF nur auf den ersten Titel des dritten Buches der ZPO (§§ 567 – 573 ZPO nF), wo die sofortige Beschwerde geregelt ist, und damit – anders als § 77 Satz 4 ArbGG nF für die Revisionsbeschwerde – gerade nicht auf die im zweiten Titel des dritten Buches der ZPO enthaltenen Vorschriften über die Rechtsbeschwerde (§§ 574 – 577 ZPO nF).
- Die Verweisung in § 78 Satz 2 ArbGG zeigt aber, daß auch im Beschwerdeverfahren eine Rechtsbeschwerde zugelassen werden sollte (so auch Kaiser DB 2002, 324, 325). Dies bringen auch die Gesetzesmaterialien zum Ausdruck: Die Aufhebung des § 70 ArbGG aF wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung damit begründet, daß gegen Beschlüsse und Verfügungen des Landesarbeitsgerichts oder seines Vorsitzenden nach dem im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren entsprechend anzuwendenden § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 ZPO nF die Rechtsbeschwerde statthaft sein soll, wenn sie vom Gericht bzw. Vorsitzenden zugelassen worden ist (BR-Drucks. 536/00 S 351). Der Wille der Gesetzgebers ging dahin, daß Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts ebenso wie diejenigen des Oberlandesgerichts durch Rechtsbeschwerde angreifbar sein sollen, obwohl ein allgemeiner Verweis auf §§ 574 ff. ZPO im ArbGG fehlt.
Das Verfahren nach § 5 Abs. 4 KSchG ist mit der zivilprozessualen Beschwerde, die der Gesetzgeber bei der ZPO-Reform regeln wollte, aber nicht vergleichbar.
- Soweit das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde durch die Aufhebung des § 70 ArbGG aF auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren eingeführt wurde, betrifft die hierin zum Ausdruck kommende Rechtsmittelerweiterung nur Beschlüsse und Verfügungen, die das Landesarbeitsgericht oder sein Vorsitzender im Berufungsverfahren trifft. Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts, mit welchem über eine auf § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG gestützte sofortige Beschwerde entschieden wird, ergeht jedoch in einem eigenständigen, außerhalb eines Berufungsverfahrens stehenden Beschwerdeverfahren.
- § 5 Abs. 4 KSchG regelt ein vorgeschaltetes Verfahren, das zu einer Zwischenentscheidung führt. Nach dem System der ZPO wäre eine Entscheidung durch Zwischenurteil entsprechender gewesen (so bereits Neumann RdA 1954, 269). Auch wenn der Gesetzgeber einen Beschluß anstelle eines entsprechenderen Zwischen- oder Grundurteils vorgeschrieben hat, kommt es für die Frage, welche einzelnen Bestimmungen aus ArbGG und ZPO auf dieses Verfahren anwendbar sind, auf den Inhalt der Entscheidung an.
Auf den Inhalt der Entscheidung passen weder die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ff. ZPO noch die Bestimmungen über Beschlüsse innerhalb des Urteilsverfahrens (vgl. schon Neumann RdA 1954, 269; Auffarth/Müller KSchG Handkommentar für die Praxis 1960 § 4 Rn. 15).
Während § 5 KSchG die materiell-rechtlichen Folgen der verspäteten Erhebung der Kündigungsschutzklage beseitigt, betrifft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die prozeßrechtlichen Folgen der Versäumung von Not- und Rechtsmittelbegründungsfristen. § 5 KSchG gewährleistet den ersten Zugang zum Gericht, die Wiedereinsetzung hingegen die Fortsetzung des Prozesses.
Im Rahmen des § 5 Abs. 4 KSchG gilt nicht der Grundsatz des § 238 Abs. 1 ZPO, wonach über die Nachholung der Prozeßhandlung und diese selbst regelmäßig einheitlich entschieden wird. Vielmehr ist über die nachträgliche Zulassung verspäteter Kündigungsschutzklagen in einem besonderen Vorverfahren durch Beschluß des Arbeitsgerichts vorab zu entscheiden.
- Im Gegensatz zu sonstigen Beschlüssen innerhalb des Urteilsverfahrens, die ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein ergehen, § 53 Abs. 1 ArbGG, setzt § 5 Abs. 4 KSchG die Entscheidung der Kammer voraus. Inhaltlich geht es um keine Nebenentscheidung, sondern um einen Bestandteil der eigentlichen Hauptsache: Nur wenn die Klage auf den Antrag hin nachträglich zugelassen wird, kann der Kläger die Sozialwidrigkeit der Kündigung im gerichtlichen Verfahren geltend machen, § 7 KSchG.
Die Anwendung des § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nF auf das Verfahren der nachträglichen Klagezulassung würde dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens nach § 5 KSchG auch eher widersprechen.
- Das Vorverfahren dient der Klärung der Frage, ob eine Kündigungsschutzklage trotz Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG ausnahmsweise noch zuzulassen ist. Das Kündigungsschutzverfahren selbst unterliegt der besonderen Prozeßförderungspflicht nach § 61a ArbGG. Danach sind Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vorrangig zu erledigen. Dem hierin zum Ausdruck kommenden Beschleunigungsinteresse stände es entgegen, wenn das Vorverfahren zur nachträglichen Klagezulassung nunmehr einen dreistufigen Instanzenzug eröffnen würde.
- Die mit dem Zivilprozeß-Reform-Gesetz unter anderem beabsichtigte Straffung und Vereinfachung des bisherigen Rechtsmittelzuges in der ZPO zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung (vgl. BT-Drucks. 14/3750 S 45) sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu einer Verlängerung des Verfahrens in einer anderen Prozeßordnung führen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, daß der Gesetzgeber mit der Reform Defiziten im Rechtsmittelsystem der ZPO entgegenwirken wollte, die er im Vergleich zu moderneren Verfahrensordnungen wie dem ausdrücklich genannten ArbGG sah (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S 59).
Die ausdrückliche Zulassung der Rechtsbeschwerde im Urteil des Landesarbeitsgerichts führt hier nicht zur Statthaftigkeit des Rechtsmittels.
- Das Bundesarbeitsgericht ist nicht an die Zulassung der Rechtsbeschwerde gebunden. Im Gegensatz zur Revision, an deren Zulassung gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG eine Bindung besteht, existiert für die Rechtsbeschwerde keine entsprechende Vorschrift. § 78 Satz 2 ArbGG enthält lediglich einen Verweis auf § 72 Abs. 2 ArbGG, nicht aber auf § 72 Abs. 3 ArbGG.
- Auch kann ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel grundsätzlich nicht allein dadurch zulässig werden, daß die untere Instanz das Rechtsmittel zuläßt (vgl. zu nicht revisiblen Urteilen: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 72 Rn. 40; GK-ArbGG/Ascheid Stand Juli 2002 § 72 ArbGG Rn. 58; ErfK/Schaub 2. Aufl. § 72 ArbGG Rn. 28). Durch ein gesetzwidriges Verfahren wird ein weiteres Rechtsmittel nicht eröffnet (BAG 14. Oktober 1982 – 2 AZR 570/80 – BAGE 41, 67, 72 mwN).
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann
Fundstellen
Haufe-Index 845612 |
BAGE 2004, 213 |
BB 2002, 2679 |
DB 2002, 2388 |
NJW 2002, 3650 |
FA 2002, 385 |
FA 2002, 387 |
JR 2003, 396 |
NZA 2002, 1228 |
SAE 2003, 271 |
ZIP 2002, 2095 |
ZTR 2003, 41 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 6 |
MDR 2003, 157 |
ArbRB 2003, 10 |
BAGReport 2003, 29 |
KammerForum 2003, 60 |