Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanpflicht bei Neugründungen. Sozialplanpflicht bei Neugründungen von Unternehmen. Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen. Missbrauchseinwand. Feststellungsinteresse
Leitsatz (amtlich)
Für die Ausnahme von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG kommt es auf das Alter des Unternehmens und nicht des Betriebs an.
Orientierungssatz
- Bei einem Streit über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts kann der Betriebsrat dessen Feststellung unabhängig von der Möglichkeit beantragen, die Einrichtung einer Einigungsstelle zu betreiben.
- Maßgeblich für die Ausnahme von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist das Alter des Unternehmens, nicht des Betriebs. Dies folgt aus Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung.
- Dieses Verständnis von § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG steht nicht im Widerspruch zu § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Die bloße Aussicht auf einen erzwingbaren Sozialplan beim Veräußerer ist kein “Recht” der Arbeitnehmer, das nach einem Betriebsübergang auf einen Erwerber diesem gegenüber vertraglich fortbestände.
- Diese Auslegung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB steht ihrerseits im Einklang mit Art. 3, Art. 6 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 (Betriebsübergangsrichtlinie). Art. 3 Nr. 1 und Nr. 3 der Richtlinie erfassen auf einer gesetzlichen Vorschrift beruhende bloße tatsächliche Chancen der Arbeitnehmer nicht. Art. 6 der Richtlinie gewährleistet lediglich die Amtskontinuität von Mandatsträgern, nicht den Fortbestand von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmervertretungen. Um dies festzustellen, bedarf es keiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Satz 1 Buchst. b, Satz 3 EG.
- Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 (Massenentlassungsrichtlinie) verlangt nicht in jedem Fall Maßnahmen zur Milderung von Nachteilen einer Massenentlassung.
- § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG in seiner Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht ist verfassungskonform. Durch das Abstellen auf das Alter des Unternehmens werden weder Art. 12 Abs. 1 GG noch Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
- Die Inanspruchnahme des Privilegs aus § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein.
Normenkette
BetrVG § 112a Abs. 2, § 112 Abs. 4, § 111; BGB § 613a Abs. 1, § 242; EG Art. 234; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; ArbGG § 10; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 9. März 2005 – 2 TaBV 8/04 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Sozialplanpflichtigkeit einer Betriebsstilllegung.
Der Betrieb, für den der beteiligte Betriebsrat gewählt worden ist, gehörte ursprünglich der H… GmbH, einem Unternehmen der Textilindustrie. Über deren Vermögen wurde am 1. September 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Wirkung vom 1. August 2001 wurde der Betrieb von der beteiligten Arbeitgeberin übernommen. Diese war im Mai 2001 gegründet worden. Ihre alleinige Gesellschafterin ist die im Juni 2000 gegründete D… GmbH. Die Arbeitgeberin übernahm 54 von etwa 100 der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Zu einem ursprünglich geplanten “joint-venture” mit einem chinesischen Unternehmen und zu geplanten Investitionen iHv. rd. 5 Mio. Euro, verbunden mit einer Personalaufstockung ist es nicht gekommen; nach Behauptung der Arbeitgeberin beruhte dies auf Gründen, die auf der chinesischen Seite lagen. Bis zum Oktober 2003 hatte die Arbeitgeberin einen Gesamtverlust von rund 900.000,00 Euro zu verzeichnen. Zum 31. Dezember 2003 legte sie den Betrieb unter Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse still. Zuvor hatte sie sich mit dem Betriebsrat am 16./26. Mai 2003 auf einen “Interessenausgleich und freiwilligen Sozialplan” geeinigt. Die Vereinbarung sieht vor, dass über weitergehende Regelungen verhandelt und gegebenenfalls ein Spruch der Einigungsstelle herbeigeführt wird, “falls rechtskräftig gerichtlich entschieden werden sollte, dass die Betriebsänderung sozialplanpflichtig ist”.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm stehe aus Anlass der Stilllegung ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung eines Sozialplans zu. Eine Ausnahme von der Sozialplanpflichtigkeit nach Maßgabe des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG zugunsten der Arbeitgeberin als eines noch keine vier Jahre alten Unternehmens komme nicht in Betracht. Der von ihr übernommene Betrieb habe bei seiner Stilllegung länger als vier Jahre bestanden. Im Rahmen von § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG sei auf das Alter des Betriebs, nicht auf das Alter des Unternehmens abzustellen. Das Gegenteil sei mit den Regelungen der europäischen Betriebsübergangsrichtlinie nicht zu vereinbaren. Im Übrigen habe die Arbeitgeberin rechtsmissbräuchlich gehandelt, weil es keinen wirtschaftlichen Grund für die Stilllegung des Betriebs gegeben habe.
Der Betriebsrat hat beantragt
festzustellen, dass die Betriebsstilllegung der Arbeitgeberin zum 31. Dezember 2003 und der damit einhergehenden Beendigung der Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen eine sozialplanpflichtige Maßnahme nach § 112 BetrVG darstellt.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Dem haben die Vorinstanzen entsprochen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Dem Betriebsrat steht aus Anlass der Betriebsstilllegung zum 31. Dezember 2003 wegen § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zur Aufstellung eines Sozialplans zu.
I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
1. Der Betriebsrat ist beteiligtenfähig iSv. § 10 Satz 1 ArbGG. Gem. § 21b BetrVG ist er trotz der Betriebsstilllegung so lange weiter im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der mit der Stilllegung im Zusammenhang stehenden Mitbestimmungsrechte erforderlich ist.
2. Der Antrag erfüllt die Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO.
a) Er ist gerichtet auf die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses. Mit ihm soll geklärt werden, ob dem Betriebsrat bei der Betriebsschließung zum 31. Dezember 2003 ein Mitbestimmungsrecht nach § 112 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 BetrVG zustand.
b) Der Betriebsrat besitzt das nötige Feststellungsinteresse. Dafür ist erforderlich, dass es der begehrten Feststellung zur Beilegung eines betriebsverfassungsrechtlichen Konflikts der Beteiligten bedarf, sich aus ihr Rechtsfolgen für die Zukunft ergeben und nicht ein Leistungsantrag vorrangig ist.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Arbeitgeberin bestreitet das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht. Zur Streitbeilegung bedarf es deshalb einer gerichtlichen Entscheidung.
Die begehrte Feststellung hat Wirkung für die Zukunft. Zwar ist der Betrieb stillgelegt. Gleichwohl ist der Antrag nicht auf ein abgeschlossenes Rechtsverhältnis in der Vergangenheit gerichtet. Ein Sozialplan kann auch nach Betriebsstilllegung noch verlangt werden (BAG 27. Juni 1989 – 1 ABR 24/88 – nv., zu B I 2 der Gründe; 15. Oktober 1979 – 1 ABR 49/77 – AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 5, zu B II 3 der Gründe). Einen endgültigen Sozialplan haben die Beteiligten auch noch nicht geschlossen. Zwar haben sie sich am 16./26. Mai 2003 auf einen “Interessenausgleich und freiwilligen Sozialplan” geeinigt. Dieser versteht sich jedoch ausdrücklich nicht als abschließende Regelung, falls ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats rechtskräftig festgestellt wird.
Der Betriebsrat ist nicht darauf verwiesen, statt der begehrten Feststellung die Einrichtung einer Einigungsstelle zum Abschluss eines Sozialplans zu beantragen. Die Arbeitgeberin bestreitet deren Zuständigkeit. Der Betriebsrat hat angesichts dessen ein berechtigtes Interesse daran, dass das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts für alle Beteiligten verbindlich geklärt wird (vgl. dazu BAG 1. Juli 2003 – 1 ABR 20/02 – BAGE 107, 1, zu B II 2 der Gründe mwN).
II. Der Antrag ist unbegründet. Zwar beschäftigte die Arbeitgeberin mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer und legte den Betrieb iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG zum 31. Dezember 2003 still. Dennoch kann der Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplans nicht nach § 112 Abs. 4 BetrVG erzwingen.
1. Gem. § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG findet die Vorschrift des § 112 Abs. 4 BetrVG keine Anwendung “auf Betriebe eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung”. Eine solche Situation lag hier vor.
a) Für die gesetzliche Ausnahme von der Sozialplanpflicht kommt es nicht auf das Alter des Betriebs, sondern auf das des Unternehmens an. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (13. Juni 1989 – 1 ABR 14/88 – BAGE 62, 108, zu B 3a der Gründe; 22. Februar 1995 – 10 ABR 21/94 – AP BetrVG 1972 § 112a Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 112a Nr. 7, zu B I der Gründe; 22. Februar 1995 – 10 ABR 23/94 – AP BetrVG 1972 § 112a Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 112a Nr. 8, zu B I der Gründe; 10. Dezember 1996 – 1 ABR 32/96 – BAGE 85, 1, zu B II 2c bb der Gründe; ErfK/Kania 6. Aufl. §§ 112, 112a BetrVG Rn. 17; Etzel Betriebsverfassungsrecht 8. Aufl. Rn. 1068; Fitting 23. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 88; Oetker GK-BetrVG 8. Aufl. Bd. II §§ 112, 112a Rn. 244; HWK/Hohenstatt/Willemsen BetrVG § 112a Rn. 7; Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock BetrVG 6. Aufl. § 112a Rn. 12; Preis/Bender in Wlotzke/Preis BetrVG 3. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 34; Richardi/Annuß BetrVG 10. Aufl. § 112a Rn. 15; Willemsen Anm. AP BetrVG 1972 § 112a Nr. 3; aA DKK-Däubler §§ 112, 112a Rn. 35 mwN). An dieser Auffassung hält der Senat fest.
aa) Nach Wortlaut und Syntax von § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist der für die Ausnahme von der Sozialplanpflicht entscheidende Umstand das Alter des Unternehmens, nicht das des Betriebs. Sonst dürfte es nicht heißen, es würden Betriebe eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach “seiner” Gründung, sondern es müsste heißen, sie würden in den ersten vier Jahren nach “ihrer” Gründung vom Anwendungsbereich des § 112 Abs. 4 BetrVG ausgenommen (BAG 13. Juni 1989 – 1 ABR 14/88 – BAGE 62, 108, zu B 3a der Gründe).
bb) Dem entsprechen Sinn und Zweck der Regelung. Mit ihr geht es dem Gesetzgeber um die Schaffung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten (vgl. Entwurf der Bundesregierung zum BeschFG 1985 vom 11. Oktober 1984 BT-Drucks. 10/2102 S. 14 zu A I). Dazu sollen im Betrieb eines neu gegründeten Unternehmens Betriebsänderungen durchgeführt werden können, ohne dass ein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden kann. Das soll Unternehmen die schwierige Anfangsphase des Aufbaus erleichtern. Nach der Gesetzesbegründung knüpft die Ausnahmeregelung ausdrücklich an die Gründung des Unternehmens, nicht an die des Betriebs an. Dementsprechend sind länger als vier Jahre bestehende Unternehmen auch dann nicht privilegiert, wenn sie neue Betriebe errichten (BT-Drucks. 10/2102 S. 28). Das Gesetz will zum Engagement in neue Unternehmen ermutigen, indem das mit einem Misserfolg verbundene Sozialplanrisiko aufgehoben wird. Der Gesetzgeber hat sich eine Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten ersichtlich schon mit der finanziellen Entlastung neu gegründeter Unternehmen – etwa bei der Übernahme älterer, aber notleidender Betriebe – und nicht erst dadurch versprochen, dass mit dieser Gründung unmittelbar die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Errichtung von Betrieben verbunden ist (BAG 13. Juni 1989 – 1 ABR 14/88 – BAGE 62, 108, zu B 3b der Gründe).
cc) In der Entscheidung vom 13. Juni 1989 (– 1 ABR 14/88 – BAGE 62, 108, zu B 3 c, d der Gründe) hat der Senat im Einzelnen dargelegt, dass auch die Regelungen in § 112a Abs. 2 Satz 2, Satz 3 BetrVG nicht danach verlangen, in Satz 1 der Bestimmung auf das Alter des Betriebs abzuheben. Darauf wird Bezug genommen.
dd) Dieses Verständnis von § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG steht nicht im Widerspruch zur Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.
(1) Kommt es nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG auf das Alter des Unternehmens und nicht des Betriebs an, verlieren die Arbeitnehmer im Fall der Übernahme eines älteren Betriebs durch ein neu gegründetes Unternehmen zwar die Chance auf den Abschluss eines Sozialplans bei einer Betriebsänderung in den folgenden vier Jahren. Die zuvor gegebene Aussicht auf einen erforderlichenfalls erzwingbaren Sozialplan ist jedoch kein “Recht” der Arbeitnehmer aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen iSd. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Ihr korrespondiert dementsprechend keine Pflicht des Arbeitgebers, die auf den Erwerber überginge. Die Arbeitnehmer besitzen hinsichtlich der Erzwingbarkeit eines Sozialplans keine rechtlich gefestigte Anwartschaft. Sie befinden sich lediglich faktisch in einer Situation, die ihnen beim Fortbestand der tatsächlichen Umstände einen künftigen Vorteil bringen kann. Dieser Fortbestand hängt zudem nicht nur vom Ausbleiben eines Betriebsübergangs auf ein neu gegründetes Unternehmen, sondern ebenso davon ab, dass das (bisherige) Inhaberunternehmen weiterhin mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt und auch künftig ein Betriebsrat gewählt wird. Die bloße Chance auf den betreffenden Vorteil stellt keine subjektive Rechtsposition dar und ist von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht geschützt.
(2) Diese Auslegung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB steht ihrerseits im Einklang mit Art. 3 und Art. 6 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (RL) (ABl. EG 22. März 2001 L 82/16).
(a) Nach Art. 3 Nr. 1 Abs. 1 RL gehen “die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf Grund des Übergangs auf den Erwerber über”.
Diese Regelung gewährt keinen weitergehenden Arbeitnehmerschutz als § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie erfasst nur individualrechtliche Pflichten des Veräußerers. Zu diesen gehört nicht die mögliche Pflicht zum Abschluss eines Sozialplans mit dem Betriebsrat (Fitting §§ 112, 112a Rn. 92). Dies folgt aus dem Zusammenhang mit Nr. 3 der Regelung, die von der Aufrechterhaltung der in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen handelt. Zudem muss es sich um Pflichten des Veräußerers handeln, denen “Rechte” der Arbeitnehmer entsprechen. Zu diesen zählen bloß faktische Chancen nicht (Preis/Bender in Wlotzke/Preis §§ 112, 112a Rn. 34).
(b) Gem. Art. 3 Nr. 3 Abs. 1 RL erhält der Erwerber nach dem Übergang die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen für eine bestimmte Zeit aufrecht. Zu solchen kollektivrechtlich begründeten Arbeitsbedingungen zählt nicht die auf dem Gesetz beruhende tatsächliche Aussicht der Arbeitnehmer auf die Erzwingbarkeit eines Sozialplans im Fall einer künftigen Betriebsänderung.
(c) Nach Art. 6 Nr. 1 Abs. 1 RL bleiben – sofern das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil seine Selbständigkeit behält – “die Rechtsstellung und Funktion der Vertreter oder der Vertretung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen erhalten, wie sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs auf Grund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder auf Grund einer Vereinbarung bestanden haben, sofern die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind”.
Hieraus lässt sich weder eine individuelle Rechtsposition der Arbeitnehmer noch ein kollektivrechtlicher Anspruch einer Arbeitnehmervertretung auf Beibehaltung des Umfangs ihrer vor dem Übergang gegebenen Mitbestimmungsrechte ableiten. Regelungsinhalt von Art. 6 RL ist die Aufrechterhaltung von Rechtstellung und Funktion der Arbeitnehmervertretungen als solcher. Schutzzweck der Bestimmung ist die Gewährleistung der Amtskontinuität der Mandatsträger. Falls die Selbständigkeit des Betriebs beim Übergang erhalten bleibt, bleiben danach auch die Arbeitnehmervertretungen und ihre Mitglieder im Amt. In diesem Sinne behalten sie ihre bisherige Rechtsstellung und Funktion (Oetker/Europäisches Arbeits- und Sozialrecht EAS B 8300 Rn. 291 ff. mwN, zur gleichlautenden Vorgängerregelung in Art. 5 der Richtlinie 98/50/EG).
Zweck der Regelung ist dagegen nicht, Mitbestimmungsrechte unabhängig von einer Änderung der tatsächlichen Umstände und entgegen den allgemeinen Vorschriften der Mitgliedstaaten inhaltlich festzuschreiben. Dies zeigt die Bestimmung in Abs. 2. Danach findet Abs. 1 keine Anwendung, wenn nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten durch den Übergang die Bedingungen für eine Neubestellung der Arbeitnehmervertreter oder die Neubildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Diese Regelung wäre unverständlich, wenn es in Abs. 1 auch um die Garantie des bisherigen Umfangs von Mitbestimmungsrechten ginge. Zu der nach Art. 6 Nr. 1 Abs. 1 RL aufrechterhaltenen Rechtsstellung der Arbeitnehmervertretung als solcher mag dabei zwar möglicherweise ein schon bestehender eigener Anspruch der Arbeitnehmervertreter gegen den Veräußerer – etwa auf Kostenerstattung – zählen. Eine bloße Beteiligungschance für den Fall künftiger Maßnahmen gehört aber nicht zur geschützten Rechtsstellung und Funktion.
Auch aus Art. 6 Nr. 1 Abs. 4 RL folgt, dass Schutzzweck des Abs. 1 lediglich die Amtskontinuität der Vertretungsorgane ist. Nach der Bestimmung des Abs. 4 haben die Mitgliedstaaten für den Fall, dass die übertragene Einheit ihre Selbständigkeit verliert, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer, die vor dem Übergang vertreten wurden, während des Zeitraums, der für die Neubildung oder Neubenennung der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist, im Einklang mit dem Recht oder der Praxis der Mitgliedstaaten weiterhin angemessen vertreten werden. Auf diese Weise soll ersichtlich ein vertretungsloser Zustand vermieden, nicht aber der Umfang bisher bestehender Mitbestimmungsrechte gesichert werden.
Für diese Ansicht spricht schließlich Art. 6 Nr. 2 RL. Danach gelten für die Arbeitnehmervertreter, falls sie infolge des Übergangs ihr Mandat verlieren, weiterhin die nach dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehenen Schutzmaßnahmen. Nach der Systematik der Regelung lässt dies den Schluss zu, dass dementsprechend die Bestimmungen in Nr. 1 RL von den Voraussetzungen des Erhalts und den Gründen für einen Verlust des Mandats handeln, nicht aber von den Folgen des Übergangs für Inhalt und Umfang einzelner Mitbestimmungsrechte.
(d) Die Auslegung von Art. 3 und Art. 6 RL konnte der Senat selbst vornehmen. Zwar ist das Bundesarbeitsgericht als letztinstanzliches Gericht nach Art. 234 Satz 1 Buchst. b, Satz 3 EG grundsätzlich gehalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, soweit in einem anhängigen Verfahren über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht zu befinden ist. Von einer Vorlage kann auch das letztinstanzliche Gericht aber absehen, wenn entweder der Europäische Gerichtshof über die Auslegungsfrage bereits entschieden hat oder wenn das zutreffende Verständnis des Gemeinschaftsrecht derart offenkundig ist, dass für ernstzunehmende Zweifel kein Raum besteht (EuGH 6. Oktober 1982 – Rs. 283/81 – [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415, 3430 ff.; BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – BAGE 99, 377, zu II 2c der Gründe mwN).
So verhält es sich hier. Die Bestimmungen des Art. 3 RL lassen keinen ernsthaften Zweifel daran zu, dass das Mitbestimmungsrecht einer Arbeitnehmervertretung keine Pflicht des Veräußerers nach Nr. 1 Abs. 1 und Nr. 3 Abs. 1 darstellt, die auf den Erwerber überginge. Wortlaut und Systematik des Art. 6 RL zeigen ebenso klar, dass ein vor dem Übergang gegebenes Mitbestimmungsrecht nicht als Rechtsstellung oder Funktion der Arbeitnehmervertretung iSv. Nr. 1 Abs. 1 der Regelung angesehen werden kann, die nach einem Übergang notwendig auch dann erhalten bliebe, wenn nach den allgemeinen Gesetzen des betreffenden Mitgliedstaats die Voraussetzungen für ein Bestehen des Mitbestimmungsrechts in der Person des Erwerbers nicht erfüllt sind.
(3) Für die Auslegung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB kann dahinstehen, ob der Verlust der Chance auf die Erzwingbarkeit eines Sozialplans einen wirtschaftlichen Nachteil iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG darzustellen vermag, der auch beim Übergang des ganzen Betriebs auf ein neu gegründetes Unternehmen – und damit ohne Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 BetrVG – auszugleichen sein könnte (so DKK-Däubler §§ 112, 112a BetrVG Rn. 35). Selbst wenn dies zuträfe, wäre ein solcher Nachteil vom Veräußerer und nicht vom Erwerber des Betriebs auszugleichen – im Streitfall folglich vom Insolvenzverwalter aus Anlass des Betriebsübergangs und nicht von der Arbeitgeberin aus Anlass der Betriebsschließung. Diese Annahme zwänge jedenfalls nicht dazu, den bisherigen Vorteil als ein gegenüber dem Erwerber fortbestehendes “Recht” der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen.
ee) § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG verstößt mit dem befristeten Ausschluss der Erzwingbarkeit eines Sozialplans auch nicht gegen Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. EG 12. August 1998 L 225/16). Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber, der eine Massenentlassung iSd. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beabsichtigt, zur Konsultation der Arbeitnehmervertreter verpflichtet. Diese hat sich auch auf die Möglichkeit zu erstrecken, die Folgen der Entlassung durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Gemäß Art. 2 Abs. 3 Buchst. b vi der Richtlinie hat der Arbeitgeber auch die “vorgesehene Methode für die Berechnung etwaiger Abfindungen mitzuteilen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken ergeben”.
Aus diesen Regelungen geht nicht etwa hervor, dass der nationale Gesetzgeber gehalten wäre, für jeden Fall einer Massenentlassung Maßnahmen zur Milderung ihrer Folgen zwingend vorzusehen. Ebenso wenig lässt sich ihnen etwas für die Beantwortung der Frage entnehmen, ob der Ausschluss der Erzwingbarkeit eines Sozialplans allein an das Alter des Unternehmens unabhängig vom Alter des Betriebs geknüpft werden darf.
ff) § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG in seiner Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.
(1) Art. 12 Abs. 1 GG schützt als Element der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers dessen Interesse am Erhalt seines Arbeitsplatzes. Insoweit besteht eine Pflicht des Staates, für einen Mindestschutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durch private Dispositionen des Arbeitgebers zu sorgen. Dem genügt das geltende Kündigungsschutzrecht (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 17 = EzA KSchG § 23 Nr. 17, zu B I 1 der Gründe). Die staatliche Schutzpflicht verlangt nicht darüber hinaus die Gewährung eines zwingenden Anspruchs auf Leistungen zum Ausgleich oder zur Milderung der mit einer Kündigung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile.
(2) Art. 14 Abs. 1 GG schützt unter bestimmten Voraussetzungen auch Anwartschaften, soweit sie eine vermögenswerte Rechtsposition darstellen, die derjenigen des Vollrechtsinhabers zumindest nahe kommt. Weder das für den Fall einer Betriebsänderung bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 112 Abs. 4 BetrVG als solches noch die darauf beruhende Chance der Arbeitnehmer auf Sozialplanleistungen sind rechtlich verfestigte Positionen, die in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fielen.
(3) Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Dabei gewährt es dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 17 = EzA KSchG § 23 Nr. 17, zu B III der Gründe mwN). Eine Pflicht zur Gewährung von Ansprüchen auf Ausgleichsleistungen im Falle von Betriebsänderungen lässt sich ihm nicht entnehmen.
(4) In der unterschiedlichen Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts bei Betriebsänderungen in neu gegründeten und in älteren Unternehmen liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Differenzierung erfolgt nicht nach personenbezogenen Merkmalen. Andere Grundrechte der Arbeitnehmer werden durch die Privilegierung neu gegründeter Unternehmen nicht berührt. Für eine Differenzierung genügen deshalb plausible Gründe im Rahmen der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers (BVerfG 26. Januar 1993 – 1 BvL 38/92 – BVerfGE 88, 87, zu B I 1 der Gründe). Der Gesetzgeber verbindet mit der Entlastung neu gegründeter Unternehmen von Sozialplanrisiken die Erwartung auf ein besseres Investitionsklima und damit auf mehr Arbeitsplätze. Dies ist nicht offenkundig unsachlich.
b) Die tatsächlichen Voraussetzungen des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG waren im Streitfall erfüllt. Die Arbeitgeberin war im Mai 2001 gegründet worden. Noch im Zeitpunkt der endgültigen Stilllegung des Betriebs zum Ende des Jahres 2003 waren seit dem keine vier Jahre vergangen.
2. Die Anwendung des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG auf die Arbeitgeberin ist nicht wegen Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung gilt die Privilegierung neu gegründeter Unternehmen nicht für Neugründungen, die im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen entstehen. In diesen Fällen besteht angesichts des Regelungszwecks des Satzes 1 keine Veranlassung für eine Ausnahme von der generellen Sozialplanpflicht. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs gehören zu solchen Neugründungen beispielsweise die Verschmelzung bestehender auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Auflösung eines bestehenden Unternehmens unter Übertragung seines Vermögens auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Aufspaltung eines Unternehmens auf mehrere neu gegründete Unternehmen und die Abspaltung von Teilen bestehender Unternehmen auf neu gegründete Tochtergesellschaften (BT-Drucks 10/2102 S. 28).
Die Arbeitgeberin wird von § 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG nicht erfasst. Sie wurde nicht gegründet, um anschließend einen von einem Mutter-, Schwester- oder Tochterunternehmen bereits geführten Betrieb zu übernehmen und damit schon bestehende unternehmerische Aktivitäten der eigenen Unternehmensgruppe nur innerhalb neuer rechtlicher Strukturen fortzusetzen. Vielmehr waren weder die Arbeitgeberin noch ihre im Jahr 2000 gegründete Alleingesellschafterin mit der früheren Inhaberin des übernommenen Betriebs in irgendeiner Weise unternehmens- oder konzernrechtlich verbunden.
3. Die Berufung der Arbeitgeberin auf die Ausnahme von der Sozialplanpflicht gem. § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist nicht rechtsmissbräuchlich. Allerdings ist diese auf § 242 BGB gestützte Einwendung grundsätzlich auch gegenüber der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung einer Arbeitgeberin als neu gegründetes Unternehmen möglich (BAG 13. Juni 1989 – 1 ABR 14/88 – BAGE 62, 108, zu B 3 f der Gründe). Treu und Glauben bilden eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung (BGH 16. Februar 2005 – IV ZR 18/04 – NJW-RR 2005, 619, zu II 2a der Gründe; BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 17/02 – BAGE 105, 19, zu B II der Gründe mwN). Damit kommt eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Befreiung von der Sozialplanpflicht in Betracht, wenn ein Betrieb in der Weise stillgelegt wird, dass er zunächst auf ein neu gegründetes Unternehmen übertragen und dann von diesem aufgelöst wird (BAG 13. Juni 1989 – 1 ABR 14/88 – aaO).
Im Streitfall bestehen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitgeberin im Jahr 2001 den Betrieb vor allem in der Absicht übernommen hat, ihn umgehend stillzulegen und auf diese Weise den Insolvenzverwalter von der bestehenden Sozialplanpflicht zu entlasten. Die Arbeitgeberin hat den Betrieb über zwei Jahre mit einem Gesamtverlust von schließlich rund 900.000,00 Euro fortgeführt. Zudem plante sie nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ursprünglich ein “joint-venture” mit einem chinesischen Unternehmen, das sich erst später zerschlug. Ein solches Verhalten verträgt sich nicht mit der Annahme, die Arbeitgeberin habe von Beginn an beabsichtigt, den Betrieb stillzulegen, ohne mit seiner Übernahme je weitergehende unternehmerische Aktivitäten und Ziele zu verbinden.
Unterschriften
Schmidt, Linsenmaier, Kreft, Brocker, Hayen
Fundstellen
Haufe-Index 1630058 |
BAGE 2007, 304 |
DB 2007, 62 |