Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerweiterbildung. Lohnfortzahlungspflicht
Leitsatz (amtlich)
- Eine Lehrveranstaltung, die der Schulung von Referenten dient, die ihrerseits in Weiterbildungsveranstaltungen unterrichten sollen, ist keine berufliche oder politische Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs 2 AWbG.
- Die Gerichte für Arbeitssachen haben bei der Entscheidung über den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu prüfen, ob eine Bildungsveranstaltung der beruflichen und politischen Weiterbildung dient (wie BVerfGE 77, 308 ff = AP Nr 62 zu Art 12 GG, zu C II 2b der Gründe). Die Verwaltungsakte nach § 23 Abs 2 WbG (Anerkennung einer Bildungsstätte) und § 9 Satz 1 Buchst b AWbG (behördliche Genehmigung einer Veranstaltung) entfalten insoweit keine Tatbestandswirkung. Auch begründen sie keine Vermutung dafür, daß eine Veranstaltung der beruflichen und politischen Weiterbildung dient.
Normenkette
AWbG §§ 7, 9 S. 1 Buchst. a, §§ 1, 4, 5 Abs. 1-4, § 10 Abs. 2; WbG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 4, § 4 Abs. 3, § 23 Abs. 2; BVerfGG § 31 Abs. 2; GG Art. 12 Abs. 1 S. 2; HBUG § 3 Abs. 1; BetrVG § 37 Abs. 7
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 24.03.1987; Aktenzeichen 1 Sa 416/86) |
ArbG Köln (Urteil vom 21.01.1986; Aktenzeichen 1 Ca 6933/85) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 24. März 1987 – 1 Sa 416/86 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist Arbeitnehmerin der Beklagten. Vom 28. bis zum 31. Mai 1985 nahm sie an einem vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf – Abteilung Bildung – (im folgenden: Abteilung Bildung) veranstalteten Seminar teil mit dem Thema: “Methoden gewerkschaftlicher Bildungsarbeit am Beispiel des Themas: Neue Technologien – Gefahren, Chancen, Perspektiven”.
Die Klägerin hat von der Beklagten verlangt, ihr für die Dauer der Veranstaltung das Arbeitsentgelt, dessen Höhe unstreitig ist, fortzuzahlen. Sie hat sich auf § 7 des Gesetzes zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz – AWbG) – vom 6. November 1984 (GV. NW. S. 678) berufen. Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 356,72 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 14. August 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz sei verfassungswidrig. Außerdem habe das Thema des Seminars keine Arbeitnehmerweiterbildung zum Gegenstand gehabt. Auch sei die Veranstaltung nicht für jedermann zugänglich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Mit der Revision bittet die Klägerin um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit vom 28. bis zum 31. Mai 1985. Das Seminar, an dem sie teilgenommen hat, war keine Arbeitnehmerweiterbildung im Sinne des AWbG.
I. Nach § 7 AWbG hat der Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Diese Bestimmung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 15. Dezember 1987, BVerfGE 77, 308 ff. = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG) entschieden. Die Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG).
II. Arbeitnehmerweiterbildung erfolgt in anerkannten Bildungsveranstaltungen (§ 1 Abs. 1, § 5 Abs. 3 AWbG). Das Seminar, das die Klägerin besucht hat, war keine anerkannte Bildungsveranstaltung.
III. Bildungsveranstaltungen gelten als anerkannt, wenn sie § 1 Abs. 2 AWbG entsprechen und von Volkshochschulen oder von anerkannten Einrichtungen der Weiterbildung in anderer Trägerschaft gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt werden (§ 9 Satz 1 Buchstabe a AWbG).
1. Die Veranstaltung ist von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft durchgeführt worden. Die Abteilung Bildung war eine solche Einrichtung (vgl. Urteil des Senats vom 23. Februar 1989 – 8 AZR 185/86 –, zu I 2 der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt).
2. Die Veranstaltung entsprach aber nicht § 1 Abs. 2 AWbG. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.
a) Arbeitnehmerweiterbildung dient der beruflichen und der politischen Weiterbildung sowie deren Verbindung; sie schließt Lehrveranstaltungen ein, die auf die Stellung des Arbeitnehmers in Staat, Gesellschaft, Familie oder Beruf bezogen sind (§ 1 Abs. 2 AWbG). Diese Voraussetzungen erfüllte das Seminar nicht.
b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, Ziel des Lehrgangs sei es gewesen, Referenten für die künftige Schulungsarbeit der Gewerkschaften auszubilden. Dies folge aus der Themenstellung auf der Einladung und im Programm, aber auch aus der von der Klägerin überreichten Schrift “Neue Technologien”. Bei dieser handele es sich um Ausbildungsrichtlinien für Referenten, die diese in die Lage versetzen sollen, die Thematik an Mitglieder weiterzugeben. Das Seminar habe nicht dazu gedient, die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin gemäß § 1 Abs. 2, § 4 AWbG weiterzubilden.
c) Dem Landesarbeitsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu folgen. Das auf Referentenschulung abzielende Seminar kann schon deshalb nicht als eine dem § 1 Abs. 2 AWbG entsprechende Bildungsveranstaltung angesehen werden, weil der Arbeitgeber in seinem Grundrecht nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt würde, wenn ihn in diesem Fall die Pflicht zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts treffen würde. Dies zwingt zur verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 2 AWbG.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 15. Dezember 1987 (aaO) entschieden, § 3 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über den Anspruch auf Bildungsurlaub (HBUG) vom 16. Oktober 1984 (GVBl. I S. 261) sei mit Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG insoweit unvereinbar, als es den Arbeitgebern Entgeltfortzahlungspflichten für den Zusatzurlaub pädagogischer Mitarbeiter auferlege, ohne Ausgleichsmöglichkeiten vorzusehen. Das gesetzgeberische Grundanliegen sei die berufliche und politische Weiterbildung der Arbeitnehmer. Der Zusatzurlaub für pädagogisch befähigte Arbeitnehmer diene nur als Mittel zur Erreichung dieses Zieles. Gewinnung und Vergütung des Ausbildungspersonals oblägen in erster Linie den überbetrieblichen Bildungsträgern. Die Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers, die seine Belastung mit dem allgemeinen Bildungsurlaubsanspruch des weiterzubildenden Arbeitnehmers rechtfertige, habe keine Bedeutung, wenn es nur darum gehe, pädagogisch befähigte Mitarbeiter für Bildungsveranstaltungen zu gewinnen. Die insoweit zusätzlich anfallenden Kosten der Entgeltfortzahlung seien Teil des Gesamtaufwandes, der sich nicht einzelnen Arbeitsverhältnissen zuordnen lasse. Soweit § 3 HBUG keine Ausgleichsmöglichkeit zugunsten der betroffenen Arbeitgeber enthalte, etwa durch Umlage der Kosten oder ihre Erstattung durch eine öffentliche Kasse oder den Träger der Bildungsveranstaltung, sei diese Bestimmung mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.
Daraus folgt, daß auch im Geltungsbereich des Nordrhein-Westfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes, das eine dem § 3 HBUG vergleichbare Bestimmung nicht enthält, als berufliche oder politische Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 2 AWbG eine Veranstaltung jedenfalls dann nicht angesehen werden kann, wenn sie der Schulung von Personal dient, das dadurch in die Lage versetzt werden soll, selbst in Weiterbildungsveranstaltungen zu unterrichten. Zwar betrifft § 3 HBUG pädagogische Mitarbeiter, die diese Befähigung bereits besitzen, und den Zusatzurlaub für die Mitwirkung in Bildungsveranstaltungen benötigen. Nichts anderes kann aber gelten, wenn ein Arbeitnehmer die Befähigung zur pädagogischen Mitwirkung erst noch erwerben soll. Auch hier fehlt es an der die finanzielle Belastung des Arbeitgebers rechtfertigenden Verantwortungsbeziehung. Diese Belastung des Arbeitgebers verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, da finanzielle Ausgleichsmöglichkeiten zugunsten des Arbeitgebers nicht vorgesehen sind.
3. Zu Unrecht meint die Revision, die Gerichte für Arbeitssachen seien nicht berechtigt zu prüfen, ob eine Bildungsveranstaltung § 1 Abs. 2 AWbG entspricht.
a) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Satz 1 AWbG hat die unwiderlegliche Vermutung der Anerkennung einer Bildungsveranstaltung drei Voraussetzungen: Nach § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG muß die Veranstaltung von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung durchgeführt werden, sie muß § 1 Abs. 2 AWbG entsprechen und gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes (WbG) durchgeführt werden. Der Gesetzeswortlaut läßt keinen Zweifel daran, daß die zweite und die dritte Voraussetzung der Anerkennungsvermutung zu der ersten hinzutreten müssen und daß dies von den Gerichten für Arbeitssachen bei der Entscheidung über den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts (§ 7, § 5 Abs. 3, § 1 Abs. 1, § 9 AWbG) zu prüfen ist (Friauf, DB-Beilage Nr. 2/89, S. 4 u. S. 7; Stege/Sowka, DB-Beilage Nr. 14/88, S. 12; Vossen, RdA 1988, 346, 347; Schlömp-Röder, AuR 1988, 373, 376 für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG; BVerfGE 77, 308, 336 u. a. für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG; a. A. Wahsner/Wichert, Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz von Nordrhein-Westfalen, 1987, S. 60 u. S. 76; Kleveman, BB 1989, 209, 214; Schlömp-Röder, AuR 1988, 373, 378 für die Durchführung gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes).
b) Die Revision meint, die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts, durch den die Abteilung Bildung als anerkannte Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft anerkannt worden sei (§ 23 Abs. 2 WbG) stehe der gerichtlichen Nachprüfung entgegen. Dem ist nicht zu folgen.
Die Tatbestandswirkung der Anerkennung der Abteilung Bildung zwingt die Gerichte für Arbeitssachen nur dazu, die Tatsache, daß dieser Verwaltungsakt erlassen wurde, und seinen Inhalt als gegeben hinzunehmen und in diesem Sinne den Verwaltungsakt zu beachten, selbst wenn er rechtswidrig sein sollte, es sei denn, er ist nichtig (vgl. Kopp, VwVfG, 3. Aufl., Vorbem § 35 Rz 26; Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 2. Aufl., § 43 Rz 8 bis 10). Die Gerichte für Arbeitssachen haben somit aufgrund des nach § 23 WbG erlassenen Anerkennungsbescheides vom 17. Juli 1975 (vgl. oben 1) davon auszugehen, daß die Abteilung Bildung eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft im Sinne des § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG war. Dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt und unterliegt auch sonst keinem Zweifel.
Der Anerkennungsbescheid legt aber im Gegensatz zur Auffassung der Revision nicht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlich fest, daß alle Veranstaltungen, die eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft durchführt, anerkannte Bildungsveranstaltungen im Sinne des § 9 AWbG sind. Dagegen spricht der Wortlaut des § 9 Satz 1 AWbG.
c) Auch durch andere gesetzliche Bestimmungen ist das Prüfungsrecht der Gerichte für Arbeitssachen nicht eingeschränkt.
aa) Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich aus den Rechtsgrundsätzen über die Wirkung des behördlichen Anerkennungsbescheids nach § 37 Abs. 7 BetrVG nichts Gegenteiliges herleiten.
Die bindende Wirkung, die der nicht angefochtene Anerkennungsbescheid nach § 37 Abs. 7 BetrVG im Lohnfortzahlungsprozeß entfaltet (vgl. BAG Urteil vom 17. Dezember 1981 – 6 AZR 546/78 – AP Nr. 41 zu § 37 BetrVG 1972 mit insoweit zustimmender Anmerkung von Grunsky), betrifft nur den Gegenstand dieses Verwaltungsakts, also die Frage, ob die Veranstaltung für die Schulung von Betriebsratsmitgliedern geeignet ist. Entsprechend hat auch die bestandskräftig gewordene Anerkennung einer Einrichtung der Weiterbildung nur die Wirkung, daß im Lohnfortzahlungsprozeß nicht mehr geprüft werden darf, ob die Anerkennung zu Recht erfolgt ist, ob also die Einrichtung die Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 WbG erfüllt. Für die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 9 Satz 1 AWbG entfaltet der Anerkennungsbescheid jedoch keine Bindungswirkung.
bb) Daraus, daß der Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung und nach Teilnahme an ihr nicht die Voraussetzungen des § 9 AWbG nachweisen muß (§ 5 Abs. 1 und 4 AWbG) folgt nicht, daß der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung auch dann verpflichtet ist, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 9 Satz 1 AWbG nicht erfüllt sind. § 5 Abs. 2 AWbG regelt nur die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber den ihm mitgeteilten Zeitpunkt der Arbeitnehmerweiterbildung ablehnen kann. Die Bestimmung sagt aber nichts aus über die Voraussetzungen des Lohnfortzahlungsanspruchs. Ebenso nicht § 10 Abs. 2 AWbG; die dort geregelte Berichtspflicht der Träger anerkannter Bildungsveranstaltungen im im Sinne des § 9 AWbG gegenüber dem zuständigen Minister erlaubt keinen Schluß auf den Umfang der gerichtlichen Prüfung im Lohnfortzahlungsverfahren. Dies folgt schon daraus, daß bei Verletzung der Anforderungen nach § 9 Satz 1 AWbG keine Rechtsfolgen vorgesehen sind. Die Lehrfreiheit (§ 4 Abs. 3 WbG) und die Lernfreiheit (§ 1 Abs. 1 WbG), auf die die Klägerin sich schließlich beruft, führen ebenfalls nicht zu einer Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsrechts. Für den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gelten insoweit die besonderen Regelungen des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes.
4. Darauf, ob das Seminar mit dem Landesarbeitsgericht auch deshalb nicht als anerkannte Bildungsveranstaltung anzusehen war, weil es nicht für jedermann zugänglich war (§ 9 Satz 1 AWbG i. Verb. m. § 2 Abs. 4 WbG) kommt es somit nicht an.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Pradel, Schömburg
Fundstellen
Haufe-Index 872100 |
BAGE, 288 |
RdA 1990, 60 |