Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung, Befristung
Leitsatz (redaktionell)
§ 12 Ziffer 8 und § 12 Ziffer 9 des Manteltarifvertrags für den hessischen Einzelhandel vom 16. Januar 1981 enthalten keine von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes (§ 7 Abs 3 Satz 1 und Satz 3) abweichende Regelung über die Befristung des Urlaubsanspruchs.
Normenkette
TVG § 1; BUrlG § 7 Abs. 3
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 05.05.1986; Aktenzeichen 11 Sa 1410/85) |
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 23.10.1985; Aktenzeichen 3 Ca 3527/85) |
Tatbestand
Der am 2. Januar 1948 geborene Kläger war seit dem 15. November 1983 bei der Beklagten als Verkäufer beschäftigt. In § 3 des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 29. Dezember 1983 war vereinbart, daß sich das Anstellungsverhältnis nach "den jeweils geltenden Tarifverträgen der in Frage kommenden Sparte" richten sollte. In § 6 Satz 1 des Arbeitsvertrags hieß es:
"Der Urlaub richtet sich nach dem Bundesurlaubs-
gesetz bzw. nach den anzuwendenden tariflichen
Bestimmungen."
Hinter diesem Satz war in einer dafür vorgesehenen freigelassenen Zeile handschriftlich vermerkt "Groß- und Einzelhandel".
Der Kläger war im Betrieb der Beklagten u.a. für die Bearbeitung des Urlaubs der Mitarbeiter zuständig. Anfang des Jahres 1984 ließ er durch den Angestellten H ein Exemplar des Manteltarifvertrags für den hessischen Einzelhandel beschaffen. Fotokopien daraus wurden im Zimmer des Geschäftsführers S an der Wand befestigt. Den Tarifvertrag selbst verwahrte der Angestellte H anschließend in einer Schublade. In dieser befanden sich außerdem persönliche Sachen des Angestellten. Die meisten Mitarbeiter, darunter der Kläger, wußten, daß H den Tarifvertrag verwahrte. H gab diesen auch Arbeitnehmern, die das verlangten, zur Einsichtnahme heraus.
Ende Juni 1984 beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis einvernehmlich ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Mit dem Gehalt für Juni 1984 zahlte die Beklagte dem Kläger ein Urlaubsgeld in Höhe von 1.500,-- DM, was einem halben Monatsgehalt entsprach. Diese Leistung, die alle Betriebsangehörigen erhielten, beruhte auf einer Zusage, die der damalige Geschäftsführer der Beklagten, F, Anfang Juni 1984 den Arbeitnehmern erteilt hatte. F war gleichzeitig Mitinhaber der Firma F , bei der der Kläger nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb der Beklagten arbeitete.
Frühestens im März 1985 verlangte der Kläger von der Beklagten Abgeltung des ihm für das erste Halbjahr 1984 zustehenden anteiligen Jahresurlaubs in Höhe von unstreitig 18 Werktagen. Die Beklagte wies den Anspruch des Klägers zurück.
Im Manteltarifvertrag für den hessischen Einzelhandel vom 16. Januar 1981, gültig ab 1. Januar 1981, (MTV) heißt es:
"§ 12
Urlaub
1. Zum Zwecke der Erholung und Erhaltung sei-
ner Arbeitskraft hat jeder Arbeitnehmer
jährlich einen Anspruch auf bezahlten Ur-
laub.
.....
2. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
3. Die Dauer des Urlaubs beträgt für Arbeit-
nehmer ..... nach dem vollendeten 30.
Lebensjahr ..... 1984 ..... 36 Werktage.
.....
6. Der Anspruch auf Gewährung des gesamten
Jahresurlaubs steht dem Arbeitnehmer über
18 Jahren nach einer ununterbrochenen
Tätigkeit von 6 Monaten zu, soweit das
Arbeitsverhältnis ungekündigt ist.
Arbeitnehmer haben im übrigen Anspruch
auf soviel Zwölftel des Jahresurlaubs,
wie sie im laufenden Urlaubsjahr volle
Kalendermonate im Betrieb beschäftigt
gewesen sind.
.....
8. Der Urlaub soll im laufenden Urlaubsjahr
zusammenhängend gewährt und genommen wer-
den. .....
9. Übertragung des Urlaubs in das folgende
Urlaubsjahr ist grundsätzlich nur dann
zulässig, wenn dies aus dringenden be-
trieblichen oder persönlichen Gründen ge-
boten erscheint. Soweit solche Ausnahmen
unvermeidlich waren, soll der fällige
Urlaub bis spätestens 31. März des fol-
genden Urlaubsjahres gewährt bzw. genom-
men werden.
10. Der Urlaub darf grundsätzlich nicht durch
Geld oder sonstige Vergütung abgegolten
werden. Abgeltung kann nur bei Beendigung
des Arbeitsverhältnisses verlangt werden,
soweit der Urlaub nicht in die Kündigungs-
frist gelegt werden kann.
.....
§ 16
Fälligkeit und Erlöschen von An-
sprüchen
1. Vergütungen von Mehr-, Nacht-, Sonn-
oder Feiertagsarbeit sind spätestens am
Schluß der folgenden Gehalts- und Lohn-
periode mit dem Monatsentgelt auszuzah-
len.
Nicht erfüllte Ansprüche aus dem Ar-
beitsverhältnis sind dem Arbeitgeber ge-
genüber schriftlich folgendermaßen gel-
tend zu machen:
a) Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütungen
und Zuschläge aller Art innerhalb
von 3 Monaten, gerechnet vom Gehalts-
bzw. Lohnzahltag an, an welchem dem
Arbeitnehmer die Abrechnung für den
betreffenden Abrechnungszeitraum aus-
gehändigt wurde.
b) Alle übrigen Ansprüche aus diesem
Tarifvertrag sind spätestens binnen
2 Monaten nach Beendigung des Arbeits-
verhältnisses schriftlich geltend zu
machen.
2. Diese Fristen sind Ausschlußfristen. An-
sprüche, die nicht vor Ablauf dieser Fri-
sten schriftlich geltend gemacht wurden,
erlöschen.
3. Für Ansprüche des Arbeitgebers gegenüber
dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhält-
nis gelten die Bestimmungen der Ziffern
1 und 2 sinngemäß.
Die Ansprüche erlöschen nicht, wenn die-
ser Tarifvertrag den Arbeitnehmern nicht
ausgehändigt oder im Betrieb nicht ausge-
legt oder ausgehängt ist."
Mit der Klage vom 28. Juni 1985 hat der Kläger den der Höhe nach unstreitigen Anspruch gerichtlich geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die Urlaubsabgeltung zu, weil er den Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr habe nehmen können. Der Anspruch sei nicht verfallen, weil ihm der Tarifvertrag nicht ausgehändigt gewesen sei und dieser auch nicht im Betrieb ausgelegt oder ausgehängt worden sei. Der Aushang im Zimmer des Geschäftsführers S habe die Bestimmungen über die Ausschlußfrist nicht enthalten. Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
2.628,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit dem 6. Juli 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gegen die Klageforderung mit einer Gegenforderung in Höhe von 750,-- DM aufgerechnet. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe den Urlaub noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nehmen können. Daß er dies nicht getan habe, beruhe, ebenso wie die Zahlung des Urlaubsgelds, auf einer Vereinbarung, die ihr Geschäftsführer F unter Verletzung ihrer Interessen mit dem Kläger getroffen habe. Der Kläger habe den Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht innerhalb der zweimonatigen Ausschlußfrist nach § 16 MTV schriftlich geltend gemacht. Der Aushang im Zimmer des Geschäftsführer S habe alle Bestimmungen des Manteltarifvertrags umfaßt. Das Urlaubsgeld müsse der Kläger zur Hälfte zurückzahlen, weil das Arbeitsverhältnis im Jahr 1984 nur sechs Monate bestanden habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie als unbegründet abgewiesen. Mit der Revision bittet der Kläger um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers ist spätestens am 31. Dezember 1984 erloschen.
I. Dem Kläger stand, als er Ende Juni 1984 aus dem Betrieb der Beklagten ausschied, ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 18 Werktagen zu.
1. Nach § 12 Ziff. 3 MTV hatte der Kläger für das Urlaubsjahr 1984 einen Urlaubsanspruch in Höhe von 36 Werktagen. Dadurch, daß er Ende Juni 1984 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, verminderte sich sein Urlaubsanspruch gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG, § 12 Ziff. 6 Unterabs. 2 MTV auf sechs Zwölftel, so daß die 18 Werktage verblieben, deren Abgeltung der Kläger fordert. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Klägers nach dem Manteltarifvertrag für den hessischen Einzelhandel vom 16. Januar 1981 beurteilt. Die Parteien haben einzelvertraglich vereinbart, daß dieser Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei. Zwar ist die Bezugnahme im Arbeitsvertrag ("Groß- und Einzelhandel") von ihrem Wortlaut her nicht ganz eindeutig. Das Landesarbeitsgericht hat den Arbeitsvertrag aber dahingehend ausgelegt, daß der genannte Manteltarifvertrag gemeint sei. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das Berufungsgericht dadurch gegen die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB oder gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat (zum Prüfungsumfang des Revisionsgerichts insoweit: BAG Urteile vom 13. Juli 1956 - 1 AZR 361/54 - AP Nr. 13 zu § 242 BGB Ruhegehalt; vom 27. Juni 1963 - 5 AZR 383/62 - AP Nr. 5 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß; vom 17. Februar 1966 - 2 AZR 162/65 -; vom 27. August 1970 - 2 AZR 519/69 -; vom 14. September 1972 - 5 AZR 212/72 - und vom 2. März 1973 - 3 AZR 325/72 - AP Nr. 30, 33, 34, 36 zu § 133 BGB). Die Revision erhebt insoweit auch keine Angriffe.
2. Der Kläger konnte den Urlaub für das erste Halbjahr 1984 wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nehmen. Er war daher abzugelten. Dies folgt aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Diese Regelung gilt zunächst für die neun Werktage, die gekürzter Vollurlaub nach § 5 Abs. 1 Buchst. c in Verb. mit § 3 Abs. 1 BUrlG, also gesetzlicher Mindesturlaub, sind. Sie gilt aber auch für die weiteren neun Tage, die dem Kläger einzelvertraglich zugesagt waren. § 12 Ziff. 10 MTV trifft insoweit keine abweichende Regelung.
Mit dem Einwand, der Kläger habe den Urlaub aufgrund einer mit dem ehemaligen Geschäftsführer F getroffenen Vereinbarung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen, obwohl dies möglich gewesen wäre, kann die Beklagte nicht gehört werden. Falls der Geschäftsführer durch diese Vereinbarung gegen die Interessen der Beklagten verstoßen haben sollte, ist dies rechtlich unerheblich. Dies würde auch gelten, wenn der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht mißbraucht hätte; daß der Kläger mit dem Geschäftsführer treuwidrig zusammengewirkt hätte, hat die Beklagte nicht behauptet.
II. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers ist aber spätestens am 31. Dezember 1984 erloschen.
1. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen ist, daß der Anspruch bereits deshalb erloschen ist, weil der Kläger versäumt hat, ihn innerhalb der zweimonatigen Ausschlußfrist nach § 16 Ziff. 1 Buchst. b MTV schriftlich geltend zu machen. Jedenfalls erlosch der Anspruch am Ende des Urlaubsjahres 1984, also am 31. Dezember 1984.
2. Nach § 12 Ziff. 8 MTV soll der Urlaub im laufenden Urlaubsjahr gewährt und genommen werden. Nach dieser Bestimmung in Verb. mit § 12 Ziff. 2 MTV verfällt Urlaub somit spätestens am 31. Dezember des Urlaubsjahres. Hier gilt entsprechendes wie im Falle des § 12 Ziff. 9 MTV. Dort ist geregelt, daß der übertragene Urlaub mit Ablauf des Übertragungszeitraums (31. März des folgenden Urlaubsjahres) verfällt. Dies hat der Senat im Urteil vom 2. Juni 1987 (- 8 AZR 87/85 -, nicht veröffentlicht) entschieden. Er hat dabei ausgeführt, der nicht unmißverständliche Tarifwortlaut stehe dieser Auslegung nicht entgegen; zwar heiße es in Ziffer 9 Satz 2, daß der fällige Urlaub bis spätestens 31. März des folgenden Urlaubsjahres gewährt bzw. genommen werden "soll"; darin sei aber keine Erweiterung gegenüber der Bestimmung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG zu sehen; der Wille der Tarifvertragsparteien sei unverkennbar, in § 12 Ziff. 9 MTV die Übertragbarkeit und den Verfall des Urlaubs in Anlehnung an die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes zu regeln, nach denen der in das folgende Urlaubsjahr übertragene Urlaub am 31. März erlischt; die Tarifnorm entspreche in ihrem Aufbau § 7 Abs. 3 BUrlG; daß sie anders als die gesetzliche Bestimmung nur als Sollvorschrift gefaßt sei, rechtfertige nicht den Schluß, die Tarifvertragsparteien hätten eine weitere Übertragung über den 31. März des folgenden Urlaubsjahres hinaus regeln wollen. Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für die Auslegung des ebenfalls als Sollvorschrift ausgestalteten § 12 Ziff. 8 MTV. Urlaub, der bis 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht gewährt und genommen wurde, erlischt somit in diesem Zeitpunkt.
3. Da der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs der gleichen Befristung unterliegt wie dieser (vgl. BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu 2 der Gründe), ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch am 31. Dezember 1984 erloschen. Anhaltspunkte dafür, daß der Anspruch nach § 12 Ziff. 9 MTV übertragen wurde, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Durch die Geltendmachung des Anspruchs, die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts "frühestens im März 1985" erfolgte, hat der Kläger die Beklagte somit nicht in Schuldnerverzug gesetzt. Die Beklagte muß dem Kläger daher auch nicht in Höhe des mit der Klage geltend gemachten Betrags Schadenersatz leisten.
4. Da die Klage bereits deshalb unbegründet ist, weil der Klageanspruch nicht besteht, bedurfte es keiner Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung.
Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek
Dr. Walz Brückmann
Fundstellen
Haufe-Index 441610 |
DB 1989, 686-687 (LT1) |
NZA 1989, 391-392 (LT1) |
RdA 1989, 131 |
AP § 7 BUrlG Abgeltung (LT1), Nr 43 |
EzA § 7 BUrlG, Nr 64 (LT1) |